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Kapitel 3

Wir schrieben an drei aufeinanderfolgenden Abenden jeweils über vier Stunden miteinander, ohne Pause, ohne etwas anderes zu tun. Das Eis brach so schnell, dass mir in den hauchkurzen Momenten der Selbstreflektion schon beinahe mulmig zumute wurde, jedoch auf eine nervenkitzelnde Art. Leila verriet mir, dass sie seit einem Monat zwanzig war und derzeit als Kellnerin jobbte; dass sie diesen Job eigentlich hasste, weil sie immerzu von Menschenmengen umgeben war und sich darin nicht besonders wohlfühlte, dass sie eigentlich lieber aufs College gegangen wäre, es aber finanziell nicht gereicht hätte, denn ihre Familie hätte nie viel Geld gehabt, und überhaupt seien die Verhältnisse aus ihrem Elternhaus nicht die allerbesten, sie sei froh, seit ihrer Volljährigkeit mit ihrer kleinen Schwester zusammen bei ihrer Großmutter auf dem Land zu wohnen. Diese Einblicke teilte sie mir bereits am ersten Abend mit (dem Tattoo-Abend, wie ich ihn fortan klammheimlich nannte), nachdem wir uns fast eine Stunde lang über Musik und Hobbys unterhalten hatten. (Was Letzteres anbelangt, waren wir beide nicht sonderlich kreativ: während ich sagte, ich unternähme gerne was mit Freunden, sagte sie, sie gehe oft spazieren oder vertiefe sich in Büchern) Ich hatte das irritierende Gefühl, dass wir diese Themen mit einem nicht ganz greifbaren, ironischen Unterton in unseren Worten behandelten, so als würden wir darüber nur reden, weil man das eben so machte, weil man die Phase des Kennenlernens seit jeher mit harmlosem, bedeutungslosem Smalltalk begann, bar jedweder Tiefgründigkeit und Substanz. Ich bin der und der, wohne dort und dort, mache dies und das; Ping Pong, hin und her, haken wir die Punkte endlich ab und kommen zu den wichtigen, den interessanten Themen. Vielleicht bildete ich mir diese beiderseitige, als auch unausgesprochene Travestie nur ein, vielleicht war Leila, alias love_centipede, auch ganz erpicht darauf zu erfahren, was für Musik ich denn hörte und was für Studienfächer ich belegte, doch glaubte ein Teil von mir das nicht. Ein Teil von mir meinte in ihrer Wortwahl und dem, was zwischen ihren Zeilen stand, eine Ungeduld zu erkennen, die oberflächliches Gerede und althergebrachte Gesprächsriten als vollständig wertlos einstufte. Leila interessierte tieferes.

Persönlicheres.

»Was ist mit dir?«, schrieb sie, nachdem wir die Phase des Smalltalks überwunden hatten und sie mir ihren Rundumblick über ihre Lebensverhältnisse gegeben hatte. »Herrscht bei deinen Eltern noch Gleichgewicht?«

Gleichgewicht. Eine recht eigentümliche Wortwahl, doch das behielt ich für mich. »Wenn du damit ihre Ehe meinst, ja. Während der Ferien bin ich bei ihnen daheim.«

»Gefällts dir?«

»Schätze schon«, antwortete ich. »Mein Vater braucht Hilfe bei seiner Arbeit auf dem Hof usw., da muss ich ihn natürlich unterstützen, aber ansonsten kann ich mich nicht beklagen.«

Es folgte eine kurze Pause, in der sie zu überlegen schien. Ich nutzte die Zeit und durchstöberte währenddessen YouTube nach den Bands, die sie so hörte. Young von Blvck Ceiling war der erste Song, den ich dabei anklickte – und der mir sogar gefiel.

»Wusstest du, dass die Bewohner von Çatalhöyük früher mit ihren Toten zusammengelebt haben?«, ploppte dann im nächsten Moment ihre Antwort auf.

Ich blinzelte, starrte das Wort an. »Die Bewohner von wo?«

»Çatalhöyük«, schrieb sie. »Ein anatolisches Dorf aus der Steinzeit. Die Lehmbauten standen so dicht aneinander, dass man sie praktisch nur über die Dächer betreten konnte, und während die Familien ganz normal in ihren Wohnungen lebten, wurden die Toten unter den Böden begraben. Direkt unter den Schlafstellen der Lebenden, um genau zu sein; nur die Kinder und Säuglinge fand man unweit der Herd- und Kochstellen. Sobald es keinen Platz mehr gab, wurde eine weitere Bodenschicht aufgetragen, und das Ganze begann von vorne. Die einzelnen Gebäude wuchsen dadurch auf den Gebeinen ihrer Ahnen immer weiter empor. Allein unter einem Haus fand man über sechzig Leichen.«

Da bekommt der Ausdruck ›Leichen im Keller‹ ja eine ganz neue Bedeutung, ging es mir durch den Kopf. »Okay«, schrieb ich, und mir war, als könne sie mein Zögern durch das Wort hindurchspüren. »Aber warum erzählst du mir das? :D«

»Ich mein ja nur«, schrieb sie, »man kann unter vielen Umständen mit seiner Familie zusammenleben und es als normal abtun.«

Wenn man von archaischen Todeskulten einmal absah, gab es noch ein Thema, das eine gewisse Vorreiterrolle für Leila besaß, dem sie ein gewisses authentisches Interesse beimaß, und das kein bisschen zu kurz: Horror. Nicht die subtile Art von Horror, sondern jene, die einem beim Zusehen Magenkrämpfe bereitet und am Verstand mancher Menschen zweifeln lässt. Im Verlauf unserer nächtlichen Konversationen zeigte sie mir ein paar Tumblr-Blogs, die, zumindest meinem Ersteindruck nach, genau dieser Sparte zuzuordnen waren. Beim erstmaligen Ansehen und Durchscrollen irritierten sie mich mehr, als dass sie mich faszinierten (auf welche Weise auch immer), aber ich glaubte, dass Leila es genau darauf auch anlegte; sie wurde nicht müde, mir ihre Belustigung mitzuteilen, wann immer ich mich entsetzt an sie wandte und fragte, was zum Teufel das eigentlich sei, was ich mir da ansah. Zu ihren Favoriten zählten Blogs wie Satanic, Horror-Gore-Stuff oder DarkOccultism, Blogs, die ein primär düsteres Aussehen besaßen, Songs von Marylin Manson oder Type O Negative oder Coph Nia im Hintergrund spielten und gefüllt waren mit hunderten Bildern und GIFs, die größtenteils allesamt ziemlich schaurig, blutig und verstörend waren. Da gab es Szenen aus Horrorfilmen (hoffte ich zumindest), in denen Menschen das Gesicht abgezogen wurde, in denen dicke Blutstropfen über nackte Brüste rannen, in denen auf Betten gefesselte Frauen sich in ihrem eigenen Unrat wanden, in denen jemandem Maden aus den zerschnittenen Fingern krochen, in denen nackte Gestalten Ziegenschädel als Kopfbedeckung trugen und preisend ihre Hände hoben, um Luzifer anzubeten. Es gab melancholische Sprüche und Filmzitate, Selfies von anzüglich gekleideten Gothic-Mädchen, die schwarzes Tape in der Form kopfüberstehender Petruskreuze verwendeten, um ihre Brustwarzen abzukleben (oder auf derartige Zensur verzichteten), fotografische Schwarz-Weiß-Einblicke in okkulte Riten oder Hexentänze, die auf von Feuern erhellten Waldlichtungen stattfanden. Es gab Bilder von Leichen und getöteten Geiseln, die in ihrer körnigen, verschwommenen Qualität zu realistisch aussahen, um noch als »gestellt« durchzugehen.

Letzteres war das, was mir zu denken gab. Ihr Interesse an Horrorfilmen mit explizitem Gore- und Sexanteil konnte ich verstehen, es einer gewissen morbiden Neugierde zuordnen, die wohl jedem von uns zu verschiedenen Teilen innewohnt. Als sie begann, mir Bilder von Selbstmordopfern und Überwachungsaufnahmen von Amokläufen zu zeigen, wurde mir jedoch mulmiger zumute. Denn das war echt. Das waren echte Menschen, echtes Blut, echte Leben, die zugrunde gingen. Das waren die Dinge, die sich bei Polizisten und Soldaten im Hirn festbissen wie ein unerbittlicher Wurm, die die Psyche eines Menschen an Orte beförderte, die man in einem gesunden Leben niemals zu Gesicht bekam – was es, nach Leilas Worten, nur umso faszinierender machte. Sie schrieb mir, dass gerade diese Echtheit den Reiz ausmachte, dass unverfälschtes Leid und Grauen überall unter der schillernden, makellosen Oberfläche der Gesellschaft schlummerten. »Wie oft bist du nachts schon durch die Straßen gegangen und hast dich gefragt, wie das Leben der Menschen aussieht, die dort oben in ihren Zimmern schlafen oder vereinsamt Fernsehen schauen? Wie oft hast du dich gefragt, wie wohl ihre primitivsten Neigungen aussehen, ihre verbotensten Gelüste, ihre finstersten Gedanken? Ob der Mann darauf steht, seine Frau zu verprügeln oder seine Frau darauf steht, verprügelt zu werden? Ob ein Kind nur deshalb ein Haustier haben will, um es zu quälen? Es gibt sehr düstere, vergessene Orte in unseren Köpfen«, sagte sie. »Ich bin mir nur nicht zu schade, sie zu beleuchten und auszukosten.«

Diese »unverfälschten« Dinge fanden sich zum Großteil nicht auf Tumblr, sondern auf recht seltsamen Internetseiten, deren Links mir Leila schickte (ich erkundigte mich nicht, wie sie darauf gestoßen war; manche Dinge blieben wohl besser im Verborgenen). Als sie mir sagte, dass wir auch noch einen Schritt weitergehen könnten, insofern ich bereit war, mir einen Tor-Browser fürs Dark Web herunterzuladen, passte ich jedoch, denn tatsächlich brauchte ich ein wenig Zeit, um das bisher Gesehene zu verdauen. Ich war teils angewidert, teils fasziniert, teils entsetzt, und alles zusammen ergab eine Mixtur seltsamster Neugierde – und Leila wusste das, unzweifelhaft. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich mit jeder voranschreitenden Nacht immer mehr in ihre Welt zerrte, mich immer tiefer in die verwinkelten Ecken und Abteile ihres persönlichen Panoptikums führte, immer mehr das Risiko erhöhte, dass mir ihre »seltsame« Seite, wie sie es genannt hatte, vielleicht zu seltsam wurde und ich einen Rückzieher machte. Doch einerseits wollte ich nicht kneifen, weil ich nicht wie ein Versager dastehen wollte – ein klischeehafter Gedanke, aber er war nun mal da –, und anderseits war meine Faszination stärker als meine Abneigung. Es war, als würde man nicht nur in einen Abgrund hineinsehen, sondern zaghaft, erregt vom Nervenkitzel und der Furcht, einen schwankenden Schritt über seine Kante setzen, bis man den Sog der Tiefe vernahm, bis die Schwerkraft am Körper zerrte und dabei immer stärker wurde. Wenn Leute vom Phänomen des »Rufs der Leere« sprachen, konnte ich allmählich verstehen, was sie meinten.

»Warum interessierst du dich für solche Dinge?« Es war die vierte oder fünfte Nacht, in der ich es wagte, ihr diese Frage endlich zu stellen.

»Warum nicht?«, fragte sie zurück. »Zurückhalten kann ich mich im Bus oder auf 'ner Party. Ich steh nun mal auf Horror. Auf krankes Zeug.«

»Es gibt Grenzen«, schrieb ich, auch wenn ich nicht genau wusste, warum.

»Klar gibt's die«, schrieb sie zurück. »Aber warum sollte ich vor denen Halt machen? Oder, anders gefragt: Warum sollte ich die respektieren?«

Ich runzelte die Stirn. Da war etwas. Ein herausfordernder Unterton, den ich von meinem Mitbewohner im Studentenwohnheim kannte, wann immer ich es wagte, ihn bei seinen Herzblutthemen anzuzweifeln. Er nahm alles immer sehr schnell persönlich.

»Weil das vernünftig wäre?«, schlug ich vor.

Sie antwortete: »Ich hab mal gelesen, dass vor allem Frauen auf solches Zeug stehen, auf Blut und Horror und Gewalt und so was. Weil sie im Alltag die Anstandsdamen spielen müssen. Weil sie gezwungen werden, ihre Triebe zu unterdrücken. So als hätte man ihnen ein unsichtbares Mieder um die Brust geschnürt, das ihnen umso mehr die Luft aus den Lungen drückt, je länger sie sich in der Öffentlichkeit aufhalten, und das sie erst wieder ablegen können, sobald sie wieder daheim in ihren vier Wänden sind. Diese Unterdrückung kompensieren sie dann, indem sie sich solches Zeug ansehen.«

Ich fragte mich, ob sie das wirklich irgendwo gelesen hatte, oder ob das ihre eigene Meinung war, die sie in einer Umschreibung zu verpacken versuchte. »Ich glaube nicht, dass das nur Frauen tun.«

»Oh, natürlich nicht. Warum sind wir wohl so fasziniert von Serienkillern? Diese Typen gehen einen Schritt weiter. Die leben aus, was dort ganz tief in ihnen schlummert. Ted Bundy, David Parker Ray, der Green River Killer. Dennis Rader hat ein elfjähriges Mädchen an ein Kellerrohr gehängt und sich darauf einen abgewichst, wie die Kleine vor seinen Augen erstickte. Diese Typen haben sich ihrer Dunkelheit ergeben, und sie machen keinen Hehl daraus. Ein paar von ihnen sind sogar stolz darauf.«

»Diese Typen«, schrieb ich, »sind auch keine normalen Typen. Die ticken komplett anders als du und ich.«

»Sie sind Extrembeispiele«, räumte sie ein, »aber es kommt auf dasselbe hinaus. Wer lieben kann, kann auch zerstören. Meiner Meinung nach tragen wir diese Dunkelheit alle in uns.«

Ich hob die Brauen. »Das ist Freud, oder? Eros und Thanatos.«

»Freud und Jung, um genau zu sein, ja. :) Bist du dem Tod schon einmal begegnet, Steven?«

Die Frage kam ein wenig abrupt. Ich runzelte die Stirn. »Begegnet?«

»Hattest du schon einmal mit ihm zu tun? Gab es Todesfälle in deinem Freundeskreis, beispielsweise? In deiner Familie?«

»Nun.« Ich musste eine Weile überlegen. »Mein Großvater ist verstorben, als ich acht war. Aber ich kannte ihn nicht. Er lebte in Wyoming.«

Ich schickte die Nachricht ab, biss mir aber zugleich auf die Unterlippe.

»Was ist mit dir?«, setzte ich hintendran.

Eine kurze Pause. »Vor wenigen Jahren sind ein paar nahe Verwandte in einem Autounfall ums Leben gekommen. Drei Menschen, die ich kannte, mit einem Schlag von der Erde getilgt. Es hat mich nicht berührt.«

Dort hing er, ihr Text. Ich starrte ihn eine ganze Weile an, nicht ganz sicher, wie ich darauf reagieren sollte. Ihr letzter Satz forderte zum Nachbohren auf – das wusste sie, unzweifelhaft –, doch seltsamerweise fand ich die Formulierung Ein paar nahe Verwandte noch viel sonderbarer.

Als zwei Minuten verstrichen waren, beschloss ich, das Thema vorsichtig wieder in eine andere Richtung zu lenken. »Du hast eben davon gesprochen, die Anstandsdame spielen zu müssen.« Es war kein galanter Übergang, aber ich wusste, dass Leila darauf auch nicht viel Wert legte. »Also fühlst du dich unterdrückt?«

Ihre Antwort ließ ein wenig auf sich warten. »Ich suche lediglich nach Möglichkeiten, mich auszuleben, ohne dass ich dafür schief angesehen werde. Künstler können so was. Schriftsteller und Musiker. Ich hätte auch gern diese Freiheit. Aber zu Beginn würde es wohl reichen, wenn man einfach auf Verständnis trifft.«

»Ich habe Verständnis«, schrieb ich.

»Das wird sich zeigen«, antwortete sie, und ich meinte ein Lächeln in ihren Worten zu lesen. »Bisher haben alle Typen, denen ich diese Links schickte, früher oder später das Weite gesucht :)«

Ich schmunzelte verhalten. »Muss ich Angst haben?«

»Nicht, solange wir außerhalb eines Bettes sind, haha.«

Es war ein wenig suspekt: Wir unterhielten uns über den Tod und Gesellschaftskonventionen, über Psychopathen und Psychologen, und gleichzeitig flirteten wir miteinander. Irgendetwas sagte mir, dass es noch ziemlich interessant mit Leila werden könnte.

Wir tauschten uns für den Rest des Abends über Serienmörder und unsere Lieblingshorrorfilme aus. (Wobei der wahre Horror unzweifelhaft in den Dingen lag, die sie mir über besagte Serienmörder zu erzählen wusste; ich hatte beispielsweise noch nie von Lawrence Bittaker und Roy Norris gehört, und im Nachhinein fragte ich mich, ob es nicht von Vorteil gewesen wäre, hätte ich es bei dieser Wissenslücke belassen). Es war drei Uhr nachts, als sie sich schließlich von mir verabschiedete und offline ging, aber sie freue sich darauf, morgen nach der Arbeit wieder mit mir zu schreiben. Es tat fast ein bisschen weh, als ich danach allein vorm Rechner saß, nur umgeben von Hitze und Stille und wieder in der Trostlosigkeit meines Alltags zurück. Ich hatte noch nie ihre Stimme gehört, und trotzdem fühlte es sich so an, als sei sie bis eben hier in meinem Zimmer gewesen.

Du solltest sie nach ihrer Nummer fragen. Es war ein Gedanke, der leichtes Herzrasen in mir auslöste, mir aber gleichzeitig auch den Magen erwärmte. Als ich mich ins Bett legte, dachte ich noch lange an Leilas Worte und ihre favorisierten Tumblr-Blogs und an ihre graugrünen Augen und an ihr Tattoo. Vor allem an ihr Tattoo.

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