50 | von einem neuen Lebensjahr
Ihren letzten Geburtstag hatte Viola ebenfalls mit Leyla verbracht, nachdem sie sich der Verwandschaft gestellt hatte und von jedem bescheinigt bekommen hat, wie schnell die Zeit vergehe. Nicht nur einmal hatte sie an diesem Tag gesagt bekommen, dass sie langsam zusehen müsse, einen Partner zu finden und eine Familie zu gründen.
Geplagt von Einsamkeit und Torschlusspanik wurde sie ins neue Lebensjahr gezerrt - anders als heute. Heute feiert sie.
Ein turbulentes Jahr liegt hinter ihr und noch nie war sie durch so viele Höhen und Tiefen gegangen, aus denen sie auch noch so viel gelernt hatte. Was sich nicht verändert hat, ist dass Leyla an ihrer Seite ist und jeden Schritt miterlebt hat.
Sie ist längst ein Teil ihrer Familie und bereits am Vormittag bei ihr Zuhause, um Viola noch vor der großen Verwandschaft zu erwischen.
Traditionell wurde der Tisch im kleinen, gemütlichen Wohnzimmer als Gabentisch umfunktioniert. Diverse Geschenke waren dort abgeladen worden, die nun von Viola, im Beisein ihrer Eltern und Leyla, ausgepackt werden.
„Ihr seid doch verrückt", seufzt Viola zum wiederholten Male lächelnd, nachdem sie gerade Sneaker, die sie sich ewig gewünscht hat, bekommen hat. Klamotten, Technik, Schmuck, Süßigkeiten - Leyla und ihre Eltern haben sich Einiges überlegt. An Tagen wie diesen erlebt Viola die Vorzüge des Einzelkind-Daseins.
Wie gut sich ihre Tochter in letzter Zeit fühlt, ist auch Violas Eltern nicht entgangen und sie freuen sich aus ganzem Herzen mit ihr.
Insbesondere Antonio hat mit Begeisterung beobachtet, dass sich Viola in letzter Zeit sogar Broschüren für Uni-Kurse besorgt hat.
Ein kleines Päckchen zieht Violas besondere Aufmerksamkeit auf sich. Sie kennt das Geschenkpapier ihrer Eltern, immerhin greift sie selbst oft darauf zurück. Dieses hier ist nicht von ihnen. Es ist viel zu bunt und schrill.
„Ist das noch von dir, Ley?", fragt sie ihre beste Freundin.
Leyla nickt. „Das hab ich mitgebracht, ja."
Schnell und ungeduldig reisst Viola das leichte Geschenk auf und erkennt eine DVD. Es ist ein Film aus dem Jahr 1991.
Neugierig dreht sie die die Hülle um, um den Titel zu erkennen: Hook.
Dustin Hoffman und Robin Williams blicken ihr als Kapitän Hook und Peter Pan entgegen. Schweigend sieht Viola die DVD an und dreht sie wieder um, um einen kurzen Überblick über die Handlung zu bekommen.
Peter Pan hat Nimmerland schon lange verlassen und ist erwachsen geworden. Als Familienvater und Anwalt lebt er ein ruhiges Leben und hat vergessen, wer er einmal war. Die Vergangenheit ist für Peter nur noch Märchen. Bis zu jenem Tag, an dem sein alter Erzfeind Kapitän Hook zurückkehrt, Peters Kinder entführt und ihn zwingt, sich an seine Kindheit zu erinnern.
Viola braucht eine Weile, um ihre Sprache wieder zu finden und sieht Leyla wissend an.
„Das ist nicht wirklich von dir, oder?"
„Nicht direkt", antwortet Leyla und beobachtet ihre beste Freundin gespannt.
Dieses ganze Geschenk schreit nach Harry. Von dem schrillen Geschenkpapier über die Idee, ihr diesen über 20 Jahre alten Film zu schenken bis zu dessen Handlung - all das ist Harry.
„Wir lassen euch mal allein, ragazze", verkündet Antonio, nachdem er die eingekehrte Stille richtig gedeutet hat. Francesca will sich gerade noch wehren, doch ihr Mann hat sie bereits aus dem Wohnzimmer geschoben.
Viola bemerkt das kaum. Immer wieder dreht sie den Film in ihren Händen hin und her.
„Der ist von Harry, oder?", fragt sie vorsichtshalber nach, obwohl sie sich sowieso sicher ist.
Zögerlich nickt Leyla wieder.
„Freust du dich?"
„Irgendwie schon, ja", nickt Viola verhalten. Sie weiß nicht, was sie davon halten soll. Das ändert aber nichts an der Freude, die in ihr aufkommt, als sie spürt, dass Harry sehr wohl noch Teil ihres Lebens ist.
„Gut", seufzt Leyla erleichtert. „Dann mach die Hülle auf!"
Ohne lange darüber nachzudenken, leistet Viola ihrer Anweisung Folge und öffnet die DVD-Hülle. Ein kleiner Zettel fällt ihr entgegen. Auf den ersten Blick erkennt sie Harrys Handschrift.
Sogar Peter Pan ist also letztendlich erwachsen geworden.
So lautet die Nachricht auf Vorderseite des Papiers. Als Viola den Zettel umdreht, liest sie die weiteren Zeilen, die ihr Harry hinterlassen hat.
Happy Birthday, Viola.
Ich hoffe, du hast einen schönen Tag und lebst dein Leben weiterhin so, wie du es willst.
Falls du wissen willst, wie es Peter Pan geschafft hat, erwachsen zu werden, sieh' dir den Film an - oder melde dich bei mir.
Love, H
Seufzend lässt Viola die Hülle samt Nachricht neben sich auf das Sofa sinken und sackt selbst ebenfalls nach hinten.
„Das ist ziemlich süß", teilt sie Leyla ihre abschließende Meinung darüber mit.
Diese strahlt sie breit an.
„Das ist verdammt süß! Und endlich kann ich dir auch erzählen, dass sich Harry Styles höchstpersönlich bei mir gemeldet hat!", platzt es aus Leyla heraus, als hätte sie seit Tagen auf diesem Moment gewartet - was sie genau genommen auch tatsächlich hat.
„Was, wie?", hakt Viola irritiert nach, ehe Leyla endlich die ganze Geschichte loswerden kann.
„Er hat Gemma nach meiner Nummer gefragt und mich angerufen!", erzählt sie aufgeregt, ehe sie dann wieder ruhigere, ernstere Töne anschlägt. „Und eins kann ich dir sagen, Vio. Er hat sich extrem viele Gedanken gemacht. Zuerst wollte er meine Einschätzung wissen, ob du überhaupt etwas von ihm hören willst oder ob er unnötig Wunden aufreißen würde. Er meinte, dass er es letztendlich mir überlässt, ob du dieses Geschenk bekommst, weil ich dich am Besten kenne."
„Wo er recht hat", wirft Viola seufzend ein und bemerkt selbst, dass ihr die ganze Zeit über ein breites Lächeln im Gesicht steht.
„Als ich gesagt habe, dass ich ihm bei dieser Sache keine Garantie geben kann und nicht weiß, wie du reagieren wirst, hat er mich sogar gebeten, ein Auge darauf zu haben. Erst, wenn ich merke, dass du dich freust, sollte ich dich auf die Nachricht darin aufmerksam machen. Wäre das Gegenteil der Fall gewesen, hätte ich dir die DVD direkt wieder wegnehmen sollen, um dich nicht unnötig aufzuregen", erzählt Leyla weiter und lacht leicht. „Ich weiß, das sind Kleinigkeiten, aber er war einfach so niedlich!"
Aufmerksam hat Viola ihr zugehört und das sanfte Hüpfen ihres Herzens genossen. Sie hat mit nichts davon gerechnet. Weder damit, von Harry zu hören, noch damit, dass sich Harry so viele Gedanken um sie macht.
„Er ist anscheinend rücksichtsvoll geworden", stellt sie murmeld fest. Dass Harry plötzich so umsichtig ist, freut sie ungemein. Immerhin konnte man das nicht behaupten, als er in Japan einen Abend mit Nadine verbracht hat, ohne auf Violas Gefühle zu achten.
Ihr Blick fällt wieder auf die DVD.
„Denkst du, Harry ist auch erwachsen geworden?", fragt sie Leyla nach deren Einschätzung und sieht kurz wieder davon auf.
„Ich glaube nicht, dass ich das einschätzen kann. Aber du freust dich gerade, also solltest du sein Angebot vielleicht annehmen und ihn anrufen. Er vermisst dich nämlich, das hat er klar gemacht", meint Leyla. „Und vielleicht tust du das auch. Ich hab dich beobachtet und nicht ohne Grund beschlossen, dass du dieses Geschenk gerne haben würdest."
„Hm", seufzt Viola tief. „Ich wüsste schon gern, wie es ihm so ergangen ist. Und natürlich wüsste ich auch gern, wie Peter Pan erwachsen geworden ist", grinst sie glücklich und wedelt mit der DVD.
„Na dann hast du ja gar keine andere Wahl", stimmt Leyla in ihr Lächeln ein.
Den Besuch ihrer Tanten, Onkel, Cousinen und der sonstigen lauten Verwandschaft, bringt Viola heute gut gelaunt über die Bühne. Und dieses Mal muss sie noch nicht einmal schauspielern.
Sie fühlt sich tatsächlich so glücklich wie lange nicht, obwohl sie in den vergangenen Wochen schon das Gefühl gehabt hat, zur Höchstform aufzulaufen. Von Harry zu hören, hat dem Ganzen nun noch die Krone aufgesetzt. Ohne ihn hat ihr doch etwas gefehlt.
Sie ist gespannt, wie es ihm geht und was er zu erzählen hat. Am Liebsten hätte sie ihn auf der Stelle angerufen, doch dafür will sie sich Zeit nehmen.
Erst als im Hause Belardo wieder Stille eingekehrt ist und bevor sie abends mit Leyla, Sam und dessen Freunden noch etwas Trinken geht, kann sie zur Ruhe kommen und guckt aufgeregt auf ihr Handy.
Sie hat keine von Harrys Nummern je gelöscht, doch sie waren lange nicht mehr relevant - bis heute.
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