15 | Romantische Gesten & Schuldgefühle
Müde schleppe ich mich aus dem Fahrstuhl und schultere meine Handtasche. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so nervös gewesen bin zur Arbeit zu kommen. Womöglich war das an meinem ersten Tag, an dem ich noch immer nicht begreifen konnte, dass Rebecca mich wirklich als ihre Assistentin eingestellt hatte. Dankbarer hätte ich ihr nicht sein können, weil sie mir eine Chance gegeben hat – anders als andere Firmen, bei denen ich mich für eine einfache Bürotätigkeit beworben hatte. Aber vermutlich war ihnen der Gedanke einer Bürokraft ohne jegliche Erfahren oder gar ein Studium zu abstrakt, als dass sie mich eingestellt hätten.
Heute ist meine Motivation und Laune allerdings am Tiefpunkt und das liegt ganz allein daran, dass Trevor und ich einen Moment der Schwäche hatten. Wir beide kennen nun die Wahrheit und ich kann mich nicht mehr hinter meinen Ausreden verstecken. Doch das ist für mich nicht einmal mehr das Schlimme an dieser Situation. Es ist das schlechte Gewissen, dass durch unseren Kuss nur noch größer geworden ist. Es sind die Schuldgefühle, die ich Rebecca gegenüber empfinde, weil ich wieder einmal ihren Freund geküsst habe und es sich auch noch so gut angefühlt hat, wie lange nichts mehr in meinem Leben. Trevors Lippen, die sanft auf meinen liegen und gleichzeitig ein Gefühl der Leidenschaft in mir wecken – es fühlt sich verdammt richtig an. Auch, wenn ich weiß, dass das zwischen uns nicht sein darf, kann ich nicht anders als an die Schmetterlinge zu denken, die seitdem ununterbrochen in meinem Bauch tänzeln. Dieser Moment zwischen uns beiden hat mich beflügelt und doch weiß ich, dass es das letzte Mal gewesen ist. Es muss das letzte Mal gewesen sein, weil wir schon zwei Mal zu weit gegangen sind und es beim letzten Mal sogar ganz bewusst gewesen ist.
Ich verwerfe den Gedanken, als ich an meinem Schreibtisch ankommen und meine Tasche abstelle. Mein Körper fühlt sich schwer an und ich brauche erst einmal einen Moment, um meinen Atem unter Kontrolle zu bekommen. Am Liebsten wäre ich heute im Bett geblieben, doch das funktioniert nicht so einfach. Calvin hat mich ebenfalls überreden wollen, dass ich heute zuhause bleibe, doch ich habe dankend abgelehnt.
Nachdem ich Trevor auf dem Ball einfach stehengelassen habe, sind Calvin und ich nach Hause gefahren. Er hat sich an die tausend Mal für seinen Fauxpas entschuldigt, doch ich habe ihm gesagt, dass alles okay sei. Ob er es mir geglaubt hat oder nicht, war mir ziemlich egal. Calvin soll sich keine Vorwürfe machen, nur weil ich nicht ehrlich zu ihm gewesen bin. Sadie und Nola waren auch extrem distanziert, nach diesem Abend und noch keine von ihnen hat gefragt, was mich veranlasst hat so früh zu gehen. Gut möglich, dass meine Freundinnen ausnahmsweise ein wenige Zurückhaltung zeigen. Es würde mich aber nicht wundern, wenn diese in den nächsten Tagen wieder zunichte gemacht wird, weil sie doch neugieriger sind als gedacht.
»Guten Morgen!«, flötet Rebecca, als sie wenig später nach mir aus dem Fahrstuhl kommt und vor meinem Schreibtisch stehen bleibt. Sie lächelt mich breit an und ich zwinge mich dazu, es zu erwidern, obwohl es mir verdammt schwer fällt.
»Morgen«, erwidere ich matt und schalte meinen Computer ein.
»Der Ball war ein voller Erfolg. Wo bist du nur auf einmal gewesen? Trevor sagte, es ginge dir nicht gut. Was war los?«, fragt sie und setzt sich vor meinem Tisch hin.
Die bloße Erwähnung seines Namen treibt mein Herzschlag voran und sorgt dafür, dass das flatterartige Gefühl in meiner Magengrube nur noch stärker wird. Allerdings hat das Ganze auch einen bitteren Beigeschmack, weil er und sie scheinbar noch gemeinsam Zeit verbracht haben... oder schlimmeres. Schnell schüttele ich den Kopf, um den Gedanken zu verwerfen.
»Ich glaube, ich habe etwas Falsches gegessen. Mehr nicht.«
Rebecca sieht mich einen Moment lang zögernd an, ehe sie nickt und lächelt.
»Schön, dass es dir jetzt besser geht. Ich habe dich für die Dankesrede gesucht, weil ich dir ein Präsent überreichen wollte für deine gute Arbeit bei der Organisation der Feier. Du hast mir wirklich viel Arbeit abgenommen und genau das ist es, was eine gute Assistentin ausmacht, richtig?«
Ich nicke und zwinge mich erneut zu einem Lächeln. Ich freue mich, dass ihr meine Arbeit gefallen hat, allerdings fällt es mir schwer ihr in die Augen zu sehen und mich in ihrer Nähe zu entspannen, weil ich mich so schuldig fühle.
»Du musst mir nichts schenken. Das war schließlich mein Job«, erwidere ich und sie winkt mit ihren perfekt manikürten Fingern ab.
»Sei nicht albern. Trevor bringt es nachher noch vorbei, ich habe es bei ihm vergessen«, gesteht sie. Ich schlucke leicht, nicke dann jedoch. Sie lächelt mich an und erhebt sich dann von ihrem Stuhl, ehe sie in ihr Büro läuft.
Ich seufze leise und fahre mir einmal durch die Haare. Ich muss mich dringend unter Kontrolle bekommen. Ganz, ganz dringend. Ich muss aufhören an Trevor zu denken und vor allem muss ich aufhören an Trevor und Rebecca zu denken. Diese ganze Situation droht mir beinahe um die Ohren zu fliegen, doch ich kann nichts daran tun.
∞
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich dringend wieder ins Büro laufen sollte, um nicht zu spät aus meiner Mittagspause zu kommen. Nachdem ich mich entschlossen hatte, diese heute nicht im Büro, sondern im Central Park zu verbringen, weil ich das Gefühl hatte, beinahe zu ersticken, habe ich die Zeit vollkommen aus den Augen verloren und muss nun die Beine in die Hand nehmen. Rebecca hat direkt nach unserer Pause ein Meeting mit dem Vorstand, bei dem ich zwar nicht teilnehmen, ihr aber noch ihre Unterlagen dafür raussuchen muss. Da ich das noch nicht gemacht habe, wird es langsam Zeit dafür mich zu beeilen.
Trevor spukt nach wie vor in meinem Kopf herum und ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich dem Chaos die Stirn bieten soll. In meinem Kopf herrscht bis auf den Gedanken an Trevor und die gemeinsamen Momente, die wir hatten, gähnende Leere und diese Tatsache beruhigt mich nicht wirklich. Stattdessen sorgt es dafür, dass ich mich nur noch aufgewühlter fühle und absolut ratlos bin. Heute kann ich es vielleicht noch auf meine erfunden Magenverstimmung schieben, dass ich mich Rebecca gegenüber seltsam verhalte, aber spätestens übermorgen muss ich mich selbst wieder im Griff haben und ein Pokerface inne haben, das sich gewaschen hat.
Hastig eile ich zurück zum Firmengebäude und erwische glücklicherweise noch einen Aufzug, der gerade schon dabei war, seine Türen vor meinen Augen zu verschließen. Gegen Ende bin ich allein im Fahrstuhl, weil nur selten Mitarbeiter aus anderen Etagen nach ganz oben fahren. Eigentlich arbeiten Rebecca und ich ziemlich abseits von allen anderen, doch das wird schon seinen Sinn haben.
Ich schiebe mein Handy in meine Handtasche, bevor sich die Türen öffnen und ich mich zurück an meinen Arbeitsplatz setze. Ich entsperre meinen Computer und mache mich dann daran die entsprechenden Unterlagen für Rebecca herauszusuchen und sie in einer Akte zusammenzulegen, damit sie unterwegs nichts verlieren kann.
