29 | Hinterhalt & Lüge
Konzentriert sitze ich am nächsten Morgen an meinem Schreibtisch und tippe einige neue Termine in Rebeccas Kalender hinein. Je mehr ich und Trevor zusammenwachsen, umso sicherer bin ich mir, dass ich dringend einen anderen Job brauche. Ich kann nicht für immer die Assistentin seiner Ex-Freundin bleiben. Das schlechte Gewissen macht sich noch immer in mir breit, allerdings wird es von all den Gefühlen, die ich für Trevor hege, zunichte gemacht.
Rebecca war heute schon den ganzen Tag besonders schweigsam und es tut mir leid, dass sie sich so fühlt, weil ich genau weiß, was der Grund dafür ist. Ich habe fast schon ein wenig Mitleid, dass Trevor es gestern beendet hat, als sie gerade einmal wenige Stunden wieder in New York war. Ich kann verstehen, dass es ihr wehtut, immerhin waren die beiden fast zwei Jahre zusammen und wer wäre da nicht traurig, zumal ich mir gut vorstellen kann, dass Trevor ihr gesagt hat, dass er sie betrogen hat.
Er sagt zwar, ich solle mir keine Gedanken darüber machen, doch ich fühle mich noch immer so, als würden wir etwas Verbotenes tun. Trevor ist der Meinung, dass Rebecca mit der Trennung klarkommen würde und ich solle mich bloß auf ihn und mich konzentrieren. Ich versuche es wirklich, doch ich kann kaum noch professionell an meine Arbeit gehen, weil ich weiß, dass wir ihr weh getan haben.
Ich brauche dringend einen neuen Job. Gleich heute werde ich einige Bewerbungen schreiben und verschicken. Vielleicht hat ja jemand Mitleid mit mir und stellt mich ein. So können Trevor und ich voll und ganz glücklich werden, ohne dass jemand ein schlechtes Gewissen haben muss.
Trevor war gestern Abend merkwürdig drauf und erst nachdem ich ihn geküsst hatte, hatte ich das Gefühl, dass er sich zu entspannen scheint. Als wir nach dem Sex, der meiner Meinung nach der schönste von alle den anderen Malen gewesen ist, noch über Rebecca geredet haben, kam es mir so vor, als wäre er derjenige, der wütend auf Rebecca war. Dabei wäre es andersherum doch nur berechtigt.
Ich schüttele den Kopf und nippe an meinem Kaffee, als sich Rebeccas Bürotür öffnet. Ihre blonden Haare hat sie heute zu einer Frisur hochgesteckt. Sie trägt einen enganliegenden schwarzen Rock und eine Bluse, die meiner Meinung nach ein wenig zu offenherzig für die Arbeit ist, aber solange sie sich wohlfühlt, scheint alles seine Richtigkeit zu haben.
Vor meinen Schreibtisch bleibt sie stehen und zieht sich einen Stuhl heran, um sich zu setzen. »Wie geht es dir, Hailey?«, fragt sie und ich runzele die Stirn.
»Ganz gut, denke ich. Und dir? Wie war es auf Hawaii?«, frage ich.
Ganz gut ist untertrieben. Nach dem gestrigen Abend fühle ich mich wie neugeboren.
»Es war wirklich schön. Ich wünschte Trevor wäre dabei gewesen. Es gab so viele Gelegenheiten, wo wir uns die Seele aus dem Leib gevögelt hätten«, sagt sie schwärmerisch und legt ihren Kopf auf ihrer Hand ab. Auf ihren Lippen liegt ein verliebtes Lächeln.
Ihre Aussage sorgt für tausende Fragezeichen in mir. Warum sagt sie so etwas, wenn er gestern Abend mit ihr Schluss gemacht hat.
»Warst du schon einmal auf Haiwaii?«, fragt sie mich und ich schüttele mit dem Kopf.
»Nicht? Du musst irgendwann unbedingt mal dahin reisen. Es ist wirklich traumhaft und man kann so viele schöne Stunden zu zweit verbringen. Wenn du irgendwann mal einen Mann an deiner Seite hast, wirst du wissen, wovon ich spreche«, meint sie grinsend und sieht mich an.
»Ja, irgendwann vielleicht«, sage ich, weil ich nicht weiß, was ich sonst erwidern soll. Nebenbei blicke ich weiterhin auf meinen Bildschirm, werde aber weiterhin von Rebecca beobachtet.
»Gibt es zurzeit jemanden in deinem Leben?«, fragt sie mich nach einen Augenblicken der Stille. Ich runzele die Stirn.
»Wie kommst du denn da drauf?«
»Na, du hast einen fetten Knutschfleck am Hals«, sagt sie und ich reiße die Augen auf.
»Bitte?«
»Hast du versucht ihn abzudecken? Vielleicht solltest du einen andere Camouflage nehmen. Ich kenne das selbst von Trevor. Er hat beim Sex immer übertrieben«, sagt sie und lacht leicht.
Augenblicklich lege ich eine Hand an meinen Hals.
»Entschuldige«, sage ich.
»Wer ist der Kerl?«
»Hm?«
»Wer ist der Kerl, der dir diesen Knutschfleck beschert hat?«
»Ach – nicht so wichtig. Ich war am Wochenende mit Sadie und Nola aus und habe jemanden kennengelernt. Aber es war nur ein One-Night-Stand«, lüge ich und winke ab. Ich hoffe, dass sie nicht weiter nachhaken wird.
Ihre Fragen machen mich nervös.
Mein Handy vibriert und ich nehme es in die Hand, um einen Blick darauf zu werfen.
Trevor:
Sag mir was los ist!!
Trevor:
Hailey! Antworte!
Ich runzele kurz die Stirn und lasse mein Handy in meiner Schublade verschwinden, falls weitere Nachrichten eintreffen sollten. Ich kann nicht in Rebeccas Anwesenheit auf seinen Nachrichten antworten, die für mich überhaupt keinen Sinn ergeben.
Was soll ich ihm sagen?
Ich werde zunehmend nervöser und weiß nicht, was los ist. Wieso schreibt er mir solche Nachrichten. Die letzte Nachricht, die ich von ihm erhalten habe, ist bereits stunden zu vor von mir beantwortet worden. Danach kam keine Nachricht mehr und ich habe auch keine Neue geschrieben.
»Wer war das?«, fragt Rebecca und sieht mich an.
»Ach, das war Calvin. Er geht zu einem Freund«, sage ich schnell.
»Morgens? Es ist gerade mal halb elf«, meint sie und ich nicke.
»Scheinbar entfallen die letzten Stunden«, lüge ich schnell und könnte mir eine reinhauen, weil ich nicht drüber nachgedacht habe, was ich da von mir gebe.
Im nächsten Moment höre ich die Klingel des Aufzugs und Rebecca erhebt sich glücklicherweise. Sie bleibt vor mir stehen und sieht mich mit einem Lächeln an, das mir ein merkwürdiges Gefühl gibt.
»Pünktlich auf die Minute«, sagt sie und dreht sich um, als die Schritte näher kommen.
Meine Augen weiten sich, als ich sehe, dass Trevor auf uns zu kommt. Er stockt kurz in seiner Bewegung und sieht erst zu mir, dann zu Rebecca.
»Trevor, wie schön, dass du deiner Freundin zur Hilfe gekommen bist«, sagt Rebecca und lacht abfällig.
Ich sehe zwischen den beiden her und verstehe jetzt wirklich gar nichts mehr.
»Was hast du getan, Rebecca?«
Trevors Stimme ist tief und ich beinahe erschrecke ich mich, weil sie gleichzeitig... wütend klingt.
»Ich? Ich habe gar nichts getan außer meinen Verdacht zu bestätigen, dass du meinen Assistentin gefickt hast«, zischt sie.
Ich reiße die Augen auf und auch Trevor sieht sprachlos aus.
»Das habt ihr beide euch gut ausgedacht, hm? Glaubt ihr wirklich, ich hätte es nicht herausgefunden, dass ihr mich hintergeht? Denkt ihr, ich bin dumm?«, fährt sie uns an.
Nein, sie schreit fast schon.
»R-Rebecca, es tut mir so leid. Ich-«
»Sei still. Du bist ein Miststück, Hailey. Eine Schlampe, die mir die ganze Zeit ins Gesicht gelogen hat. Du bist-«
»Du bist jetzt still, Rebecca!«
Ich zucke zusammen als Trevor sie unterbricht und auf mich zu kommt.
»Nimm deine Tasche und komm mit mir. Du bist hier fertig, okay?«, sagt er in einem sanfteren Ton zu mir und ich nicke überfordert, bevor ich mein Handy aus der Schublade ziehe und es achtlos in meiner Handtasche fallen lasse. Benommen zieht Trevor mich hinter sich her und will sich zum Gehen wenden, als ich mich noch einmal umdrehe.
»Es tut mir wahnsinnig leid, Rebecca«, sage ich leise. »Ich wollte dich nie verletzen.«
»Hör auf dich zu entschuldigen!«, schreit sie. »Ich hatte von Anfang an Recht, was dich betrifft. Du bist genauso eine Schlampe, wie es deine Mutter gewesen ist. Wegen dir wäre meine Familie beinahe auseinander gebrochen und-«
»Rebecca! Sei verdammt nochmal still!«, mischt sich Trevor erneut ein. Dabei zieht er sanft an meiner Hand.
»Was ist hier los?«, frage ich leise an ihn gewandt. In seinen Augen erkenne ich Furcht und Wut.
»Dein Liebster hat dich angelogen, Süße«, sagt Rebecca und ich schlucke leicht, bevor ich ihm meine Hand entziehe.
»Wieso sprichst du so von meiner Mutter?«, frage ich sie und versuche ruhig zu bleiben. In mir beginnt etwas zu brodeln und ich weiß nicht, wie und wann ich dem nachgeben soll.
»Weil sie vor 27 Jahren eine Affäre mit meinem Vater hatte. Herzlich Willkommen in der Familie, liebste Halbschwester«, feixt sie und reißt mir den Boden unter den Füßen weg.
Trevors Sicht
Ich kann nicht glauben, was sich vor meinem bloßen Auge abspielt. Haileys Gesicht zeigt innerhalb weniger Sekunden, wie fassungslos sie ist. Verzweiflung macht sich in ihr breit und das Schlimmste ist der Schmerz, den sie gerade durchlebt.
Ich will ihr zur Seite eilen und für sie da sein, doch sie weicht zurück, als ich sie berühre.
»Was?«, fragt sie leise. Ihre Stimme ist kaum zu Hören.
»Mein Vater hat deine Mutter geschwängert und ganz nebenbei meine Mutter betrogen, wann immer er auf Geschäftsreise war. Er hat ihr eine rosige Zukunft versprochen und wollte sie heiraten. Glücklicherweise hat er dann noch rechtzeitig die Kurze gekratzt und bemerkt zu wem er wirklich gehört. Eine Schande, wenn er sich lieber für eine arme Kellnerin entschieden hätte, statt für eine wohlerzogene Frau aus gutem Elternhaus und seine wunderschöne Tochter«, zischt sie.
»Ich... Ich verstehe das nicht«, sagt sie. »Woher weißt du das alles?«
»Ich habe vor Jahren ein Foto gefunden. Von einer Frau, die in den Armen meines Vaters liegt. Als ich ihn darauf angesprochen habe, meinte er, dass das nichts zu bedeuten hätte. Es war eine harmlose Affäre und es ging ihm nur um Sex, weshalb meine Mom ihm verziehen hatte. Als du...«, beginnt Rebecca und wirft ihr einen herabschauenden Blick zu, »...bei mir zum Vorstellungsgespräch gekommen bist, habe ich sie direkt in die wiedererkannt und in gewisser Weise auch meinen Vater. Ich habe dich eingestellt, damit ich dich im Auge behalten konnte. Jemand wie du... ohne Eltern, ohne Dach über dem Kopf, mit nichts als einem kleinen Bruder an ihrer Seite – es wäre eine Schande gewesen, wenn jemand davon erfahren hätte, dass du meine Halbschwester bist!«
Hailey schluckt und ich kann das Gefühlschaos in ihr nur allzu gut erkennen. Diese Nachricht hat ihr den Boden unter den Füßen weggerissen. Es hat ihre Welt zerstört und ich wünschte mir, dass ich gestern Abend nicht eingeknickt wäre. Ich wollte es ihr sagen. Die ganze Zeit über lag es mir auf den Lippen, doch ich konnte nicht. Nicht gestern. Ich wollte auf den richtigen Zeitpunkt warten, wenn sie nicht mehr bei Rebecca arbeiten würde und sich unsere Beziehung gefestigt hatte.
