
》17 - Zweisamkeit《
Ich bin aufgeregt, seitdem Benjamin und ich alleine im Chalet sind. Glücklich aufgeregt.
Alicia und Joshua haben sich ziemlich bald nach dem Mittagessen in die Stadt aufgemacht und auch die Familie Hanlin hat sich mitsamt dicken Klamotten und Kameraausstattung nach draußen begeben. Laut Julies Worten werden die drei ebenfalls für mehrere Stunden fortbleiben, um uns Zweisamkeit zu schenken.
Wo Elijah ist, weiß ich nicht. Mir ist bloß aufgefallen, dass ein Auto weniger auf dem Vorplatz steht. Allerdings kann er mir gerne gestohlen bleiben. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich die Intention seines abwertenden Auftritts noch immer nicht zu deuten. Soweit ich das mitbekommen habe, ist er nämlich gänzlich unerwünscht und gehört trotz seiner Mitgliedschaft nicht wirklich dazu. Ich werde Benjamin dazu befragen, herausfinden, was es mit ihm auf sich hat. Immerhin müssen sein Auftauchen und die abwehrende Haltung doch einen Grund haben.
Davor allerdings gibt es weit wichtigere Dinge, die es zu erfahren gilt und die mich noch viel brennender interessieren. Denn tatsächlich fließt nach gefühlten Wochen voller Ernüchterung endlich wieder ein euphorisches Gefühl durch meine Adern, als Benjamin und ich uns ins Obergeschoss begeben. Es ist dasselbe Glücksgefühl, das mich jedes Mal vor einer anstehenden Reise durchströmt. Denn das hier ist auch eine, mit dem einzigen Unterschied keine neue Destination, sondern einen Menschen kennenzulernen.
Eine Reise, von der ich lange nicht zu träumen wagte. Eine Reise ins Ungewisse, voller Überraschungen und mit einer unbekannten Route. Und Benjamin ist der Ort, von dem ich glaubte, keinen Zwischenstopp machen zu müssen, obwohl er mir schon so oft empfohlen wurde. Weil es dort nichts Besonderes gibt. Weil er mich nie interessiert hat. Weil ich dachte, von dem Ort nichts Neues lernen zu können, das mich im Leben voranbringen könnte. Dabei ist das absoluter Blödsinn. Denn Benjamin könnte alles in einem verkörpern.
Nicht zu vergessen, dass es gar nicht um das Ziel, sondern um den Weg selbst geht. Nur weil ich versuche mich zu öffnen, heißt das nicht, dass es ein Happy End für mich geben wird. Dass es die richtige Reise für mich ist. Es bedeutet bloß, dass ich mutig genug bin, auch die entferntesten, scheinbar unscheinbaren, versteckten Orte zu besuchen. Und diese Erkenntnis in die wohl wichtigste meines dreiundzwanzigsten Lebensjahres.
Und das ist okay. Denn was weiß ich schon in meinem jungen Alter und mit dem Herzen eines Teenagers? Es ist vollkommen in Ordnung, dass ich bisher nicht bereit dazu war, vom ausgesteckten Weg abzuweichen. Dass ich lieber den sicheren genommen habe. Den, der mir so vertraut ist. Aber irgendwann ist es an der Zeit, sich an Neuem zu wagen.
Ich habe mich schon immer an die verschiedensten Orte getraut, habe zahlreiche Länder bereist, bin durch die verwinkeltsten Gassen geirrt und an den schönsten Stränden in den Sonnenuntergang spaziert. Brasilien, Peru, Kuba, Miami. Ich war an so vielen Orten und alle gemeinsam haben mich zu der gemacht, die ich heute bin. Alle gemeinsam haben sie mich zu Benjamin geführt.
Offensichtlich ist es höchste Zeit, sich auch menschlich in neues Terrain zu wagen. Mom hatte Recht. Wie’s aussieht haben Mütter einfach immer Recht, auch wenn wir das als eigenständige Erwachsene oft nicht zugeben wollen.
