2 | Maskenball
»Bist du dir wirklich sicher, dass das eine gute Idee ist?«, frage ich als ich neben Sadie in der Limousine Platz nehme, die uns zur Location bringt, wo der Ball stattfinden soll.
Sadie verdreht nur die Augen und auch Nola seufzt genervt. Ich weiß, dass ich mir zu viele Sorgen mache, aber in einem Kleid, das mehrere tausend Dollar gekostet hat, fühle ich mich einfach nicht wohl. Bei jeder Bewegung habe ich Angst etwas kaputt zu machen.
»Gott, Hal. Ich weiß wirklich nicht wieso du dich jetzt so anstellst. Ich habe dir tausendmal gesagt, dass es okay ist, wenn du das Kleid trägst. Außerdem haben meine Eltern ausdrücklich gewünscht, dass du mitkommst. Sie wissen, dass du ein sparsamer Mensch bist und wollen dir genau deshalb diesen Abend ermöglichen. Du kennst sie doch«, erklärt Sadie und ich seufze leise.
Sadies Eltern waren schon immer nette, großzügige Leute. Sie haben nach dem Tod meiner Eltern sogar angeboten für mich und meinen Bruder eine Eigentumswohnung zu kaufen, doch das habe ich dankend abgelehnt. Auch, wenn ich am Anfang nicht wusste, wie es mit mir und Calvin weitergehen sollte, wusste ich, dass Almosen nicht das waren, was ich wollte.
Sadie ist in einer Gesellschaft aufgewachsen, die sich um nichts sorgen muss. Schon früher hatte sie sich nie Gedanken darum machen müssen, ob ihre Eltern ihr erlauben würden mit uns in Kino zu gehen. Bei mir und Nola sah es da schon anders aus. Meine Eltern haben mir und Cal zwar immer alles ermöglicht, was wir wollten, doch es gab trotzdem Tage, an denen wir nicht ins Schwimmbad oder in die Mall konnten, weil das Geld schlichtweg für andere Dinge verplant war. Damals hatte ich das noch nicht verstehen können. Jetzt, wo ich selbst für jemanden verantwortlich war und die finanziellen Mittel knapp waren, plagte mich immer ein schlechtes Gewissen, dass ich als Kind kein Verständnis für solche Situationen hatte.
»Wir sind da. Ab jetzt wird das Gewissen ausgeschaltet, okay? Du hast seit Langem mal wieder einen Abend für dich. Genieß es, Süße.«
Ich schenke Nola ein kleines Lächeln, als sie versucht mich aufzumuntern, und nicke schließlich.
»Okay. Lasst uns Spaß haben!«
Sadie grinst mich an und nickt, ehe die Limousine zum Stehen kommt. Kurze Zeit später wird die Tür geöffnet. Schnell tue ich es den anderen Mädels gleich und setze meine Maske auf, auch weil ich weiß, dass wir uns gleich in einem Blitzlichtgewitter wiederfinden werden. Sadie setzt ein fettes Lächeln auf, als wir den roten Teppich zum Eingang entlang laufen. Nola hakt sich bei mir unter und grinst nur, als sie sieht wie Sadie möglichst anmutig und elegant läuft. Das wir sie dabei fast einholen, entgeht ihr scheinbar.
Kurze Zeit später sind wir endlich im Gebäude angekommen und geben unsere Jacken an der Garderobe ab. Aus dem Saal hallt die laute Musik schon hinaus in den Eingangsbereich.
»Los geht's«, meint Nola grinsend und Sadie und ich folgen ihr lachend. Wir werden mit einem Sektempfang begrüßt und ich lasse es mir nicht nehmen, einen teuren Champagner zu trinken. Grinsend stoßen wir an und mischen uns unter die Menge.
∞
»Einen Champagner, bitte!«
Die Bedienung im komplett schwarzen Outfit hinter der Theke, nickt mir zu, ehe sie sich daran macht eines der teuren Gläser zu befüllen. Es ist definitiv nicht das zweite oder dritte Glas. Mittlerweile bin ich mir sogar sehr sicher, dass ich den Abend über nichts anderes getrunken habe und trotzdem nicht einmal angetrunken bin. Hoffentlich täusche ich mich nicht.
