
》11 - Hoffnungsschimmer《
Ich versenke meinen Blick in der bernsteinfarbenen Flüssigkeit meines Whiskeyglases und presse mir die Knöchel auf den Mund.
Es ist keine Lüge, wenn ich sage, dass mir furchtbar schlecht ist. Aber der Alkohol ist nicht schuld daran. Es ist das bevorstehende Gespräch, das mir auflauert und meinen Kiefer mahlen lässt.
Tara wird mich hassen, falls sie es nicht bereits tut. Immerhin hat sie mich nach unserem Kuss weggeschickt und seitdem auch nichts mehr von sich hören lassen.
Eine Verbindung zu ihr aufzubauen war ebenfalls unmöglich. Die Sterne haben gestreikt, wollten sich offenbar nicht zu einer passenden Konstellation formen. Schlaflose Nächte und schweißtreibende Albträume haben mich seitdem verfolgt.
Ich habe mit der Berührung ihrer Lippen eine Grenze überschritten und diese Tatsache in der Sekunde erkannt, in der ich den tobenden Sturm in ihren Augen gesehen habe. Er hat all die glänzenden Herbstblätter von den Bäumen geweht und nichts als Chaos hinterlassen.
„Was ist mir dir, hm?“, reißt mich eine höhnische Stimme aus meinen Gedanken. „Angst, dass du dein Püppchen nicht flachlegen kannst?“
Ich folge dem Geräusch und blicke direkt in Elijahs belustigte Miene. Seine Augen sind so dunkel und kalt wie schwarzes Gestein.
„Halt die Klappe, Bennet“, zische ich mit zusammengebissenen Zähnen und weiß hervortretenden Knöcheln, da ich meine Hände zu Fäusten balle. „Und nenn Tara nie wieder Püppchen, sonst..“
„Sonst was?“, unterbricht er meine Drohung mit hochgezogenen Augenbrauen und verschränkten Armen. Während er ganz gelassen an der Küchentheke lehnt und genüsslich von seinem Cognac schlürft, brodelt heiße Wut durch meine Adern.
Er liebt es, mich zu provozieren und kennt meine wunde Stelle ganz genau. Am liebsten bohrt er so lange darin herum, bis ich mich nicht mehr halten kann. Doch heute muss ich mich zusammenreißen. Für meine Kleine.
Weshalb ich ihm einfach nur ein gepresstes „Fick dich“ entgegenschleudere, das er mit einem hämischen Lachen auffängt.
„Fick sie, muss es heißen“, erwidert er, immer noch spöttelnd. Ich kneife die Augen zusammen und umklammere das Glas fester mit meinen Fingern, damit es nicht an seinem Hinterkopf landet, bevor er den Raum verlassen kann.
Gott, ich hasse ihn. Ich hasse ihn so sehr.
Doch als ich wieder alleine bin, verwandelt sich die Wut in meinem Körper in unsägliche Angst. Der Whiskey in meinem Rachen schürt sie bloß, anstatt sie einzudämmen und verwandelt die Funken in meinem Inneren in ein verheerendes Flammenmeer, das mein Herz versengt.
Taras bunter Wald wird ebenso niederbrennen, wenn sie von ihrem vorbestimmten Schicksal erfährt. Und diese Erkenntnis schmerzt mehr in meiner Brust, als mir lieb ist.
Der Plan ist beschissen. Ein vorgegaukelter Urlaub mit ihrer besten Freundin in den kanadischen Wäldern, wo außer uns keine Menschenseele lebt, damit wir Zeit zusammen verbringen können? Hoffentlich grenzt das nicht an Entführung.
Das einzige, was mich beruhigt, ist die Tatsache, dass sie sich vor allem von Julie hintergangen fühlen wird. Vielleicht kann ich sie auffangen, ihr Anker in der Not sein. Doch alleine dieser Gedanke macht mich zu einem schlechten Menschen.
Julie hat einfach nur die Arschkarte gezogen. Sie darf nichts verraten, immerhin spielt das gegen die Regeln des Universums. Das ist einzig und alleine meine Aufgabe. Obgleich es ihr unsäglich schwer gefallen ist, hat sie nichts gesagt, aber viel länger hätte sie die Geheimniskrämerei nicht mehr ertragen.
Ich stöhne verzweifelt auf, als mein Blick an der Wanduhr hängen bleibt. Die beiden Mädels sollten bald in Saint-Come eintreffen und dann wird es nicht mehr lange dauern, bis sie das Chalet etwas abseits des zweitausend Einwohner Städtchens erreichen.
Unter anderen Umständen würde Tara es hier lieben. Das Holzhaus steht inmitten der unberührten Natur und ist eine Mischung aus unseren beiden Eigenheimen. Holzelemente in jedem Raum, die eine gemütliche, heimelige Atmosphäre ausstrahlen, gepaart mit großen Fenstern und zeitgemäßen Möbelstücken, die meine Villa in New Jersey widerspiegeln und dem Chalet eine moderne Note verleihen.
