2: Unruhige Nacht
Ich öffnete die Augen. Ein sengender Schmerz schoss durch meinen Körper. Ich atmete kurz erschrocken auf. Dann pulsierte eine weitere Ladung durch meinen Körper, von der Brust ausgehend. Es fühlte sich an, als würde jemand langsam mein Herz aus dem Brustkorb reisen und immer wieder mit einem Messer durchbohren (mir war das noch nie widerfahren, aber ich nahm an, dass es sich so ähnlich anfühlte). Meine Augen begannen zu tränen. Ich wurde erstochen. Ich zog meinen Pyjama-Pullover aus und blickte auf meine Brust. Meine Augen vermochten nicht, zu begreifen, was sie da gerade sahen. Das musste alles ein Fiebertraum oder vom Alkohol hervorgerufene Halluzinationen sein:
In meiner Brust steckte der Schlüssel.
Es wäre zwar trotzdem noch seltsam gewesen, wenn er wie ein Messer in meinen Brustkorb gestochen worden wäre, doch er war wortwörtlich in meiner Brust. Er war mit dem Fleisch verschmolzen, in meinen Brustkorb eingefügt wie ein Puzzleteil. Man konnte ihn sehen, doch der Eindruck war einfach unwirklich. Ich berührte den Schlüssel mit meinem Zeigefinger.
Ein unbeschreibliches Gefühl ging durch meinen Arm, ein Impuls, eine Energie. Meine Gedanken erfüllte für einen Moment kompletter stillstand, eine Leere, wie ich sie noch nie empfunden hatte. Es war so schön still... und geordnet. All meine Gedanken existierten für einen Moment einfach nicht.
Einklang.
Einklang mit Allem.
Dann endete der Moment der Leere. Der Impuls stoppte, und mit ihm der Einklang.
Der Schmerz ebbte langsam ab. Ich konnte nicht an mich halten. Meiner Kehle entwich ein lautes:
,,Was zur vefickten Hölle!?"
Das musste ein Traum, sein anders konnte ich es mir nicht erklären. Ich schlug mir auf den Unterarm. Ein kurzer Schmerz durchzuckte ihn. Ich probierte, meine Augen zu öffnen und zu schließen...
Ich war wach.
Das hier war real. Dieser gottverdammte Schlüssel war IN meinem Brustkorb.
Ein Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Es war das Klicken der heruntergedrückten Klinke der Zimmertür.
Ich lebte allein. Was zur Hölle drückte da gerade die Türklinke herunter?
Meine Frage wurde nur Momente später beantwortet, als die Tür aufschwang.
Eine dünne Gestalt betrat das Zimmer. Die einzige Lichtquelle im Raum war meine Nachttischlampe, die ich vergessen hatte, auszumachen. Deshalb konnte ich die Person nur Umrisshaft erkennen. Dann ging das Zimmerlicht an.
Ich sah mich einem dünnen jungen Mann gegenüber. Er war in etwas gekleidet, was man nur als Rüstung beschreiben konnte: glänzendes Metall, kombiniert mit Lederkleidung. Äußerst ungewöhnlich für jemanden im Deutschland des einundzwanzigsten Jahrhunderts.
Der Mann hatte blasse Haut, schwarze, kurze Haare, blaue Augen und –was mich stutzen ließ- überdurchschnittlich lange, spitze Ohren. Natürlich war ich in meinen Dreiundzwanzig Jahren Lebenszeit nicht umhergekommen, Fantasyfilme zu gucken, und dieser Mann sah mir sehr, sehr nah zu einem Elfen aus.
Auch wenn das fragwürdig war, da es natürlich keine langohrige, Humanoide mit Zauberkräften gab, doch ich hatte einen gottverdammten Schlüssel in meiner Brust stecken und war noch quicklebendig, also hinterfragte ich erstmal nicht mehr.
Der Mann sah zu mir, der auf seinem Bett saß, hinab.
,,Komm, es wird gleich hier sein. Keine Zeit für Erklärungen.", sagte er mit einer weichen, aber ernsten Stimme.
,,Was wird gleich hier sein? Was ist hier eigentlich los? Wieso habe einen scheiß Schlüssel in meiner Brust?!"
,,Ich kann dir nur eine deiner Fragen jetzt gleich erklären. Das Ding wird gleich hier sein."
,,Welches Ding?"
,,Ein seelenfressendes Monster. Komm jetzt, ich erkläre dir später Alles."
,,Wer bist du?"
,,Später"
Er blickte mich energisch an. Ich stand widerwillig auf.
,,Komm"
,,Wieso sollte ich dir das alles glauben?"
,,Vertraue mir einfach. Bitte."
Seine Augen hatten solche Ernsthaftigkeit, dass ich ihm vertraute. Nachts, wenn man sich von Alkoholkonsum erholt, macht man manchmal Entscheidungen, die am Tag, und ohne den Alkohol irrational klingen.
Jener Alkohol setzte sich jetzt auch durch. Ich spürte plötzlich einen enormen Schmerz, der durch meinen Kopf zog.
,,Ich hab übrigens wahnsinnige Kopfschmerzen. Weiß' nicht, ob das gute Voraussetzungen sind, um vor einem seelenfressenden Monster zu fliehen..."
Der Mann fasste sich an den Gürtel. Ich zuckte zurück. Dort hing ein langes Messer in einer Scheide. Er wollte mich doch wohl nicht abstechen?
