17 | von kurzen, aber anstrengenden Tagen
Als Harry zum ersten Mal begeistert zugestimmt hat, als ihm Francescas einen weiteren Teller Nudeln angeboten hat, dachte Viola, er hätte tatsächlich einen ordentlichen Hunger mitgebracht. Als er dann aber sogar eine dritte Portion verlangt und mit Lob um sich geworfen hat, war sie sich sicher, er würde schlicht jede Gelegenheit nutzen, sich in diesem Hause beliebt zu machen.
Seither fragt sie sich ununterbrochen, weshalb sich Harry Styles nur so ins Zeug legt, bloß um bei den Belardos einen guten Eindruck zu hinterlassen.
Er antwortet höflich und bodenständig auf Fragen, ohne besonders außergewöhnlich zu wirken, erzählt von seiner Familie und betont überraschend oft, wie schön es ist, über Weihnachten in die Heimat zurückzukehren und die Liebsten um sich versammelt zu haben. Selbst Viola ist beeindruckt von dem jungen Mann, der mit ihr und ihrer Familie am Tisch sitzt.
Das Essen verläuft reibungslos, die Stimmung ist entspannt und Harry gelingt es jede Frage so zu beantworten, dass er für alle Anwesenden kein bisschen Angriffsfläche bietet.
Nachdem es Francesca gerade noch geschafft hat, Harry nach dem Essen davon abzuhalten, den Tisch abzuräumen, erhebt er sich dennoch und widmet sich stattdessen den Bilder an den Wänden des offenen Esszimmers.
»Bist das alles du, Viola?«, fragt er grinsend, als er sich die alten Kinder- und Familienfotos ansieht.
Seufzend tritt Viola neben ihn und nickt.
»Das bin ich mit meiner Cousine«, erklärt sie und deutet auf besagtes Bild. »Und das bin ich mit meinen Eltern. Da war ich zum allerersten Mal im Papageno.«
Francesca, die soeben auch an die beiden herangetreten ist, lächelt verträumt.
»Da war ich gerade Mal so alt wie du jetzt, Viola. Verrückt, wie die Zeit vergeht.«
Kurz wirft Harry Viola einen wissenden Blick zu. Sie weiß ganz genau, was er gerade denkt.
Francesca ist auch früh Mutter geworden.
Harry glaubt, nun die Bestätigung zu haben, dass Violas Einstellung daher rührt, das Leben ihrer Eltern nachleben zu müssen.
»Du hängst ja wirklich an jeder Wand, Viola«, bemerkt Harry, als er sich weiter umsieht. »Und stehst auf jedem Regal.«
»Was soll ich sagen«, zuckt Viola mit den Schultern. »Ich bin Einzelkind.«
»Und Kinder sind nun mal das größte Glück dieser Welt. Wir waren erst komplett, als unser kleiner Engel hier auf die Welt gekommen ist«, sagt Francesca überzeugt, während Antonio auf seinem Stuhl nachdrücklich und zustimmend nickt.
Dieses Mal nutzt Viola ihre Chance, ehe Harry wieder einen schleimenden Kommentar dazu abgeben kann.
»Ach, von einem wir und Kindern hält Harry nicht viel, der versteht das nicht«, winkt sie ab und grinst Harry gleichzeitig triumphierend an.
Irritiert sieht Francesca die beiden an. Sie scheint kurz überlegen einzuhaken, entscheidet sich aber dagegen und kehrt stattdessen zurück in die Küche, um dort den Abwasch zu erledigen.
Während Harry Viola noch einen strafenden Blick zuwirft, setzt sich nun auch Antonio wieder in Bewegung.
»Ich muss dann auch mal wieder zurück in den Laden. Die Buchhaltung wartet«, erklärt er seufzend und kommt vor Harry zum Stehen.
Offen und ehrlich lächelt er den jungen Sänger an, als er ihm die Hand entgegenstreckt.
»Es hat mich gefreut, mein Lieber! Du bist jederzeit hier oder auch im Papageno willkommen - solange du in nächster Zeit auf meine Kleine aufpasst.«
Ebenso lächelnd schüttelt Harry seine Hand.
»Danke, danke. Natürlich, auf Viola kommt eine schöne Zeit zu, dafür sorge ich. Und sie kommt wohlbehalten wieder.«
»Wohin wollt ihr denn eigentlich?«
»Das wird eine Überraschung«, antwortet Harry selbstsicher, während Viola der Überzeugung ist, er habe schlichtweg selbst noch keinen Plan davon.
»Na dann weiß ich sie ja immerhin in den besten Händen. Alles Gute, Harry. Und Grüße an die Familie!«, verabschiedet sich Antonio höflich. »Und wir sehen uns ja später, Liebling«, küsst er dann seine Tochter flüchtig auf die Haare, ehe er den Weg nach draußen antritt.
Damit ist für Harry die erste Schlacht gewonnen. Antonio hat er für sich gewonnen, das ist jedem der Anwesenden klar.
»Darf ich denn noch dein Zimmer sehen?«, fragt Harry Viola, während im Hintergrund die Haustüre wieder ins Schloss fällt. Flüsternd beugt er sich zu ihr und grinst. »Die Zimmertür kann natürlich auch offen bleiben.«
Mit rollenden Augen lässt Viola den Kopf in den Nacken fallen. Dieser Tag läuft reibungsloser als erwartet und doch kostet er sie mehr Kraft und Nerven, als sie je gedacht hätte.
»Komm mit«, brummt sie vor sich hin und winkt ihn mit sich. »Mama, wir sind kurz oben.«
»Natürlich, ihr Lieben!«, ruft Francesca mit singender Stimme aus der Küche zurück.
Dass Harry Styles je in ihrem Zimmer stehen würde, hat Viola Belardo weder gedacht, noch hat sie es sich jemals gewünscht. Und doch passiert genau das an diesem Tag.
Interessiert wandert der Sänger durch ihr kleines Reich, voll von Bildern und Erinnerungen, während Viola die Tür hinter ihm schließt.
»Boah, Harry, was war das denn?«, stellt sie ihn direkt fordernd zur Rede.
Irritiert lenkt Harry seinen Blick von Violas Pinnwand wieder auf deren Besitzerin. »Was genau?«
»Na, die Schleimspur, die du, seitdem du in diesem Haus bist, hinterlässt!«
»Sie lieben mich!«
Stolz grinst Harry vor sich hin und zieht sich spaßeshalber arrogant den Strickpullover zurecht.
»Ja, und du glaubst ja wohl selbst nicht, dass sie je wieder aufhören werden, nachzubohren, wann wir endlich heiraten«, raunt Viola missmutig. »Die sehen niemals ein, dass du nur ein Freund bist, nachdem du ihnen permanent Honig ums Maul geschmiert hast.«
»Ach, Quatsch, ich war doch nur höflich«, winkt Harry gelassen ab. »Ich find' das richtig spannend heute. Ich hab' ewig keine Eltern mehr kennengelernt.«
»Für dich ist das hier einfach schon wieder ein Riesenspaß, oder?«
Viola hat wesentlich schlechtere Laune als Harry, das bemerkt selbst der Sänger. Nachvollziehen kann er es allerdings nicht.
»Irgendwie schon. Warum auch nicht? Ich bin heute gerne hergekommen. Das ist doch nicht schlimm, oder?«
Wenn Viola eines an ihrer Freundschaft zu Harry zu schätzen weiß, dann die Tatsache, dass es ihr unheimlich leicht fällt, offen und ehrlich zu ihm zu sein. Vielleicht auch jetzt wieder aus genau dem Grund, dass sie nichts von ihm erwartet und demnach auch nichts zu verlieren hat.
»Ich hab bei dir einfach immer das Gefühl, dass du alles ins Lächerliche ziehst. Alleine, wie du permanent mit einem spöttischen Lachen hier durchs Haus rennst.«
Harry kann nicht anders als tatsächlich schon wieder amüsiert zu schmunzeln.
»Nur weil ich Dinge oft nicht verbissen ernst nehme, heißt es nicht, dass ich sie ins Lächerliche ziehe«, erklärt er und zuckt, als wäre es selbstverständlich, mit den Schultern. Erst als er bemerkt, dass sich Viola immer noch nicht wohler fühlt, schlägt er sanftere Töne an.
»Ich finde es eben 'ne schöne Abwechslung zu sehen, wie du lebst. Ich bin viel zu früh von Zuhause ausgezogen und konnte nie wirklich wieder dorthin zurück. Ich ziehe hier also überhaupt nichts ins Lächerliche. Deine Eltern sind wirklich lieb und ich mag es, dass sie mich offenbar auch gut finden. Die Einzige, die gerade unzufrieden ist, scheinst du zu sein.«
Sanft lächelt Harry die junge Frau an, in der Hoffnung, sein Lächeln würde sich in ihrem Gesicht widerspiegeln.
Widerwillig verschränkt Viola die Arme vor der Brust und weicht Harrys Blick aus. Langsam wird ihr doch bewusst, wie empfindlich sie ist und dass sie Harry im Moment Unrecht tut.
»Außerdem lernst du ja auch bald mein Umfeld kennen. Und das kannst und wirst du ins Lächerliche ziehen, so viel du willst. Versprochen«, grinst Harry sie weiter an, bis Viola nicht mehr anders kann, als kopfschüttelnd zu lächeln.
»Na schön«, lenkt sie ein. »Ich bin ja auch froh, dass dich meine Eltern mögen. Damit können sie jetzt immerhin beruhigt sein, solange ich unterwegs bin.«
»Sie sind auch wirklich liebe Menschen. Du bist bestimmt wirklich harmonisch aufgewachsen. Langsam kann ich dich etwas besser verstehen und nachvollziehen, dass du mit deinem Lebensplan in ihre Fußstapfen treten willst.«
Gerade will Viola einhaken und abstreiten, dass das ihre Intention wäre, doch etwas hält sie zurück. Sie findet dieses Leben, wie es ihre Eltern gelebt haben und immer noch leben, wirklich schön. Vielleicht strebt sie tatsächlich danach, deren Weg einzuschlagen.
Außerdem fängt Harry Styles an, sie zu verstehen - und das war im Grunde der ursprüngliche Sinn hinter ihrer Freundschaft.
Schweigend nickt Viola also bloß.
»Und dein Zimmer hier hab ich mir tatsächlich auch ganz genau so vorgestellt«, verkündet Harry stolz, während er dazu übergeht, den Raum weiter zu erkunden. »Ein bisschen Prinzessin, ein bisschen Bücherwurm und sehr viel Freundin«, fasst er zusammen, als er sich umsieht.
»Das trifft es leider sehr gut «, seufzt Viola. »Und das auf dem Bild hier ist übrigens Leyla. Ihr und deiner Schwester haben wir das Ganze hier zu verdanken.«
»Oh, na dann richte die besten Grüße aus.«
Schon jetzt hat Viola Leylas Kreischen, ebenso wie ihre Beschwerden über das Bild, das sie Harry gezeigt hat, im Ohr.
Harry sieht sich noch eine Weile um. Sie sprechen über Bücher, über seltsame Deko-Artikel, die aus ihrer Jugend übriggebliebenen sind und Haarschnitte auf Bildern, die Viola zutiefst bereut.
»Wenigstens sind deine Fehltritte nicht der ganzen Welt im Internet zugänglich«, lacht Harry gerade noch über Violas zu kurz geratenen Pony und das Tuch, das sie sich mit 14 Jahren Ton in Ton, passend zum T-Shirt, übergeworfen hat. »Wie ich zu X-Factor-Zeiten aussah, grenzt auch an ein Verbrechen. Und das wird auf ewig irgendwo im Netz rumschwirren. Aber ich will mich nicht beschweren. Und ehe du jetzt nach Bildern googlest - ich muss langsam wieder los. Meine Mum wartet. Wow, das hab' ich ewig nicht mehr gesagt.«
Herzhaft lachen die beiden, als Viola Harry mit sich winkt und ihn bereitwillig nach unten geleitet.