Pünktlich auf die Sekunde bin ich damit fertig, als Rebeccas Tür geöffnet wird. Ich höre ihr Kichern und sehe auf. Mein Herz setzt einen Schlag auf, bevor es verlangsamt weiterschlägt, als ich sehe, dass sie nicht allein ist.
Trevor ist bei ihr.
Seine Arme hat er um ihre Taille gelegt, während seine Hände an ihrem Hintern legen. Er schiebt sie durch die Tür, während sie sich küssen. Rebecca hat ihren Oberkörper an ihn geschmiegt und ihre Arme um seinen Hals geschlungen. An ihrem Arm erkenne ich ihre Handtasche und eine Rose in der Hand.
Meinem Ego wird in diesem Moment ein deutlicher Dämpfer verpasst und am Liebsten würde ich mich verstecken, um ihm nicht über den Weg zu laufen, doch ich weiß, dass es längst zu spät ist.
Rebecca löst sich von ihm und sieht dann zu mit.
»Oh, du bist schon zurück«, erwidert sie und ihre Wangen färben sich rosa. Ich nicke leicht, bevor ich meinen Blick von ihnen abwende und so tue, als würde ich irgendetwas an meinem PC bearbeiten. Doch ich komme nicht weit damit, denn im nächsten Moment schlingt sich eine Hand um meinen Arm und ich habe keine andere Wahl als Rebecca hinterher zu stolpern. Ich ignoriere Trevor dabei gekonnt.
»Trevor hat mich überrascht. Das musst du dir ansehen«, meint sie kichernd.
»Becca, ich glaube nicht, dass sie das-«, versucht Trevor sie aufzuhalten.
Doch es ist zu spät.
Rebecca lässt meine Hand los, sobald wir an ihrer offenen Bürotür ankommen und selbst mir stockt der Atem bei diesem Anblick. Bis auf einem kleinen Pfad zu ihrem Schreibtisch ist alles mit Rosen bedeckt. Überall stehen Vasen mit einem ganzen Strauß dieser wunderschönen Blume, die für die Liebe wohl das Symbol schlechthin ist. Dazu hängen an der Wand lauter Lichterketten und einige Kerzen brennen, obwohl im gesamten Büro offenes Feuer eigentlich strengstens verboten ist.
In meinem Hals bildet sich ein Klumpen und ich spüre, wie die Tränen in meinen Augen zu brennen beginnen, doch ich zwinge mich, nicht nachzugeben.
»D-das ist sehr romantisch«, flüstere ich leise und Rebecca grinst mich mit dem fettesten Grinsen an, das ich je gesehen habe.
»Dasselbe habe ich auch gedacht. Er wollte mich überraschen, um mir zu zeigen, wie sehr er mich liebt, stimmt's Baby?«
Ich schließen einen Moment die Augen, als sie hinter mich blickt.
»Stimmt«, erwidert er leise.
Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll, weswegen ich mich wegdrehe und an Trevor vorbei zurück zu meinem Schreibtisch laufe. Ich lasse mich vorsichtig in meinem Stuhl fallen und weiche ihren Blicken an.
»Ist die Akte bereit? Ich werde mich wohl verspäten für das Meeting«, sagt Rebecca, doch wirkt darüber nicht einmal ansatzweise gestresst. Wieso sollte sie auch, wenn sie gerade eine riesige Überraschung bekommen hat? Meine Laune wäre da sicherlich auch auf dem Höhepunkt und nichts könnte mich aus der Ruhe bringen.
»Ja, wann bist du wieder hier?«, erwidere ich und reiche ihr die Akte.
»Ich denke, es wird knapp zwei Stunden dauern, aber wer weiß...«, meint sie bloß grinsend und dreht sich dann weg.
»Bis heute Abend«, murmelt sie zu Trevor, bevor sie ihn küsst. Dann rauscht sie durch den Flur zum Aufzug und lässt mich mit Trevor zurück. Bevor dieser allerdings auch nur auf die Idee kommt mit mir zu sprechen, springe ich auf und laufe in Richtung der Küche, die in jeder Etage für die Mitarbeiter zur Verfügung steht.
»Warte bitte, Hailey«, höre ich ihn sagen, doch ich ignoriere ihn und mache mich daran einen Kaffee zu kochen, den ich jetzt bitternötig habe. Ich öffne den Schrank und fülle ein wenig Pulver in den Filter hinein, ehe ich Wasser nachfülle.
Trevors Anwesenheit im Raum kann ich spüren. Einerseits liegt das an seinem Aftershave und andererseits daran, dass ich seinen Atem an meinem Hals spüre. Er steht neben mir und lehnt sich an die Küchenzeile.
»Hey...«, sagt er nach einer Weile und legt seine Hand an meinen unteren Rücken, doch ich zucke zusammen und schüttele seine Hand von mir.
»Vergiss es, Trevor. Komm mir bloß nicht auf die Tour!«, zische ich ihn an und entferne mich von ihm, während der Kaffee durchläuft. Schnell verlasse ich die Küche und will vor ihm flüchten, doch er ist schlichtweg schneller. Er stellt sich vor mir und hebt mein Kinn an.
»Es tut mir leid, dass du das sehen musstest«, sagt er und ich lache verächtlich auf.
»Ist das dein Ernst? Es tut dir leid, dass ich es sehen musste? Wieso überraschst du sie nicht einfach zuhause? Du wusstest, dass ich es sehen würde, Trevor. Glaubst du wirklich, ich hätte nichts davon mitbekommen, wenn das Büro meiner Chefin vor Rosen beinahe aus allen Nähten platzt? Glaubst du wirklich, ich könnte mir nicht denken, von wem diese romantische Geste ist? Willst du mich verarschen oder bist du wirklich so leichtgläubig?«, fauche ich ihn an.
»N-nein, ich... Keine Ahnung, okay? Ich habe ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber und eigentlich liebe ich sie ja auch«, murmelt er.
Ich lache erneut auf und schüttele den Kopf, bevor ich die Arme vor meiner Brust verschränke.
»Dann hör gefälligst auf mir hinterherzulaufen, kapiert? Du hättest mich gar nicht erst küssen sollen auf diesem beschissenen ersten Maskenball, dann hätten wir dieses Problem nicht.«
»Dir wäre es also lieber, wenn das mit uns nicht passiert wäre?«
»Ich weiß nicht, was mir lieber wäre, aber in diesem Moment wäre ich tatsächlich besser dran, wenn es nicht passiert wäre. Es wäre das richtige«, sage ich und schlucke die Tränen in meinen Augen herunter. Ich werde nicht noch einmal vor ihm weinen. Ich werde nicht noch einmal einen Seelenstriptease hinlegen.
»Und warum kann ich dich nicht vergessen? Warum kann ich nicht aufhören an dich und unseren Kuss zu denken? Warum kann ich mich nicht von dir fernhalten, wenn das alles nicht das Richtige ist?«, fragt er. Seine Stimme klingt genauso verzweifelt wie meine und sorgt dafür, dass mein Herz sich zusammenzieht.
»Ich weiß es nicht, Trevor. Ich verstehe es doch selbst nicht«, sage ich leise und blicke nach unten. »Wir können so nicht weitermachen und ich will nicht, dass ich mich so elendig fühle.«
Trevor legt erneut seine Hand an mein Kinn, um es anzuheben. Seine Augen blicken tief in meine und leuchten. Nach wenigen Sekunden ertrage ich es nicht länger, weil ich das Gefühl habe, er könne direkt in meine Seele blicken, als könne er all meine Gedanken lesen.
»Du musst gehen, Trevor«, erwidere ich leise und trete von ihm zurück. Im nächsten Moment laufe ich an ihm vorbei zu meinem Arbeitsplatz zurück. Schritte ertönen und einen Moment glaube ich er folgt mir, doch im nächsten Moment ertönt der Gong des Aufzugs und lässt jeden Funken Hoffnung in mir vergehen.
______
Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber für mich wirken beide verzweifelt...😭
Meinungen zu Trevors Aktion?
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro