25 | von Yachten und Männergesprächen
Die ganze Zeit über hat Viola überlegt, ob sie Leyla anrufen sollte, um über diesen Moment zwischen ihr und Harry am Runyon Canyon zu sprechen. Allerdings wird diese unangenehme Sache, sobald sie darüber spricht, wieder vergegenwärtigt und gerade will sie nichts lieber, als diese Situation zu vergessen.
Es waren lediglich wenige Sekunden, in denen sie sich in Harrys Nähe verloren hat - ein kurzer, schwacher Moment. Letztendlich hat die Vernunft ohnehin wieder die Oberhand gewonnen. Wie schwer kann es schon sein, diese Kleinigkeit zu vergessen?
Dass auch Harry offensichtlich keine große Sache daraus machen will, beruhigt Viola.
Es soll genau so weiterlaufen, wie es vor diesem kleinen Ausrutscher war. Alles andere würde weder sie weder in ihrem Leben weiter bringen, noch Sinn machen. Sie will sich weiterhin wohl bei Harry fühlen und mit ihm lachen können, doch alles weitere muss hinter Schloss und Riegel bleiben.
Mit genau diesen Vorsätzen sitzt Viola am Nachmittag auf der Rückbank von Donnas Wagen, um sich mit Harry in Richtung Ablegestelle der Yacht kutschieren zu lassen.
Mit Ach und Krach hat sie ein leichtes, hellblaues Kleid aus ihrem Koffer gekramt, das Harrys knappen und auch sehr vagen Dresscode „leger, aber auch nicht zu wenig" gerecht wird. Harry scheint mit seinen Outfit, helle Leinenshorts und Hemd, wohl auch seinen eigenen Ratschlag befolgt zu haben.
Den Schock, als er zuvor in einem Nebensatz auch noch erwähnt hat, dass es sich um Ellen DeGeneres' Boot handelt und sie die Gastgeberin ist, hat Viola hinzwischen verdaut. Immerhin kann sie sich seither die Gesellschaft dort etwas besser vorstellen.
„Na dann, viel Spaß euch", verabschiedet sich Donna, als sie in Marina del Rey angekommen sind.
„Danke. Genieß du auch deinen Abend", erwidert Harry stellvertretend für sie beide.
Viola hingegen ist gerade zu abgelenkt von dem Boot, das in ihren Augen eher die Bezeichnung Schiff verdient hätte und vermutlich der Ort sein soll, an dem sie ins neue Jahr startet.
Schon beim Betreten der Yacht ist Viola für Harrys Hinweis, dort stets barfuß sein zu müssen, dankbar. Mit Absätzen hätte sie sich einen festen Stand auf der unruhigen Rampe ohnehin nicht zugetraut.
„Komm, ich helf dir", bietet ihr Harry seine Hand an, während Viola ihre Schuhe trägt und sich um eine sichere Körperhaltung bemüht.
„Schon gut", winkt Viola selbstsicher ab. „Das geht schon."
Auf der Yacht mit zwei Decks arbeiten diverse Menschen, die den Gästen dort wohl jeden Wunsch von den Augen ablesen sollen. Schon als Viola dem ersten Servicemitarbeiter in Uniform begegnet, fühlt sie sich unwillkürlich fehl am Platz.
Sie kennt das ambivalente Verhältnis zwischen Gast und Bedienung nur zu gut. Und das hier ist noch einmal eine völlig andere Dimension, ein ganz anderes Machtgefälle.
Entsprechend wenig glaubt Viola an das strahlende, freundliche Lächeln des steifen jungen Mannes, als er ihnen zur Begrüßung das Tablett mit Champagner anbietet.
Trotzdem greift sie dankbar zu. Sie ahnt, dass heute nicht nur ein Glas davon von Nöten sein würde.
„Harry! Schön, dass du da bist!"
Während eine ältere Frau mit kurzen, hellblond gefärbten Haaren, in weißem Hemd und weißer Leinenhose auf sie zukommt, liefert Harry Viola die bis dato überflüssigste Information des noch jungen Tages.
