13- Verbranntes Papier
Black Streets
13- Verbranntes Papier
»Mach mir einen starken Kaffee.«
Der stolze Stiefvater hat einen extremen Kater. Ich werde wohl nie verstehen, wieso er so viel trinkt, wenn er genau weiß, wie es endet.
»Ich muss in die Schule.«
Das ist das erste richtige Mal, dass wir uns nach meinem Krankenhausbesuch wiedersehen. Das mich irritierende ist, dass ich keine Angst ihm gegenüber mehr hege, nicht einmal bisschen.
Ich mache mir nur noch Sorgen um Buke und Ümit.
»Als ob dir das etwas bringt«, sagt er in einem energischen Ton.
»Die Leute müssen sich etwas gedacht haben, als sie Schulpflicht eingeführt haben.«
Ich tue Wasser in den Wasserkocher. Den Rest wird er wohl alleine hinkriegen.
»Sag Mal«, knurrt er und drückt mein Gesicht mit einem Mal mit der Hand zusammen. »Ist da ein Bastard mit dem du dich dort triffst?«
Das tut er immer, wenn er merkt, dass man keine Angst hat. Er versucht die Leine strammer zu ziehen. »Wo hurst du dich überhaupt herum nach der Schule?«
»Ich arbeite«, zische ich ihn an und befreie mich von seinem Griff. Das Geld muss knapp sein, da Buke immer noch nicht arbeitet und ich ziemlich lange im Krankenhaus lag.
Eigenschuld.
»Und dein Gehalt?«
»Glaubst du, ich werde bezahlt, wenn ich im Krankenhaus liege?«, frage ich und verlasse die Küche. Rasch schnappe ich mir meine Jacke und ziehe meine Schuhe an.
»Wenn du lügst, bist du verkauft.«
Wenn mein jetziger Zustand frei ist, weiß ich auch nicht.
Ich verlasse das Haus und laufe zur Haltestelle. Im Bus kontrolliere ich noch einmal, ob man irgendwelche Verletzungen noch sieht. Wenn ja könnte ich noch sagen, es sei wegen dem unbekannten Angreifer.
Mein Gesicht sieht relativ in Ordnung aus. Nur ein blauer Fleck befindet sich über meinem rechten Wangenknochen. Genau da, wo ich jedes Mal aufgekommen bin, als er meinen Kopf, die Hand am Haar, gegen den Boden geschlagen hat. Aus den Augen gepinselt, aus dem Sinn gedrängt.
Im nächsten Bus begrüßt mich Lamia mit einer Umarmung. Sie wirft das Haar zurück, nachdem sie sich zu mir setzt und beginnt zu erzählen. Ich mag ihre Stimme. Selbst wenn ich nicht immer ihren Worten zuhöre. Ich mag den Klang und wie sie bei Höhepunkten hochschwingt.
Die Stimme unseres Lehrers hingegen ist kratzig und desinteressiert.
Deniz ist eigentlich eher passiv im Unterricht, aber in letzter Zeit scheint er sich immer öfter zu beteiligen. Seine Stimme ist tief und löst in mir ein undefinierbares Gefühl aus. Als würde ich sie aus einer unklaren Erinnerung kennen, die ich verdrängen will. Deshalb versuche ich abzuschalten, wenn er redet.
Ich habe gestern vergessen, das Notizbuch von meiner Tasche zu entfernen. Die Sache mit Buke hatte meine gesamte Aufmerksamkeit geraubt.
In der letzten Stunde nervt Ömer Lamia. »Du weißt schon, dass Lamia auf Latein sowas wie Schlange bedeutet.«
Berna ist nicht in unserem Kurs, was bedeutet, dass er sich anderem widmen kann.
»Was soll ich mit einer toten Sprache?«, zischt Lamia. »Mein Name kommt aus dem Arabischen und bedeutet Glanz.«
»Warte, warte-«, unterbricht er sie, als sie fortfahren will. Er hat sein Handy in der Hand. »Lamia, Lamiae- femininum- Hexe, Vampir, der Kindern das Blut aussaugt.«
Sie nimmt ihr Buch und schlägt ihn damit. Unserem Lehrer gefällt das so gar nicht. Er schreit herum, wobei sein Kopf einem roten Ballon gleicht. Eine Berührung und er wird platzen. »Ömer, Lamia und Izem, vor die Tür!«
»Die Mädels haben nichts-«, beginnt Ömer, da wird unser Lehrer noch wütender. »Raus! Und nach der Stunde kommt ihr zu mir.«
Nein.
Ich sehe, wie Deniz grinst und dabei nach vorne sieht. Ich werde zu spät kommen.
Nach dem Unterricht hören wir uns an, was für einer Schande wir werden, wenn wir so weite machen. Ich lagere das Gewicht vom einen zum anderen Bein. Bei diesem Lehrer kann man nicht reden. Man kann nur schweigen und warten, bis er sich beruhigt hat.
Ömer entschuldigt sich bei mit, als wir gehen können. Ich ignoriere ihn und renne runter. Einen Bus habe ich schon verpasst, bevor der andere abfahren kann, schaffe ich es noch hinein.
»Nurgül wartet in ihrem Zimmer auf dich«, erklärt mir Meral. Ist sie sauer? Das kann ich mir kaum vorstellen.
»Welches Zimmer?«
»Die Treppen hoch- dann ganz rechts.«
Ich nicke und gehe den Weg. Als ich dabei an Farahs Zimmer vorbei gehe, fühle ich mich so, als würde ich ein Verbrechen begehen.
Nach einem kurzen Klopfen, bittet Nurgül mich rein. Sie lächelt, als sie mich sieht. Also wütend ist sie schon mal nicht. »Setz dich doch.«
Ich gehorche und warte darauf, dass sie fortfährt. »Wir konnten leider nie über die Vergütung reden. Es kam so viel dazwischen.«
Ach ja, ich kriege ja Geld dafür, dass ich auf meinen Neffen aufpasse. Wie falsch das klingt.
»Ich war so lange im Krankenhaus. Das macht insgesamt keinen Monat«, spreche ich die Tatsachen aus.
»Kranksein ist eine Entschuldigung. Natürlich werden die Tage trotzdem gezählt«, meint sie und das wundert mich. Als sie mir dann den Betrag nennt, den ich bekommen soll, gehen meine Augenbrauen in die Höhe. »Das ist viel zu viel.«
Ich tue hier nichts, bekomme aber beinahe das doppelte von dem, was ich in meiner letzten Arbeitsstelle bekommen habe. Irgendetwas läuft hier falsch.
Nurgül schüttelt den Kopf. »Du bist uns eine große Hilfe! Du hilfst doch sogar Meral, obwohl du es nicht machen musst.«
Während sie das sagt, legt sie einen Brief auf den Schreibtisch vor ihr. »Ist es in Ordnung, wenn ich dir das Geld so überreiche?«
»Ja, das ist es«, nuschele ich. Das ist echt zu viel, aber es könnte genau unsere Rettung sein.
Erstens weiß der stolze Stiefvater nicht, dass ich das Geld früher bekomme.
Zweitens wird er niemals so viel erwarten.
»Könnte ich dich um eine Sache bitten?«, fragt sie dann. Ihre Augen werden dabei größer. »Ich werde am Wochenende nicht hier sein. Könntest du hier bleiben und auf Ümit achten? Du könntest ja in meinem Zimmer oder in dem von Ümit übernachten. Je nachdem, was dir lieber ist.«
Ich reiße die Augen auf. Das ist unmöglich.
»Es wäre eine Art Bonus. Die Vergütung würde ich dir gleich am Sonntag, wenn ich zurück bin, geben.«
»Ich denke, das sich das nicht machen lässt.«
Stiefvater würde mich umbringen. Aber habe ich davor Angst?
»Das verstehe ich.«
Vielleicht ist das meine einzige Chance. Jeder Cent könnte mein Leben retten. Vielleicht ist das der Weg, den ich gehen muss.
»Obwohl«, stammele ich und in mir steigt Nervosität. »Ich rufe zu Hause an und versuche das zu klären.«
Sie wirkt positiv überrascht. »Das wäre so toll! Wenn du willst, kann auch ich anrufen.«
»Danke, aber ich versuche es lieber erst einmal selbst«, verlasse ich den Raum mit Herzrasen. Ich lehne mich an die Tür, die ich eben geschlossen habe, beiße dabei auf die Lippe,
Dann rufe ich den stolzen Stiefvater an. Er braucht eine Weile, um abzunehmen. »Was willst du?«
Am Telefon ist er immer genervt.
»Ich muss über das Wochenende arbeiten, auch über Nacht.«
»Sag doch gleich, dass du zu einer Vollzeithure wirst.«
Ich beiße die Zähne zusammen. Ob normale Wände Ohren haben, weiß ich nicht, aber diese haben mit großer Wahrscheinlichkeit welche. Ich stelle seine Stimme leiser. »Ich muss nacharbeiten, weil ich ja im Krankenhaus war.«
Er schnalzt mit der Zunge. »Du und deine Schwester, ich habe euch zu viel Freiheiten gegeben.«
»Seit wann ist Arbeit-«, ich stoppe, beiße die Zähne fest zusammen, um den Satz nicht zu beenden. Seit wann ist Arbeit, dessen Lohn man nicht selbst bekommt, Freiheit?
Wieso habe ich das Gefühl, dass ich beobachtet werde? Ich sehe mich um, aber da ist keiner. Dieser Deniz hat mich Paranoid gemacht.
»Was willst du, das ich tue? Im Haus bleiben oder Geld verdienen?«
»Wann bekommst du dein Gehalt?«, fragt er. Das bedeutet dann wohl, dass ich gewonnen habe.
»Rechne aus. Ich bleibe dann hier.«
Schon habe ich aufgelegt.
Nurgül geht mit einem kleinen Koffer. Hülya tut so, als würde sie das nicht interessieren, beäugt sie dann aber vom Küchenfenster aus.
Meral und ich stehen vor der Tür und verabschieden sie. Von ihrem Sohn ist keine Spur.
»Wohin-«, beginne ich, da sieht mich Meral warnend an und schüttelt den Kopf. Das heißt dann wohl, dass ich nicht fragen soll.
Ich wechsele Ümits windeln und stille seinen Durst.
»Das Baby ist ziemlich wählerisch«, meint Meral lachend, nachdem ich Ümit in seine Wiege gelegt habe und die Treppen runterlaufe. »Bei mir weint er ständig. Hülya weigert sich, in seine Nähe zu kommen.«
Sie erwähnt nie Deniz. So, als würde er nicht in dieses Anwesen gehören.
»Kannst du mir kurz helfen?«, fragt sie dann wieder und bevor ich antworten kann und reicht mir einen Behälter voll Klamotten. »Die gehören Nurgüls Sohn.«
Das erste Mal.
»Kannst du es in sein Zimmer bringen? Es ist das erste rechts- ach und vergiss nicht, das zweite ist Tabu.«
Sie zwinkert mir zu und ich kann dann wieder hoch- in das Zimmer des Jungen, den ich lieber meiden würde.
Ich atme tief durch und klopfe widerwillig. Er antwortet nicht. Ich klopfe wieder. Nichts. Wenn er zu Hause wäre, würde man mich doch nicht in sein Zimmer schicken, oder? Er war ja auch nicht unten, um Nurgül zu verabschieden.
Langsam öffne ich die Tür, das Zimmer ist leer. Die Sachen tue ich auf sein Bett und sehe mich dann um. Das ist das erste Männerzimmer, das ich sehe.
Man hört das Abprallen von Wasser. Im Zimmer ist eine Tür, wahrscheinlich ein Badezimmer. Dort muss sich Deniz wohl befinden. Er duscht einfach, anstatt sich von der Mutter zu verabschieden. Auch gut
Als ich wieder gehen will, bleibt mein Blick auf einigen Blättern auf seinem Schreibtisch liegen. Gleichzeitig höre ich, wie Deniz anfängt in einem tiefen Ton zu singen. Vielleicht hätte ich das lustig gefunden, unter normalen Umständen. Aber jetzt, wo ich auf seinem Schreibtisch Kopien von meinem Notizbuch auffinde, ist das alles andere als witzig. Okay, so viel hab ich ihm nicht zugetraut.
Manche sind mit einem roten Filzstift markiert, manchmal sind Fragezeichen da, manche Dinge hat er unterstrichen. Als würde er ein Gedicht analysieren. Dieser Junge ist krank, diese Familie ist krank.
Ümit fängt an zu schreien und ich nehme die ganzen Kopien und knicke sie in der Mitte. Es ist spät geworden, draußen sieht man die Sterne.
Ich nehme Ümit in die Arme und versuche ihn zu beruhigen. »Hattest du einen Alptraum?«, frage ich ihn. »Ich lebe in einem. Und damit du in keinem lebst, werde ich kämpfen.«
Er beruhigt sich sehr schwer, fällt dann aber wieder in seinen Schlaf. In letzter Zeit ist er sehr unruhig. Das ist so untypisch für ihn.
Ich schnappe meine Tasche. steige hastig die Treppen hinunter und betrete den Garten. Hier war ich noch nie.
Ich laufe in das dunkle matte Grün hinein und hole dabei mein Notizbuch heraus. Er hat es gelesen. Er hat es versucht zu verstehen.
Den kleinen Mülleimer nehme ich zur Mitte. Für diese Aktion könnten sie mich feuern, aber daran denke ich gerade nicht. Meine Gedanken sind blockiert. Ich will das alles einfach vernichten. Als ob ich durch die Beweise auch seine Tat vernichten kann. Ich zünde zuerst die Kopien an und wenn sie genug brennen, werfe ich sie in den Mülleimer, der leer steht. Dort verbrennen sie zur Asche und das tut gut.
Dann ist mein Buch an der Reihe. Es dauert länger, bis es Feuer fängt, aber es brennt umso schöner.
»Hey! Hey, was tust du da?«, ruft die tiefe Stimme, die ich verabscheue. Er reißt mir das Buch aus der Hand und wirft es auf den Boden, wo er das Feuer austritt. »Was sollte das denn?«
»Was soll das, meine privaten Sachen anzufassen!«, schreie ich. »Zuerst klaust du meinen Kuli und jetzt mein Notizbuch? Hast du nichts eigenes, keine eigenen Sachen, kein eigenes Leben?«
Er blinzelt. Die Nacht hat seinen Mantel um die Welt gehüllt. Es ist dunkel. Die Lichter des Gartens sind nicht an. Deshalb sehe ich nur Umrisse seines Gesichtes. Ich erkenne aber gut, dass er mich nicht anschaut. Seine Pupille bewegt sich suchend und er scheint sich zu konzentrieren, aber er sieht nicht in meine Augen. Was soll das schon wieder? »Hey«, sagt er ruhig. »Lass uns reingehen oder das Licht anschalten.«
Er kniet sich und hebt mein Notizbuch hoch, um es mir zu geben. »Ich wollte auch einmal meine Gedanken verbrennen, aber habe mich selbst dabei verbrannt.«
Ich entreiße ihm mein Buch und stecke sie in meine Tasche. Der Geruch von verbranntem Papier hängt in der Luft.
»Ich wollte dich einmal verstehen.«
Ich weiß nicht, ob ich mir die Worte eingebildet habe oder ob er sie wirklich ausgesprochen hat, so leise war er. Ich sehe ihm nach, wie er zurück ins Haus geht und kann nicht fassen, dass er damit durchkommt.
Er kommt damit durch und er wird mit so viel mehr durchkommen, nur weil er Nurgüls Sohn ist. Nur weil er hier wohnt.
Ich nehme meine Tasche und gehe ihm nach. Ümit weint wieder.
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