-20-
Die Welt fühlte sich neu an.
Anders.
Als ob ich zum ersten Mal wirklich lebte und doch hatte ich das Leben, das ich kannte, hinter mir gelassen. Ich war nicht mehr dasselbe.
Aber ich war auch nicht allein.
Ni-ki stand neben mir, seine Präsenz war beruhigend und unerschütterlich.
Er wirkte nicht wie ein Meister, nicht wie jemand, der mich in diese Welt gezerrt hatte.
Nein, ich hatte ihn gebeten, mich zu verwandeln. Ich hatte ihn fast angefleht.
Und jetzt war ich hier - wiedergeboren, aber mit ihm an meiner Seite.
„Es fühlt sich immer noch unwirklich an", sagte ich leise und ließ meinen Blick über die Stadt schweifen, die unter uns in der Dunkelheit lag.
Ni-ki sah mich mit einem Blick an, der schwer zu deuten war.
„Es wird mit der Zeit vertrauter. Aber es wird nie wieder so sein wie früher. Das weißt du, oder?"
Ich nickte.
Natürlich wusste ich das.
Ich hatte gewusst, dass ich mich von meinem alten Leben verabschiedete, als ich ihn darum gebeten hatte, mich zu verwandeln.
Aber ich hatte es trotzdem getan. Nicht nur, weil ich das Sterben gefürchtet hatte, sondern weil ich spürte, dass in diesem neuen Leben etwas auf mich wartete, das ich in meinem alten niemals hätte erreichen können.
Wir waren jetzt unausweichlich miteinander verbunden.
Nicht, weil er mich ausgewählt hatte, sondern weil unsere Schicksale sich ineinander verwoben hatten, in jenem Moment, als ich ihm das Leben zurückgegeben hatte.
„Was jetzt?" fragte ich leise.
Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.
„Jetzt lernst du zu leben - wirklich zu leben. Die Welt ist nicht mehr die gleiche wie vorher. Sie gehört dir. Die Nacht gehört uns. Und ich werde dir zeigen, was es bedeutet, frei zu sein."
Es war nicht nur ein Versprechen.
Es war eine Einladung.
Ni-ki bewegte sich mit einer Anmut, die fast übernatürlich war, hin zur Kante des Daches.
Seine Silhouette zeichnete sich gegen die Lichter der Stadt ab, und für einen Moment war er mehr Schatten als Mensch.
„Hör zu", sagte er und schloss die Augen.
Ich konzentrierte mich, versuchte, zu verstehen, was er meinte.
Und dann hörte ich es - das Herzklopfen der Stadt.
Jedes Geräusch, das Rauschen des Windes, das entfernte Murmeln von Stimmen, das pulsierende Leben in den Straßen darunter.
Es war überwältigend, aber es fühlte sich richtig an, als ob ich einen Teil von mir entdeckte, den ich nie gekannt hatte.
„Das bist jetzt du, Jungwon", sagte Ni-ki und öffnete die Augen wieder. „Du bist nicht länger ein Zuschauer. Du bist Teil davon - und doch stehst du über allem. Du kannst nehmen, was du willst. Du kannst sein, wer du willst. Alles, was du brauchst, ist hier draußen."
Ich spürte, wie eine neue Energie in mir aufstieg, ein Hunger, der nicht nur körperlich war.
Es war ein Verlangen, diese neue Welt zu entdecken, sie zu begreifen - und sie zu erobern.
„Aber ich bin nicht allein", sagte ich schließlich.
Ni-ki sah mich an, und in seinem Blick lag eine Mischung aus Zuneigung und Unnachgiebigkeit. „Nein, Jungwon. Du bist nicht allein. Nicht mehr. Was auch immer kommen mag, wir stehen zusammen. Die Nacht gehört uns beiden."
Die Worte fühlten sich wie ein Schwur an.
Kein Befehl, kein Zwang - sondern eine gegenseitige Verbindlichkeit.
Ich trat neben ihn an die Kante des Daches.
Die Stadt lag vor uns wie ein Ozean aus Licht und Schatten, endlos und voller Möglichkeiten. Und zum ersten Mal in meinem Leben - oder meinem neuen Leben - fühlte ich mich wirklich frei.
Die Nacht war unser Spielplatz, und wir würden sie gemeinsam erobern.
Die Stadt lebte, doch die Geräusche und Bewegungen um uns herum verschwammen.
Es war, als ob nur wir existierten, als ob die Dunkelheit uns von der Welt abgetrennt hatte.
„Ni-ki", begann ich zögerlich.
Seine Gestalt wirkte im Schein der fernen Straßenlichter wie eine schattenhafte Silhouette.
„Warum hast du mich erst abgewiesen?"
Er blieb stehen.
Langsam drehte er sich zu mir um, und sein Blick war schwer zu deuten - tief, fast melancholisch, als ob er in eine Vergangenheit zurücksah, die nur er verstehen konnte.
„Du meinst... warum ich dich nicht sofort verwandelt habe?"
Seine Stimme war leise, doch in ihr lag eine Schwere, die mich innehalten ließ.
Ich nickte.
Es war eine Frage, die mich quälte, seitdem ich in dieser neuen Existenz erwacht war.
Warum hatte er gezögert, mich zu retten, obwohl ich ihn darum angefleht hatte?
Ni-ki trat näher, bis er direkt vor mir stand.
Sein Blick ruhte auf meinem Gesicht, durchdringend und doch sanft, als ob er in mir etwas suchte, das nur er sehen konnte.
„Weil ich deine Seele sehen konnte", sagte er schließlich.
Seine Worte ließen mein Herz - oder das, was davon übrig war - schneller schlagen.
„Meine Seele?" wiederholte ich, unsicher, was er meinte.
„Ja", sagte er und legte den Kopf leicht schräg, als ob er versuchen würde, sich zu erinnern.
„In dir war etwas... Reines. Etwas, das ich nicht zerstören wollte."
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also ließ ich ihn weitersprechen.
„Jungwon... Als ich dich zum ersten Mal sah, warst du anders. Deine Augen..."
Er machte eine kurze Pause und sah mir direkt in die Augen, als ob er die Reinheit, von der er sprach, immer noch dort sehen konnte.
„Sie waren dunkel und doch so klar. Als ob deine Seele hindurchschimmerte. Es war, als ob die Welt ihre Unschuld verloren hätte, doch du hattest sie behalten. Du warst wie ein Engel in Menschengestalt."
Seine Worte ließen mich den Atem anhalten.
Es war, als ob er mich in einer Art sah, die ich selbst nie wahrgenommen hatte.
„Deine Reinheit, deine Treue... sie war wie ein Licht in dieser Dunkelheit, die mich umgab. Ich wollte dich nicht in diese Welt ziehen, in der Blut und Tod uns regieren. Ich wollte, dass du dein Leben lebst, dass du glücklich bist, dass du deine Menschlichkeit behältst."
Er hob eine Hand, zögerte, und berührte schließlich sanft mein Gesicht.
„Du warst wie ein wunderschönes Kunstwerk - gefangen hinter dieser glatten, makellosen Haut. Eine reine Seele, die durch deine Augen sichtbar war. Und ich... ich konnte es nicht ertragen, dich mit diesem Verlangen, mit dieser Dunkelheit zu beschmutzen."
Seine Worte lasteten schwer auf mir. Ich hatte nie gewusst, dass er so über mich dachte.
„Aber warum dann?" flüsterte ich schließlich.
„Warum hast du es doch getan?"
Sein Blick wurde weicher und er ließ seine Hand sinken.
„Weil du mich befreit hast. Weil du mich nicht nur von meiner Gefangenschaft, sondern auch von meiner Einsamkeit gerettet hast. Und weil du mich darum gebeten hast."
„Aber du wolltest nicht."
„Nein", sagte er, und sein Ton war ernst.
„Ich wollte nicht. Aber ich konnte dich auch nicht verlieren. Du hast mir eine Wahl gelassen, die keine war. Und jetzt, wo du hier bist..."
Seine Stimme brach fast, doch er fing sich schnell.
„Jetzt werde ich dafür sorgen, dass du es nicht bereust."
Ich sah ihn an, und in diesem Moment wusste ich, dass er die Wahrheit sprach.
Er hatte mich nicht verwandelt, weil er es wollte.
Sondern weil er es musste.
„Ni-ki..."
Ich wollte etwas sagen, wollte ihm danken, aber die Worte blieben mir im Hals stecken.
Er trat zurück und sah wieder in die Dunkelheit hinaus.
„Jetzt ist es zu spät, darüber nachzudenken, Jungwon. Du bist hier. Und wir beide sind nicht mehr allein."
Seine Worte trugen eine endgültige Note, doch in ihnen lag auch ein Versprechen.
Egal, wie schwer dieser Weg sein würde - er würde an meiner Seite sein.
Und in diesem Moment wusste ich, dass ich nicht bereuen würde, was geschehen war.
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