„Das ist Ellen", raunt er ihr zu.
Herzlich nimmt er die Talkshow-Größe in die Arme und drückt ihr einen Kuss auf die Wange.
„Schön, dich zu sehen!", begrüßt er sie und lässt keinen Zweifel daran, dass sie einander wirklich gern haben müssen. „Ellen, das ist Viola. Wir kennen uns aus London", stellt er direkt im Anschluss seine Begleitung vor.
Interessiert lenkt Ellen ihre Aufmerksamkeit auf die junge Frau an seiner Seite. Auch sie wird direkt freundlich, wenn auch mit weniger Intensität als Harry, umarmt.
„Freut mich, Viola."
„Danke, dass ich hier sein darf", erwidert Viola überfordert, aber aufrichtig,
„Fühlt euch ganz wie Zuhause! Harry, du kennst dich sowieso aus. Macht es euch gemütlich, bedient euch am Buffet, trinkt die Bar leer, tut was immer ihr wollt. Wir legen bald ab."
Schon ist Ellen wieder verschwunden, um andere Gäste, denen Harry beiläufig zuwinkt, zu begrüßen.
„Also gut", seufzt Harry und legt sanft seine Hand an Violas Rücken, um sie in eine gewisse Richtung zu dirigieren. Selbst unter dieser leichten Berührung zuckt sie beinahe zusammen. „Machen wir mal die Runde. Dann nenn' ich dir ein paar Namen, soweit ich die Leute hier kenne."
Harry verhält sich ihr gegenüber völlig unverändert. Sie scheinen also am gleichen Strang zu ziehen und auch er will anscheinend dort anknüpfen, wo sie vor ihrem Fauxpas am Runyon Canyon gestanden haben.
Allerdings berührt er sie, ohne zu zögern und geht wieder so unbedacht mit ihr um, dass sich Viola sicher ist, Harry fällt es leichter als ihr, die Situation zu vergessen.
„Das da hinten ist Ellens Frau Portia und daneben die Aufnahmeleiterin ihrer Show, Nicole. Die anderen sind Freunde von Portia, glaube ich. Der vorne an der Reling ist Jordan, ein Model aus Australien und die daneben irgendeine Erbin, die mir Ellen schon zig Mal vorgestellt hat, aber ich weiß ihren Namen schon wieder nicht mehr."
Langsam bahnen sich die beiden ihren Weg quer über das Boot, während Viola sich darum bemüht die Menschen, deren Namen und Berufe Harry ihr zuflüstert, nicht zu neugierig zu mustern. Es ist eine bunte Ansammlung von Künstlern, Schauspielern, Regisseuren, Musikern und Sportlern, aber auch unbekannten Gesichtern.
Das Boot hat längst abgelegt, da hat Viola längst immer noch nicht alle Menschen darauf zu Gesicht bekommen. Dafür hat sie aber schon das dritte Glas Champagner in der Hand.
„Da bist du ja", hört Viola Harry plötzlich sagen. „Wo ist dem Melly?"
Als Viola herumwirbelt, um zu sehen, wen Harry entdeckt hat, grinst Niall sie breit an.
Er hat es sich auf einem der großen, weißen Tagbetten am oberen Deck gemütlich gemacht und genießt dort die Aussicht aufs offene Wasser und auch die nachlassende Sonne.
„Melly kommt gleich wieder, sie holt was zu trinken", antwortet Niall. „Ich werde heute wohl nicht mehr aufstehen, sonst schnappt sich hier noch jemand meinen Platz", erklärt er und findet erst dann Zeit für eine Begrüßung. „Hi, Viola! So schnell sieht man sich wieder."
„Hi", erwidert Viola und muss unwillkürlich lächeln, als sie Niall dort ausgestreckt, mit seiner Sonnenbrille auf der Nase, liegen sieht.
„Kommt, setzt euch", bietet Niall ihnen an und rückt an den Rand der Liegefläche. Dankbar lässt sich Harry sofort neben, fast schon auf seinen Bandkollegen fallen.
„Was habt ihr denn bisher so gemacht?", stellt Niall direkt die erste Frage, während sich Viola noch zögerlich, mit etwas Abstand zu den Jungs, auf die Matratze niederlässt.
„Ach, dies das", übernimmt Harry die Antwort. „Viel Sightseeing, etwas Natur. Heute Morgen waren wir Wandern im Runyon Canyon", erzählt er. Bei Letzterem wirft er Viola einen verstohlenen Blick zu, der sie nicht direkter hätte treffen können. Ertappt weicht sie Harry aus und starrt stattdessen auf den blonden Iren.
„Genau", bestätigt sie hektisch, ehe Harry noch weiter von ihrem heutigen Ausflug berichten kann. Sie glaubt zwar nicht, dass Harry Niall gleich brühwarm von ihrem Beinahe-Kuss erzählen würde, aber dennoch ist ihr das Thema unangenehm. „Es gibt viel zu sehen."
„Stimmt, und alles hättest du verpasst, hättest du nicht ein Mal ein Abenteuer gewagt", kommentiert Harry prompt grinsend.
Ehe Viola darauf etwas erwidern kann, mischt sich eine Frauenstimme in das Gespräch ein.
„Sieh' an, sieh' an. Kurz weg und schon wird man ersetzt."
Unmittelbar vor dem weißen Tagbett steht eine große, schlanke Brünette und hält jeweils einen Drink in ihren Händen. Lächelnd reicht sie Niall einen davon, während Harry ungelenk über die Matratze klettert, um zu ihr zu gelangen und sie zur Begrüßung zu umarmen.
„Schön dich zu sehen", sagt er, als er sie wieder los lässt. „Ich mach' dir auch gerne Platz."
Mit diesen Worten rückt Harry näher an Viola heran, damit sie sich wieder zu Niall gesellen kann.
„Das hier ist übrigens Viola. Und Viola - das ist Melissa", stellt er die beiden Unbekannten einander vor.
Freundlich lächelt Melissa Viola entgegen.
„Hi, freut mich!", sagt sie und setzt sich im Schneidersitz zwischen die Jungs.
Inzwischen hat Viola eine Menge wunderschöne Frauen kennengelernt, doch Melissa Whitelaw strahlt auf eine ganz eigene Weise. Sie ist nicht unantastbar wunderschön, wie all die weiblichen Models, die sich oft in Harrys Nähe aufhalten. Melissa wirkt natürlicher, freundlicher - aber nicht weniger schön.
Außerdem scheint sie sich in Nialls Nähe unheimlich wohl zu fühlen und sucht immer wieder Körperkontakt zu ihm. Viola hat Freude, den beiden zuzusehen, auch wenn sie selbst bei jeder Berührung von Harry zusammenzuckt.
Bewusst nimmt sich Viola die ganze Zeit über zurück. Sie folgt den Gesprächen, lacht und nimmt jedes Mal gerne ebenfalls einen Drink, wenn die nächste Runde geholt wird, doch gerade geht in ihrem Kopf zu viel vor sich, als dass sie losgelöst sein könnte - doch der Abend ist noch jung und der Alkohol fließt.
„Okay, jetzt bin ich dran. Ich hol die nächste Runde", verkündet Harry lautstark, als die Gläser schon wieder geleert wurden. „Niall, hilfst du mir?"
„Klar", willigt Niall ein und klettert, ebenso wie Harry, sofort von der breiten Liege.
Beide haben nur auf eine Gelegenheit gewartet, um endlich unter vier Augen sprechen zu können. Kaum sind sie einige Meter von den Mädels entfernt, rempelt Niall Harry bereits auffordernd an.
„Und? Wie läuft's?", will er neugierig wissen. Seitdem Harry bei ihrem letzten Telefonat eingeräumt hat, dass er drauf und dran ist, ernsthafte Gefühle für Viola zu entwickeln, sitzt er bei diesem Theater in der ersten Reihe.
„Ich bin mir nicht sicher. Entweder absolut bestens oder völlig katastrophal", antwortet Harry seufzend, ehe er mit neutraler Stimme die Karten auf den Tisch legt. „Wir hätten uns heute Morgen beinahe geküsst."
Skeptisch runzelt Niall die Stirn. Auch er kann diese Information nicht einordnen. Eines weiß er allerdings: Überrascht ist er nicht.
„Okay, und das heißt?"
„Seitdem steht das ziemlich zwischen uns, fürchte ich."
„Ach, deshalb ist Viola so ruhig", geht Niall langsam ein Licht auf. „Was hat sie denn dazu gesagt?"
„Nichts. Offenbar sprechen wir nicht darüber und ignorieren das Ganze", gibt Harry den Eindruck, den ihm Viola vermittelt hat, wieder. Er selbst will sie nicht schon wieder in eine unangenehme Lage bringen und sie nicht darauf ansprechen.
Abrupt bleibt Niall stehen und zieht Harry, anstatt ihn zu einer der Bars gehen zu lassen, in eine ruhige Ecke.
„Das klingt ja sehr gesund", raunt er ironisch. „So willst du ins neue Jahr starten? Es gibt doch gar keine bessere Gelegenheit als heute, um endlich mal offen zu sprechen."
„Worüber denn sprechen, Niall?", kontert Harry gereizt. „Selbst, wenn es ihr genauso geht wie mir und sie Gefühle für mich hat, macht das alles keinen Sinn!"
„Du immer mit deinem ‚Sinn machen'", rollt Niall mit den Augen. „Es macht auch keinen Sinn, das alles ewig unausgesprochen zu lassen."
„Jetzt komm mal runter von deinem hohen Beziehungs-Ross", raunt Harry widerwillig. „Hier sitzt auf einmal wieder Melissa, obwohl ich seit Monaten nur noch den Namen Ellie gehört habe."
Verständnislos schüttelt Niall den Kopf und sieht Harry weiterhin an, während dieser dem Blick seines Bandkollegen unruhig ausweicht.
„Das hat doch damit jetzt überhaupt nichts zu tun, Harry! Fakt ist, dass Viola und du mal vernünftig und offen miteinander reden solltet."
„Mit welchem Ziel?", will Harry wieder uneinsichtig wissen. „Es gibt nichts zu bereden, ich weiß schon alles. Und das ist, dass wir keine Zukunft haben."
„Boah, Harry", seufzt Niall, inzwischen latent genervt. „Du weißt überhaupt nichts, solange ihr nicht mal ehrlich miteinander sprecht. Vielleicht hat sie ihre Meinung inzwischen geändert und will doch nicht direkt morgen heiraten und Kinder kriegen. Und vielleicht ist sie die Eine, mit der sogar du dir eines Tages eine häusliche, gesetzte Zukunft vorstellen kannst."
Nachdenklich guckt Harry drein. Viola und er waren bisher immer offen und direkt zueinander, doch bei diesem einen Thema haben sie beide Scheuklappen.
„Aber was, wenn sich nichts geändet hat?", spricht Harry seine Befürchtung schließlich leise aus.
Schwer atmet Niall aus und klopft seinem Freund einmal aufmunternd auf die Schulter.
„Dann habt ihr das wenigstens aus der Welt geschafft und könnt sehen, wie ihr weitermacht. Das muss ja kein böses Blut bedeuten. Ihr seid vernünftige, erwachsene Menschen. Das wird schon."
Niall kann in Harrys Augen sehen, dass er gerade etwas in ihm bewegt hat.
Es ist ein hohes Risiko, aber die Angst, dass sich Viola durch diese unausgesprochenen Dinge noch weiter von ihm entfernen könnte, lodert stark in ihm.
„Vielleicht spreche ich sie heute, wenn sich ein Moment ergibt, mal darauf an", lenkt Harry einsichtig ein. „Aber dafür brauch ich noch mehr Alkohol, also komm."
Entschlossen zieht Harry Niall mit sich, hin zur Bar, weshalb sie ursprünglich überhaupt erst von ihrem Platz aufgestanden sind.
Er will dieses Jahr ungern im Ungewissen ausklingen lassen - allerdings auch nicht mit einem gebrochenem Herzen.
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