32. Cold Comfort
♪ Stitches – Shawn Mendes
Harry
Pünktlich um vierzehn Uhr saß ich am Montag in der katholischen Kirche, im Bezirk Hell's Kitchen und wartete auf Niall. Wir waren verabredet und normalerweise ließ er mich niemals lange schmoren. Aber am heutigen Tag kam er geschlagene zehn Minuten zu spät. Das war jedoch nicht das Einzige, was mir auffiel.
Niall wirkte total neben sich stehend, um es milde auszudrücken. Seine Augen zeichneten sich durch eine schwarze Umrandung aus, als ob er kaum geschlafen hätte und sein Blick wirkte irgendwie gehetzt.
Da wir uns vollkommen alleine im Gotteshaus aufhielten, redete ich nicht um den heißen Brei herum, sondern fragte ziemlich direkt.
„Hey Kumpel, sag mal, wie siehst du denn aus? Hast du dir die Nächte um die Ohren geschlagen?"
Als ich ihn eingehender betrachtete, bekam ich es echt mit der Angst zu tun. Er wirkte völlig zerfahren.
„Harry, können wir bitte reden?", fragte er leise.
„Ja natürlich, was immer du auf dem Herzen hast, ich höre dir zu."
„Komm mit."
Mit diesen Worten packte er mich am Arm und zerrte mich buchstäblich in die Sakristei im hinteren Bereich der Kirche. Wir nahmen auf den beiden Stühlen Platz und dann legte Niall los.
Mir blieb die Spucke weg, als ich die ersten Sätze vernahm und ich dachte ernsthaft, er wollte mich verarschen.
„Harry, ich weiß nicht, wie das passieren konnte, aber ich habe Sienna betrogen", stammelte er verzweifelt.
Meine Kinnlade klappte nach unten. „Was?!", war das einzige Wort, das ich vorerst herausbrachte.
„Es ist – es ist nach der Pokerrunde im Privatclub der Mafia passiert."
Seine Stimme klang total zerschlagen und er begann zu zittern, was sich deutlich an seinen Händen ausmachen ließ.
„Um Gottes Willen, wie konnte das geschehen?", hauchte ich ungläubig und immer noch hoffend, dass sich seine Aussage als schlechter Scherz entpuppte.
Doch das tat sie nicht – im Gegenteil.
„Zuerst haben wir gespielt und ganz normal getrunken. Die Einsätze waren höher als sonst und die Runden zahlreicher. Honey war von Anfang an dabei und beriet mich wieder beim Spielen."
Nialls Stimme brach kurz ab, er holte tief Luft, bevor er weiterredete.
„Dann hat Nicholas mir einen Wodka gegeben, den ich auf Ex trank. Es muss etwas drin gewesen sein, was ich jedoch erst später bemerkte."
„Oh, Niall."
Langsam griff ich nach seinen Händen, die sich eiskalt anfühlten und noch immer bebten.
„Und dann führte mich Nicholas in einen separaten Raum, Honey folgte uns. Es ging alles so schnell. Er schloss die Tür und verschwand und ich – ich konnte nichts tun. Bitte, du musst mir das glauben, Harry."
Als die ersten Tränen aus seinen Augen flossen, bekam ich echtes Mitleid mit ihm. Was zur Hölle hatte die Mafia Niall bloß angetan? Mein Groll auf diesen Abschaum stieg ins Unermessliche, doch ich musste einen klaren Kopf bewahren und versuchen, Niall zu helfen.
„Erkläre es mir bitte genau. Hat dich das Zeug besinnungslos gemacht?", hakte ich nach.
„Nicht am Anfang. Ich bekam deutlich mit, wie sie mich und sich entkleidete, aber ich konnte mich nicht mehr bewegen. Es fühlte sich an, als sei ich nicht im meinem Körper, verstehst du?"
Langsam nickte ich und es dämmerte mir. Es gab Drogen, die haargenau solche Dinge auslösten, wie Niall sie beschrieben hatte. Die Mafia kam natürlich an jegliche Art betäubender Substanzen mühelos heran. Zum Teil stellten sie diese sogar eigenhändig her.
Eine Träne tropfte auf meine Hand. Das war der Moment, in dem ich Niall in den Arm nahm. Er benötigte meinen Trost und meine Zuwendung jetzt ganz dringend. Im Grunde genommen hatte er nichts Schlimmes getan, da man ihn wehrlos und gefügig gemacht hatte.
„Lass es einfach raus, Niall", flüsterte ich sanft.
„Es – es ist so schlimm, Harry", schluchzte er. „Ich kann ihr das nicht sagen – verstehst du?"
Ich verstand sogar sehr gut. Es gab gewisse Dinge, die sollte man besser für sich behalten, weil es einfach keinen Sinn machte, jemanden mit einer Wahrheit zu verletzen, die eigentlich eine andere war. Niall liebte Sienna – und das tat er mit ganzem Herzen.
Das Gefährliche an der Sache war nur, dass die Mafia vermutlich über Bild- und Tonmaterial diesbezüglich verfügte, um ihn nach Belieben erpressen zu können. Niall war sich dessen sicher bewusst, sonst würde er nicht so heftig reagieren.
„Was soll ich nur machen, Harry? Ich habe – mit einer Nutte gevögelt – wenn Sienna das jemals herausbekommt, dann-."
Er brach ab, da ein erneutes Schluchzen seine Stimme verdrängte. Niall tat mir so unglaublich leid.
„Ist ja gut", wisperte ich, „wir kriegen das irgendwie hin. Ich stehe an deiner Seite."
Mein Zuspruch bewirkte, dass er sich ganz langsam wieder fing. Das Beben seines Körpers nahm ein wenig ab und als er zum ersten Mal den Kopf hob, blickte ich in sein verheultes Gesicht. Ihn so zu sehen, schmerzte ziemlich.
„Bitte rede mit niemandem darüber, Harry", murmelte er und fuhr sich mit einer müden Handbewegung durch die Haare. „Mit niemandem, versprich mir das."
„Ich verspreche es."
Mehr konnte ich im Moment nicht für ihn tun, dennoch lag es mir fern, einfach aufzugeben und die Sache auf sich beruhen zu lassen, bis die Mafia sich vielleicht rührte und Niall erpresste. Uns musste ganz dringend etwas einfallen, dahingehend eine Art Vorsorge zu betreiben.
Fieberhaft überlegte ich, was in dieser Situation am besten zu tun sei. Mir war durchaus bekannt, dass man Nicholas Romanow praktisch durchleuchtet hatte. Das Dumme daran waren die Strukturen der russischen Mafia. Diese gestalteten sich nämlich so, dass man der oberen Etage nichts nachweisen konnte. Sämtliche Wege führten nicht bis zu den Hintermännern, sondern höchstens bis zur Viererreihe. Wir würden niemals an den Wor oder seinen Brigadier herankommen, es sei denn ein Wunder geschah.
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich wie Niall sich die letzten Tränen aus dem Gesicht wischte. Insgesamt wirkte er ein wenig gefasster, als noch vor einigen Minuten. Außerdem schien es in seinem Kopf ebenfalls zu arbeiten, was seine nächste Frage eindeutig bewies.
„Harry, kannst du mir einen Gefallen tun?".
„Kommt drauf an. So lange es nichts Illegales ist, tue ich alles für dich."
„Gut."
Niall nickte und atmete tief durch, bevor er zum Reden ansetzte.
„Hör zu, ich muss unbedingt herausfinden, ob Nicholas einen Schwachpunkt besitzt."
„Fehlanzeige", erwiderte ich und erläuterte ihm die Schwierigkeiten hinsichtlich der Ermittlungsarbeiten gegen die Russen.
„Sein Lebenslauf liest sich perfekt. Geboren in Russland, im Alter von sechs Jahren kam er hierher, besuchte zunächst die amerikanische Schule, anschließend das College. Er schloss sein BWL Studium mit einer glatten Eins ab und arbeitete anschließend in einer sehr angesehenen Firma. Irgendwann übertrug sein Vater die Geschäftsanteile seiner Firmen auf ihn. Seitdem leitet Nicholas diese."
„Wow, du hast deine Hausaufgaben echt gemacht", lobte Niall. „Aber es muss doch irgendwas geben, wie wir ihn drankriegen können."
„Wenn wir uns deinen Vertrag mit dem Wor zunutze machen, bist du Kieran auf alle Fälle los", erwiderte ich seufzend.
„Ich weiß."
Verzweifelt raufte Niall sich das dichte Haar, um das ihn manche Frau sicher beneidete.
„Und wir etwas über Honey herausfinden?", ließ er nachdenklich verlauten.
„Du meinst, seine Nutte? Das können wir zwar versuchen, aber ich es wird schwierig, da wir ihren Namen nicht kennen und sie auch nirgendwo in den Reihen der Mafia auftaucht."
„Kannst du nicht das Foto, das du von ihr im Hotel gemacht hast, durch den Polizeicomputer jagen?", erkundigte sich Niall erstaunt.
„Wenn ich eine Frontalaufnahme von ihr hätte, dann schon. Aber sie ist nur seitlich darauf zu sehen und zudem noch verschwommen. Da finden wir nichts. Wir müssen den Namen herauskriegen, das ist Fakt."
Für einen Moment dachte ich nach und als mir die Idee kam, wusste ich, dass es ein Spiel mit dem Feuer sein würde. Doch Niall zuliebe musste ich das tun.
„Hör zu, ich versuche mein Möglichstes, ok? Vielleicht kann ich etwas auf die Beine stellen."
Neugierig musterte er mich. „Und wie?"
„Das ist top Secret. Lass mir einige Tage Zeit, ok? Und mach dich nicht so verrückt."
Ein abgrundtiefes Seufzen war zu vernehmen.
„Du hast gut reden."
„Ich dachte, du wolltest mir vertrauen?"
„Das tue ich auch."
Nach einer herzlichen Verabschiedung machte ich mich auf den Weg nach draußen. Meine erste Tat bestand darin, Eleanor anzurufen, die Gott sei Dank erreichbar war.
Was hier ablief, grenzte an eigenmächtiges Handeln, doch ich hatte Niall versprochen, den anderen gegenüber zu schweigen. Somit konnte ich mir kein Ok von Alistair einholen, dem ich im Moment sowieso lieber aus dem Weg ging. Er verlor zwar kein Wort über Maggie, wenn wir dienstlich miteinander sprachen, doch ganz wohl war mir nicht bei dem Gedanken, ihm eines Tages wieder in London gegenüber zu stehen. Außerdem quälte mich die Frage, wie er unsere Liaison herausgefunden hatte. Alistair war echt unberechenbar, was diese Dinge anging.
Meine Gedanken flogen weiter zu Eleanor. Sie überwachte Nicholas Romanow, kannte mittlerweile seine Gepflogenheiten sowie die tägliche Routine. Nun bat ich sie, diese blonde Frau, die man häufig an seiner Seite sah, ebenfalls unter die Lupe zu nehmen. Für Eleanor stellte dies keine große Herausforderung dar, denn mit ihrem Motorrad zwängte sie sich stets durch den dichten Verkehr der Großstadt.
„Ich danke dir, El", beendete ich unser Telefonat.
„Bitte, keine Ursache, ich melde mich dann die Tage, um dir einen Überblick zu verschaffen, Harry."
Geduld gehörte auf jeden Fall zu meinen Stärken, deshalb wartete ich einfach ab, was sich diesbezüglich tun würde und stattete Niall täglich einen Besuch in der Kirche ab.
Nach wie vor wirkte er ziemlich ruhelos und jedes Mal sprach ich ihm Mut zu, was auch bitter nötig war, denn er wirkte noch immer am Boden zerstört.
„Ich kann meiner Frau kaum in die Augen schauen", lauteten seine Worte, die mich zutiefst mitnahmen und die meine Wut ins Unendliche steigen ließen.
Am liebsten hätte ich eine Bombe auf den Privatclub der Mafia werfen lassen, von oben wohlbemerkt.
„Wir kriegen das hin, Niall. Hab Geduld."
Eigentlich war es unmöglich, dies von ihm zu verlangen, aber er beklagte sich nicht, sondern nahm meine Worte einfach hin. Für mich fühlte es sich an, als ob er sich keine großen Hoffnungen machte, doch ich wollte keinesfalls aufgeben.
Am Samstag klingelte es plötzlich gegen Mittag an meiner Tür. Als ich misstrauisch durch den Spion schaute, erblickte ich Eleanor in ihrer Motorradkleidung. Grinsend öffnete ich und bat sie hereinzukommen.
„Na, El, hast du Neuigkeiten für mich?", fragte ich nach einer herzlichen Begrüßung.
„Klar. Hast du einen Kaffee? Ich brauche dringend etwas Warmes zu trinken."
„Kein Problem."
Während ich in der Küche hantierte, zog El ihre schweren Motorradstiefel aus und platzierte den Helm auf einem der beiden Sessel im Wohnzimmer. Sie selbst setzte sich auf die Couch und nahm den Kaffee dankend entgegen, den ich ihr wenig später servierte.
„Also? Ich höre", sagte ich und zwinkerte ihr zu.
Vorsichtig nippte El an der heißen Flüssigkeit, bevor sie zum Reden ansetzte.
„Honey geht montags, mittwochs und freitags vormittags ins Fitnessstudio. Dienstagnachmittags besucht sie ein Nagelstudio und donnerstags den Friseur. Die Namen und Adressen besagter Institutionen habe ich dir schon aufs Handy geschickt. Ebenso die Uhrzeiten, denn sie hat immer feste Termine."
Nachdenklich goss ich ein wenig Milch in meinen Kaffee und führte anschließend die Tasse zum Mund. Als ich den ersten Schluck nahm, konnte ich diesen allerdings nur mit Mühe bei mir behalten, denn El ließ einen Satz verlauten, der mich beinahe rücklings vom Sessel kippen ließ.
„Ich habe für dich einen Termin im Nagelstudio ausgemacht."
„W-Was?"
Entgeistert starrte ich meine Kollegin an.
„Ja, du wirst dort auf Honey treffen, den Rest musst du selbst erledigen."
Leise stöhnend ließ ich den Kopf vornüber sinken.
„Wieso ausgerechnet in einem Nagelstudio?"
„Warst du schon mal in einem?"
„Nein, wozu?"
Spielerisch schlug El mir auf den Arm.
„Glaub mir, Harry, du wirst es lieben. Es geht nichts über eine tolle Maniküre."
Nachdenklich blickte ich auf meine kurzen Fingernägel.
„Und welche Farbe soll ich nehmen?"
„Knallrot ist gerade angesagt", erwiderte sie burschikos.
„Na super! Dann kann Liam mich wieder aufziehen."
„Mach dir nichts draus. Ich hoffe jetzt einfach, du findest etwas über Romanows Betthäschen heraus. Vielleicht nützt es uns ja."
Ich hatte El den eigentlichen Grund, warum ich unbedingt Honeys Namen herausfinden wollte, verschwiegen. Schließlich wollte ich mein Versprechen Niall gegenüber nicht brechen. Da es hier jedoch generell um Ermittlungen innerhalb der Mafia ging, hatte El sich ohne Probleme dazu bereit erklärt, mir unter die Arme zu greifen.
„Ok, Harry, wie sieht es aus, wollen wir heute Abend zusammen ins Kino gehen?"
„Du hast heute frei?"
„Ja, ich kann ja nicht rund um die Uhr arbeiten. Sophia und Liam haben sozusagen die Bereitschaft übernommen."
„Hm, von mir aus können wir uns gerne einen Film anschauen", stimmte ich zu.
Es war öde, die Wochenenden alleine zu verbringen, doch seit El sich in New York aufhielt, unternahmen wir hin und wieder etwas gemeinsam. Da meine Kollegin herrlich unkompliziert war, ging uns auch niemals der Spaß dabei flöten.
Nachdem wir im Internet nachgeschaut hatten, entschieden wir uns für einen Action-Streifen, der in einem der Kinos auf dem Broadway gezeigt wurde.
Mit einem Eimer Popcorn und zwei riesigen Pappbechern Cola verbrachten wir zwei Stunden in den bequemen Sesseln und amüsierten uns prächtig. Und weil der Samstag so schön gewesen war, beschlossen wir uns am Sonntag im Hyde Park zu treffen. Alles in allem konnte ich mich über das Wochenende nicht beklagen, doch je näher der Dienstag rückte, desto nervöser wurde ich.
Harriet hatte ihren großen Auftritt.
Sorgfältig suchte ich meine Kleidung aus, schminkte mich und trug das teure Parfum auf, das meine Schwester mir glücklicherweise überlassen hatte, weil sie den Duft nicht mochte. Jemand aus ihrem Freundeskreis hatte sich da wohl vergriffen, als man es ihr zum Geschenk machte. Ich hingegen fand, dass es herrlich roch, nach Blumen und Frühlingswiese.
Bevor ich meine Wohnung verließ, überprüfte ich nochmals den Sitz der blonden Perücke. Schließlich durfte mir in dieser Hinsicht kein Malheur passieren.
Mit einem leichten Magengrummeln stieg ich in die U-Bahn und verließ diese in Höhe der 42. Straße West. Dort in der Nähe befand sich das Nagelstudio, in welchem ich gleich auf Honey treffen würde.
Alles klappte wie am Schnürchen, mein Termin war ordnungsgemäß vermerkt worden und ich kam auch sofort dran. Allerdings musste ich schlucken als ich sah, dass ein Mann meine Fingernägel bearbeitete. Seinem Aussehen nach zu urteilen, stammte er aus einem asiatischen Land. Seine Finger waren eher zart und er arbeitete sehr gewissenhaft. Überhaupt bestand die Hälfte der Angestellten des Studios aus männlichen Mitarbeitern, die ihre Arbeit wohl allesamt sehr professionell verrichteten.
Die Maniküre tat wirklich gut und während ich bereits verwöhnt wurde, traf Honey im Studio ein. Begrüßt wurde sie tatsächlich mit diesem Namen und so freundlich, wie es sich für eine Stammkundin gehörte. Man machte ihr den Hof.
Auch sie entschied sich für rote Nägel, was mich insgeheim schmunzeln ließ. Stets im Trend, diese Frau.
Sie wirkte edel und sehr hübsch. Doch ihr Äußeres täuschte mich nicht, ich wusste, was hinter dieser Fassade steckte. Eine abgebrühte Mafia-Braut, die meinen Freund ohne Gewissensbisse vergewaltigt, und ins Unglück gestürzt hatte.
Da ich vor Honey fertig war, bezahlte ich, gab ein ordentliches Trinkgeld und schaute mich anschließend in der Einkaufpassage um. Das Nagelstudio behielt ich dabei stets im Blick, ich durfte nicht verpassen, wenn die falsche Schlange es verließ.
Geschlagene zehn Minuten schlenderte ich auf und ab, ehe ich die Blonde endlich erblickte. Ohne zu zögern heftete ich mich im Getümmel an ihre Fersen.
Sie drehte sich kein einziges Mal um, sondern setzte gezielt ihren Weg zu einem Laden fort, der Kosmetikartikel verkaufte. Dort herrschte großes Gedränge, da dieser wohl gerade Sonderangebote zu Dumpingpreisen verschleuderte. Ich konnte nicht behaupten, dass mir das ungelegen kam, denn je heftiger der Menschenauflauf, desto unauffälliger würde ich an ihre Handtasche gelangen. Schließlich brachte man uns während der Spezialausbildung nicht umsonst das Klauen bei.
Ein gezielter Griff ließ mich den Reißverschluss ihrer teuren Tasche der Marke Prada öffnen, um das Portemonnaie daraus zu entwenden. Es gelang gleich beim ersten Versuch, was mich nicht wunderte, da ich diesen Teil der Prüfung damals mit einer glatten Eins abgeschlossen hatte.
„Harry, du könntest glatt als Taschendieb arbeiten." Die Worte meines Ausbilders waren mir noch gut in Erinnerung geblieben.
Schnell ließ ich den Gegenstand in meiner Manteltasche verschwinden, schloss den Reißverschluss wieder und quetschte mich anschließend durch die Menge nach draußen. Dabei trat man mir mehrmals auf die Füße, was ich mit einem lautlosen Fluchen hinnahm. Am Ausgang des Ladens stieß ich mit einer grobschlächtigen Frau zusammen, die mich kopfschüttelnd musterte. Bestimmt handelte es sich um ein intolerantes Weibsbild, das etwas gegen Transvestiten hatte. Man sollte diese Leute wirklich verklagen, denn Minderheiten zu unterdrücken, passte nicht in mein Weltbild.
Nachdem ich mich wieder gefasst hatte, warf ich kurz einen Blick auf meine frisch lackierten roten Nägel, um dann weiterzugehen.
Mein Weg führte mich direkt zu den Damentoiletten, wo ich in aller Seelenruhe eine Kabine belegte und dort den Ausweis mit meinem Handy fotografierte.
Honeys Name lautete Sandra Carter. Damit hatten wir die Möglichkeit, sie zu überprüfen und ihre Daten durch den Polizeicomputer zu jagen.
Konzentriert schickte ich eine WhatsApp Nachricht an Briana, die dies für mich erledigen würde. Mit der gleichen, stoischen Ruhe verließ ich die Toiletten, um ohne Umweg zum Büro des Store Managers zu laufen.
„Ich habe eine Geldbörse gefunden und würde diese gerne abgeben", sagte ich freundlich.
„Natürlich, das ist sehr aufmerksam von Ihnen. Wo genau lag sie denn?"
„Im Gang vor den Toiletten", log ich ohne mit den falschen Wimpern zu zucken.
Klugerweise hatte ich das Bargeld entwendet, damit es so aussah, als ob der Dieb nur darauf aus gewesen wäre. Honey sollte keinerlei Verdacht schöpfen, der die Vermutung nahe legte, dass sie vielleicht unter Beobachtung stand.
Mit einer großen Genugtuung im Bauch trat ich schließlich den Heimweg an. Unterwegs kam ich an einem Penner vorbei, der im Freien campierte und den ich mit Honeys Bargeld beglückte. Schließlich wusste ich selbst, wie es sich anfühlte, mit einem alten Hut auf der Straße zu sitzen und darauf zu warten, dass jemand etwas hineinwarf.
„Schönen Gruß von der Mafia", murmelte ich leise vor mich hin, als ich die Zwanzig-Dollar-Note in die Pappbox beförderte, die der arme Kerl aufgestellt hatte.
Das war meine gute Tat für den heutigen Tag.
In Harlem angekommen, versendete ich eine Nachricht an El, dass alles geklappt hätte und Briana bereits informiert sei.
Nachdem ich mich umgezogen und abgeschminkt hatte, schmiss ich mich mit einer Dose Bier und einer Tiefkühlpizza auf das Sofa, schaltete den Sportkanal ein und wartete einfach ab. Die Zeitverschiebung nach London einkalkulierend, ging ich davon aus, dass Briana mich sowieso irgendwann mitten in der Nacht aus dem Bett klingeln würde. Und mein Gefühl täuschte mich nicht.
Um kurz nach halb drei vier Morgen meldete sich mein Handy.
„Harry, Süßer, es tut mir leid, wenn ich dich geweckt haben sollte", flötete meine Kollegin ins Telefon.
„Ich habe noch nicht mal die Augen zugemacht, weil ich auf deinen Anruf warten wollte", gähnte ich.
„Das ist toll. Ich habe dir nämlich eine E-Mail mit allen Daten über die Dame geschickt."
„Super Briana, ich danke dir. Wenn ich wieder in London bin, lade ich dich zum Essen ein."
Sie kicherte vor sich hin. „Tu, was du nicht lassen kannst."
„Wer kann zu Harry Styles schon nein sagen?", frotzelte ich.
„Hm, lass das nicht deine Freundin oder gar Alistair hören."
Automatisch zog ich den Kopf ein. Gott sei Dank befand sich mein Boss in weiter Ferne.
„Also, ich schaue mir den Kram jetzt an, bis dann Briana und grüße alle schön von mir."
Mit meinem Handy öffnete ich den E-Mail Account, tippte auf die letzte, die vor zwei Minuten eingegangen war und begann aufmerksam zu lesen.
__________________
Uhhh, was wird Harry da wohl entdecken? Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen und ihr seid gespannt, wie es weitergeht.
Leute, eure Kommentare zum lezten Kapitel waren einfach nur göttlich. Ich habe mich total über die Resonanz gefreut. Bitte macht weiter so - wir ziehen den dritten Teil gemeinsam durch. Seid ihr bis zum Schluss dabei? Ich schon!
Das nächste Update kommt am Montag oder Dienstag.
Ich habe noch eine Überraschung für euch und zwar gibt es ein Sequel zur Black-Reihe. Dabei handelt es sich um eine Kurzgeschichte mit dem Namen Sideline. Ihr findet sie auf meinem Profil und morgen (Sonntag) kommt das erste Kapitel. Bisher ist nur das Vorwort hochgeladen, aber ihr könnt sie schon in eure Bibliothek packen, wenn ihr möchtet.
An dieser Stelle möchte ich euch noch eine Collage zeigen, die für Black Room von der lieben fallingone erstellt wurde. Ich danke dir ganz herzlich dafür!
LG, Ambi xxx
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro