15. Kapitel
„Ich würde mich freuen, wenn Adam dich wieder mit zurückbringt. So eine starke Frau wie dich habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht getroffen. Ich glaube, ich könnte noch viel von dir lernen."
Traurig lächelt Maria mich an und ich schließe sie zum zweiten Mal an diesem sonnigen Morgen in meine Arme.
„Danke für alles", flüstere ich und kämpfe selbst damit, die Tränen zurückzuhalten. Langsam löse ich mich von ihr und sehe sie direkt an. „Du bist auch stark Maria. Wahrscheinlich sogar stärker als ich."
Gerührt sieht sie mich an und jetzt kann ich deutlich Tränen in ihren Augen stehen sehen.
Alles in mir schreit danach, diese ganze Aktion abzubrechen und einfach hier zu bleiben. Aber ich weiß, dass ich es irgendwann bereuen werde, nicht nachgeforscht zu haben, was dieser Robert weiß.
Deswegen muss ich gehen.
Maria streicht sich eine Haarsträhne hinter die Ohren.
„Du hast mir gezeigt, was wir Frauen erreichen können. Dass wir etwas aus unserem Leben machen können und für unsere Träume kämpfen sollten. Egal was uns andere vorschreiben."
Sie greift nach meiner Hand und drückt sie.
„Diese Erkenntnis ist so viele Kleider wert, dass du mindestens täglich eines kaputt machen könntest. Wenn ich so viele besitzen würde", überlegt sie laut und bekommt ein aufgeregtes Funkeln in den Augen.
„Obwohl...dann könnte ich öfter zu Anna gehen...Mit einem guten Grund..."
Bevor sie noch tiefer ins Schwärmen für die Schneiderin versinken kann, macht sich Adam hinter uns mit einem Räuspern bemerkbar.
Grinsend blicke ich Maria an. „Ich bin mir sicher, dass dir generell Gründe einfallen werden, um sie zu besuchen."
Maria nickt lachend und klopft mir auf den Handrücken. „Da bin ich mir auch sicher."
Ich vernehme ein weiteres Räuspern hinter meinem Rücken.
Schweren Herzens lasse ich Maria los und wende ich ihr den Rücken zu.
Ich spüre, dass ich den Absprung nicht schaffen werde, wenn ich das Gespräch weiter fortführe. Auch wenn mich die Tatsache, dass sie ein deutlich erkennbares Interesse an der Schneiderin hat, sehr interessiert und ich unbedingt mehr darüber erfahren will.
Aber das geht jetzt nicht.
Also stelle ich mich zögerlich neben Adam und atme tief durch. Das Pferd wirkt aus der Nähe betrachtet noch größer und ich schlucke hart.
Adams Augen huschen aufmerksam über mein Gesicht und er hält mir seine Hand hin. „Bereit?"
Ich fühle mich nicht in der Lage, ein einziges Wort über meine Lippen zu bekommen, so sehr hat mich der Abschied von Maria mitgenommen.
Daher nicke ich abgehakt und wappne mich innerlich vor dem Moment, in dem ich mich entscheiden muss.
Der Abschied von Maria fällt mir zu diesem Zeitpunkt schon so schwer, obwohl ich noch gar nicht sicher weiß, ob ich überhaupt nach Hause zurückkehren kann.
Wie soll ich es dann schaffen, Adam zurückzulassen, sollte ich wirklich nach Hause in meine Zeit gelangen können?
Es erscheint mir unmöglich.
Einige Augenblicke später halte ich angespannt die Zügel in der Hand.
Das hellbraune Pferd, dessen Namen ich noch nicht einmal kenne, läuft brav neben Adams schwarzer Stute her. Mein Körper wird bei jedem Schritt durchgeschaukelt und ich bemühe mich, wenigstens ein bisschen Körperspannung aufzubauen, um den Rücken gerade halten zu können.
Adam blickt konzentriert durch die Ohren seines Pferdes nach vorne auf den unebenen Weg. Der sanfte Wind fährt durch seine Haare und wirbelt sie ihm immer wieder in die Stirn. Vermutlich ohne es richtig zu realisieren, streicht er sich die langen Strähnen mit einer Hand nach hinten, nur damit sie ihm ein paar Minuten später wieder in die Stirn fallen.
Ich bin Maria sehr dankbar, da sie dieses Problem für mich mit der Flechtfrisur perfekt gelöst hat.
Adams Nase ist auf die doppelte Größe angeschwollen und blau angelaufen. Die unnatürliche Farbe zieht sich bis unter seine Augen und lässt ihn wie einen Junkie aussehen. Er muss auch garantiert noch gewaltige Kopfschmerzen haben, aber er sitzt dennoch tapfer neben mir.