Es ist tatsächlich schon einige Zeit vergangen. Francesca hat es sich inzwischen im Wohnzimmer bequem gemacht und Viola ist sich sicher, dass sie die ganze Zeit über gelauscht hat.
»Mama, Harry fährt wieder«, ruft ihr die junge Frau zu, während sich Harry seinen Mantel überwirft. Binnen kürzester Zeit ist ihre Mutter zur Stelle.
»Komm gut nach Hause, Harry! Es war schön, dich hiergehabt zu haben! Komm gerne jederzeit wieder.«
Die beiden strahlen direkt wieder um die Wette.
»Danke, Fran. Und danke für die Gastfreundschaft und das Essen. Ich komm gerne wieder. Frohe Weihnachten.«
Als würde er sich jeden Moment verbeugen, umschließt Harry dankbar Francescas Hände und lächelt sie an.
»Frohe Weihnachten, Harry!«
Damit ist der Sänger entlassen und er wendet sich nur mehr Viola zu.
»Wir sehen uns übermorgen, ja? Ich schreib' dir nochmal. Bis dahin, genieß nochmal den Alltag«, grinst er mit einem Augenzwinkern und öffnet seine Arme.
»Mach ich. Ich freu mich drauf«, erwidert Viola ehrlich und umarmt Harry fest. »Bis dann, komm gut heim. Frohe Weihnachten.«
»Frohe Weihnachten«, gibt er lächelnd zurück. »Und trag dein Geschenk!«
Mit diesen Worten öffnet Harry die Haustüre und verschwindet nach einem Tag, der noch gar nicht so weit fortgeschritten ist und sich doch schon unfassbar lange anfühlt.
Kaum ist die Türe wieder ins Schloss gefallen, sieht Francesca ihre Tochter fragend an.
»Welches Geschenk?«
Um ein Haar hätte Viola vergessen, dass Harry heute nicht mit leeren Händen vor der Türe gestanden hat. Das in rotes Geschenkpapier eingepackte Mitbringsel liegt immer noch einsam auf der Treppe der Belardos.
»Als hättst du's noch nicht gesehen«, sagt Viola und sieht die Ältere wissend an. Sie ist sich sicher, dass ihr Mutter sogar schon so von der Neugierde getrieben war, dass sie mindestens darauf herumgedrückt hat.
»Er hat mir was geschenkt«, verkündet sie dennoch pro forma und angelt das weiche Paket von der Stufe.
»Mach es doch auf!«
Auch ohne die Motivation ihrer Mutter hat Viola bereits angefangen, das Geschenkpapier ungeduldig, aber sorgfältig zu öffnen.
Kaum dass sie einen ersten Blick auf den Inhalt des Geschenks erhascht, stiehlt sich ein Schmunzeln auf Violas Gesicht.
»Was ist das denn?«, will Francesca währenddessen irritiert wissen, als sie die bunten Farben sieht.
»Ein hässlicher Weihnachtspulli aus New York«, antwortet Viola sachlich und sieht sich das gute Stück genauer an. »Von Gucci«, bemerkt sie dann trocken, als sie das Innere des Strickpullovers sieht.
Das knallige Rot der Wolle und die diversen anderen aufgestickten Weihnachtsmuster stechen Viola so in den Augen, dass sie beinahe die kleine, beigelegte Karte übersehen hätte.
Es ist deutlich Harrys Handschrift darauf zu erkennen.
Damit wirst du noch nicht einmal auffallen, wenn wir bald in Amerika sind.
Trag es mir Stolz, ist ein Einzelstück.
Frohe Weihachten, Viola!
Love, H
Lächelnd und kopfschüttelnd zugleich begutachtet sie ihr neues Kleidungsstück, während sich auch Francesca zu wundern scheint.
»Naja, zumindest bei seiner eigenen Klamottenauswahl hat er einen guten Geschmack«, seufzt ihre Mutter.
Viola hingegen weiß schon jetzt, dass sie diesen Pullover tatsächlich mit einem ganz besonderen Gefühl tragen wird.
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