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Der Raum hielt den Atem an – und ich mit ihm.
Kein Laut, keine Bewegung, nur die Dunkelheit, die schwer auf meinen Schultern lag.
Mein Blick war wie gefangen auf dem Sargdeckel, auf dem sich der Bluttropfen ausgebreitet hatte wie ein kleiner, pulsierender See.
Dann geschah es.
Ein Ruck, kaum mehr als ein Zittern, und der Deckel bewegte sich.
Meine Taschenlampe zitterte in meiner Hand, als ich das Holz beobachtete, das langsam zur Seite glitt.
Kein Knarren, kein Geräusch, nur eine fließende Bewegung, so leise, dass sie unmöglich sein sollte.
Und dann sah ich ihn.
Zuerst waren es nur die Hände.
Blass, fast durchscheinend, mit schlanken Fingern, die auf der Innenseite des Sargs ruhten, als hätte er nur geschlafen.
Seine Haut schimmerte, als wäre sie aus Marmor, fein geädert und makellos.
Die Nägel waren kurz und sauber, ein Detail, das mich aus irgendeinem Grund verwirrte.
Dann hob sich sein Gesicht ins schwache Licht.
Mein Atem stockte.
Er war schön.
Unfassbar schön.
Seine Züge waren scharf, als hätte ein Künstler sie aus feinstem Marmor gemeißelt, mit einer Präzision, die über menschliches Können hinausging.
Hohe Wangenknochen, ein geradezu perfekter Kiefer, und Lippen, die so weich und voll wirkten, dass ich mich ertappte, wie ich unwillkürlich meine eigenen zusammenpresste.
Seine Augen waren geschlossen, die langen, dunklen Wimpern ein scharfer Kontrast zu seiner blassen Haut.
Er sah aus, als wäre er mitten in einem Traum gefangen – und ich war der Eindringling, der ihn geweckt hatte.
Ich trat unwillkürlich näher.
Mein Herz raste, nicht vor Angst, sondern vor einem seltsamen, unerklärlichen Gefühl der Ehrfurcht. Jede Linie, jeder Schatten in seinem Gesicht schien mich anzuziehen.
Er war kein Mensch, das war klar – aber gleichzeitig wirkte er so lebendig, dass ich es kaum begreifen konnte.
Seine Kleidung war alt, aber nicht zerfallen.
Ein dunkles Hemd, das eng an seinem Oberkörper lag, und ein Mantel aus schwerem Stoff, der ihn fast wie eine Gestalt aus einem anderen Jahrhundert wirken ließ.
Er war Ruhe, Eleganz – und ein Geheimnis, das mich wie ein Sog erfasste.
Plötzlich bewegten sich seine Finger. Nur ein leichtes Zucken, aber es reichte, um meine Haut prickeln zu lassen.
Sein Brustkorb hob und senkte sich einmal, tief und schwer, als würde er zum ersten Mal seit einer Ewigkeit wieder atmen.
Ich hielt den Atem an, als er schließlich die Augen öffnete.
Zwei schimmernde, tiefdunkle Pupillen, fast schwarz, aber mit einem seltsamen Glanz, der sich wie flüssiges Silber über sie legte.
Sein Blick traf meinen – und in diesem Moment gab es nichts anderes mehr.
Kein Fluchtreflex, keine Angst. Nur Faszination.
Seine Lippen öffneten sich leicht, als wolle er etwas sagen, doch er sprach nicht.
Stattdessen fixierte er mich und ich konnte den Ausdruck in seinen Augen nicht deuten.
Es war keine Bedrohung.
Es war etwas anderes, etwas Tieferes, das mich wie ein unsichtbares Band festhielt.
Ich wollte etwas sagen, irgendetwas, doch mein Mund war trocken. Stattdessen blieb ich stehen und beobachtete, wie er sich langsam aufsetzte, mit einer Eleganz, die beinahe übernatürlich war.
Sein Blick ließ mich keine Sekunde los, und ich spürte, wie mein Herz in meiner Brust hämmerte – nicht vor Furcht, sondern vor der seltsamen, unheimlichen Nähe dieses Wesens.
Und dann sprach er.
Seine Stimme war tief, weich und rau, wie ein Flüstern, das die Stille durchbrach.
"Du hast mich geweckt."
Die Worte schwebten zwischen uns, und obwohl sie keine Frage waren, fühlte es sich an, als würde er eine Antwort erwarten.
Ich nickte, ohne nachzudenken, völlig unter seinem Bann.
Ich hatte keine Ahnung, wer – oder was – er war.
Aber ich wusste eines: Ich konnte nicht zurück. Nicht mehr.
Er starrte mich noch immer an, ohne ein einziges weiteres Wort zu sagen, und dennoch schien sein Blick in mir zu wühlen, Schicht um Schicht.
Dann bewegte er sich.
Langsam, fast lautlos, hob er eine Hand an den Rand des Sargs und richtete sich auf.
Die Art, wie er sich bewegte, war … nicht von dieser Welt.
Es war wie ein Tanz, geschmeidig und präzise, ohne Eile, ohne Zögern.
Jeder Muskel unter seiner blassen Haut wirkte, als wäre er dafür geschaffen, diese Bewegungen auszuführen – perfekt, mühelos, wie ein Raubtier, das aus dem Schlaf erwacht.
Ich konnte den Blick nicht von ihm abwenden, als er sich aus dem Sarg erhob. Zuerst kamen seine Schultern, breit und stark, die noch mehr von diesem dunklen, schweren Stoff umhüllt waren, der irgendwie zeitlos wirkte.
Dann seine Taille, schlank, und schließlich seine Beine, die ihn mit einer Anmut trugen, die beinahe unnatürlich war.
Der Sarg hätte ihn einschränken müssen.
Niemand hätte so elegant aus diesem engen, steinernen Käfig steigen können.
Aber er - er schien sich der Begrenzung nicht einmal bewusst zu sein.
Als er endlich ganz vor mir stand, war es, als hätte der Raum sich verändert. Er war groß, beinahe einschüchternd, aber seine Präsenz war mehr als nur körperlich.
Es war etwas an ihm, das mich gleichzeitig kleiner und bedeutender fühlen ließ, als wäre ich der einzige Grund, warum er hier war.
Seine Kleidung schimmerte matt im Licht meiner Taschenlampe – dunkle, glatte Stoffe, die ihm perfekt passten, obwohl sie so fremdartig wirkten.
Um seinen Hals lag ein dünnes, silbernes Kettchen, das wie eine unsichtbare Linie zwischen uns zu pulsieren schien.
Er blieb stehen, einen Schritt entfernt, so nah, dass ich die Kälte spüren konnte, die von ihm ausging.
Es war keine Kälte wie draußen, keine, die unangenehm oder abweisend war.
Es war eine, die ein Prickeln auf meiner Haut hinterließ, eine Kälte, die mich an eine dunkle Tiefe erinnerte, in die ich fallen wollte.
"Wer bist du?"
Meine Stimme klang rau, fast fremd in meinen eigenen Ohren.
Es war das Erste, das ich herausbrachte, obwohl mein Kopf voller Fragen war.
Er neigte den Kopf leicht zur Seite, als würde er über meine Worte nachdenken.
Dann trat er einen Schritt näher.
Sein Gesicht war jetzt so nah, dass ich jedes Detail sehen konnte – die fast unsichtbaren bläulichen Linien unter seiner Haut, die kleinen Falten in seinen Lippen, die nicht lächelten, aber auch nicht kalt waren.
"Ni-ki", sagte er leise, und sein Atem – falls er überhaupt atmete – schien die Luft um mich herum zu bewegen. Sein Name klang wie ein Versprechen, wie eine Einladung.
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte.
Alles an ihm fühlte sich unmöglich an, und doch war er hier, greifbar, real.
Plötzlich senkte er den Blick und betrachtete meine Hand.
Erst da bemerkte ich, dass ich sie immer noch leicht ausgestreckt hielt, die Wunde an meinem Finger kaum sichtbar, aber noch frisch.
Er hob seine eigene Hand, langsam, vorsichtig, wie ein Tier, das sich an einen Fremden herantastet.
Seine Fingerspitzen waren eiskalt, als sie meine berührten.
Es war kein fester Griff, nur ein sanfter Druck, der meinen Atem anhielt.
"Dein Blut", murmelte er, und in seinen Augen blitzte etwas auf.
Aber es war kein Hunger, keine Gefahr.
Es war … Neugier.
Fast wie bei mir.
Ich nickte stumm, unfähig, etwas zu sagen, als er meinen Finger drehte und die kleine Wunde betrachtete. Seine Berührung war so leicht, dass ich sie kaum spürte, und doch jagte sie mir einen Schauer über den Rücken.
Dann ließ er meine Hand los und sah mir wieder direkt in die Augen.
"Du hast keine Angst", sagte er leise, als hätte er es gerade erst bemerkt.
"Nein", flüsterte ich, ohne nachzudenken.
"Sollte ich?"
Seine Lippen zuckten, nicht ganz zu einem Lächeln, aber fast.
"Vielleicht", antwortete er, und für einen Moment schien etwas Dunkles in seinem Blick zu flackern.
Doch es war genauso schnell wieder verschwunden.
Ni-ki trat zurück, ließ die Hand sinken, und obwohl er nichts sagte, wusste ich, dass er eine Grenze zog – eine, die ich nicht überschreiten sollte.
Aber ich wollte es. Oh, wie ich es wollte.
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