Wir sind erst einige Minuten unterwegs, als ich realisiere, wieso er sich schon wieder die Haare aus den Augen streicht und ich mich so nackt auf dem Kopf fühle. „Was ist mit Helmen?"
Auf einmal fühle ich mich, als würde ich etwas Verbotenes tun. Im 21. Jahrhundert ist es schließlich Pflicht, beim Reiten oder auch Fahrradfahren einen Helm zu tragen. Jetzt fährt uns der Wind ständig durch die Haare und es fühlt sich luftig an. Das dürfte gar nicht sein.
Adam blinzelt verwirrt und sieht zu mir rüber. „Helme? Wir sind doch keine Soldaten."
Ich stutze und komme mir sofort lächerlich vor. Natürlich gelten hier nicht die Sicherheitsmaßnahmen aus meiner Zeit. Wie konnte ich das vergessen?
„Aber wenn wir runterfallen und uns verletzen?", gebe ich zu bedenken und ernte einen weiteren, völlig verwunderten Blick von ihm. „Wieso sollten wir runterfallen?"
Mit dieser Gegenfrage habe ich nicht gerechnet und spontan auch keine Antwort parat. Daher schürze ich die Lippen und belasse es dabei.
Ich merke selbst, dass ich nur auf diesem Thema herumreite, um nicht über meinen inneren Konflikt nachdenken zu müssen. Ich spüre, dass ich aufgeregt bin, weil ich nicht weiß, was mich bei Robert erwarten wird. Ob er mir überhaupt helfen kann. Und was ich mit seiner Hilfe anstellen werde.
Ich baue so viel Hoffnung auf diesen Mann, dass ich bestimmt enttäuscht sein werde, wenn er nicht das Wissen hat, was ich erwarte.
Aber andererseits wäre es auch eine Erleichterung, weil ich dann keine Entscheidung treffen müsste, in welcher Zeit ich leben möchte. Denn diese Entscheidung wird mich innerlich zerstören, das spüre ich.
Wir haben mittlerweile das Dorf verlassen. Die Schritte der Pferde hören sich dumpf auf dem Feldweg an und ich lasse beeindruckt meinen Blick über die Landschaft schweifen. Der Wind biegt das Getreide auseinander und formt eigene Skulpturen daraus, während vereinzelt Vögel darüber fliegen und in den Bäumen landen. Am Himmel ziehen weiße, dünne Wolken vorüber, schaffen es aber nicht, gegen die stark scheinende Sonne Schatten zu spenden.
Es ist ein wunderschöner, friedlich wirkender Tag. Ich sollte es genießen, ihn mit Adam gemeinsam zu erleben. Aber stattdessen halten mich meine Zweifel gefangen.
Vorsichtig sehe ich zu Adam rüber. Er hat bisher kein Wort darüber verloren, dass ich heute Nacht in sein Bett geklettert kam. Dieser intime Moment wird verschwiegen, als würde er sich in Luft auflösen, sobald einer von uns ihn laut ausspricht.
Wir reiten so dicht nebeneinander, dass sich zwischendurch unsere Knie berühren. Bei jeder dieser kleinen Berührungen fühlt es sich an, als würde ein gewaltiger Stromstoß durch meinen Körper jagen. Und bei jeder dieser kleinen Berührungen frage ich mich, ob Adam es auch spürt.
Irgendwas ist zwischen uns, ich kann diese Anziehung spüren, die zwischen uns herrscht. Das Verlangen, ihn am Arm zu berühren oder am liebsten mit ihm auf dem gleichen Pferd zu sitzen, wächst mit jedem Moment, den wir hier gemeinsam verbringen.
Mein Herz brennt innerlich, ich will dieser Versuchung nachkommen, aber ich reiße mich zusammen. Ich fühle mich unsicher, ob ich sein Verhalten falsch interpretiere. Aber andererseits hat sogar Maria bereits Andeutungen in diese Richtung gemacht... Überdenke ich gerade die ganze Situation viel zu sehr?
Ich bin schon immer eher ein Kopfmensch gewesen, der jede Entscheidung und Situation fast tot gedacht hat. Vielleicht sollte ich meinen Verstand endlich ausschalten und das tun, was gut für mich ist? Das tun, wonach sich mein Herz und mein Körper sehnt und all die Sorgen loslassen. Einfach das tun, was mich glücklich machen würde.
Wieso traue ich mich nicht, dieses Risiko einzugehen?
„Adam... ich..." Stockend beginne ich, breche dann aber hilflos ab. Was soll ich ihm sagen? Dass wir umkehren können und ich ihn gerne unter dieser großen Birke ausziehen möchte?
Verdammt, ich sollte wenigstens noch für die nächsten Stunden meinen Verstand benutzen. Denn diese nächsten Stunden sind entscheidend für meine Zukunft. Ich weiß, dass ich später verrückt werden würde, wenn ich diesen Plan nicht zu Ende gebracht hätte. Dann würde ich mich in irgendeinem Moment fragen, was passiert wäre, wenn ich meine Antworten erhalten hätte.
Ich brauche die Gewissheit, um mit meinem alten Leben abschließen zu können. Immer im Hinterkopf dieses „Was-wäre-wenn-Spielchen" zu haben, würde mich wahnsinnig machen.
Adams warme Augen liegen fragend auf mir und ich senke schnell den Blick, um nicht direkt wieder den Faden zu verlieren, den ich gerade innerlich aufgenommen habe.
„Ich möchte nicht, dass es so wirkt, als würde ich es nicht erwarten können, von dir wegzukommen. Dich zu verlassen." Geschäftig ziehe ich einzelne Strähnen der Mähne meines Pferdes durch die Finger, um ihn weiter nicht ansehen zu müssen. Ich habe Angst vor seiner Reaktion, ich möchte nicht, dass er mich von sich stößt.
„Aber ich brauche die Antworten...ich will verstehen, was mit mir passiert ist. Ob die Möglichkeit besteht, dass ich von hier weg in meine Zeit kommen könnte..."
Irritiert sehe ich Adams Hand an, die auf einmal in meinem Blickfeld erscheint und meine eigene umfasst. Mein Herz überschlägt sich in meiner Brust und ich hebe vorsichtig den Blick, bis sich unsere Augen ineinander verhakten. Fest sieht er mich an und meine Knie werden weich.
„Und wenn es die Möglichkeit gibt, dass du zurückkehren kannst... Wirst du es tun?" Er klingt leise und gleichzeitig verletzlich.
Überfordert beiße ich mir auf die Lippen, da mich genau diese Frage schon so lange beschäftigt. Ich spüre, dass ich die Antwort darauf erst weiß, wenn der Moment gekommen ist. Wenn ich mich entscheiden müsste.
„Ich...ich weiß es nicht." Ich merke, dass ich ihm eine ähnliche Antwort wie seiner Schwester gebe und es tut mir sofort leid. Sein Blick verschleiert sich, er zieht seine Hand zurück und ich sehe, wie er fest den Kiefer aufeinander beißt. Das war nicht die Antwort, die er sich erhofft hat.
Ohne noch etwas zu sagen, beschleunigt er das Tempo seines Pferdes und ich tue es ihm notgedrungen gleich, da er mir keine andere Wahl lässt.
Ich fühle mich schuldig und grausam zugleich. Mit meinen Worten habe ich ihn verletzt. Das ist etwas, was ich nie tun wollte.
Auf einmal wirkt Adam wieder so unnahbar, so weit entfernt. Er hat eine harte Schale, aber einen unglaublich warmherzigen Charakter. Er würde alles für die Menschen tun, die ihm etwas bedeuten.
Mir wird bewusst, dass ich zu diesen ausgewählten Menschen gehöre. Ansonsten würde er nicht gerade mit mir unterwegs sein. Mir ist es gelungen, seine harte Schale zu knacken, ohne dass ich mich besonders dafür habe anstrengen müssen. Und was tue ich?
Ich stoße ihn bei der erstbesten Gelegenheit direkt von mir.
Wunderbar hinbekommen, Elaine.
Bevor ich mich weiter über mich selbst ärgern kann, legt ein dicker Vogel in dem Busch direkt neben mir eine Bruchlandung hin.
Er zwitschert erschrocken vor sich hin, während er einige Äste verfehlt und damit die Zweige zum Rascheln bringt, bis er endlich Halt gefunden hat.
Mein Pferd macht einen Satz zur Seite und ich kralle mich erschrocken in seiner Mähne fest.
Erschrocken erhöht es seine Geschwindigkeit und rast von Panik angetrieben nach vorne los.
Innerhalb einiger Sekunden habe ich Adam überholt und blicke völlig ratlos auf den Feldweg, der sich vor mir erstreckt.
Ich weiß nicht, wie ich es überhaupt schaffe, mich im Sattel zu halten. Der kalte Wind peitscht mir ins Gesicht und ich wünsche mir eine automatische Bremsfunktion für dieses Pferd herbei.
Wie sehr vermisse ich gerade meinen alten VW Polo, mit dem ich immer zur Arbeit gefahren bin.
Mir kam jede Fahrt mit ihm ebenfalls wie ein Ritt vor. Aber das war im Nachhinein betrachtet Leiden auf hohem Niveau.
Denn das hier ist ein Ritt, der alles übertrifft.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro