Bonus 1
Black Streets
Bonus
01- Der Brandtag
Dunkelheit legt sich über die gesamte Stadt wie dunkelblaue Tinte. Es ist windstill. Ich kann es nicht abhaben über Wege zu laufen, die ich nicht kenne, wenn meine Sicht sowieso eingeschränkt ist. Ich will nicht auf Emir bauen.
»Hier entlang«, spricht Emir monoton aus. Er stinkt nach Zigaretten, raucht in letzter Zeit eine nach der anderen. Keine Ahnung, was in seinem verdrehten Kopf abgeht, aber bei einem bin ich mir sicher. Er schadet sich, weil er sich bestrafen will für Dinge, die er nicht getan hat.
Er fasst mich nicht an. Wohlwissend, dass ich sonst ausraste. Ich rede mir immer noch ein, ich würde keine Hilfe brauchen.
»Glaubst du, das bringt etwas?«, fragt er mich, als kaum noch Strecke zur Behindertenwerkstatt zu überqueren ist.
Ich halte an, atme genervt aus. »Wir haben es doch besprochen. Es wird etwas bringen, es muss. Sie haben doch eine Angestelltin weniger, weil eine ja letztens erst gestorben ist und wer ist besser als deine Mutter? Der einzige Grund für ihre und zig weitere Kündigungen ist das beschränkte Geld.«
Emir flucht. »Als ob das bisschen Geld, dass meine Mutter hier verdient, zu viel wäre.«
»So ist das nunmal. Hilft der Staat weniger, muss man sich auf weniger Angestellten beschränken. Das System funktioniert so.«
»Ich ficke das System.«
Ich lache. »Anders kennt man dich doch nicht.«
»Es wird trotzdem nicht helfen«, meint er dann aber, dreht sich wieder um und geht weiter. Dabei legt er die Hände an den Hinterkopf. »Sie lassen niemanden leben. Dieser Ort sollte beschränkten Kindern helfen. Dabei beschränken sie selbst Menschen.«
»Ah, da spricht wieder der Poet in dir«, spreche ich belustigt aus und folge ihm. Emir war schon immer so. Seine Sprüche sind erwachsener als er selbst. »Du weißt, meine Mutter wird die Sache unterstützen und wenn meine Mutter das unterstützen will, wird meine Tante eingreifen und die hat so einige Connections«, versuche ich ihm zu versichern. Meine Tante ist der Horror, aber für sowas kann sie dann doch gut sein.
»Was ist eigentlich mit diesem einen Mädchen, das hier letztens mitgeholfen hat?«, frage ich, um die Stimmung aufzulockern. Themenwechsel. »War sie wegen dir hier?«
Emir schließt die große Eingangstür auf und sieht zu mir zurück. »Nein, dir arbeitete nur hier, bei ihrer Mutter. Das ist alles.«
Ich zucke mit der Schulter. »Du wirst sie sicher wiedersehen, wenn deine Mutter den Job wiederbekommt, was?«
»Unwahrscheinlich.«
»Wieso?«, frage ich lachend. »Steht sie nicht auf Poeten?«
Emir ist zuerst ganz leise. Sein Blick wird düster. »Ihre Mutter ist die verstorbene Angestelltin.«
Er betreten das Gebäude. Ich tue es ihm nach und hole mein Feuerzeug heraus und lasse die kleine Flamme entfachen. Damit ist das Thema wohl beendet. Ich habe die schon immer gemocht, diese Flammen. Sie haben etwas, das einen in ihren Bann zieht.
»Deniz, pack das weg«, meint Emir. »Wir haben hier Licht.«
»Wieso kündigen wir unseren Besuch an? Wir könnten sie doch überraschen«, entfache ich die Flamme, töte sie dann aber, in dem ich den Finger vom Abzug nehme, nur um sie wieder zum Leben zu bringen.
»Sie zu erschrecken wird sie nicht überreden«, presst Emir ernst hervor und seufzt. »Das wird sowieso nichts.«
Ich lasse das Feuerzeug wieder in meine Hosentasche gleiten. »Doch, das wird es. Wir machen es auch auf deine Tour.«
Emir schaltet das Licht an und wir nehmen die Treppen hoch. Wir sind eine Ewigkeit befreundet und eine Ewigkeit kenne ich seine Mutter. Eine Frau, dessen Herz größer als der Hunger des Feuers ist. Aber gerade solche Frauen werden verletzt, wie auch meine Mutter verletzt wurde. Ich will das nicht dulden.
»Okay, lass mich reden. Und wir drohen ihr nicht, Deniz«, wird Emir schließlich doch nervös. Er klopft an der Tür des Büros der Cheffin, niemand ist da.
»Egal, wir klären das ein anderes Mal«, sage ich und da ist außerhalb des Büros ein Geräusch zu hören. Farah meinte einmal, ich müsse besser hören können, wenn meine Augen schlechter sind. Das stimmt nicht. »Was war das?«
»Ich sehe nach«, schlägt Emir vor, ist wahrscheinlich sogar dankbar, weil er seine Enttäuschung verbergen will. Ich nicke also und schenke ihm damit den Freiraum.
Ich gehe an die Unterlagen auf dem Tisch. Vielleicht ist hier etwas Brauchbares. Das Verhalten von Emir weckt Erinnerungen in mir. Ich kann es nicht abhaben, wenn Mütter verletzt werden.
Er ist dein Fleisch und Blut, schreit meine Mutter in meinem Kopf.
Mein Vater hört nicht auf sie.
Sieh ihn doch an! Wie kannst du statt deiner Familie einer Lüge glauben?, kreischt sie.
Er hört ihr nicht zu. Er gibt ihr eine Schelle, die tiefe Spuren auf ihrer Seele hinterlassen- und nicht nur auf ihrer.
Ich spanne den Kiefer an und versuche nicht daran zu denken, während ich an die Schubladen gehe. Ich versuche nicht daran zu denken, wie ich als kleines Kind versuche zwischen meine Eltern zu gehen und wie mein Vater mich anschreit, ich sei das Kind einer Hure und mich gegen den Boden wirft. Das kann meine Mutter nicht verkraften. Sie geht auf meinen Vater los. Vielleicht, wenn ich nicht dazwischen gegangen wäre, wäre es nicht so gekommen. Dann hätte er sie vielleicht nicht so geschlagen.
Ich weiß nicht.
Ich halte das Blatt zwischen meinen Fingern, auf denen Rauswürfe aufgezeichnet sind. Dort steht der Name von Emirs Mutter und darunter die Ursache des Rauswurfs. Gewaltausübung an behinderten Kindern.
Eine ekelhafte Lüge.
Schmiergelder, steht darauf und das ist es, was mir den letzen Stoß gibt.
Wut übermannt mich. Darunter ist noch eine Notiz, dass dies an das Gericht weitergegeben werden soll. Noch weitere Namen stehen dort.
Ich presse die Zähne so fest aneinander, dass es schmerzt. Meine Finger beben. So ist es. So verletzen sie die Schwachen. Ich habe im nächsten Moment das Feuerzeug in der Hand und setze den Zettel in Brand. Es glüht, frisst sich durch das Papier und sieht so verdammt schön aus. Vielleicht fühlt es sich genau so befreiend für Emir an zu rauchen.
Die Flamme. Es reicht nicht. Ich werfe das Blatt auf den Tisch und das Feuer hat solchen Hunger, dass es mit Gier frisst und wächst und meine Augen glühen, während ich dem zusehe.
»Deniz. Deniz!«, ruft Emir und dann ist er bei mir und zieht mich aus dem Raum, während ich immer noch das Feuer bewundere. Als ich dann zu mir komme, rennen wir den Flur hinunter und Emir öffnet die schwere Eingangstür.
»Was ist passiert?«, fragt er mich schwer atmend und mit weit aufgerissenen Augen.
Ich schlucke zuerst, denke die wenige Zeit, in denen ich noch aushusten muss, nach. »Du hattest recht. Ich hätte nicht mit dem Feuerzeug spielen sollen. Es ist mir aus der Hand gerutscht.«
»Scheiße, wir haben das Gebäude in Brand gesetzt. Was sollen wir tun?«, fragt Emir.
»Du gehst erst einmal«, antworte ich und bin fassungslos darüber, dass ich mich nicht unter Kontrolle habe.
Zeitgleich wird die Eingangstür hektisch geöffnet und ein Mädchen kommt heraus. Mit ihren zerbrechlichen Armen drückt sie eine Kiste gegen ihre Brust, als würde ihr Leben davon abhängen. Sie atmet hysterisch, während sie ihren Körper gegen die Eingangstür presst, nich nur wegen dem Feuer. Ihr Blick gleitet von mir zu Emir. Sie hat es gehört. Sie hat nicht gehört, dass ich den Brand verursacht habe, sondern dass Emir gemeint hat, wir beide wären es und deshalb packe ich sie am Haaransatz. Ein Schrei verlässt ihren Mund. Sie lässt die Kiste fallen.
»Was tust du?«, schreit Emir entsetzt auf, aber ich weiß selbst nicht was ich tue. Es passiert alles so schnell. Sie fällt rückwärts, ihr Kopf landet an der Gebäudewand und alle Kraft verlässt sie mit einem Mal.
Ihr Haar entgleitet meinen Fingern und ihr Körper sackt auf den Boden.
»Verdammte Scheiße, atmet sie noch?«, fragt Emir, kniet sich vor sie hin und nimmt ihr die Haare vom Gesicht. Ich starre immer noch meine Finger an. Das ist jetzt nicht passiert.
»Sie atmet noch«, berichtet er mir. Ich spüre, wie ich am ganzen Leib zittere.
»Deniz, was tun wir jetzt?«
»Wie sorgen wir dafür, dass sie schweigt?«, fragt er dann. »Was haben wir getan?«
Ich habe es getan. Er beschuldigt sich wieder für Dinge, die er nicht getan hat und das sorgt dafür, dass ich ihn schützen will. Ich sollte ihn hassen, dass weiß ich. Aber ich kann nicht.
»Sie wird vergessen«, sage ich fest entschlossen. Ich musste heute die Medikamente meiner Mutter holen und da sind Schlaftabletten bei, die dafür gesorgt haben, dass sie Dinge nicht mehr richtig einordnen konnte, die kurz vorher passiert sind. Das perfekte Mittel.
Meine Hände zittern noch, als ich das Zeug raushole.
»Was ist das?«, fragt Emir. »Deniz, sie kommt zu Bewusstsein.«
Aus Panik schütte ich das ganze Zeug in meine Hand und weil sie dann laut aufatmet, drücke ich mein Hand samt Tabletten gegen ihren Mund. Sie kämpft. Sie kämpft dagegen an.
Vielleicht hat meine Mutter recht.
Vielleicht bin ich doch wie mein Vater.
»Ist das nicht zu viel?«
Er kennt die Antwort, verdammt. Wieso fragt er noch.
»Schluck das-«, raune ich. »-runter!«
Ich drücke das Mädchen gegen den Boden. Meine Hand verdeckt auch ihre Nase. Sie muss atmet, sie muss schlucken. Emir hält ihre Arme. Meine Beine sind jeweils links und rechts neben ihrem Körper. Es gibt keinen Ausweg.
Dann lasse ich locker und es scheint so, als würde sie gleiten.
Als wir schwimmen auf dem Rücken gelernt haben, hat unsere Lehrerin das den-toten-Mann-spielen gennant. So sieht es jetzt aus- außer der Sache mit dem Mann.
»Wird sie davon sterben?«, fragt Emir wieder.
»Du bist ein pessimistischer Poet. Ihr wird nichts passieren«, sage ich, ohne es wissen zu können. Die Seele meines Vaters muss zersprungen sein. So fühlt sich meine Seele gerade an.
Keiner von uns sagt, dass wir jetzt gehen müssen. Wir tun es einfach,
Und wir leben weiter.
Nicht nur Emir beschuldigt sich für Dinge, die er nicht getan hat, sondern auch meine Mutter.
Nachdem ich ihr das mit Emirs Mutter erzählt habe, hat sie darauf bestanden, dass wir nichts auf eigene Faust tun sollen. Vielleicht hätte ich auf sie hören sollen. Dann wäre das ganze nicht passiert. Vielleicht hätte ich auch niemals auf die Welt kommen sollen. Dann wäre nichts dergleichen passiert.
Weder jetzt.
Noch in der Vergangenheit.
Oder in der Zukunft.
Sie ist uns gefolgt. Meine Mutter hat sich schon immer darum gekümmert, alles, was ich falsch tue, auszubessern. Sich zu entschuldigen, für mich. Aber das, das ist etwas anderes. Sie verliert kein Wort darüber. Trotzdem weiß sie, dass ich etwas mit dem Feuer zutun habe. Trotzdem weiß ich, dass sie es war, die das Mädchen hektisch zum Krankenhaus gefahren hat und dann verschwunden ist.
Ich bin zurück, nachdem ich Emir nach Hause ist. Ein Teil in mir hat immer noch darauf bestanden, sie zurückzulassen. Sie hat die Behindertenwerkstatt angezündet und dann Selbstmord begangen. So würde es heißen. Aber ich konnte nicht. Ich hatte das Bild im Kopf, wie sie sich um die Kinder kümmerte. Ich hätte der Welt einen Engel weggenommen.
Aber sie war nicht mehr da, als ich dort ankam. Kurz darauf kam die Feuerwehr, einige Reporter und ich stand abseits, betrachtete mein Werk.
Als das Feuer stirbt, gehe ich zum Anwesen.
»Wir bleiben hier«, meinte meine Mutter irgendwann. Sie hat die Arme verschränkt und schaut aus dem Fenster, zu den Sternen. »Meine Schwester braucht mich.«
»Sie will dich nicht«, antworte ich monoton. »Weder dich. Noch mich.«
»Und trotzdem braucht sie uns.«
Vielleicht sind die Kinder dieses Hauses ein Fluch. Farah für meine Tante. Ich für die Welt.
Ich sage nichts mehr dazu, gehe auf mein Zimmer und daraufhin auf die neue Schule. Emir sehe ich nicht mehr. Wir gehen uns aus dem Weg. Aber ich weiß, sein Gewissen wird nie rein sein. Er wird immer an sie denken, an das Mädchen, das wir beinahe umgebracht haben. An das Mädchen, das wir gequält haben. An das Mädchen, das gerade die Treppen der Schule runterläuft.
Nicht hier. Nicht sie.
Ich halte die Luft an, während ihr Blick meinen streift. Dann gleitet er weiter und sie geht ohne jede Emotion an mir vorbei.
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Das war dann Bonus Nummer 1.
Wie findet ihr es?
Hab übrigens alle Kommentare gelesen und mich auf alle gefreut, hatte aber noch keine Zeit sie zu beantworten. Das werde ich aber sicher noch tun! :)
eure Hayaleyna
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