»Woher... woher wusstest du von mir und Trevor?«, fragt sie und ich kann die Tränen sehen, die ihre Wange herablaufen.
»Dein Liebster kam gestern zu mir, um mich zu verlassen. Dumm nur, dass er die Fotos gesehen hatte, die ich mir angesehen habe. Also habe ich ihm davon erzählt und glaub mir, Hailey, seine Reaktion war soooo süß«, meint sie und lacht. »Kaum habe ich ihm die Wahrheit gesagt, hat er mir an den Latz geknallt, dass er mich betrogen hat. Danach hat er panisch die Flucht ergriffen und ich konnte eins und eins zusammenzählen. Heute Morgen habe ich mich an dein Handy geschlichen und auf eine tolle Nachricht von ihm geantwortet, damit er schnellstens herkommt. Versuch geglückt«, zischt sie.
»Du wusstest davon?«, fragt sie mit zittriger Stimme und sieht mich aus großen Augen an.
Ich mache einen Schritt auf sie zu und will sie in meine Arme ziehen, doch sie hält ihre Hand hoch.
»Du wusstest es und hast mir dreist ins Gesicht gelogen! Du... Du hast trotzdem mit mir geschlafen. Ich... Ich dachte, das gestern wäre... Ich dachte, es ist Liebe, Trevor«, schluchzt sie.
»Es ist Liebe, Hailey. Ich konnte es dir gestern nicht sagen. Ich wollte auf den richtigen Zeitpunkt warten«, sage ich und spüre, wie mein Herz schneller schlägt.
»Der richtige Zeitpunkt?«
»Ja und-«
»Weißt du was der richtige Zeitpunkt dafür gewesen wäre?«, zischt sie. »Gestern Abend, als ich gefragt habe, was mit dir los ist. Als ich deine Tränen gesehen habe, Trevor. Das wäre der richtige Zeitpunkt gewesen. Ich dachte, ich würde dir etwas bedeuten. Ich dachte, du wärst derjenige, der mir nie wehtun würde«, schluchzt sie und schüttelt den Kopf.
»Ich liebe dich, okay? Es tut mir so leid, dass ich nicht direkt etwas gesagt habe und-«
»Spar dir das. Ich will nicht mehr, Trevor. Ich dachte, ich könnte endlich glücklich werden, doch du... Du hast dafür gesorgt, dass mir einmal mehr im Leben gezeigt wird, dass ich es nicht verdient habe!«
Sie läuft an mir vorbei und ich will sie aufhalten, als sie mich von sich schubst. Sie läuft los und betritt den Aufzug, wo sie mehrmals auf eine Taste drückt. Ich schalte zu spät, weshalb ich die Türen nicht aufhalten kann. Ihr Gesicht verschwindet vor meinem Auge und ich schlucke.
Im nächsten Moment stoße ich mich von der Wand ab, an der ich mich gestützt habe, um die Treppen zu nehmen. Es wird verdammt knapp werden, aber es könnte ein Versuch sein. So schnell ich kann laufe ich die Treppen herunter und dabei ist es mir egal, ob ich an Atemnot verrecken werde.
Ich muss zu ihr und ihr zeigen, dass sie sich getäuscht hat. Ich muss ihr zeigen, dass sie verdient hat glücklich zu werden und dass ich sie um jeden Preis glücklich machen will. Ich liebe sie und ich werde nicht aufgeben, bevor sie mir verzeiht – egal wann es passieren wird.
Meine Lungen brennen als ich im Foyer der Firma ankomme. Mein Atem ist deutlich hörbar und als ich nach draußen laufe und mich nach ihr umsehe ist sie längst nicht mehr da.
——
Mit diesem Kapitel endet die Lesenacht ... 🧐
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