»Der Champagner hat es Ihnen angetan, oder?«
Ich zucke zusammen, als ich eine tiefe Stimme neben mir wahrnehmen. Ich ziehe überrascht die Augenbrauen in die Höhe und sehe den Mann neben mir an. Er trägt einen schlichten schwarzen Smoking und dazu eine schwarze, maskuline Maske, die nur den Bereich um seine Augen bedeckt. Seine Lippen haben sich zu einem schiefen Lächeln verzogen und seine Augen funkeln belustigt, als er die Überraschung in meinem Blick entdeckt.
»Ich habe Sie den Abend über beobachtet. Entweder sie tanzen mit ihren Freundinnen auf der Tanzfläche, oder sie bestellen einen Champagner«, sagt er, als er merkt, dass ich nichts erwidern werde.
»Sie haben mich beobachtet?«, frage ich ihn und verschränke die Arme vor meiner Brust. Sein Blick folgt meinen Händen kurz, jedoch blickt er mir danach wieder in die Augen.
Amüsiert grinst er mich an.
»Vielmehr sind sie mir aufgefallen. Schon als sie den Saal betreten haben, lag meine gesamte Aufmerksamkeit auf Ihnen. Als ich dann gesehen habe, dass sie eine wunderbare Tänzerin sind, wurde mein Interesse an Ihnen nur noch größer«, gesteht er mir.
Mir entfährt ein verlegenes Lachen und ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Wangen sich rosa färben. Jedenfalls spüre ich nur allzu deutlich, wie mir sämtliches Blut in die Wangen schießt.
»Woher wollen Sie wissen, dass ich eine gute Tänzerin bin? Vielleicht bewege ich mich einfach willkürlich und habe heute einen Tag erwischt, an dem die Vorstellung von meinen Bewegungen mit der Realität übereintrifft.«
Einen Moment sieht er mich grübelnd an, ehe er nach meiner Hand greift. Die Berührung unserer Hände sorgt dafür, dass sich meine Haut genauso anfühlt, als würden tausenden Stromschläge durch sie hindurch jagen.
»Sie haben das Tanzen gelernt, richtig? Meistens erkenne ich es, wenn jemand nicht einfach bloß zufällig vor sich hin tanzt. Würden Sie mir also die Ehre erweisen und mit mir tanzen?«
Ich will etwas erwidern, doch alles was mir über die Lippen geht, ist ein überraschtes Keuchen.
»Sie wollen mit mir tanzen?«, frage ich nach einiger Zeit, in der ich ihn bloß mit großen Augen angesehen habe. Das Lächeln auf seinem Gesicht ist nicht einmal ansatzweise verschwunden. Ich glaube, es ist nur noch größer geworden, als ich seine Frage wiederhole. Dieses Mal nickt er nur und sieht mich abwartend an.
»Was möchten Sie tanzen?«, frage ich und bemühe mich, nicht allzu sehr von ihm aus der Fassung gebracht zu werden.
»Sie werden es erkennen, wenn sie sich dazu bereit erklären«, erwidert er. Dieses Mal kann ich nicht anders als zu lächeln und durch ein Nicken meinerseits zuzustimmen. Der Griff um meiner Hand wird fester und er zieht mich sanft hinter sich her.
Ich liebe Tanzen. Es ist eines meiner größten Träume gewesen bis ich mein Studium abbrechen musste. Schon in der Middle-School habe ich an Wettbewerben teilgenommen und diese meistens auch genommen. Es war meine größte Passion und ich liebte es in jeglicher Form. Wenn der Mann, der sich gerade mit mir einen Weg durch die Menschenmengen bahnt, wirklich so viel Ahnung hatte, hatte er es tatsächlich geschafft mich zu beeindrucken.
Wir betreten die Tanzfläche, als sich das Lied langsam zum Ende neigt. Er zieht mich dicht an sich, sodass kaum noch ein Blatt zwischen uns passt. Seine Hände platziert er an meinem unteren Rücken, während er die andere Hand in meine legt und sie aufrecht hinstellt.
Wir warten gespannt auf das nächste Lied ab und schauen uns in die Augen. Seine blauen Augen funkeln mich an und ich kann ein Lächeln auf meinen Lippen nicht verkneifen. Diese Situation ist absurd und absolut das letzte, was ich heute Abend erwartet hätte.
Ungefähr drei Sekunden herrscht Stille, bevor das nächste Lied aus den Lautsprechern schallt. Sofort erkenne ich es. Shawn Mendes und Camila Cabellos Señorita ist ein leidenschaftliches Lied und als der Mann, dessen Hand um mich geschlungen ist, sich zu bewegen beginnt, weiß ich, dass er ebenfalls ein grandioser Tänzer ist. Er führt mich grazil über die Tanzfläche und sorgt immer dafür, dass nicht eine Sekunde zu viel Abstand zwischen unseren Körpern ist. Mein ganzer Körper steht unter Strom und ich habe das Gefühl meine Füße schweben nahezu über das Parkett. Er weiß genau, was er tut. Seine Drehungen und Hebungen geben mir ein Gefühl, dass ich nicht einmal beschreiben kann. Es beflügelt mich und gleichzeitig sorgt es dafür, dass ich mich ihm gegenüber hingezogen fühle. Mein Körper kribbelt und es ist, als wäre ich ihm viel zu nah, als ich es eigentlich sollte. Ich fühle mich, als hätte er jegliche Kontrolle von mir übernommen und doch bin ich es, die sich passend zu ihm bewegt. Die drei Minuten vergehen viel zu schnell und doch habe ich das Gefühl, dass wir schon ewig miteinander tanzen würden. Langsam kommen wir zum Stehen und ich atme schwer ein und aus. Auch sein Atem geht deutlich schneller und ich spüre ihn deutlich an meinen Lippen aufprallen.
Eine Sekunde lang herrscht Stille im Saal bis ich plötzlich den Klang von Applaus wahrnehme. Ich zucke zusammen und sehe mich im Saal um. Um uns hat sich ein großer Kreis gebildet und tausende Augenpaare sind auf uns gerichtet. Nur wir beide stehen in der Mitte der Tanzfläche und ich weiß nicht, was ich tun soll.
Erst als ich spüre, dass sich sein Griff um mich lockert und ich mich gezwungen sehe Abstand zu nehmen, weiß ich, dass dieser Moment vorbei ist. Mein Gegenüber räuspert sich und lächelt beinahe schüchtern.
»Wollen wir raus? An die frische Luft?«, frage ich plötzlich, noch immer vollkommen außer Atem.
Er nickt bloß und greift erneut nach meiner Hand. Dieses Mal zieht er mich jedoch an sich heran und schlingt seinen Arm um meine Taille, bevor wir uns gemeinsam in Bewegung setzen. In meinem Kopf ist es wie leergefegt. Alles, was ich denke ist, dass dieser Mann mich beeindruckt hat und ich noch nicht möchte, dass unsere Wege sich nach einem Tanz wieder trennen.
Ich drücke die schwere Tür in den hinteren Bereich des Gartens auf und seufze leise, als mich die kalte Nachtluft trifft. Es ist eine willkommene Abwechslung, denn seit dem ersten Moment auf der Tanzfläche habe ich das Gefühl als stünde wäre mein Körper unendlicher Hitze ausgesetzt.
»Ich habe mich nicht geirrt. Du bist eine fantastische Tänzerin, die auch einem spontanen Tango nicht abgeneigt ist«, sagt er, als wir einen kleinen Pfad entlanggehen, der weiter hinaus in die Garten der Location folgt. Nur wenige Leute halten sich hier auf. Die meisten rauchen eine Zigarre oder kühlen sich ebenfalls einen Moment lang ab, doch der Großteil hält sich im Inneren des Gebäudes auf.
Mir entgeht nicht, dass er zum Du übergegangen ist, doch es stört mich nicht im Geringsten. Nach so einem Tanz wäre ein Siezen meiner Meinung nach übertrieben, wenn man bedenkt, wie nah wir uns eigentlich gekommen sind.
Je weiter wir in die Garten hineingehen, desto leiser wird es um uns herum.
»Ich tanze seitdem ich fünf Jahre alt bin«, sage ich und er sieht mich lächelnd an und bleibt stehen. Wieder finden seine Hände einen Weg an meine Taille und obwohl ich ihn erst seit wenigen Minuten kenne, empfinde ich es nicht als unangenehm.
»Bitte sag mir, dass du auch das Gefühl hattest, als würden wir ewig miteinander tanzen. Als wäre es nicht das erste Mal...«, sagt er leise und sieht auf mich hinab. Unsere Augen finden einander und ich lächle leicht, ehe ich nicke.
»So ging es mir auch«, hauche ich leise.
Einen Moment verharren wir so, ehe er sich ein kurzes Stück löst und seine Maske von seinem Gesicht zieht. Ich beiße mir auf die Lippen, als er sich plötzlich zu herunter beugt. Sein Gesicht ist makellos.
Sein Daumen befreit meine Lippe aus den Fängen meiner Zähne und wieder liegt sein Blick auf meinen Lippen. Ich blicke ebenfalls auf seine vollen Lippen, die sicherlich fantastisch küssen.
Kaum eine Sekunde später komme ich selbst in den Genuss von ihnen und muss feststellen, dass meine Vermutung sich bewahrheitet. Seine weichen Lippen reiben sanft über meine und üben ein wenig Druck auf ihnen aus. Ich seufze leise, als ich den Kuss erwidere und ihn an seiner Jacke tiefer zu mir herunterziehe. Es ist als würden ein Staudamm brechen, denn augenblicklich wird er forscher und dringt mit seiner Zunge in meine Mundhöhle ein. Unsere Zungen finden sich und geben sich einem feurigen Tanz hin – ein Geben und Nehmen. Seine rechte Hand löst sich von meiner Taille und findet sich in meinen Haaren wieder, wo er einmal fest zugreift und mir damit ein Stöhnen entlockt.
Schmetterlinge tanzen in mir, als wir uns weiterküssen und uns nur wenige Sekunden voneinander lösen, um nach Luft zu schnappen. Ich weiß absolut nicht, was hier gerade geschieht und was sein wird, wenn ich das Kleid und die Maske wieder ablege, aber daran möchte ich jetzt gar nicht denken. Ich will nicht dran denken, dass sich dieser Moment in absehbarer Zeit wie in Luft auflösen wird, als hätte es ihn nie gegeben. Ein tiefes Knurren unterbricht meinen Gedanken, als ich meine Finger über seine Brust wandern lasse, und bringt mich nur noch mehr aus dem Konzept.
Doch der Moment wird wenige Sekunden später unterbrochen, als ich mein Handy in meinem Ausschnitt spüre. Es vibriert vor sich hin und auch mein Gegenüber scheint es zu bemerken.
Er löst sich mit einem Lachen von mir, hält mich jedoch noch an der Taille an sich. Ich greife peinlich berührt in meinen Ausschnitte und ziehe es hervor. Als ich Calvins Namen auf dem Display sehe, werde ich allerdings besorgt. Er würde mich nicht anrufen, wenn es nicht wichtig wäre.
»Entschuldige«, murmele ich und trete ein paar Meter zur Seite, ehe ich abnehme.
»Hallo? Calvin?«
Sofort nehme ich laute Musik aus dem Telefon war.
»K-Kannst du mich abholen?«, höre ich lallen. Sofort schrillen alle Alarmglocken in meinem Kopf.
»Von Jason? Ist alles okay?«
»Nicht von Jason. Ich b-bin auf einer Party irgendwo in Manhattan und mir ist so schlecht«, jammert er und ich schließe die Augen.
»Wie lautet die Adresse?«, frage ich.
»35th Park Avenue«, lallt er.
»Okay, ich bin gleich da. Komm raus«, sage ich und setze mich in Bewegung. Ich beenden den Anruf und vergesse, dass ich nicht allein gewesen bin. Als ich mich zu ihm umdrehen und ihm erklären will, was passiert ist, stelle ich jedoch fest, dass ich allein im Dunkeln zurück gelassen wurde.
Ein Gefühl der Enttäuschung macht sich in mir breit, doch ich verbiete es mir, länger darüber nachzudenken. Calvin braucht mich. Calvin ist alles, was zählt. Ich ziehe die High Heels von meinen Füße und laufe ohne Jacke um das Gebäude herum, um mich in das nächstbeste Taxi zu setzen.
———
Na, wenn das nicht mal ein turbulenter Abend war, hm?😏
Was sagt ihr zu dem geheimnisvollen Fremden?
Wieso ist denn nur abgehauen?🤔😫
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