IV.*
Kapitel 4
„Also, da ich vorhin so viele Informationen über mich preisgegeben habe, finde ich, dass du mir jetzt etwas über dich erzählen solltest. Nicht, dass ich gerade einen Serienkiller in meiner Wohnung schlafen lasse", begann Charlie eine mehr oder weniger anständige Konversation, als wir in den Flur traten und er die Tür hinter uns zuzog. Wir machten uns bereits auf den Weg zu Charlies Freundin, die, wie ich herausgefunden hatte, eine Hackerin war.
Ich warf Charlie einen ungläubigen Blick zu, als wir begannen, die Treppen herunterzulaufen. Warum gab es hier nur keinen Aufzug? „Du hast mir dein Alter verraten, mehr nicht", verlautete ich vorwurfsvoll und verdrehte die Augen. „Außerdem, wenn du etwas über mich herausfinden möchtest, dann lies doch einfach die schönen Beiträge in all den Klatschzeitschriften."
Vor allem kurz vor der Hochzeit war mein Leben ein überaus interessantes Thema gewesen. Sie suchten krampfhaft nach Skandalen, was bei mir jedoch keineswegs funktionierte, da ich mich sehr gut von diesen fernhalten konnte. Eigentlich galt dies für meine gesamte Familie. Der letzte große Skandal war durch Onkel Ludwig verursacht worden, als getwittert hatte, dass er schwul sei, woraufhin er die Hälfte meiner Familie beleidigt hatte und ausgewandert war. Und das war schon ein paar Jahre her gewesen.
„Oh glaub mir, ich weiß schon von deinem womöglich geheimen Verehrer Bescheid und, dass du wahrscheinlich schwanger bist und deswegen die Hochzeit so abrupt kam", bemerkte Charlie daraufhin ironisch, doch mit einer Ernsthaftigkeit, die mich zum Lachen brachte.
„Du darfst bitte nicht vergessen, dass ich allergisch auf alte Männer reagiere und Fett abgesaugt bekomme", meinte ich spielerisch, als wir gerade das Haus verließen und nach draußen traten.
„Oh, von letzterem wusste ich noch nichts", überlegte Charlie daraufhin, während wir die Wiese überquerten und ein anderes Haus ansteuerten.
„Nicht? Kam eine Woche nach der Schwangerschaft, weil ich plötzlich wieder dünn war. Dass es sowas wie zu- und abnehmen gibt, scheint denen nicht in den Sinn zu kommen. Aber mal im Ernst, woher weißt du das alles?" Die Vorstellung von Charlie, der Klatschzeitschriften liest, war schlichtweg zu skurril für mich. Es passte vor allem nicht zu den vielen Büchern in seiner Wohnung, die fast alle Krimis oder Klassiker waren, wie ich festgestellt hatte.
„Ich arbeite bei Müller. Beim Einsortieren der Zeitschriften fällt einem manch eine Schlagzeile eben auf. Wenn mir sehr langweilig ist, lese ich den Scheiß sogar manchmal, weil mein Kollege die überall rumliegen lässt. Aber jetzt mal im Ernst, erzähl mir bitte etwas, das wirklich stimmt."
„Du arbeitest bei Müller?", wollte ich verwundert wissen. Ich wusste zwar nicht, was ich erwartet hatte, doch das überraschte mich komischerweise.
Charlie zuckte mit den Schultern. „Ja, es ist eine sehr erfüllende Arbeit." Ich lächelte auf seinen sarkastischen Kommentar hin, erwiderte aber erstmal nichts. Nach einer kurzen Pause seufzte ich jedoch und meinte:
„Also gut. Schwanger bin ich nicht. Zu jung zum Heiraten aber definitiv. Verdammt, ich hätte wissen sollen, dass 21 kein gutes Alter ist! Naja, ich kam vor einem Jahr von meiner einjährigen Weltreise zurück, wie ich eigentlich auch der Presse erklärt hatte, aber manche glauben immer noch, ich wäre in der Reha gewesen. Geplant war es, dass ich demnächst mit einem BWL-Studium beginne, aber wer weiß, ob ich es rechtzeitig schaffe. Eigentlich ist es aber mein großer Traum, Medizin zu studieren, der jedoch zerstört ist, da ich irgendwann die Firmen übernehmen muss, immerhin ist-" Ich brach ab und presste meine Zähne aufeinander. Es ward definitiv keine gute Idee, ihm etwas zu erzählen.
Charlie musterte mich aufmerksam, als wir gerade auf die Tür des Gebäudes, welches wohl unser Ziel war, zuliefen. Er sagte jedoch nichts, was mich nervös machte. Ich schluckte und versuchte schließlich, die Situation zu überspielen, indem ich sagte: „So, dank dieser deutlich höheren Menge an Informationen, als du sie mir gegeben hast, wirst du jetzt hoffentlich wissen, dass du keinen Serienmörder bei dir schlafen lässt." Erschöpft seufzte ich und warf einen kurzen Seitenblick zu Charlie, der jedoch weiterhin nichts sagte, was mich noch nervöser machte.Was war nur los mit ihm?
Doch zu meinem Glück ergriff Charlie endlich das Wort, als wir gerade ankamen und Charlie die Klingel betätigte, auf der stand: M. Winter. Er drehte mich zu mir und sagte: „Ich hasse Pflanzen." Ein kleiner, unbedeutender Satz, doch komischerweise war er mir unglaublich wichtig. Denn es zeigte, dass Charlie Rücksicht auf meine Situation nahm und wohl verstand, dass es leichter für mich war, ihm zu vertrauen, wenn ich ihn kannte.
„Pflanzen?", fragte ich schmunzelnd nach, während ich von innerhalb des Hauses Schritte hörte. Man konnte die Tür wohl nicht mechanisch öffnen?
„Mir ist mal ein Kaktus verschimmelt. Danach habe ich es aufgegeben." Ich hatte gerade so noch Zeit, auf Charlies Aussage hin zu lachen, da öffnete sich die Tür und eine große, schlanke Frau blickte uns entgegen. Sie strahlte uns an, sobald sie Charlie erblickte und sagte: „Oh Charlie, ich wusste nicht, dass du kommst."
„Ja, das weiß Rita auch nicht, du hättest es also nicht wissen können. Lucie, das ist Victoria, Victoria, dass ist Lucie", stellte er uns schließlich vor, als wir eintraten und die Treppe hochliefen.
Lucie, die noch sehr jung aussah, lächelte mich freundlich an und fragte: „Du bist aber nicht etwa Charlies Freundin oder? Rita meinte, dass sie ihn noch nie mit einer festen Freundin erlebt hat und sich das auch überhaupt nicht vorstellen kann, weil er die unleidlichste Person überhaupt sei. Ich muss sagen, dass ich letzteres nicht behaupten würde, aber naja, wir kennen uns auch nicht so gut."
Perlex starrte ich Lucie an und schmunzelte über die Art, wie sie redete. Sie war definitiv noch jung. Ich würde sogar behaupten, dass sie noch nicht volljährig sein könnte, denn ihr schmales Gesicht war sehr kindlich. „Ähm nein, ich bin nicht Charlies Freundin, aber unleidlich ist er tatsächlich", erklärte ich zaghaft lächelnd, was Charlie dazu brachte, amüsiert zu schnauben.
„Victoria ist in einer kleinen Notsituation und ich helfe ihr", hing er daraufhin schmunzelnd an. ,,Und ich sollte devinitiv mal mit Rita darüber reden, dass sie aufhören soll, kleinen Kindern Blödsinn über mich zu erzählen." Wir steuerten im zweiten Stock die rechte der zwei Türen an, die bereits geöffnet war.
„Hey, ich bin volljähig und seit neustem mit einem Abi ausgestattet, hör endlich auf, mich kleines Kind zu nennen, immerhin ist bei dir nicht mal irgendein Schulabschluss in der Tasche", beschwerte sich daraufhin Lucie, als wir gerade in die Wohnung traten, die vom Schnitt her ähnlich der von Charlie war. Charlie hatte gar keinen Schulabschluss? Wie war es dann überhaupt möglich, dass er bei Müller arbeitete?
„Rita hat auch keinen Schulabschluss und der geht es gut. Mal so nebenbei bin ich trotzdem zwei Jahre älter als du", konterte Charlie, während wir beide unsere die Schuhe auszogen. Ich fühlte mich immer noch sehr unwohl in diesem Outfit, vor allem, da Lucie sehr künstlerisch wirkte und auch stilvoll angezogen war. Aber damit musste ich wohl klarkommen, bis ich andere Kleidung hatte.
Lucie zuckte gleichgültig mit den Schultern und bemerkte: „Wenn Rita es gerade braucht, hat sie mal schnell ein Diplom, egal auf welchem Gebiet." Daraufhin schmunzelte Charlie und nickte anerkennend.
„Trotzdem bin ich älter als du." Lucie warf Charlie einen genervten Blick zu, schüttelte dann aber nur den Kopf und rief:
„Rita! Charlie ist da, also hättest auch du die Tür öffnen können!" Anschließend machte sie es sich auf dem Sofa gemütlich und beachtete uns nicht weiter.
„Charlie? Was macht denn der hier?", ertönte es in diesem Moment aus einem der Zimmer. Kurze Zeit später öffnete sich die Tür zu besagtem Zimmer und eine blondhaarige Frau kam heraus. Sie trug einen weiten Pulli und eine Sporthose, was mich annehmen ließ, dass dies ihr Outfit für zu Hause war.
„Frag ihn doch selbst", entgegnete ihr Lucie noch, als sie sich ein Buch nahm und sich darin vertiefte.
Die Frau kam grinsend vor uns zum Stehen und meinte: „Hey Charlie und...mysteriöse Begleiterin, die ich nicht kenne." Ihre blau-grauen Augen musterten mich verwundert, dann schaute sie wieder zu Charlie. „Du solltest wirklich lernen, dich anzukündigen."
„Rita, das ist Victoria. Wir, oder eher gesagt, sie braucht deine Hilfe", erklärte Charlie, woraufhin Rita die Augenbrauen fragend hochzog, sich schließlich jedoch lächelnd vorstellte:
„Hey, ich bin Rita. Also eigentlich heiße ich Margaritha, aber das ist mir zu lang. Du kannst mich auch gerne Maggie oder so nennen, aber die Meisten nennen mich Rita."
„Ich werde meistens nur Victoria genannt", entgegnete ich ihr daraufhin, was Charlie zum Lachen brachte. Wahrscheinlich, weil es mich so sehr nervte, dass er mich kontinuierlich 'Prinzessin' nannte. Darüber hatten wir während des Essens ein sehr langes Gespräch geführt.
Mit dem Ergebnis, dass er mich immer noch so nannte.
„Wirklich, du hast keinen Spitznamen? Nicht mal Vic oder so?", wollte Rita verwundert wissen, während sie sich umdrehte und in Richtung der Küche lief. Ein Stich setzte sich in meinem Herzen aus, als sie diesen Spitznamen erwähnte, doch zum Glück blieb mir eine Antwort darauf erspart, da Rita schon die nächste Frage anhing: „Soll ich gastfreundlich sein und euch was anbieten, oder braucht ihr nichts?"
„Wir brauchen etwas, aber das sind deine Hackerkünste", erklärte Charlie, als er ihr folgte und Rita beobachtete, wie sie sich einen Kaffee machte. Rita hatte eine wirklich perfekte Figur, wie manch einer es sagen würde. Sie war sehr kurvig, dabei aber dennoch dünn. Ich war zwar nie unsicher bezüglich meiner Figur gewesen, dennoch war es wohl normal, sich ein paar mehr Kurven zu wünschen.
Ich entschied mich schließlich auch dazu, den beiden zu folgen und lehnte mich neben Charlie an einem der Stühle des Esstisches an. „Ja, das habe ich mir durchaus gedacht. Was brauchst du also?" Diese Frage war nun direkt an mich gerichtet, da Rita sich sogar zu mir umdrehte, als sie das fragte.
„Naja, ich weiß nicht ganz, wie das abläuft, aber eine Art Programm, das nach meinem Namen sucht oder so", erklärte ich zögernd. „Ich werde wahrscheinlich von der Polizei und was weiß ich von welchen Detektiven gesucht, da ich abgehauen bin."
Rita drehte sich nun ein weiteres Mal um und schaute mich verwirrt an. ,,Vor was bist du denn abgehauen?"
„Vor meinem Verlobten, der fast mein Mann wurde. Meine Eltern werden jetzt aber alles in Bewegung setzten, um mich wiederzufinden, was auf keinen Fall passieren darf."
„Warte, du bist aber nicht diese Victoria, die diesen-"
„Rita", fiel Charlie ihr jedoch ins Wort, bevor sie ihren Satz beenden konnte. Verwundert schaute ich zu Charlie und runzelte meine Stirn. Warum unterbrach er sie?
„Also du bist diese adlige Victoria, jetzt verstehe ich es", verlautete sie schnell und drehte sich, mit der Tasse in der Hand zu uns um. ,,Dann lasst uns mal an den Computer gehen."
„Sag mal, wieso trifft Charlie immer so abgefuckte Menschen?", wollte Lucie vom Sofa aus wissen, als wir uns bereits in Bewegung gesetzt hatten.
„Du willst nicht wissen, an was für Orten der sich rumtreibt", erklärte ihr daraufhin Rita und blieb kurz stehen. „Außerdem zieht er abgefuckte Menschen regelrecht an, weil er das selbst ist. Ungefähr genauso, wie alle meine Freunde ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen. Ich ziehe sie an."
„Hey, ich bekomme mein Leben auf die Reihe", rief Lucie empört aus, woraufhin Rita amüsiert schmunzelte.
„Du bist auch nicht meine Freundin, sondern meine Cousinse, Schätzchen." Anschließend drehte sie sich wieder um und steuerte das Zimmer an, aus dem sie vorhin gekommen war. Charlie und ich folgten ihr.
Das Zimmer war nicht besonders groß, jedoch sehr clever eingerichtet. Zum größten Teil wurde es von einem großen Schreibtisch ausgemacht, auf dem diverse Computer und andere technische Geräte standen, die ich jedoch nicht bennen konnte.
„Ihr seid also Cousinen?", fragte ich interessiert, während sich Rita auf dem Stuhl am Schreibtisch niederließ. Wenn ich darüber nachdachte, sahen die beiden sich tatsächlich ein wenig ähnlich. Beide waren blond, obwohl Lucie erdbeerblonde Haare hatte und Rita ein helles Blond. Aber die Augen waren ein wenig ähnlich, wie auch die Nase. Was jedoch verwirrte, waren die Figurtypen. Denn Lucie war sehr schlank, hatte wenig Kurven und war fast so groß wie Charlie. Rita hingegen war relativ klein.
„Jap, das sind wir. Lucie wohnt schon seit zwei Jahren bei mir. Ihre Eltern sind bei einem Hausbrand gestorben und naja, ich durfte sie bei mir aufnehmen. Auch wenn wir ein bisschen bei den Bedingungen des Jugendamtes geschummelt haben, aber wozu sollte ich denn sonst meine Hackerkünste nutzen?"
„Für sinnvolle Dinge wie das hier, Rita. Es wäre also nett, würdest du beginnen", verlautete Charlie vorwurfsvoll, was mich die Stirn runzeln ließ. Zwar war es für mich normal, dass Charlie sich wie ein Arschloch verhielt, doch dieses Verhalten konnte ich nicht nachvollziehen.
„So ist unser Charlie, Höflichkeit ist ihm fremd, ebensowenig wie Danbarkeit. Aber naja, dann lasst uns mal beginnen."
Rita schien Charlies Verhalten nicht als seltsam zu deuten, doch ich war der Meinung, einen leicht gestressten Ausruck in seinen Augen zu sehen, während Rita wohl dabei war, ein Programm zu schreiben, das überall nach meinem Namen scannte. Wie wir beschlossen, scannte es auch nach meinen Eltern, Jannis oder anderen Dingen die mit seiner Firma, mir oder der Hochzeit zu tun hatten. Warum ich auch Dinge über Jannis' Firma wissen wollte, verstand keiner, doch den wahren Grund konnte ich nicht erklären. So überspielte ich meine Nervosität und behauptete, man solle auf Nummer sicher gehen.
Doch nach wie vor war Charlie angespannt, was mich beunruhigte. Es war, als hätte er sich verändert. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Oder war etwas anderes passiert? Hatte sein Verhalten etwas mit Rita zu tun? Ich fand in all dieser Zeit keinerlei Antworten auf diese Fragen.
Nachdem Rita mit dem Programm fertig war, lieh sie mir ein paar Beauty Produkte und Kleidung. Währenddessen schien sich Charlie wieder beruhigt zu haben, denn er machte wieder bescheuerte Witze und nannte mich 'Prinzessin'. Rita war mir wirklich sehr systematisch. Sie war keineswegs aufdringlich, sehr sachlich aber dennoch lustig und interessant. Es beruhigte mich, eine solch angenehme Person zur Hilfe zu haben, vor allem, da sie mir sehr viel Verständnis zeigte.
Sie erklärte mir auch beruhigend, dass sie Charlie sofort kontaktieren würde, sobald ihrem Programm etwas Seltsames auffallen sollte. Es war, als würde sie meine Angst verstehen und nachvollziehen können, warum ich in einer solchen Situation war. Und das, ohne dass sie irgendwelche unangenehmen Fragen stellte. Stattdessen unterhielten wir uns angenehm, als kannten wir uns schon seit sehr langer Zeit.
„So, ich würde ja noch gerne den Rest des Tages mit euch verbringen, aber mein Erzfeind und ich haben heute ein Hackerbattle auf das ich mich noch vorbereiten muss", verabschiedete sich Rita schließlich, als wir bereits in Richtung Tür gingen.
„Bist du immernoch im Krieg mit diesem bescheuerten Hacker?"
„Er ist meine einzige Konkurrenz der Stadt, klaut mir Klienten und hat auch noch die Frechheit, stets zu behaupten, besser als ich zu sein. Dabei weiß ich immer noch nicht, wer dieser Wichser ist, weil er sich so gut versteckt, dieser Mistkerl! Wirklich, ich hasse niemanden mehr, als ihn."
„Du musst diesen Kindergartenkram endlich lassen, Rita", bemerkte Charlie verstört, da er wohl auch feststellte, wie sehr sich Rita in Rage geredet hatte. Ich wusste zwar nicht wirklich, um wen es ging, doch es schien ein wirklich empfindliches Thema zu sein.
„Das sage ich ihr täglich, aber es ist zwecklos", rief Lucie in diesem Moment von der Couch aus. ,,Sie ist wie bessessen davon, diesen myseriösen Hacker zu besiegen und zu vernichten."
„Was ich auch werde. Also viel Spaß euch noch. Man sieht sich hoffentlich bald." Anschließend schmiss uns Rita regelrecht aus der Wohnung.
„Das war sehr...aufschlussreich", bemerkte ich, als Charlie und ich perplexe Blicke ausgetauscht hatten.
„Das ist es immer mit ihr", erklärte dieser schulterzuckend, woraufhin wir uns in Bewegung setzten.
Als ich abends auf Charlies Couch lag und versuchte, nach diesem anstrengenden Tag endlich zu schlafen, wurde mir erst bewusst, was heute tatsächlich passiert war. Mein Leben war in tausende von Stücke zerfallen. Mein Verlobter war nicht der, für den ich ihn gehalten hatte, ich war vollkommen alleine und musste ihn erst einmal zur Strecke bringen, bevor ich wieder in mein Leben zuückkehren konnte. Ein Leben ohne ihn.
Und solange ich es nicht schaffte, Jannis zu überwältigen, würde ich hier leben müssen. In einer kleinen Wohnung auf einer unbequemen Couch mit einem nervigen Mitbewohner. Und das kostete mich in allem Überfluss noch 200 Euro pro Tag. Ich musste also auch eine Lösung finden, an mein Geld zu kommen. Wer weiß, vielleicht konnte Charlie mir dabei helfen. Oder Rita.
Vor allem musste ich aber eine Lösung für Jannis finden. Einen Plan aufstellen. Doch dafür brauchte ich einen freien Kopf, also war gerade keineswegs der Zeitpunkt dafür. Denn mein Kopf war nichts weiter als Brei. Verklumpter Haferbrei.
Durch die Stille hörte ich die Geräusche des Filmes, den Charlie guckte. Ich konnte glücklich sein, dass er so taktvoll gewesen war, mich alleine zu lassen. Er musste wohl bemerkt haben, dass ich erstmal über all das schlafen musste, bevor ich vollkommen ansprechbar war. Oder er hatte keine Lust gehabt, mit mir zu reden, da fast jede unserer Konversationen in einer lauten Diskussion endete. Vielleicht war er auch genau so genervt von mir, wie ich von ihm.
Was auch immer von all dem der Fall war, ich konnte alleine sein und das war die Hauptsache.
Obwohl mich das aus irgendeinem Grund auch traurig machte. Denn ich war nicht nur alleine, ich war einsam. Ich war es schon seit langer Zeit gewesen und hatte es stets ignoriert. Nach der Weltreise war alles, aus dem mein Leben bestanden hatte, Jannis, sein Erfolg mit der Firma und mein Ruf. Ich hatte für die Außenwelt gelebt. Und dabei vollkommen vergessen, wer ich selbst war.
Ich nahm mir vor, dass ich mich, sobald ich wieder zu Hause war, mehr mit mir selbst beschäftigen würde. Ich wollte mich selbst finden und wissen, wer ich war. Eine Träne lief meine Wange herunter. Denn ich war nicht nur einsam, sondern auch frustriert. Zutiefst frustriert und traurig. Und es war erschreckend, dass ich all dies nicht früher festgestellt hatte. Denn die Front, die ich nach außen gezeigt hatte, hatte stets funktioniert.
Schniefend stand ich auf und tapste in Richtung des Bades. Diesmal die Tür nicht zuschließend betrat ich den Raum und schaltete das Licht an. Immer mehr Tränen liefen aus meinen Augen, doch es waren stille Tränen. Ich beobachtete jede einzelne von ihnen meine Wangen herunterlaufen.
Schließlich riss ich ein paar Stücke Klopapier ab und wischte die Tränen von meiner Haut. Nachdem ich meine Nase geputzt hatte, versuchte ich, mich im Spiegel anzulächeln. Mein Lächeln sah jedoch gequält aus. Keineswegs ehrlich. Doch das würde schon werden. Ich nahm mir vor, am nächsten Tag wieder bei guter Laune zu sein und einen Plan zu entwerfen, an den ich mich halten konnte. Sobald ich diesen hatte, konnte ich auf etwas hinarbeiten.
Schließlich verließ ich das Badezimmer, um endlich schlafen zu gehen. Das, obwohl ich keineswegs wusste, ob ich überhaupt einschlafen konnte. Doch kaum dass ich die Tür geöffnet hatte, erblickte ich Charlie, der gerade sein Zimmer verließ. Ich schreckte kurz auf und schaute ihn empört an, als er meinte: ,,Hast du schon wieder geweint?"
Hatte ich nicht vorhin gedacht, er sei taktvoll?
Dies nahm ich nun zurück. Offensichtlich war er es nicht. ,,Was erwartest du, mein Leben ist ein gesamter Stresshaufen und ich weiß nicht nicht, was mit mir werden soll."
,,Oh das weiß ich schon seit Jahren nicht mehr. Hin und wieder wusste ich nichtmal, wo ich schlafen sollte. Irgendwann lernst du einfach, darauf los zu leben. Das hift einem ungeheuer."
,,Nun ja, im Gegensatz zu dir werde ich wohl niemals dazu im Stande sein, denn ich habe immer einen Plan. Und dieser funktioniert auf immer. Wenn du mich also entschuldigen würdest, ich muss jetzt schlafen." Schließlich lächelte ich Charlie gekünstelt an und begab mich wieder in Richtung des Sofas.
Dabei sah ich noch, wie Charlie gleichgültig den Kopf schüttelte und im Badezimmer verschwand. Ich hingegen legte mich wieder auf die unbequeme Couch und startete einen weiteren Versuch, einzuschlafen.
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Victoria is a bitch:)
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