12
Über ihnen klingelte das obligatorische Glöckchen und der Geruch von starkem Kaffee und frischem Apfelkuchen ließ Eve das Wasser im Mund zusammenlaufen. Chris trat direkt hinter ihr ein und musterte sofort sämtliche anwesenden Gäste. Geistesgegenwärtig überprüfte Eve, ob er die Knarre noch in seinem Hosenbund steckten hatte. Aufatmend konnte sie dies ausschließen.
Das Diamond-Diner machte seinem Namen alle Ehre. Das Motto Diamonds Are a Girl's Best Friend prangte, stilisiert aus tausenden Glitzersteinchen, quer über dem umlaufenden Tresen des Bistros. Die passenden Bilder und Plakate von Marilyn Monroe schmückten helle Wände und gemütliche Nischen mit roten Lederbänken und schwarzen Tischen. Der Laden war blitzsauber. Funkelnde, verschiedenfarbige Gläser und glänzender Chrom brachen das Licht und erleuchteten jeden Winkel.
»Evi! Das haut mir glatt die Steinchen aus der Krone! Evi, meine Sonne, komm her und lass dich knuddeln!«
»U!« Eve kreischte wie ein Rockstargroupie und ließ ihre Tasche fallen. Dann rannte sie quer durch den Raum auf den einzigen Menschen zu, dem sie hier in Vegas bedingungslos vertraute. Ungeachtet der belustigten Blicke um sie herum, warf sie sich U in die Arme.
»Schätzchen, was hast du die letzten Monate getrieben? Du kannst mich doch nicht einfach ghosten! Ich sollte kein Wort mehr mit dir reden.«
»Ach U. Ich habe dich vermisst. Gut siehst du aus.« Eve legte den Kopf in den Nacken, um zu U aufzusehen.
»Gut? Ich sehe nur gut aus? Ist mein Make up verschmiert? Sitzt meine Frisur nicht?«
Kichernd tätschelte Eve U die großen Hände. »Göttlich, du siehst göttlich aus.«
»Das wollte ich hören, Schätzchen. Wen hast du da mitgebracht?« U schwebte mit Eve auf einen ziemlich verdattert dreinschauenden Chris zu. Eve grinste belustigt. U hatte eine ganz spezielle Wirkung auf andere Menschen. Mit goldenen Riemchenplateausandalen gut zwei Meter groß, die tiefschwarze Haut betont durch einen flamingofarbenen, schulterfreien Jumpsuit und behängt mit Goldschmuck, der die Staatsreserven einiger Nationen abdeckte, war U eine überaus beeindruckende Erscheinung.
Eve stellte sie einander vor. »Chris, das ist U, U, das ist Chris, mein Noch-Ehemann.«
Immerhin bekam Chris ein schüchternes »Hi« heraus. Mit einiger Genugtuung stellte Eve fest, dass er ebenfalls zu U aufschauen musste.
»Na hallo, mein Hübscher. Also ich stehe auf Männer, die sich beim Reden auf das Wesentliche beschränken.« U klimperte mit megalangen Wimpern, an denen winzige Swarovski Kristalle schimmerten.
»Hey! Wie lange sollen wir noch auf unser Essen warten? Schwing gefälligst deinen großen schwarzen Hintern hier rüber!«, bellte ein korpulenter Trucker, der mit zwei Kumpels an einem der Ecktische lümmelte.
»Sucht euch schon mal ein ruhiges Plätzchen, Kinder«, flötete U zu Eve und Chris. »Ich bin gleich wieder bei euch.«
Der Gedanke war gut, die Umsetzung gestaltete sich schwierig, denn trotz der späten Mittagsstunde herrschte im Bistro reger Betrieb. Chris nahm beide Taschen und dirigierte Eve zum Ende des Tresens. Dort schwangen sie sich neben der Küchentür auf zwei Barhocker. Chris' Platzwahl erinnerte Eve an typische Agentenfilme. Kurzer Fluchtweg, Blick zum Eingang, Rücken zur Wand.
»Ich schwing dir gleich meinen großen schwarzen Fuß in die Weichteile! In meinem Laden suche ich mir die Gäste aus, die ich bediene. Ihr werdet warten, bis Linda für euch Zeit hat oder ihr könnt woanders die Polster breitsitzen! Noch Fragen?«, dröhnte U's markante Stimme aus dem Gastraum. Chris hob bewundernd die Augenbrauen und stupste Eve an.
»Wie soll ich deine Bekanntschaft anreden? Ich will in kein Fettnäpfchen treten.«
Bevor Eve antworten konnte, stand U schon wieder bei ihnen.
»Nur keine Umstände! Einfach U reicht völlig, Majestät oder Hoheit akzeptiere ich auch. Männlein, Weiblein, Divers ... ich bin höchstens das Sternchen! Alles andere engt mich ein und trifft nicht im Geringsten mein universelles Wesen - daher nur U.« U klatschte in die Hände. »Und jetzt will ich alles wissen. Wann bitte, hast du geheiratet?«
»Äh, das war eher ein Unfall und ist eine komplizierte Geschichte«, hüstelte Eve.
»Süße, sehe ich aus als würden mich die einfachen Dinge des Lebens interessieren? Und deine Unfälle geben Stoff für eine ganze Fernsehserie.« U angelte nach den Speisekarten. »Was ist aus deiner schnuckeligen Bar geworden?«
»Das ist eine traurige Geschichte. U, wir benötigen deine Hilfe.« Eve vermied es, Chris anzusehen. Nur weil er im Moment den Schweigsamen gab, hieß das noch lange nicht, dass er sich keine Gedanken machte. Wenn er jetzt auch noch Fragen stellte, würde es wirklich kompliziert werden.
U beließ es bei einem langen, bedeutungsvollen Blick. »Natürlich Schätzchen, was immer du brauchst. Ich habe so das Gefühl, du hättest viel früher zu mir kommen sollen. Du warst für mich da Eve, als ich völlig am Ende war und niemanden hatte. Das habe ich nicht vergessen.«
»Ach was, ich habe gar nichts groß gemacht.«
»Die Einschätzung musst du schon mir überlassen. Obwohl es Punktabzug für dein süßes Geheimnis hier gibt.« U zwinkerte Chris zu, der zum Glück jeglichen Kommentar unterließ. »Es ist keine Schande, um Hilfe zu bitten. Wer hat mir das andauernd vorgebetet?«
Stöhnend ließ Eve das Gesicht auf die verschränkten Arme sinken. Über sie hinweg redete U mit Chris weiter. »Du scheinst einen guten Einfluss auf das störrische Engelchen zu haben. Gib ihr einen sicheren Landeplatz, und ihr werdet gemeinsam zu den Sternen fliegen.«
»Ich arbeite daran«, sagte Chris mit Nachdruck und Eve konnte sein selbstbewusstes Grinsen förmlich spüren. Sie vergrub ihren Kopf unter den Händen.
»Hervorragend!«, jubelte U. »Aber vorher bekommt ihr von mir etwas zu essen. Los! Sucht euch was aus.«
Dankbar für die Ablenkung griff Eve nach der Karte, auch wenn sie genau wusste, was sie nehmen würde. Chris studierte angestrengt das Burgerangebot. Eve konnte nicht widerstehen, sich ein wenig zu rächen. »Du hast die falsche Seite. Du bist seit Jahren überzeugter Vegetarier!«
Sein ungläubiger Blick brachte Eve zum Lachen.
»Haha. Das ist nicht witzig«, beschwerte er sich prompt und brummte »Speck und Eier« in U's Richtung.
»Ich nehme die Pancakes mit Butter und Ahornsirup«, rief Eve und ignorierte seinen finsteren Blick.
Verwundert nahm U ihnen die Karten ab. »Muss ich das verstehen?«
»Chris hatte einen Unfall und seitdem ein paar Gedächtnislücken«, erklärte Eve.
U wedelte aufgebracht mit den großen Händen. »Habt ihr mal über eine Unfallversicherung nachgedacht?« Mit einem verständnisvollen Nicken wand sich U an Chris. »Frag einfach mich, ich kann jeden Kunden auf den ersten Blick einschätzen. Du bist der einfache Typ. Speck und Eier, Bier, Burger, Fritten, Kaffee schwarz.«
Chris lehnte sich zurück und schielte nach der Anschlagtafel hinter dem Tresen. »Vielleicht mag ich lieber einen ... Pumpkin Spice Latte?«
Eve und U bedachten ihn mit einem mitleidigen Kopfschütteln. »Kaffee schwarz«, sagten beide entschieden. Chris zuckte ergeben mit den Schultern.
Ihr Essen kam zügig und U kümmerte sich weiter um das Tagesgeschäft. Sie aßen schweigend. Eve beobachtete fasziniert, wie gesittet Chris das Besteck und sogar eine Serviette benutzte. Sie selbst hatte große Mühe, unbekleckert zu bleiben.
»Was ist?« Belustigt schaute er sie an.
Eve tupfte sich den restlichen Sirup vom Mund und knüllte nachdenklich das Papiertuch zusammen. »Vertraust du mir eigentlich?«, fragte sie leise. Chris wurde ernst. »Was bleibt mir groß übrig?«
Sie schob ihren Teller beiseite und überlegte ihre Worte genau. »U ist eine Seele von Mensch und der einzige echte Freund, den ich habe. Mir ist nicht wohl dabei sie ... ihn ... na, du weißt schon, hier mit reinzuziehen. Wie immer auch diese Geschichte mit uns ausgeht, ich möchte nicht, dass U in irgendeiner Weise die eventuellen Folgen zu spüren bekommt.«
Chris sagte lange nichts, dann blickte er Eve mit seinen intelligenten Augen scharf an. »Mir ist schon klar, dass du mir längst nicht alles erzählt hast. Wenn mich jemand verscheißert, dann kläre ich das persönlich und nicht über andere.«
»Ist das eine Drohung? Ich kann keine Garantie dafür abgeben, wie wir aus dieser Sache rauskommen!«, zischte Eve und bemühte sich, leise zu bleiben.
»Das ist ein Versprechen. Wenn du dein Leben ohne mich weiterführen willst, akzeptiere ich das. Aber wenn du mich linkst, werde ich dich finden, Eve.«
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