Er zog das Messer heraus, rammte es mir jedoch nicht in den Bauch, sondern hielt es mir hin.
,,Halt das mal kurz."
Ich nahm das Messer, beäugte es. Es ähnelte den historischen Darstellungen von Kurschwertern, die ich bereits gesehen hatte, jedoch waren auf der Klinge viele Zeichen, ähnlich denen auf dem Schlüssel, eingeritzt, die alle schwach grünlich leuchteten.
,,Faszinierendes Ding, nicht wahr?"
Ich blickte den Mann an.
,,Ja, sieht schön aus."
Er stieß ein leises Lachen aus
,,Das auch, das auch."
Er drückte mir ein kleines, dünnes Fläschchen mit einer orangenen Flüssigkeit in die Hand.
,,Hier, das müsste gegen die Kopfschmerzen helfen. Aber schnell machen, wir haben schon genug Zeit verschwendet."
Er nahm mir das Messer, oder eher Schwert, ab, steckte es jedoch nicht zurück, sondern nahm es in die Hand.
Ich entkorkte das kleine Fläschchen und trank es aus. Es hätte durchaus auch Gift sein können, doch ich war zu abgelenkt von der generellen Situation, um seinen Inhalt zu hinterfragen.
Ich stürzte die Flüssigkeit in einem Zug hinunter. Sie hatte einen bitteren, leicht minzartigen Geschmack. Ich schüttelte den Kopf, um ihn loszuwerden.
Ich griff mir mein Handy und meine Armbanduhr, dann schaltete ich das Licht aus. Wir gingen in den Flur, der geradeaus zur Wohnungstür führte. Schwaches Dämmerlicht schien durch die Rollos vor den Fenstern. Der Mann fasste mich am Handgelenk und zog mich hinter sich her, als ob ich nicht selbst laufen könnte.
,,Hör zu. Wenn du ein Ding siehst, dass wie eine... Krähe aussieht, Dann lauf."
,,Verstanden?" antwortete ich, obwohl sich mir überhaupt nichts an dieser Situation erschloss.
,,Wie heißt du eigentlich?" Ich wusste, dass es kaum einen unpassenderen Moment gab, um das zu fragen, doch ich war neugierig, und da meine Kopfschmerzen tatsächlich langsam abschwächten, hatte ich einen Moment dafür, mich auf etwas anderes zu konzentrieren.
Er blickte mich verwirrt an. Dann antwortete er schnell:
,,Orquinios"
Orquinios zog mich zur Tür, öffnete sie und führte mich ins Treppenhaus. Wir gingen eine Etage runter...
Und dort stand es:
Ein großes, schlankes Wesen. Unzählige tiefschwarze Federn bedeckten seine Haut, Ein Schädel mit einem langen, grauen Schnabel saß auf seinen Schultern. Es hatte zwei Dutzend messerscharfe Klauen an Händen und Füßen und 2 breite Flügel waren auf seinem Rücken angewinkelt. Die weißen, ausdruckslosen Augen waren auf mich fixiert.
Ein lautes, markerschütterndes Krähen drang aus dem Schnabel, wie das Schlagen einer Todesglocke.
Dann warf es sich auf mich.
Im letzten Moment sprang Oriquinos vor mich.
Die Krallen drangen in sein Fleisch ein, zerfetzten die Rüstung, als wäre sie aus Pappe.
Er stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus, in den all das Leid, dass er gerade empfand, gepackt war.
,,Renn! Zum Tor! Im U-Bahn-System!"
Ich war wie paralysiert. Ich musste zusehen, wie das Monster Oriquinos' Fleisch zerschlitzte, mit seinem Schnabel sein Gesicht zerstocherte.
Dann löste ich mich von diesem grausamen Bild und tat, wie mir geheißen:
Ich rannte los.
Ich nutzte die Sekunden, die das Monster damit verbrachte, ihn aufzuschlitzen (und vermutlich seine Seele zu fressen), indem ich rannte, wie ich es noch nie getan hatte. Ich spürte schon als ich nach 3 Etagen im Erdgeschoss angekommen war einen ganz leichten Seitenstich, doch es ging immerhin um mein Leben, also sprintete ich weiter. Ich stieß die Eingangstür des Hochhauses auf und rannte über den Bürgersteig. Von hier aus waren es ungefähr 5 Straßen bis zum nächsten U-Bahn-Eingang.
Es war wahrscheinlich etwas schwierig, durch das Tunnelsystem zu laufen, ohne von einer Bahn überfahren zu werden und generell war es vielleicht auch nicht allzu schlau, irgendeinem Typen, der nachts in meine Wohnung eingebrochen war, zu vertrauen, aber da ich gerade von irgendeinem Rabenmonster, welches vermutlich meine Seele fressen würde, gejagt wurde und er sich für mich geopfert hatte, musste ich ihm wohl vertrauen.
Beim Rennen warf ich hastig einen Blick auf meine Taschenuhr.
4:27 Uhr.
Das bedeutete, die U-Bahn würde erst in einer halben Stunde losfahren. Es war ein abstruser Plan, doch vielleicht schaffte ich es innerhalb einer halben Stunde, dieses Tor zu finden.
In einem weiten Tunnelnetzwerk, während ich von einem Monster gejagt wurde. Das klang ja wunderbar. Ich drehte mich kurz um. Da stockte mein Herz.
2128 Wörter
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