46. Conversations
♪ Treat you better – Shawn Mendes
Louis
Schnell nahm ich einen letzten, tiefen Zug aus der Kippe, die ich danach postwendend auf dem Fenster des Wagens warf. Die kalte Luft strömte mir entgegen, doch da ich durch meinen Aufenthalt in Barrow mehr als nur abgehärtet war, machten mir die Temperaturen nicht viel aus. Wohl aber meiner Sitznachbarin, die fröstelnd auf dem Beifahrersitz hockte und mir einen irritierten Blick zuwarf.
Hinten, in dem großzügigen Kofferraum des SUVs lag Myles, der Setter meiner Freunde. Es wäre ein Wahnsinnsakt gewesen, den Kerl auf die Schnelle von New York nach London zu transportieren. Er hätte in Großbritannien mindestens zwei Wochen in einer Quarantänestation verbringen müssen und das wollte ich ihm nicht antun. Nach Absprache mit Niall, Sienna und Kieran, dem eigentlichen Hundebesitzer, hatten wir vereinbart, dass ich das Tier kurzerhand in den Polizeidienst beförderte, da die Auflagen für Diensthunde des öffentlichen Sektors in dieser Hinsicht nur halb so streng waren. Er benötigte lediglich einen Impfausweis, der sowieso vorhanden war und dessen letzte Eintragung nicht länger als neun Monate zurückliegen durfte. All das war gegeben, sodass ich das hübsche Tier ohne Probleme nach England würde mitnehmen können.
Im Moment befanden wir uns auf dem Weg von Weston nach Boston, wo ich einen Privatjet bestellt hatte, der mich, Myles und Honey, nach London bringen würde.
„Ist es zu kalt?", erkundigte ich mich bei der hübschen Blondine, nachdem ich das Fenster wieder hochgefahren hatte.
„Jetzt nicht mehr", erwiderte sie trocken, zog jedoch die Decke um ihren schlanken Körper. „Wie lange müssen wir denn noch fahren?", wollte sie plötzlich wissen.
„Wir haben die Hälfte hinter uns, also noch gut eineinhalb Stunden."
An einer Raststätte in der Nähe der Stadt Manchester stellte ich den Wagen auf dem großen Parkplatz einer Burgerkette ab. Bevor ich zum Restaurant lief, ließ ich Myles kurz aussteigen, doch er wollte kein Geschäft machen, sondern schnüffelte nur an den Steinen, welche verstreut in der Gegend lagen. Anschließend hopste er wieder zurück in den Kofferraum, den ich sogleich verschloss.
„Was möchten Sie gerne essen?", erkundigte ich mich bei der Blondine, die seufzend antwortete: „Zwei Cheeseburger und Fritten."
„Trinken?"
„Cola."
„Light oder normal?"
„Sehe ich aus, als würde ich die Light-Version benötigen?", gab sie lachend Kontra, was ich mit einem Schmunzeln quittierte. Auf den Mund gefallen war sie keineswegs und auf den Kopf schon gar nicht.
„Nein, eigentlich nicht", antwortete ich, bevor ich mich auf den Weg in das Schnellrestaurant machte.
Sicherheitshalber verschloss ich den SUV, damit niemand auf die Idee kam, die wertvolle Fracht zu entwenden. Es gehörte zu meiner Aufgabe, Cassandra Lorring, so lautete Honeys, alias Sandra Carter, richtiger Name, in Sicherheit zu bringen. Unsere Reise würde zunächst nach London und vor dort aus weiter nach Südengland führen. Inzwischen besaß sie einen neuen Pass, ausgestellt auf den Namen Susan Bradshaw. Harry hatte diesen angefertigt, bevor er sie nach Weston gebracht hatte.
Als ich mit zwei Tüten, die unser Essen enthielten, zurückkehrte, übte Honey gerade ihre neue Unterschrift auf dem Titelblatt einer Modezeitschrift. Grinsend reichte ich ihr die Tüte und beinahe synchron begannen wir die fettigen Burger zu verspeisen. Ich würde bestimmt wieder Magenschmerzen bekommen, aber das war mir im Augenblick ziemlich egal, denn ich hatte einen riesigen Kohldampf. Nachdem ich meine Hände mit einer Serviette gesäubert hatte, fuhr ich wieder los.
Zum Glück waren die Straßen frei, was die pünktliche Ankunft in Boston garantierte. Der Wagen musste am Flughafen abgegeben werden, sodass wir von dort aus direkt die Reise nach London antreten konnten. Wie immer behielt ich stets alles im Blick. Die Menschen, die unseren Weg kreuzten, etwaige verdächtige Gegenstände und sämtliche Hallen, die wir durchquerten, um endlich zu dem Ausgang zu gelangen, der auf das Rollfeld führte, wo der Privatjet auf uns wartete.
Ein leichtes Aufatmen entwich meiner Kehle, als die Türen sich schlossen, denn jetzt konnte so schnell nichts mehr schiefgehen. Honey, Myles und ich flogen der britischen Metropole entgegen.
Um mir die Zeit zu vertreiben, startete ich ein Gespräch mit meinem weiblichen Schützling. Ihre Akte hatte ich bereits studiert, doch es gab Dinge, die dort nicht vermerkt waren und die ich gerne klären wollte. Schließlich handelte es sich um eine Polizeiakte, die lediglich Informationen bezüglich ihrer Straftaten (Prostitution als Minderjährige und Drogenkonsum), enthielt. Wie sie jedoch dazu gelangt war, entzog sich meiner Kenntnis.
„Also, Susan, was hat Sie mit sechzehn Jahren dazu bewogen, als Prostituierte zu arbeiten?" Ich sprach sie absichtlich mit ihrem neuen Namen an, damit sie sich daran gewöhnte.
Honey fuhr sich mit den Fingern durch die langen, blonden Haare, bevor sie zum Reden ansetzte.
„Die klassische Variante. Ich bin von daheim abgehauen. Mein Vater trank und meine Mutter litt unter Despressionen. Ich hielt es zuhause nicht mehr aus und wollte in die Stadt, um irgendwann zu studieren, dabei hatte ich nicht einmal einen High-School-Abschluss. Ziemlich naiv, was?"
Sie lachte kurz und fuhr dann fort.
„Bei der Suche nach einem Job geriet ich an einen Mann, der sich später als Zuhälter entpuppte. Außerdem versorgte er mich mit Drogen. Ich wurde des Öfteren festgenommen, kam zwischendurch in eine Institution für gestrandete Jugendliche, wie sie es nannten."
Erneut machte sie eine kurze Pause und nippte an ihrem Drink, einem Martini, den ich Großzügigerweise angeboten hatte.
„Irgendwann wurde ich von meinem Zuhälter zusammengeschlagen, doch ein Mann kam mir zu Hilfe. Er nahm mich mit zu sich nach Hause, versorgte meine Platzwunde am Kopf und gab mir zu Essen und zu Trinken. Er behandelte mich gut und fragte, ob ich nicht für ihn arbeiten wollte."
„Wie alt waren Sie damals?"
„Achtzehneinhalb."
„Dieser Mann gehörte der russischen Mafia an, oder?"
Als sie nickte, stellte ich meine nächste Frage. „Wie lautet sein Name?"
„Jegor, seinen Nachnamen erfuhr ich nie. Er brachte mich in ein Freudenhaus. Dort waren die Bedingungen ganz anders, als auf der Straße. Viel besser und man hatte immer Schutz, wenn ein Freier auf dumme Gedanken kam. Trotzdem ist es kein schöner Ort. Man wird fast schon seelenlos, verkauft seinen Körper ohne jegliche Gefühlsregung."
Sie tat mir schon ein wenig leid, als ich sie so reden hörte.
„Wie lange haben Sie in diesem Freudenhaus gearbeitet?"
„Zwei Jahre, dann wurde ich plötzlich von Jegor abgeholt, der mich zu Nichols' Vater brachte. Er war damals häufig in New York und suchte jemanden, der die Kundschaft der Russen betreute und das nicht nur sexuell. Ich entsprach wohl seinen Vorstellungen und bediente mich der gewünschten Umgangsformen. Man ließ mich meinen Schulabschluss per Fernakademie nachholen, außerdem studierte ich nebenbei sechs Semester Französisch, denn Sergeij liebt gebildete Menschen. Oftmals nahm er mich mit nach Paris oder auch nach Russland. Dort habe ich, außer der Sprache, ebenfalls das Trinken gelernt."
Den letzten Satz brachte sie dermaßen drollig hervor, dass ich prompt lachen musste. Und verdammt, diese Frau war clever.
„Das ist die Wahrheit, ich kann trinken wie ein Kerl", schmunzelte sie.
„Das habe ich schon vernommen aber weiter im Text. Wie sind sie zu Nicholas gelangt?"
„Durch seinen Vater. Als Nicholas' Frau starb, machte er mich seinem Sohn zum Geschenk. Seitdem war ich bei ihm. Aber Nicholas wollte keine andere Frau, auch nicht für das Bett. Also kamen wir überein, dass ich zukünftig für ihn arbeiten sollte, anstatt wieder in das Freudenhaus zurückzukehren. Ich möchte nie wieder dahin, nie wieder."
Tränen schimmerten in ihren blauen Augen, als sie mir die nächsten Worte entgegenhauchte. „Ich möchte frei sein und der Mafia nicht mehr dienen müssen. Wenn ich ein bestimmtes Alter erreicht hätte und mein Körper nicht mehr anziehend genug gewesen wäre, um die Kunden zu versorgen, dann wäre ich eines Tages nutzlos für sie gewesen. Die Mafia hätte mich niemals los gelassen, da ich zu viel weiß. Eher hätten sie mich umgebracht."
Diese Aussage verstand ich nur zu gut.
„Als Niall mir das Angebot machte, griff ich zu."
Ich leerte mein mit Wasser gefülltes Glas, bevor ich fortfuhr.
„Ich verstehe. Die Mafia musste ihr schwarzes Geld irgendwie reinwaschen und haben unter anderem Sie dazu benutzt."
„Ja, es gab ein Konto auf meinen Namen, dorthin flossen als Tantiemen deklarierte Gelder, die natürlich aus den illegalen Geschäften stammten. Sie wurden zu verschiedenen Banken, die sich auf den Cayman Inseln befinden, weitergeleitet. Dort schaffen alle ihre Schwarzgelder hin. Nichts war einfacher, als diese Unterlagen zu kopieren und sie Niall zukommen zu lassen. Er hat versprochen, dass ich danach frei sein würde, weg von den Klauen der Mafia."
Entspannt lehnte ich mich im Sitz zurück. „Und wie Sie sehen, hat er sein Versprechen gehalten."
Bei dem Gedanken an meinen Freund musste ich unweigerlich grinsen. Er hatte es wirklich faustdick hinter den Ohren, das würde man ihm gar nicht zutrauen. Zumindest nicht, wenn man seinen Beruf kannte.
„Ich danke Ihnen, mehr wollte ich gar nicht wissen", beendete ich nun die Unterhaltung.
Es wurde Zeit, ein wenig zu schlafen, damit der Jetlag mich später nicht vollends aus der Bahn warf. Auch Honey kuschelte sich in ihre Decke, nachdem sie den Sitz in die Liegeposition gebracht hatte. Myles, der ebenfalls ein Nickerchen machte, lag neben meinem Sitz auf dem Boden. In dieser Formation erwachten wir, als der Pilot das Eintreffen in London, einer halben Stunde vor der Landung, bekanntgab.
Schlaftrunken rieb ich mir die Augen, erhob mich und suchte den kleinen Waschraum auf, den ich nach fünf Minuten wieder verließ, damit Honey ihn nutzen konnte. Frauen brauchten für gewöhnlich etwas länger, um sich zurechtzumachen. Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass es kurz nach acht war und Harry demnach bereits am Flughafen sein musste, um Myles in Empfang zu nehmen. Ich hatte ihm aufgetragen Hundefutter zu besorgen und Gassi mit ihm zu gehen, sobald er sich auf britischem Boden befand.
Nach einer recht holprigen Landung verließ ich mit Myles an der Leine und Honey im Schlepptau, den Privatjet. In nächster Nähe standen zwei Limousinen. Aus der einen stieg Harry, der mir förmlich entgegenrannte.
„Hey, Louis, endlich bist du da!"
Sogleich sprang der Hund an Harry hoch, beschnüffelte diesen ausgiebig und leckte über seine Finger.
„Hier." Ich drückte ihm die Leine in die Hand. „Pass gut auf Myles auf, Styles."
Strafend blickte mein Kollege zu mir, während Honey ihr helles Lachen erklingen ließ, um anschließend ihre Feststellung zu verkünden.
„Myles und Styles, das passt."
Grinsend nahm ich mich ihrem Gepäck an, verstaute es in der Limousine und hielt ihr die Tür auf.
„Einsteigen, meine Liebe, es geht los."
Nach einer kurzen Verabschiedung von Harry setzte ich mich hinter das Steuer. Vor uns lagen gut viereinhalb Stunden Fahrt, bis in die äußerste Spitze Südenglands. Hier würde Honey ihr neues Domizil finden. Der Ort St. Yves lag direkt am Meer und verlor mit seinen elftausend Einwohnern keineswegs die Überschaubarkeit. Abgelegen in Cornwall, aber durchaus nicht langweilig, sondern eher interessant, präsentierte sich die kleine Stadt, deren Tourismus stetig heranwuchs.
Wir hatten einen Job für Honey besorgt und ihr ein Domizil verschafft, eine nette Wohnung in einer ruhigen Straße.
Als wir am frühen Nachmittag dort eintrafen, stand ihr die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Ich begleitete sie nach oben, in den ersten Stock des schmucken Gebäudes und stellte den Koffer im Flur ab. Sofort rannte sie zu einem der Fenster, die den Blick auf das Meer freigaben.
„Oh Gott, es ist himmlisch hier! Endlich bin ich frei!"
Ehe ich mich versah, umarmte sie mich fest und murmelte: „Danke, sagen Sie das auch Niall, ja?"
„Selbstverständlich."
Ich händigte ihr sämtliche Unterlagen aus, die sie für ihr neues Leben benötigte und speicherte meine Nummer in ihrem neuen Handy ein.
„Die ist für den Notfall, der hoffentlich niemals eintreten wird. Ich komme Sie im nächsten Monat nochmal besuchen, um zu sehen, wie es Ihnen hier gefällt und ob Sie sich eingelebt haben", versprach ich.
Fünf Stunden später befand ich mich wieder in London, auf dem Weg zu Brianas Heim. Die drei Dosen Red Bull, die ich während der Fahrt zu mir genommen hatte, garantierten, dass ich nicht müde wurde und für jegliche Aktivitäten, welche die nächsten Stunden noch brachten, gerüstet war. Da ich Aki erst in zwei Tagen erwartete, wollte ich so viel Zeit wie nur möglich mit Freddie verbringen.
Gut gelaunt stellte ich den Wagen vor der Einfahrt ab und lief mit schnell zum Haus, wo ich die Klingel betätigte. Schritte waren zu vernehmen und Sekunden später schaute ich in Brianas Gesicht.
„Hallo, Louis, schön, dass du wieder hier bist. Ist alles glatt gelaufen?" Sie gab mir eine Umarmung, die ich erwiderte.
„Ja, alles paletti."
Ich zog meine Jacke aus und hängte sie an der Garderobe auf.
„Wo ist Freddie?"
„In seinem Zimmer."
Als ich die Stufen nach oben eilen wollte, hörte ich Briana rufen. „Louis, er ist sauer auf dich, also rechne nicht damit, dass er dich freundlich willkommen heißen wird."
„Nun denn, damit muss ich klar kommen", erwiderte ich und machte mich auf den Weg zu meinem Sohn.
Eiskalt ignorierte er mich, als ich das Zimmer betrat. Er reagierte weder auf meine Ansprache, noch auf meine Frage, ob er denn nicht mit mir reden wolle.
„Freddie", versuchte ich es ein weiteres Mal. „Ich habe dich nicht absichtlich so lange alleine gelassen. Und es war auch keine Absicht, dass ich mich nicht gemeldet habe. Es ging einfach nicht, meine Arbeit hat es nicht zugelassen."
„Das hat Mum auch schon gesagt", erklärte er gelangweilt. „Aber ich will das nicht hören. Ich mag dich nicht mehr, du bist nur noch weg. In Barrow war es so schön, doch jetzt kümmerst du dich nicht mehr um mich."
Ich schluckte hart, seine Worte trafen mich tief, denn ich liebte meinen Sohn über alles. Aber er war noch viel zu klein, als dass ich ihm die Wahrheit über meinen Beruf hätte erzählen können. Lügen war jedoch auch keine Alternative.
„Freddie, ich habe dich noch immer lieb, auch wenn ich so lange fort war. Wenn du mir nicht glaubst, dann frage meinen Boss, der wird dir bestätigen, dass es nicht anders ging."
Als er nicht antwortete ließ ich mich auf dem Boden nieder und betrachtete ihn beim Zeichnen. Er war so groß geworden, hatte einen richtigen Schuss gemacht. Kein Wunder, er war bereits sieben und ich hatte seinen Geburtstag natürlich verpasst, wie so viele andere Dinge auch. In jenem Moment wurde mir klar, dass Freddie vermutlich mein einziges Kind bleiben würde. Es war schlimm genug, das auf die Reihe zu kriegen und jedes weitere Kind würde die Problematik um meinen Beruf noch verstärken.
Da er im Moment schmollte, ließ ich ihn alleine und suchte Briana im Erdgeschoss auf, der ich alles brühwarm erzählte.
„Louis, gib ihm Zeit, vielleicht weiß Alistair einen Rat", sagte sie. „Ich habe übrigens nachgedacht", kam es im selben Atemzug. „Du kannst Freddie holen, so oft du willst. Diese zwei-Wochen-Regelung ist doch bescheuert, vor allem in unserem Beruf."
Dankbar schaute ich sie an, nahm sie in meine Arme und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Briana und ich hatten unglaublich viel dazugelernt. Jetzt blieb nur zu hoffen, dass Freddie sich nicht ewig querstellen würde.
~~~
Am nächsten Morgen tauchte ich frisch rasiert und nach einer Marathondusche im Präsidium auf. Alistair hatte mich wissen lassen, dass ich ab heute in seine Fußstapfen treten würde. Diese Dinge waren bereits vor einiger Zeit geklärt worden, sodass es sich nur noch um eine interne Formalität handelte. Die offizielle Verabschiedung unseres Bosses fand zwar erst in der kommenden Woche statt, doch er nahm seinen Resturlaub und überließ mir das Team. Allerdings fand die Übergabe gewisser Akten am heutigen Tag im Büro statt.
Es war ein komisches Gefühl, als ich den Mann erblickte, der mich so viele Jahre auf genau diesen Zeitpunkt vorbereitet hatte, mit dem Wissen, dass der Tag nun gekommen war.
„Louis, ich überreiche dir hiermit feierlich die Schlüssel zu meinen geheimen Akten", erklärte er mit einem Zwinkern.
„Die mit den Nacktfotos?", fragte Liam sofort.
„Nein, die Nacktfotos von meiner Tochter hat Harry gebunkert", kam es trocken von Alistair, worauf unser Teamjüngster knallrot anlief und nach Luft schnappte.
„Klappe, Styles, so lange du sie gut behandelst, bin ich mit dir als Schwiegersohn zufrieden. Sollten allerdings Klagen kommen, garantiere ich für nichts."
Alistair schmunzelte nach seiner eindringlichen Rede, dessen Ernsthaftigkeit ich nicht anzweifelte.
„Und nun meine Kinder, werde ich mir einen schönen Tag mit Kieran auf dem Spielplatz machen. Ich wünsche euch viel Spaß bei der Arbeit."
Doch so einfach kam er nicht davon. Sophia und Eleanor bugsierten ihn zurück in einen Stuhl und Briana holte die Torte hervor, die wir bestellt hatten. Diese trug die Aufschrift: Best Boss in Town!
„Das ist total lieb von euch." Alistair schnitt die Torte mit dem Messer an, das Briana organisiert hatte, und verteilte anschließend die einzelnen Stücke auf die Teller. Während wir aßen, erzählte er die Anekdote seines ersten Bewerbungsgesprächs, das er hatte führen müssen und über die wir alle herzlich lachten.
„Ach Gott. Ich habe ganz vergessen dir zu sagen, dass sich heute ein Newbie vorstellt und du, Louis, nun die Ehre hast, dieses Gespräch zu führen."
„Was?" Darauf war ich keineswegs vorbereitet, doch da mein Talent eindeutig im Improvisieren lag, würde ich das wohl irgendwie hinkriegen.
„Wann kommt er oder sie vorbei?", wollte ich wissen.
„In einer Stunde. Die Personalakte befindet sich in den Dateien auf meinem Laptop, zu dem du nun den Zugang hast. Außerdem existiert eine ausgedruckte Form in meinen Geheimakten."
„Ah, dafür sind die also bestimmt", grinste ich breit. „Nun gut, dann werde ich das in einer Stunde wohl hinter mich bringen."
Nachdem er verschwunden war zog ich mich in das winzige Büro zurück, das er fast nie genutzt hatte, meist nur für Personalgespräche, wie es mir nun bevorstand. Ein großer Schreibtisch aus hellem Holz, ein Chefsessel, zwei weich gepolsterte Besucherstühle und ein Wandschrank zählten zu den Einrichtungsgegenständen. Persönliche Bilder, die früher auf dem Schreibtisch standen, hatte Alistair bereits mitgenommen, sodass ich nun alles nach meinem Geschmack herrichten konnte. Doch dies stand im Moment nicht auf der Prioritätenliste, denn jetzt hatte ich ein Personalgespräch zu führen.
Genauso wie Alistair hielt ich nicht viel von Akten, ich machte mir gerne mein eigenes Bild von den Leuten. Lediglich den Namen des Neulings, der bei uns anfangen wollte, merkte ich mir. So war er in der Vergangenheit verfahren und ich würde daran nichts ändern wollen.
Auf die Minute pünktlich klopfte es an der Tür zu meinem Büro. Ich hatte es mir gerade gemütlich gemacht, einen Kaffee in der Hand und die Füße auf den kleinen Hocker gelegt, der unter dem Tisch stand.
„Herein", rief ich erwartungsvoll, um kurze Zeit später in das Gesicht eines jungen Mannes zu blicken. Mit seinen braunen, kurzgeschnittenen Haaren wirkte er durchaus adrett. Braune Augen huschten respektvoll durch den Raum, als ich ihm einen Platz anbot.
„Bitte setzen Sie sich."
„Danke, Chief Superintendent Tomlinson."
Heilige Scheiße! Er sprach mich mit meinem vollen Titel an, diese Förmlichkeiten mussten wir ihm dringend abgewöhnen.
„Wie alt sind Sie?", läutete ich die Fragestunde ein.
Etwas perplex blickte er mich an. „Dreiundzwanzig."
Absolutes Frischfleisch, aber in diesem Alter ließen sie sich noch gut zurechtbiegen.
„Sie kommen direkt von der Spezialausbildung nehme ich an?"
„Ähm ja, das steht auch in meiner Akte, Sir."
„Fein." Ich grinste ihn an. „Ich gebe nicht viel auf Akten, diese werden von Menschen angelegt, die zum Teil noch nie etwas mit Ihnen persönlich zu tun hatten. Und diejenigen, die es hatten, tja, da besteht die Chance von fünfzig zu fünfzig, dass man sich mit dem Chef verstanden hat oder auch nicht. Demnach fällt die Akte aus."
Als er mich mit großen Augen anschaute, fragte ich nonchalant: „Können Sie mir folgen?"
„Natürlich, Sir." Er räusperte sich kurz. „Dürfte ich auch etwas fragen?"
„Nur zu, dafür sind wir hier."
„Gesetzt den Fall, Sie nehmen mich, wann könnte ich dann in Ihrem Team anfangen?"
„Sofort. Wir suchen jemanden, der gleich bei uns antreten kann. Welcher Dienststelle sind sie im Moment zugeteilt?"
„Hertfordshire, Sir."
Ich nahm die Füße wieder vom dem Hocker und lehnte mich ein wenig im Sessel zurück, um den jungen Mann zu betrachten. Er wirkte entschlossen, freundlich und höflich. Alles Eigenschaften, die in unserem Team mehr als nur willkommen waren. Allerdings sollte er auch eine gehörige Portion Humor mitbringen, denn diesen brauchte man in unserem Beruf, um seelisch überleben zu können.
„Wie sieht es mit ihrem Sexleben aus? Könnten sie wochenlang oder sogar monatelang darauf verzichten?", haute ich die berühmte Frage heraus, der jeder hier sich hatte stellen müssen.
„Das fragen Sie mich nicht ernsthaft, oder?" Zum ersten Mal erlebte ich, wie er mich unverblümt mit einer Gegenfrage konfrontierte, was mir ziemlich gut gefiel. Ich brauchte keinen Duckmäuser, sondern einen Mitarbeiter, der nicht auf den Mund gefallen war.
„Doch, ich frage das sehr ernsthaft, denn wir haben oft Einsätze fern der Heimat und mitnehmen können wir unsere Frauen leider nicht, es sei denn, Sie lachen sich eine aus dem Team an. Aber die entsprechen vermutlich nicht ihrer Alterszielgruppe."
Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er eine Antwort erteilte, die so ganz nach meinem Geschmack entsprach.
„Ich nehme alles zwischen zwanzig und dreißig. Außerdem, wenn es hart auf hart kommt, habe ich zwei gesunde Hände."
Zum Beweis hob er die beiden Körperteile in die Höhe, worauf ich ein lautes Lachen ausstieß.
„Der war gut, ich denke, wir werden miteinander klar kommen."
„Sie wollen mich einstellen, ohne meine Akte gesehen zu haben?"
Ein wenig fassungslos blickte er mich an, was mir ein Schmunzeln, sowie einen lockeren Spruch entlockte.
„Sagen wir es so. Ich glaube nicht, dass ich in Ihrer Personalakte irgendetwas finden werde, das den Eintritt in mein Team verhindern könnte. Es sei denn, Sie sind wegen Drogenhandel, Prostitution, Waffenschmuggel oder Geldwäsche vorbestraft."
Jetzt lachte er aus vollem Hals. Er besaß genügend Humor, definitiv.
Als ich aufstand, erhob er sich ebenfalls, um mir seine Hand zu reichen.
„Also, bis morgen. Ich werde mich mit deiner Dienststelle in Verbindung setzen, dann gibt es keine Probleme."
„Bis morgen, Chief In-."
Sofort unterbrach ich ihn. „Louis, bitte. Wir duzen uns hier alle. Stell dir mal vor, du müsstest schnell nach Hilfe rufen. Bevor du meinen Titel inklusive des Nachnamens ausgesprochen hast, gäbe es schon Tote oder Verletzte."
„Das ist wohl wahr."
Sein strahlendes Gesicht, als er den Raum verließ, würde ich wohl so schnell nicht vergessen. Lächelnd griff ich nach der Akte, die auf meinen Schreibtisch lag und murmelte vor mich hin, was mir gerade durch den Kopf ging.
„Shawn Mendes, du passt wahrlich gut in unser Team."
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Das mit Shawn konnte ich mir echt nicht verkneifen. :D
Louis hat jetzt bei Freddie die A-Karte gezogen, ich denke das ist verständlich. Und Honey ist nun in Sicherheit. Außerdem wisst ihr nun wie sie zur Mafia gelangt ist und welche Rolle sie dort spielte.
Ich hoffe, ihr hattet Spaß beim Lesen und ich bedanke mich für die vielen tollen Kommentare zum letzten Kapitel. Sie waren zum Teil so emotional wie das Kapitel selbst.
Das nächste Kapitel wird auf jeden Fall erst im neuen Jahr kommen, vermutlich am 2. oder 3. Januar. Bis dahin wünsche ich euch einen guten Rutsch!
LG, Ambi xxx
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