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Der Wind schnitt wie Messer durch die kahlen Äste über mir.
Ich zog meine Jacke fester um mich, aber es half nicht wirklich. Irgendetwas an diesem Ort ließ die Kälte tiefer gehen, als es nur das Wetter konnte – sie setzte sich in meinen Knochen fest.
"Warum tust du das, Jungwon?", flüsterte ich mir selbst zu, während ich den schmalen Pfad entlangging, der von verwelkten Blättern bedeckt war.
Jeder Schritt hallte in der unheimlichen Stille wider.
Es war albern, wirklich.
Ich hätte einfach nach Hause gehen können. Den Geschichten glauben, die man sich im Dorf über das Herrenhaus erzählte.
Aber irgendetwas zog mich her. Vielleicht war es bloß Neugier, vielleicht der Gedanke, dass ich die Wahrheit selbst herausfinden musste. Oder vielleicht war es diese seltsame Träumerei, die mich seit Wochen nicht losließ: ein altes Haus, ein dunkler Raum, ein Blick, der mich durchbohrte.
Als ich schließlich aus dem Schatten der Bäume trat, blieb ich stehen.
Da war es – das Herrenhaus. Größer, als ich erwartet hatte, aber genauso verfallen wie die Geschichten beschrieben hatten.
Der Efeu hatte die Mauern fast vollständig verschlungen, das Dach war an mehreren Stellen eingestürzt, und die Fenster starrten leer in die Dunkelheit.
Ich hätte umkehren sollen.
Jede Faser meines Körpers schrie danach. Aber meine Füße bewegten sich wie von selbst, Schritt für Schritt, näher an den Eingang.
Die Tür war schwer, morsch, und als ich sie aufschob, knackte das Holz wie ein warnender Schrei.
Dahinter war es still – eine bedrückende, überwältigende Stille, die mich fast umwarf.
Doch diese Stille erzählte eine Geschichte.
Es war, als hätte das Haus all die Schreie, das Flüstern und die Verzweiflung der Vergangenheit in sich aufgesogen.
Jede morsche Diele, jede zerbrochene Fensterscheibe sprach von Leben, das hier einmal gewesen war – und von etwas, das es ausgelöscht hatte.
Ich spürte, wie meine Kehle trocken wurde, obwohl die Luft feucht war.
Es war nicht die Stille, die mir Angst machte. Es war das, was sie verbarg. Ein dumpfes Gefühl kroch in meinen Magen, so schwer, dass ich kaum atmen konnte.
Ich machte einen weiteren Schritt hinein, und das Knarren des Bodens unter meinen Schuhen fühlte sich an, als hätte ich etwas geweckt.
Der Geruch von Staub und Moder war so stark, dass ich unwillkürlich die Luft anhielt.
Ich wusste nicht, warum ich weitermachte.
Ich wusste, dass es falsch war, hier zu sein. Aber meine Hände zitterten vor Aufregung, als ich eine Taschenlampe aus meiner Jackentasche zog und sie einschaltete. Der Strahl schnitt durch die Dunkelheit und zeigte den verstaubten Boden, abgerissene Tapeten und geborstene Möbel.
Dann, plötzlich, hörte ich es.
Ein leises Tropfen, irgendwo tief im Haus.
Es hallte in der Stille wider, gleichmäßig und rhythmisch.
Tropf. Tropf. Tropf.
"Nur eine alte Wasserleitung", murmelte ich, mehr zu meiner eigenen Beruhigung, obwohl ich es selbst nicht glaubte.
Mein Herz raste, als ich tiefer in das Haus ging, dem Geräusch folgend.
Der Tropfen führte mich in einen Raum, der sich seltsam anders anfühlte als die anderen.
Es war kalt – eisiger, als es draußen gewesen war.
Und in der Mitte des Raumes, auf einem Podest aus Stein, lag ein Sarg – ein Anblick, der so grotesk wie faszinierend war.
Der Sarg war aus dunklem, fast schwarzem Holz gefertigt, das von der Zeit gezeichnet war.
Die Oberfläche war mit feinen, eingeritzten Mustern überzogen, die wie Ranken wirkten, aber bei genauerem Hinsehen seltsam lebendig schienen – als würden sie sich in der Dunkelheit bewegen. Zwischen den Schnitzereien blitzten Metalleinsätze hervor, die wie Silber wirkten, doch das Licht meiner Taschenlampe schimmerte darauf mit einem unheimlichen, blutroten Ton.
Die Kanten des Sargs waren mit filigranen Gravuren verziert, die alte Symbole oder Schriftzeichen darstellten, die ich nicht deuten konnte.
Sie schienen älter als alles, was ich je gesehen hatte, und doch wirkte ihr Glanz unberührt.
An den Ecken befanden sich Metallbeschläge in Form von Raubtierkrallen, die das Podest umklammerten, als hielten sie den Sarg in seinem Gefängnis fest.
Am auffälligsten war jedoch der Deckel.
Er war glatt und makellos, bis auf einen einzelnen Riss, der diagonal durch die Mitte verlief.
Es war, als hätte jemand versucht, den Sarg zu öffnen, doch die Kraft, die darin ruhte, hatte ihn unversehrt bewahrt – abgesehen von diesem kleinen Makel, der wie eine Schwachstelle wirkte.
Trotz seines Alters und des Verfalls um ihn herum strahlte der Sarg eine seltsame Präsenz aus.
Er wirkte nicht wie ein Überbleibsel der Vergangenheit, sondern wie etwas, das auf seinen Moment wartete.
Etwas, das noch lebendig war.
Mein Atem stockte.
Ein Sarg? Hier?
Wer ließ so etwas einfach zurück?
Ich wollte umdrehen, das schwöre ich.
Aber da war etwas an diesem Raum, an diesem Sarg.
Etwas, das mich nicht wegließ.
Meine Hand zitterte, als ich sie ausstreckte.
Kaum hatte ich den kalten Deckel berührt, zuckte ich zurück.
Ein scharfer Schmerz zog blitzartig über meinen Finger – so schnell und fein, dass ich ihn kaum registrierte. Verwirrt hielt ich meine Hand hoch, und da sah ich es: eine kleine, dünne Linie, die sich wie ein Riss über meine Haut zog.
Blut quoll langsam hervor, zunächst kaum mehr als ein dunkler Punkt, der sich gegen die Blässe meiner Haut abhob.
Dann wuchs er, schwer und voll, ein Tropfen von tiefem, lebendigem Rot. Es war ein Rot, das nicht normal wirkte – intensiver, fast leuchtend in der Dunkelheit des Raumes, wie ein flüssiger Rubin.
Ich konnte nicht wegsehen, wie er sich formte, immer größer wurde, bis er zitternd am Rand des Schnitts hing. Für einen Moment schien er zu schweben, als hätte die Schwerkraft vergessen, ihn zu beanspruchen. Doch dann, schwer von seinem eigenen Gewicht, löste er sich.
Der Tropfen fiel in einer perfekten, lautlosen Bewegung, als hätte die Zeit für einen Augenblick angehalten.
Im schwachen Licht meiner Taschenlampe zog er eine dünne Spur durch die Luft, ein schimmernder, roter Faden, der den Raum teilte.
Mit einem leisen Plopp traf er den Deckel des Sargs.
Das Geräusch war kaum hörbar, und doch hallte es in meinen Ohren nach wie ein Donner.
Es fühlte sich an, als hätte der Raum den Atem angehalten.
Dann, ganz langsam, begann der Tropfen, sich auf der glatten Oberfläche des Sargs auszubreiten – wie ein Herzschlag, der etwas Tiefes und Altes erweckte.
Ein Tropfen. Direkt vor mir.
Mein Blick folgte dem Geräusch, und ich sah ihn.
Blut.
Ein winziger Tropfen, rot und lebendig, der von irgendwoher fiel und auf den Sargdeckel tropfte.
Bevor ich reagieren konnte, bewegte sich der Sargdeckel.
Und dann war alles still.
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