Bei dem Gedanken daran muss ich lächeln. Selbst die kurze Überlegung, meine Mutter könnte bei all dem hier ebenfalls ihre Finger im Spiel haben, weil sie eine baldige Begegnung mit einem Mann sozusagen prophezeit hat, bringt mich nicht von den positiven Gefühlen ab, die momentan durch meine Brust tanzen.
“Woran denkst du?” Eine Stimme reißt mich aus meinen Erinnerungen.
“Hm?”
Ich blicke auf, direkt in Benjamins große Augen, die erwartungsvoll auf mir liegen. Seine Hände hat er in den Hosentaschen vergraben und wenn mich nicht alles täuscht, wippt er auf seinen Fußballen ein bisschen vor und zurück. Wahrscheinlich ist er genauso aufgeregt wie ich.
Er lacht kurz auf und mit einem Mal weiß ich, dass dieses Lächeln der Beginn unserer gemeinsamen Reise ist. “Ich habe gefragt, woran du denkst. Weil du so schön lächelst.”
Weil du so schön lächelst. Ich schmelze dahin bei dem Kompliment, das von Benjamins Lippen fließt.
“Ich habe darüber nachgedacht, wohin das mit uns führen könnte”, sage ich und ziehe die Unterlippe zwischen meine Zähne, während er sich über seinen Bart streicht.
“Und? Zu welchem Entschluss bist du gekommen?”
Ich zucke kurz mit Schultern, woraufhin die kleinen Grübchen auf seinen Wangen erscheinen, die ich so niedlich finde.
"Keine Gedankenübertragung?”
Er kneift die Augen zusammen und legt den Kopf leicht in den Nacken, als würde er weit entfernten Geräuschen lauschen und versuchen, sie zu identifizieren.
“Momentan nicht, nein”, flüstert er.
Gut so. Immerhin muss er nicht all meine Gedankengänge kennen. Was ich allerdings offenbare, ist folgendes. “Wir sollten es versuchen. So lange, bis es in Ordnung ist. Bis wir unsere Fehler überwunden haben.”
Benjamin lächelt. “Meine Worte.”
“Deine Worte”, bestätige ich und lächle ebenfalls.
Regelrecht kann ich spüren, wie die Luft um uns herum flimmert, weil wir so nervös sind. Weil wir uns irgendwie fühlen, wie verliebte Teenager, die sich nicht zu unterhalten wissen.
Benjamin ist der Erste, der den Moment des Stillstehens unterbricht. “Ähm...wollen wir uns setzen?”, fragt er und fährt sich durch die Haare, die ihm daraufhin leicht vom Kopf abstehen. An seiner Attraktivität gibt es wirklich keinen Zweifel, da kann man sagen, was man möchte.
Schleunigst wende ich meinen Blick von ihm ab, um nicht beim Starren erwischt zu werden. Sein leises Lachen verrät mir allerdings, dass er mich längst dabei erwischt hat.
Hoffentlich werde ich nicht rot.
Sowas kenne ich normalerweise nicht von mir. Doch seit Benjamins erstem Auftreten hatte ich bereits ein paar Mal damit zu kämpfen.
Stattdessen lasse ich meinen Blick durch den Raum gleiten und sauge ihn zum ersten Mal so richtig in mich auf, obwohl ich bereits mehrmals hindurchgelaufen bin. Bisher jedoch war mein Kopf so vollgefüllt mit anderen Dingen, das für die vollständige Erkundung des Chalets gar keine Zeit geblieben ist.
Meine Augen bleiben an den wenigen Stufen hängen, die an der gegenüberliegenden Seite des Raumes ein Stück nach unten führen. Ich zeige mit meinem Finger in ebenjene Richtung.
“Ich würde lieber wissen, was sich dort hinten noch befindet.”
“Komm.” Benjamin nimmt meine Hand in die seine und ein warmes Prickeln erfüllt meine Haut dort, wo wir uns berühren. “Ich zeig’s dir.”
Ich folge ihm und der dortige Anblick lässt mein Architektenherz augenblicklich schneller schlagen. Die Gestaltung und Einrichtung des Raumes sind wunderschön. Zwei Hängesessel aus bunten Stoffen und geflochtenen Fransen am Saum baumeln von der meterhohen Decke, unter der dicke Holzstreben ein Gemälde in den Himmel zeichnen.
Gleich daneben, an der gegenüberliegenden Seite von uns, flackert ein Kaminfeuer vor einem Haufen Lehnsessel, die mit zahlreichen Decken ausgestattet sind, und verleiht dem Raum eine wohlige Wärme. Der Duft von verbranntem Holz dringt in meine Sinne und lässt mich wie zuhause fühlen. Ich muss lächeln, ehe ich meine Besichtigungstour fortsetze und meinen Blick über die verschiedensten Zimmerpflanzen und Dekoelemente gleiten lassen, die entweder am Boden oder auf den Regalen platziert wurden, die sich auf beiden Seiten des Zimmers erstrecken. Zuletzt nehme ich den schwarzen Flügel unter dem gigantischen Giebelfenster wahr, welches der Sonne selbst an kurzen Wintertagen eine wichtige Daseinsberechtigung schenkt. Ich tapse darauf zu und streiche vorsichtig über die glänzende Oberfläche des Pianos.
“Ein Klavier”, sage ich überschwänglich und komme nicht umhin, dass sich meine Mundwinkel wie von alleine nach oben biegen. “Ich wollte schon immer spielen können.”
Gepackt von Euphorie klappe ich den Tastenschutz in die Höhe und stimme einen Akkord an. Zumindest dachte ich, das zu tun. Doch ein schiefer Ton erklingt.
Ich schlage mir die Hand vor den Mund. “Ups.”
Im Augenwinkel erkenne ich, wie Benjamin jede meiner Bewegungen verfolgt und sich sichtlich darüber amüsiert.
“Hey!”, rufe ich gespielt beleidigt und pikse ihn in die Schulter. “Mach’s doch besser.”
Er grinst und verneint. “Ich kann nicht spielen.”
Ein verräterischer Glanz huscht über seine Augen.
“Feigling und Lügner”, werfe ich ihm sogleich vor, nicht jedoch, ohne selbst lachen zu müssen. “Zumindest einen Ton schaffst du.”
“Na gut, du hast es nicht anders gewollt”, sagt er und reibt sich die Hände, ehe er so tut, als würde er seinen Frack nach hinten werfen, um sich höchst professionell auf dem Samthocker platzieren zu können.
Gott, ich muss so lachen. Ich weiß zwar nicht, wie er das anstellt, aber ich bin seinem Humor absolut verfallen. Ich liebe, wie leicht es gerade zwischen uns ist und verteufle mich sogar ein wenig dafür, nicht schon früher an die Seelenverwandtschaft geglaubt zu haben. Denn sich darauf einzulassen ist tatsächlich so viel einfacher, als noch vor wenigen Stunden gedacht.
Der erste Ton neben mir reißt mich aus meinen Gedanken, weshalb ich ihm augenblicklich auf die Finger schaue. Als diese plötzlich über die Tastatur fliegen und eine wunderschöne Melodie meine Ohren erreicht, glaube ich zu träumen. Ich blinzele, blicke zu Benjamin, auf seine Finger, zurück in sein Gesicht und blinzele noch einmal. Doch das Bild bleibt bestehen und das Lied singt im Takt meines Herzens.
Ich habe es schon mal gehört. Es dauert ein paar Momente, bis ich es dem Film “Ziemlich beste Freunde” zuordnen kann. Ein wunderschöner, herzzerreißender Film.
“Wow”, hauche ich und kann kaum realisieren, was hier gerade vor sich geht. “Ich wusste nicht...”
Meine Stimme bricht, weil ich so überwältigt bin von dem Moment. Wie gebannt kleben meine Augen an seinen Händen, können sich gar nicht mehr losreißen von dem Zauber, den sie fabrizieren. Es ist mir ein Rätsel, wie seine großen, rauen Hände, so zärtlich über die Tasten streichen können. Es ist fast so, als würde er sie verdammt nochmal küssen, weil jede seiner Bewegungen so voller Liebe ist.