Ich kann mir gut vorstellen, wie Tara an dem Holztisch gegenüber von mir sitzt, wir gemeinsam Tee schlürfen und miteinander lachen. Die Wintersonne mit ihrem derzeit tiefen Stand würde durch die mannshohen Glasscheiben scheinen und ihrem Gesicht einen goldenen Teint verleihen, die grünen Sprenkel ihrer Augen würden heller leuchten als die sonnengeküssten Wipfel der Tannen.
Doch als ich Schritte und zwei Stimmen im Flur höre, verschwindet die Wärme des Himmelskörpers und eine Eiszeit macht sich breit.
Je näher wir unserem Ziel kommen, desto heftiger wird der Schneefall und desto weniger unsere Gespräche. Die Stille legt sich genauso über uns wie die weißen Flocken sich über die Landschaft.
Normalerweise kann ich stundenlang mit Julie schweigen. Wir brauchen keine Worte, um uns zu verstehen. Doch heute hinterlässt die Ruhe einen bitteren Beigeschmack in meinem Mund und verkündet mir ein weiteres Mal, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ich bin mir absolut sicher in der Annahme, dass meine beste Freundin mir etwas verschweigt.
“Warum bist du so still, Juls?”, frage ich sie deshalb mit zusammengezogenen Augenbrauen.
Dabei entgeht mir nicht, dass sich ihre schmalen Finger fester um das Lenkrad klammern, bevor sie sich ein schwaches Lächeln abringt.
“Wir sind gleich da, Tara.”
“Das ist keine Antwort auf meine Frage”, stelle ich fest und gehe gedanklich die verschiedensten Möglichkeiten ihres komischen Verhaltens durch. “Du verheimlichst mir was. Ich kann nur nicht zuordnen, was es ist und das macht mich...nervös.”
Julie lacht kurz auf. “Wenn jemand nervös sein darf, dann ich.”
Und obwohl ich nach dieser Erklärung keinen Ticken schlauer bin als zuvor, sind keine weiteren Infos aus ihr herauszubekommen, weshalb ich bloß ein bisschen zu schmollen beginne und meinen Kopf gegen die Fensterscheibe lehne, um die vorbeiziehenden Wälder zu beobachten.
Knappe dreißig Minuten später lenkt Julie unsern Pick Up von der Hauptstraße nach links, einen kleinen Waldweg hinauf, der mit einem normalen Auto bei den derzeitigen Schneemassen bestimmt nicht zu bewältigen gewesen wäre. So aber manövriert sie den Geländewagen ohne Probleme durch den Baumtunnel.
Der Anblick am Ende des Dickichts verschlägt mir prompt den Atem. Ein holzverschaltes Haus mit einer riesigen Fensterfront und einer Balkonterrasse erstreckt sich vor meinen Augen und grenzt an einen See, dessen leicht zugefrorene Oberfläche im Sonnenlicht fluoresziert.
Rund um das Anwesen recken sich gewaltige Tannen aus dem Boden und gen Himmel. Über den Wipfeln erstrecken sich die kanadischen, gletscherbedeckten Alpen und verschwinden in den Nebelschleiern, werden eins mit der weißen Wolkendecke.
Die vermeintliche Abschottung aufgrund der Naturriesen verleiht dem Ort etwas Geheimnisvolles, Zufluchtsartiges. Als wäre man hier geschützt vor jeglicher Gewalt. In Sicherheit und der einzige Mensch auf Erden.
Überwältigt von der Szenerie, die sich mir bietet, hüpfe ich aus dem Pick-Up und nehme einen tiefen Atemzug. Die klirrende Kälte dringt mir augenblicklich vor bis in alle Knochen und verwandelt meine Nase in einen schmerzenden Eiszapfen. Das war wohl zu viel des Guten.
Von Euphorie gepackt ignoriere ich allerdings die Signale meines Körpers und drehe mich mit ausgestreckten Armen im Kreis, blinzele gegen die einfallenden Sonnenstrahlen, die hier viel heller zu sein scheinen, als in New York. Die unberührt mein Gesicht erreichen, ohne vom Smog der Stadt aufgefangen zu werden.
Kleine Atemwölkchen verabschieden sich in die frostige Umgebungsluft, als ich meinen Mund öffne.
“Verdammt, Julie. Es ist so schön hier”, verkünde ich und drehe mich in die Richtung besagter Person. “Dachtest du wirklich...?”
Weiter komme ich allerdings nicht. Denn plötzlich schieben sich drei weitere Autos in mein Sichtfeld, die ich zuvor gar nicht wahrgenommen habe. Und eines davon kommt mir furchtbar bekannt vor.
Es dauert ein paar Wimpernschläge, bis ich die Realität und meine Erinnerung an den dunkelblauen Wagen vereinen kann. Doch in dem Moment der Erkenntnis schlägt mein Herz mindestens bis zu den Baumkronen.
Der Ford stand in Benjamins Garage.
“Julie”, ermahne ich meine beste Freundin und deute rechts hinter sie. “Der Wagen gehört Benjamin, oder? Was macht er hier? Und wem gehören die anderen Autos?”
Ich erkenne an ihrer Körperhaltung und der Weitung ihrer Pupillen, dass tiefe Reue durch ihre Adern fließt. Vielleicht ist mein nächster Gedanke absurd, allerdings würde ich ihn Julie definitiv zutrauen.
“Sag nicht, das hier ist so ‘ne scheiß Verkupplungsshow, bei der du mich angemeldet hast. Die sind auch immer an so schönen, abgelegenen Orten, damit man vom Zauber der Umgebung beeinflusst wird und denkt, die Liebe seines Lebens getroffen zu haben.”
Sie seufzt und lässt den Kopf hängen. Warum gibt mir ihre Reaktion das Gefühl, dass nicht sie, sondern ganz andere Umstände für all das hier verantwortlich sind? Ich kenne Julie gut und lange genug, um zu wissen, was ihrem Köpfchen entsprungen ist. Das hier gehört meinem Bauchgefühl nach nicht dazu.
“Nicht ganz. Versprich mir bitte, in der nächsten halben Stunde nicht auszurasten. Wir sind sozusagen nur die Überbringer der Nachricht. Niemand kann etwas dafür, okay Süße?”
Ich nicke wie mechanisch, obwohl ich im Grunde nicht sonderlich einverstanden mit der ganzen Situation bin. Ich mag es nicht, wenn jemand über mein Leben bestimmt. Aber für Juls mache ich die Ausnahme gerne oder versuche es zumindest.
Allerdings brennt mir eine wichtige Frage auf der Zunge. “Wer ist ‘wir’?"
Meine Reisepartnerin deutet mit ihrem Arm Richtung Eingang des Chalets. “Nach dir.”
Mit zitternden Knien und einem leichten Druckgefühl in der Brust stapfe ich durch den wadenhohen Schnee. Ich schlucke, als meine Finger die Türklinke erreichen und nach unten drücken. Und in dem Moment, in dem ich über die Schwelle ins Innere der Almhütte trete, weiß ich, dass es kein Zurück mehr gibt.
Der Duft von Zirbelkiefer mit einem Hauch Zitrone erreicht meine Sinne. Mein Gehirn assoziiert den Geruch sofort mit den Duftstäbchen in Mamas Badezimmer, weshalb mir ein kalter Schauer den Rücken hinabläuft, obwohl es mit meiner dicken Kleidung hier drin ziemlich schnell warm wird. Ich lege sie in der weitläufigen Garderobe ab, bevor ich nach Julies Hand greife, die noch kälter ist als die meine. Schwitzig sind sie jedoch beide und das schenkt mir zumindest ein kleines Fünkchen Mut.
“Muss ich Angst haben?”, flüstere ich ihr zu und sauge die Unterlippe zwischen meine Zähne.
“Ich möchte nicht lügen”, erwidert sie und senkt kurz die Lider, bevor sie mir tief in die Augen blickt. “Du darfst Angst haben. Aber sei trotzdem offen und lass es auf dich wirken, okay?”
Ein paar Würmer, die sich offenbar vor ein paar Wochen in meiner Magengegend eingenistet haben, melden sich zu Wort. Ich schlucke das Unbehagen hinunter und nicke. “Ich versuch’s.”
“Okay, dann los”, sagt Julie und so schreiten wir gemeinsam in den nächsten Raum. Liebend gern würde ich mir die Baustruktur des Gebäudes zu Gemüte führen sowie die stilvolle Einrichtung, eine Mischung aus antik und modern, in mich aufsaugen, doch die Person am Esstisch, deren Augen auf mich gerichtet sind, zieht all meine Aufmerksamkeit auf sich.
In Benjamins Iriden tobt ein Wirbelsturm. Ebenjener wie nach unserem Kuss. Rotierende Schuttasche auf seiner Regenbogenhaut und tiefe Schatten unter seinem Wimperkranz. Angst tanzt über seine Mimik und durch meine Brust.
“Du bist da”, haucht er und ein Funken Hoffnung erhellt plötzlich seinen Blick, erwärmt den Bereich um mein Herz.
“Das sollten eigentlich meine Worte sein”, erwidere ich und kann nicht anders, als zu schmunzeln.
Wenn ich bloß gewusst hätte, wie schnell mir das Lachen vergehen würde und wie rapide sich ein Funken Hoffnung in ein versengendes Feuer verwandeln kann.
Das Kapitel ist ein bisschen kürzer, aber ich habe mich spontan dazu entschieden es zu trennen (und deshalb heute schon hochzuladen), weil das kommende Gespräch sonst den Rahmen sprengen würde 🤭
Ich hoffe ihr freut euch auf das, was jetzt kommt. Bald werden ganz viele Geheimnisse gelüftet 😌
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