4 | von überraschenden Reservierungen
Trotz all seiner Termine und Verpflichtungen ist Harry ein spontaner Mensch. Entsprechend schnell hat er den Plan, den ihm seine Schwester aufgedrängt hat, in die Tat umgesetzt.
Nur drei Tage später, an einem Donnerstag, soll Viola in einem Londoner Sushi-Restaurant auf den Kerl treffen, von dem sie bisher ebensowenig weiß, wie er von ihr.
»Ich bin so gespannt, wie er sein wird!«, wiederholt sich Leyla inzwischen zum vierten Mal, als sie auf Violas Bett sitzt und ihre beste Freundin beobachtet, wie sich diese auf ihr Date vorbereitete und das dunkle Haar kämmt.
Im Gegensatz zu Leyla ist Viola noch skeptisch.
»Also meine Erwartungen sind sowas von niedrig«, seufzt die junge Italienerin. »Der Kerl kann mich quasi gar nicht enttäuschen.«
Dieses Blind Date weckt in Viola Belardo mehr die Angst, ein peinlicher Reinfall zu werden, als die Vorfreude. Sie hasst das Ungewisse, ebenso wie Abenteuer und Aufregung. In ihrer Welt ist dieses Date schon jetzt alles, was sie im Grunde verabscheut.
»Du schreibst mir Zwischendurch mal 'nen Zwischenstand, ja? Oder direkt am Anfang, zumindest wie er aussieht!«, bettelt Leyla weiter.
Lustlos zuckt Viola mit den Schultern.
»Mal sehen. Vielleicht dauerts ja auch gar nicht lange und ich bin gleich wieder da.«
Tadelnd wirft ihr ihre beste Freundin einen Blick zu. »Viola, sei doch nicht so pessimistisch.«
»Ich darf ja wohl noch skeptisch sein. Ich meine, was ist das überhaupt für ein komischer Laden, wo ich ihn treffen soll? Von dem hab ich noch nie gehört und laut Internet ist das wohl eher was für Ü40-Geschäftsessen«, raunt Viola skeptisch.
Augenrollend hakt Leyla ein. »Er probiert vermutlich gerne was Neues. Das ist doch gut, er ist also offen.«
»Na wunderbar«, erwidert Viola.» Und genau danach suche ich ja auch. Nach einem offenen, abenteuerlustigen Freigeist.«
»Komm schon, Vio, gib ihm zumindest eine Chance. Versprich mir das!«
»Ich geh doch eh hin. Er kriegt also seine Chance«, gibt die junge Italienerin seufzend zurück und legt endlich die Haarbürste aus der Hand. »Und zwar jetzt.«
Es ist punkt sieben Uhr abends, als Viola in dem Lokal eintrifft, das Leyla und Gemma vereinbart hatten. Sie ist pünktlich, wie sie es immer ist und von ihrem Blind Date ebenfalls erwartet - und auch nervöser, als sie sich eingestehen will. Einen Kerl zu treffen, von dem sie nicht das Geringste weiß, ist das wohl aufregendste, das sie je gewagt hat. Bisher kannte sie immer zumindest Bilder oder hatte die ein oder andere Information über ihr Date bekommen, aber dieses Mal tappt sie völlig im Dunkeln.
Ihre aktuelle Verzweiflung, was die Männerwelt betrifft und das laute Ticken der Uhr, das nur sie wahrnimmt, haben sie nun aber doch hierher getrieben. Vielleicht begegnet sie hier ja doch unerwartet ihrem Seelenverwandten, nachdem all ihre anderen Datingversuche in einer Katastrophe geendet haben. Inzwischen redet sie sich sogar ein, dass es vielleicht die romantische, schicksalhafte Begegnung sein wird, von der sie eines Tages ihren Kindern erzählen kann.
»Willkommen.«
Übertrieben strahlend wird Viola von einer hübschen, jungen Asiatin empfangen. Erwartungsvoll sieht sie sie an.
»Hallo, für mich müsste ein Tisch reserviert sein. Belardo.«
Suchend wandern die Augen der Angestellten über die Zeilen des Buches, in dem sämtliche Reservierungen notiert sind.
»Belardo?«, versichert sie sich mit gerunzelter Stirn.
Unsicher nickt Viola. Die Vorbereitungen für dieses seltsame Date liefen ausschließlich über Leyla und Gemma. Das Lokal hatte letztendlich ihr Date gewählt.
Langsam dämmert Viola, dass der Tisch vermutlich nicht auf ihren Namen reserviert ist.
»Tut mir leid, Miss Belardo, aber ich kann Sie hier nirgends finden«, entschuldigt sich die junge Frau.
»Vielleicht stehe ich da auch unter einem anderen Namen«, räumt Viola kleinlaut ein. »Aber... Aber ich weiß nicht, unter welchem. Oh Mann, das fängt ja schon gut an. Williams vielleicht?«, startet sie einen neuen Versuch mit Leylas Nachnamen und weicht peinlich berührt dem Blick der Kellnerin aus.
Wieder sucht die Angestellte ihre Liste ab, kann aber erneut bloß bedauernd mit dem Kopf schütteln.
Beschämt seufzt Viola, ehe sie plötzlich erschrocken zusammenzuckt.
Unerwartet ertönt dicht hinter ihr ein amüsiertes Lachen, gefolgt von einer tiefen, unglaublich angenehmen Stimme.
»Versuchen Sie's mal mit Styles.«
Erstaunt wirbelt Viola herum und blickt nach oben, direkt in zwei aufgeweckte, grüne Augen.
»Und wenn du Viola bist, verbringen wir wohl den Abend zusammen«, lächelt sie der junge Mann offen an.
Perplex starrt Viola ihn an. Er ist ein ganzes Stück größer als sie selbst, was bei ihrer Größe auch kein Kunststück ist. Mit seinen braunen, lockigen Haaren ist er zwar keineswegs ihr Typ, aber objektiv gesehen muss Viola einräumen, dass er unwerfend aussieht.
Allerdings kann sie sich nur den Bruchteil einer Sekunde darüber freuen, dass sie ihr Gegenüber optisch nicht zum Davonlaufen bewegt.
Dass ihr Blind Date nun kein blonder Kerl mit blauen Augen ist, wie sie sich ihren Traumtypen immer vorgestellt hat, ist im Moment Violas geringste Sorge.
Sie kennt den jungen Mann, der hier so charmant grinsend vor ihr steht - und das beschäftigt sie im Moment um ein Vielfaches mehr. So sehr, dass es ihr scheinbar die Sprache verschlagen hat und sie ihn schweigend anstarrt.
»Styles, da haben wir's!«, meldet sich die Angestellte des Restaurants erleichtert zu Wort. »19 Uhr, zwei Personen, wunderbar! Dann folgen Sie mir doch bitte.«
Ehe sich Viola versieht, wird ihr von ihrem höflichen Date mit einladender Geste angezeigt, den Vortritt zu haben und der Kellnerin zu folgen. Dankend nickt sie leicht und lässt sich bereitwillig zu einem kleinen Tisch in einer der Nischen des Restaurants führen.
Dankbar lässt sie sich dort sofort auf einen der Stühle fallen, in der Hoffnung sich dort sortieren zu können. Viel Zeit bleibt ihr dazu jedoch nicht, denn ihr Date ist ihr dicht auf den Fersen.
Lächelnd setzt er sich ihr gegenüber und sieht sie aufmerksam an.
Er lässt sich keine Sekunde in die Karten blicken. Sein Gesicht wirkt freundlich, höflich und er sieht ihr direkt in die Augen, aber einzuschätzen weiß Viola ihr Gegenüber trotzdem kein bisschen.
Sie weiß weder, was er von ihr hält, noch was sie selbst von ihm halten soll.
»Hab ich mich eigentlich vorgestellt? Ich glaube nicht. Ich bin Harry, Gemmas Bruder«, sagt er schließlich, während Viola ihn immer noch erschlagen mustert.
Sie kannte seinen Namen längst schon bevor er ihn ausgesprochen hat.
Vor ihr sitzt Harry Styles. Ihre beste Freundin hat sie tatsächlich unwissentlich auf ein Blind Date mit Harry Styles geschickt.
Oder wusste sie doch davon und sie wird hier von diversen versteckten Kameras aufgezeichnet?
Seufzend versucht Viola innerhalb kürzester Zeit einzuordnen, was in ihr vorgeht. Es dauert einen kurzen Moment, bis sie endlich weiß, was es ist, das sie neben der Überraschung, die sie vollkommen perplex erstarren hat lassen, noch spürt - es ist Enttäuschung.
Und dazu kann Viola nur das Erste sagen, das ihr in diesem Moment durch den Kopf schießt.
»Ich weiß, wer du bist«, seufzt sie geknickt und lässt dich gegen die Rückenlehne ihres Stuhls fallen.
Sie lebt in England, noch dazu in London. Selbst, wenn sie nicht aktiv den Werdegang diverser Boybands verfolgt, erkennt sie Harry Styles, wenn er vor ihr steht. Eine Zeit lang war es schwer, am Erfolg One Directions vorbeizukommen und Viola hatte deren Gesichter in sämtlichen Läden und auf jedem Bildschirm gesehen.
Eines der Mitglieder je persönlich zu treffen, wäre Viola nie in den Sinn gekommen - weder hatte sie Interesse daran, noch konnte sie ein Nutzen darin sehen. Das hat sich bis heute nicht geändert.
Sie kam heute zu diesem Date in der Hoffnung, endlich einen Mann kennenzulernen, mit dem sie womöglich eine Familie gründen könnte.
Und Viola ist klar, dass Harry Styles niemals dieser Mann sein wird.
»Wow«, staunt Harry irritiert über die Reaktion seines Gegenübers. Eine solch offensichtliche Enttäuschung hatte er weder erwartet, noch je erlebt, sobald er aufgetaucht war. »Willst du dich nicht erst vorstellen, bevor du mir sagst, weshalb du offenbar nicht besonders begeistert von mir bist?«
Harry klingt nicht beleidigt oder vorwurfsvoll. Stattdessen ist er neugierig und muss beinahe lachen, als er Violas zwiegespaltenen Blick bemerkt.
»Tut mir leid«, seufzt sie kleinlaut. »Wie du eh schon weißt, bin ich Viola und ich - ich habe irgendwie.. jemand anderes erwartet.«
Grinsend sieht Harry sie weiterhin unverhohlen an.
»Der Sinn eines Blind Dates ist es doch, nicht zu wissen, was einen erwartet. Und somit kann man in der Regel auch nicht enttäuscht sein. Das dachte ich zumindest, bis vor einer Minute, aber da hab ich mich wohl geirrt.«
Damit hat Harry genau den Gedanken ausgesprochen, den Viola zuhause ebenfalls noch gehabt hat. Sie hatte sich eingeredet, keine Erwartungen zu haben, aber am Ende hatte sie eben doch gehofft, ihren zukünftigen Ehemann kennenzulernen. Und diese Hoffnung hatte Harry, ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben, zerschlagen.
»Tut mir leid, das liegt nicht an dir «, versucht sich Viola für ihre Reaktion zu entschuldigen und fühlt sich immer noch sehr irritiert, gerade mit Harry Styles an einem Tisch zu sitzen.
Dieser hakt auch direkt wieder ein.
»Das hätte mich auch ziemlich gewundert, immerhin kennst du mich ja nicht wirklich.«
Im Gegensatz zu Viola wirkt Harry völlig entspannt und auch beeindruckend offen.
Ehe die junge Italienerin überhaupt etwas erwidern kann, hat Harry bereits dankend die Speisekarten von der Kellnerin entgegengenommen und sie in eine kurze Diskussion über die Weine verwickelt.
Damit bleibt Viola Zeit, sich zu sortieren.
Ihr schießen eine Menge Fragen durch den Kopf. Sie fragt sich, ob sie Leyla wohl Bescheid geben sollte, was sich hier gerade abspielt, oder ob ihre beste Freundin ohnehin längst Bescheid wusste und sie ins offene Messer hat laufen. Dann fragt sie sich, wieviele Mädchen dieser Welt wohl ein Vermögen hinlegen würden, um nun an ihrer Stelle zu sein.
Und erst dann drängt sich Viola die Frage auf, weshalb Harry Styles überhaupt auf Blind Dates gehen sollte - und ob nicht viel mehr er der Enttäuschte an diesem Tisch sein sollte.
»Ich war mal so frei und hab für dich mitbestellt, was den Wein angeht«, reißt Harry die junge Frau aus ihren Gedanken.
Abwartend und aufmerksam sieht er ihr in die Augen - und schon wieder kann Viola nur das sagen, was ihr als Erstes durch den Kopf schießt.
»Was machst du hier?«
Lachend lehnt sich Harry in seinem Stuhl zurück. Im Gegensatz zu Viola hatte er tatsächlich keine Erwartungen an dieses Treffen gehabt und ist demnach wesentlich unbekümmerter als sein Gegenüber.
»Meine Schwester war der festen Überzeugung, dass ich dich treffen sollte, also bin ich hier. Aber wenn ich mir deinen Gesichtsausdruck so ansehe, bist du da wohl anderer Meinung.«
»Tut mir leid, ich -«, seufzt Viola leise. Sie weiß beim besten Willen nicht, wie sie Harry Styles erklären sollte, weshalb ihr eine solche Enttäuschung ins Gesicht geschrieben steht. Sie weiß ohnehin nicht, worüber sie mit Harry Styles reden sollte. Andererseits ist er ein Mensch wie jeder andere und sollte wohl Gespräche wie ein normaler Mensch führen können.
»Sag's direkt heraus«, grätscht Harry dazwischen, immer noch das spitzbübische Grinsen auf den Lippen. »Wen hast du erwartet?«
Direkt heraus hatte Harry gefordert und genau das bietet ihm Viola auch.
»So ziemlich jeden, nur nicht jemanden wie dich«, antwortet sie ehrlich.
»Jemanden wie mich?«
»Versteh' mich nicht falsch«, rudert Viola zurück, bleibt aber weiterhin gnadenlos ehrlich. »Du magst ein netter Kerl sein, aber.. ich hatte jemanden erwartet, der etwas bodenständiger ist und der... der vielleicht wirklich mal in Frage kommen würde.«
Harrys Augenbrauen wandern mit jeder Sekunde ein Stückchen weiter nach oben und sieht Viola erstaunt an.
»In Frage? In Frage wofür?«
Es ist verrückt. Bisher hat sie noch nicht einmal einen Blick in die Karte geworfen und soll Harry direkt ihre Wunschvorstellungen und Träume darbieten.
Zwiegespalten, ob sie das auch wirklich tun will, mustert sie ihn.
Er ist anders als erwartet. Zwar hatte sich Viola nie die Mühe gemacht, einen Gedanken daran zu verschwenden, wie Harry Styles abseits der Öffentlichkeit wohl ticken könnte, aber hätte sie sich die Zeit dafür genommen, hätte sie ihn anders eingeschätzt.
Er wirkt unheimlich offen und zudem, als würde er nichts, was um ihn herum geschieht, wirklich ernst nehmen - nicht zuletzt wegen des permanenten Grinsens in seinem Gesicht.
Gleichzeitig nimmt er der Situation damit aber auch die Anspannung.
Viola hat nichts zu verlieren, dessen ist sie sich sicher. Sie kann ehrlich sein und Harry direkt heraus sagen, was sie vom Leben will.
Sie ist sich zwar sicher, dass sie an diesem Abend nicht den Mann ihres Lebens kennenlernen wird, aber es besteht nach wie vor die Möglichkeit, ein äußerst interessanter Abend zu werden. Auf wen sie hier heute getroffen ist, wird ihr ohnehin niemand glauben.
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