Ich stehe wie angewurzelt neben dem Flügel und betrachte ihn, blicke in sein Gesicht und erkenne, wie sich die verschiedensten Emotionen darauf abspielen, wie Farben in einem Kaleidoskop. Wie die Tonlage des Klaviers. Rauf und runter. Tief, trist, Trauer. Hoch, hell, Hoffnung. Ich spüre den Schmerz seiner Seele, sehe die Narben auf seinem Gesicht und frage mich, was mit ihm passiert ist. Was ihn so gebrochen hat.
Als er aufhört zu spielen, habe ich einen dicken Kloß im Hals. Offensichtlich hat ihn das Lied an eine schmerzhafte Zeit erinnert und schreckliche Dämonen an die Oberfläche gezerrt.
Ich nehme all meinen Mut zusammen und lege ihm meine Hände an seine Wangen. Sein Bart kratzt an meinen Handinnenflächen, doch es stört mich nicht. Seine Augen schimmern und das schmerzt mich sehr wohl.
“Bist du okay?”, hauche ich und streiche über seine Haut.
“Nein”, flüstert er zurück. “Aber du machst es erträglich.”
Regelrecht kann ich hören, wie unsere Herzen brechen. Wir nehmen uns in den Arm und ich presse mich ganz nah an seine Brust, die mir so vertraut vorkommt. An der ich ganz bestimmt geschlafen habe. Die meine Albträume zunichte gemacht hat. Genau das Gleiche versuche ich jetzt für ihn zu tun.
Ich halte ihn so lange, bis ich glaube, seine Dämonen vertrieben so haben, bis die Einzelteile unserer Herzen wieder zusammenfinden. Ich atme Benjamins Duft ein und er den meinen. Die Nähe unserer Körper heilt uns. Die Nähe unserer Seelen. Unserer gesegneten Seelen.
-
“Das vorhin...” Ich stoppe und kaue an meiner Lippe, unschlüssig ob meiner nächsten Worte.
“Ein Moment der Schwäche”, murmelt Benjamin und versteift sich ein bisschen in seinem Sessel.
Nach unserer Umarmung haben wir uns nämlich vom Klavier zurückgezogen - ich mich in den hängenden Stofffetzen, die Beine an die Brust gezogen, und Benjamin auf einen der Stühle vor dem Kamin.
“Woran hast du dich erinnert?”
Seine dunklen Augen ruhen intensiv auf mir, ehe er sie für einen Moment schließt und den Kopf schüttelt. "Ich möchte nicht darüber sprechen.”
Obwohl es mir einen kleinen Stich ins Herz versetzt, muss ich wohl damit leben, dass der kurze Blick auf seine Seele alles war, was er mir momentan geben kann. Doch ich darf es ihm nicht verdenken, ich wäre nicht anders. Der Unterschied ist bloß, dass ich die Entscheidung nicht selbst treffen durfte. Und das beschäftigt mich natürlich noch immer, egal wie sehr ich es zu verdrängen versuche.
Der melancholische Gemütszustand hält allerdings nicht lange an. Denn bereits im nächsten Moment überschlägt Benjamin die Beine und lässt sich lässig an die Lehne zurücksinken, ein schelmisches Lächeln auf den Lippen.
“Du wolltest es nicht anders.”
Benjamin scheint wieder ganz der Alte zu sein. Der, der mich an unser erstes Zusammentreffen, das Aufwachen in seinem Zuhause, erinnert. Ich, versteckt hinter der Decke und er vollkommen selbstsicher in seinem Fauteuil. Obgleich seitdem so einiges passiert ist und ich so vieles erfahren habe, hat sich doch irgendwie nichts geändert.
Ich spüre die Anziehung, die von ihm ausgeht, genauso wie bereits damals, als mir seine sternenbenetzten Augen das erste Mal den Verstand geraubt haben.
Und plötzlich kommt mir ein absolut verrückter Gedanke.
Er grinst noch breiter und sagt: “Nein.”
“Was nein?”
“Nein, ich bin kein Vampir.”
“Wieso weißt du...?” Es dauert kurz, bis ich es realisiere und schnaube. “Hör auf, meine Gedanken zu lesen.”
“Sorry.” Er kichert. “Wie kommst du darauf?”
Ich zucke mit den Schultern. “Mir sind da ein paar Parallelen aufgefallen. Gedanken lesen, Klavier spielen, Attraktivität, …"
Als ich realisiere, was ich soeben gesagt habe, werde ich rot. Wieder mal.
“Attraktiv also”, flötet Benjamin amüsiert und zieht die Augenbrauen hoch. “Ich glitzere aber leider nicht im Sonnenlicht.”
“Schade.”
“Außerdem hätte ich deinem Blut doch niemals widerstehen können.” Er fletscht spielerisch die Zähne.
“Wohl wahr.” Ich lache ihm entgegen.
“Hach ja, die guten alten Zeiten”, sage ich und schwelge in Erinnerungen von vergangenen Tagen, an denen alles noch in bester Ordnung war.
“Du mochtest Twilight?”
Ich reiße die Augen auf und tippe mir an die Stirn. “Soll das ein Witz sein? Mein 12-jähriges Ich hat es geliebt”, rufe ich aus, bevor ich etwas gedämpfter hinzufüge: “Aber das weißt du bestimmt.”
Benjamin runzelt die Stirn. “Nein, tue ich nicht.”
“Lüg mich nicht an. Elijah hat es doch gesagt.”
“Elijah.” Mein Gegenüber schnaubt abfällig. “Ihm glaubst du also?”
“Nein, aber...”
“Nein, kein aber. Ich denke du hast da etwas in den falschen Hals bekommen.”
“Warum? Julie hat es mir doch bestätigt.” Ich verschränke die Arme vor der Brust. “Aber du kannst es mir natürlich gerne nochmal ausführlicher erklären."
„Denk nochmal drüber nach, was genau sie gesagt hat.
„Gott, du musst auch immer das letzte Wort haben, oder?“, erwidere ich und rolle mit den Augen.
Er lacht und lehnt sich nach vor, um sich mit den Ellbogen auf den Oberschenkeln abzustützen.
Heiße Pose, verdammt heiß. Und Mist, wieso denke ich das überhaupt in so einer Situation?
„Ich liebe es, die Oberhand zu haben. Gib doch zu, dass es dir auch gefällt“, haucht er mir rauer Stimme, die tief in meiner Mitte vibriert. Was macht er bloß mit mir?
Ich ignoriere es geflissentlich und rolle nur ein weiteres Mal mit den Augen, bevor ich in meiner Erinnerungskiste herumzukramen beginne, um die Worte von Julie an die Oberfläche zu holen. Gedanklich gehe ich das gestrige Gespräch noch einmal durch.
Und plötzlich fällt es mir ein.
„Sie meinte, ich werde es herausfinden“, sage ich schließlich mit gerunzelter Stirn.
Benjamin schmunzelt triumphierend.
„Vergiss es.“
„Was denn?“
„Ich sage bestimmt nicht, dass du Recht hattest.“
„Aber ich hatte Recht.
Ich schnaube bloß und ignoriere seine Überheblichkeit.
„Es ist eher so, als wärst du meine beste Freundin. Über beste Freunde weiß man ja grundsätzlich auch sehr viele Dinge, aber nicht jeden kleinen Gedanken. Man lernt sich selbst nach Jahren noch besser kennen und das Tag für Tag. Es gibt also immer noch genug von dir zu erfahren. Du kannst ruhig etwas erzählen.“
Ich nicke. „Verstehe. Klingt irgendwie plausibel. Aber du weißt trotzdem schon einiges über mich. Mehr als ich über dich. Erzähl du etwas“, sage ich und stelle die Zehenspitzen kurz auf den Boden, um meiner Hängematte Schwung zu verleihen und ein bisschen schaukeln zu können.
Benjamin reibt sich über seine Wangen. „Was willst du denn wissen?“
„Dir muss man auch alles aus der Nase ziehen“, stelle ich fest und blicke ihn aus großen Augen an, in der Hoffnung, er würde für mich eine Ausnahme machen.
Mein Gegenüber seufzt, ehe er zu erzählen beginnt.
Gefühlte Stunden später weiß ich, dass er am liebsten Klavier und Countrymusik hört und dass er Dramen viel lieber guckt als Actionfilme. Dass Ham&Eggs für ihn einen schönen Start in den Tag und ein Glas Whiskey einen gelungenen Abend bedeuten. Benjamin erzählt, dass er kein Fußball mag, weil er selbst nicht spielen kann und gerne einen Hirsch als Haustier hätte. Dass sein Herz für schnelle Autos schlägt, weil sie ihm ein Gefühl von Freiheit verleihen. Die Möglichkeit, jederzeit vor einer Situation zu flüchten und das in bahnbrechender Geschwindigkeit.
Ich erfahre nichts über seine Herkunft, seine Familie oder seine Kindheit, als wären all diese Dinge kein Teil von ihm, als hätte sein Leben erst vor ein paar Jahren begonnen. Aber das ist okay für mich. Denn der Nachmittag ist ohnehin wunderschön.
„Weißt du, was meine Lieblingsfarbe ist?“, fragt er soeben mit schiefgelegtem Kopf.
„Nein, aber du wirst es mir gleich sagen“, erwidere ich mit zusammengekniffenen Lidern.
Damit, dass er sich vom Sessel erhebt und auf mich zukommt, hätte ich wohl nicht gerechnet. Als er vor mir in die Knie geht, halte ich den Atem an.
„Deine Augen. Kastanienbraun mit grünen Sprenkeln und manchmal auch goldenen Elementen”, haucht er und verursacht damit eine Gänsehaut an meinen Armen.
“D..das sind mehrere Farben. Das zählt nicht.”
Bei dem Gedanken daran, dass er mich gleich küssen könnte, wird mir heiß und kalt zugleich. Winterlandschaft. Kaminfeuer. Glühende Schneeflocken rieseln meinen Rücken hinab.
“Für mich ist es die einzige Farbe, die zählt.”
Benjamin kommt mir noch näher und mein Puls rast in die Höhe.
Doch just in dem Moment, bevor sich unsere Lippen auch nur berühren könnten, fällt die Haustür ins Schloss.
“Wir sind wieder zuhause”, ruft uns eine Stimme entgegen, die ich augenblicklich Julie zuordnen kann.
Tommys folgt ohne viel Abstand. “Ruhe im Obergeschoss.”
Ganz deutlich hört man, wie er ein Lachen unterdrückt. Benjamin und ich brechen ebenfalls in Gelächter aus und entfernen uns wieder ein Stückchen voneinander.
“Wir sollten runter gehen”, schlage ich vor.
“Ja, wer weiß, was sie sonst von uns denken”, fügt Benjamin scherzend hinzu.
Als ich aus dem Hängesessel krabble, stoße ich beinahe gegen Benjamins Brust, weil er keinen Schritt zurückgewichen ist. Küsst er mich jetzt doch noch?
Bereits einen Wimpernschlag später wird meine Frage beantwortet, indem er den Arm um meine Schultern legt, mich an sich zieht und mir einen Kuss auf die Schläfe drückt. Sein Bart kitzelt an meiner Wange und mittlerweile ist mir das Gefühl so vertraut, dass es im Grunde kaum zu glauben ist.
Das finale Lächeln, das wir uns schenken, zeigt mir, wie sehr wir den gemeinsamen Nachmittag genossen habe. Und ich bin immer noch aufgeregt bezüglich dem, was noch kommt. Glücklich aufgeregt.
Ich liebe die Atmosphäre die gerade herrscht 😍
Was Benjamin wohl in seiner Kindheit passiert ist? 🤔
Wer hat Lust auf ein bisschen Freundschaft und Alkohol im nächsten Kapitel? 😁
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