Kapitel 7
Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete ich, wie Torben den vollkommen schlaffen und verunstalteten Körper von Red Hunter über seine Schulter schwang. Mit jeder seiner Bewegungen wippte der Kopf und die Hände unablässig mit. Sole folgte Torben und ihre Blicke suchten prüfend die Gegend ab, nach irgendwelchen Gefahren, die ihnen auflauern konnten.
Nevia schoss gekonnt auf die Bogenschützen der Gegenpartei, die sich nun oben auf dem Hügel versteckten. Delian unterstützte sie mit seinem Speer, auch wenn er nicht einmal ansatzweise so gut war, wie Nevia.
Artis richtete sich nun von seinem Blutbad auf, dass er unten am Boden mit einigen Kopponen angerichtet hatte. Sein Kopf schnellte nach oben, und innerhalb weniger Sekunden hatte er sich mit seinem massigen Körper vom Boden abgestoßen und war auf dem Weg nach oben zum Himmel zu einer Gruppe Kopponen, die keine 100 Meter entfernt zu sein schienen. Fasziniert betrachtete ich Artis schneeweiße Flügel, die sich nun langsam entfalteten. Nach einem friedlichen Engel sah er keinesfalls aus. Sein aggressiver Blick hatte nur noch die Kopponen im Visier, bereit dazu jeden von ihnen auszuweiden.
Das liebliche Erscheinungsbild, dass mir sonst immer meine Mom vor jeder guten Nachtgeschichte aufgedrängt hatte, war nichts weiter als ein Trugbild.
Levente folgte Artis und unterstützte ihn oben im Himmel, während er seine Messer bereits in die Richtung der Kopponen schmiss, die alle ihr Ziel erreichten.
Remmes war noch immer mit Liam zugange, der mich anfangs so intensiv betrachtet hatte, dass ich beinah daran zweifelte, ob Bodhirs Schutzbarriere überhaupt seinen Zweck erfüllte. Ich spürte, dass Liam etwas im Schilde führte. Seine glutroten Augen sprachen mehr, als tausend Worte. Er war finster und hinterhältig. Dennoch löste er in mir etwas Seltsames aus, von dem ich lieber die Finger lassen sollte, bevor ich mich zu sehr daran verbrannte. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf das Hier und Jetzt, und verfolgte eingehend den Faustkampf zwischen Remmes und Liam.
Es scheint gerade so, als würde er Remmes hinhalten wollen, aber wieso? Irgendetwas hat er vor ...
Als schließlich sein schwarzer Gehstock auf uns zugeschossen kam, wusste ich, dass er Remmes nur die Puste aus den Lungen treiben wollte, um schließlich seine Chance zu nutzen. Der Stock riss Bodhir den Boden unter den Füßen weg, und er knallte hart auf den trockenen Steinboden. Ein siegreiches Lächeln zeichnete sich in Liams Gesicht wieder und ich wusste auf Anhieb, dass der Schutzwall nicht mehr aktiv war. Panisch richtete sich mein Blick zu Bodhir. Doch der lag noch immer bewusstlos am Boden. In wenigen Sekunden stand Liam in seinem pechschwarzen Outfit vor mir, hob seinen Stock vom Boden auf und sah mir siegessicher entgegen.
"Welch eine Ehre deine Bekanntschaft zu machen."
Wie ich vermutet hatte, konnte man seine Stimme keinesfalls mit einer Symphonie vergleichen. Sein dunkler Bass ließ es zu, dass sich jedes meiner Härchen zu Berge stellte. Vorsichtig trat ich ein paar Schritte zurück, als er auf mich zukam. Seine Augen blitzten erfreut auf, als er meinen Haarschopf in Augenschein nahm.
"Mit deiner feuerroten Pracht, bist du wie gemacht für uns Höllentiere."
Sein Schmunzeln wurde breiter und dreckiger, als er gierig meinen Körper betrachtete.
"Und das, in jederlei Hinsicht", fügte er hinzu, als seine Augen nach der eingehenden Erkundungstour, wieder zurück zu Meinen fanden.
Sein animalischer Blick, ließ mich den schweren Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte, nur noch schwieriger hinunterschlucken. Ich wich ihm weitere Schritte nach hinten aus. Ich wusste, dass es nichts bringen würde, wenn ich mich jetzt umdrehen, und einfach davonlaufen würde. Mit einem Mal hatten sich meine Fluchtgedanken erübrigt. Durch den enormen Windstoß, musste ich mich mit meinen Füßen regelrecht in den Boden stemmen, und hielt mit meinen Oberarmen, die ich angewinkelt an meine Stirn drückte, dem Luftstoß einigermaßen stand.
Torben landete mit seinen schwarzen, prächtigen Flügeln vor mir. Auf der Schulter ruhte immer noch Red Hunter, den er nun behutsam auf den Boden ablegte. Nun konnte ich einen eindeutigen Blick von dem Mann erhaschen, der, ebenfalls wie meine Persönlichkeit, so unglaublich wichtig für die Engel zu sein schien. Er sah einfach nur grauenhaft aus. Nur mit einem Kartoffelsackfetzen lag er splitternackt in dem hohen Gras. Er war durchtrainiert und konnte mit Sicherheit einiges wegstecken, aber irgendwann hatte auch er seine Grenzen erreicht. Wohin sich meine Blicke auf seinem Körper auch verirrten, überall verteilten sich dunkle Blutergüsse. Seine demolierte Nase war vermutlich gebrochen. Das getrocknete Blut klebte wie eine Art Kokon auf seinem Nasenbein. Die Fleischwunden an Armen und Beinen waren kaum zu übersehen. Die Abdrücke verrieten mir, dass er an diesen Stellen wohl gefesselt gewesen war. Vermutlich hatte er einige Male versucht, sich aus seiner Gefangenschaft zu befreien, sonst wäre die Wunde nicht so wund und vereitert. Die tiefe Schnittwunde, die sich oben links an seinem Brustkorb befand, hatte noch immer nicht aufgehört zu bluten. Arme und Beine waren ausgekugelt, sodass er keine Möglichkeit hatte, in seinem jetzigen Zustand zu fliehen.
Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, was gewesen wäre, wenn die Maschine ein paar Sekunden weitergearbeitet hätte ...
"Du wirst sie nicht anrühren", holte mich Torbens einzigartiger Klang wieder zurück ins Geschehen.
Liams Mundwinkel verzogen sich zu einem breiten Grinsen.
"Und du willst mich daran hindern? Ein gefallener Engel?"
Wieder kam ein enormer Windstoß in Gang.
"Nein, wir werden dich gemeinsam daran hindern."
Remmes hatte sich hinter Torben gestellt. Sole, Nevia und Delian standen nicht weit entfernt von ihnen, nahmen aber trotzdem etwas Abstand.
"Fünf gegen einen. Findet ihr das nicht etwas unfair?"
Liam sah in die Runde und hoffte inständig darauf, dass Jemand erbarmen zeigte, oder zumindest auf seine Spielchen einging.
"Wir arbeiten nur mit denselben Mitteln, wie wir es von euch gewohnt sind."
Von Remmes einst so freundlichen Art, war nichts mehr zu erkennen.
"Äußerst schade."
Liam fing seinen Stock in der Luft auf, als sich alle fünf Krieger in meinem Umkreis kampfbereit machten. Liam schien die Situation sehr zu amüsieren, denn sein schadenfrohes Lächeln zeigte er allen mit größter Freude.
"Ganz ruhig bleiben. Ich werde nicht gegen euch alle kämpfen. Vorerst nicht. Ich lasse sie erst einmal in eurer Obhut, bis ich sie mir schließlich holen werde."
Sein durchdringender Blick der auf mir lastete wie eine schwere Bürde, ließen kaum noch zu, dass ich genug Sauerstoff in meine Lungen befördern konnte. Als sich Torben schließlich vor mich stellte, hatte ich das Gefühl, dass diese Verbindung unwillkürlich sein Ende nahm.
"Und für dich habe ich eine ganz besondere Überraschung", hörte ich Liams dunklen Bariton. An wen seine Worte nun gerichtet waren, konnte ich leider nicht erkennen. Doch ich wusste es, spätestens in dem Moment, als ich den Kopponen auf uns zufliegen sah.
"Lisa", entglitt Torben der Hauch eines Flüstertons.
"Ich wünsche dann noch viel Spaß", verabschiedete sich Liam, als er seinen Stock hart auf den Boden aufschlug, und sich um ihn herum die Gesteinsbrocken lösten und einen Weg ins untere Erdreich preisgaben.
Delian verschaffte sich den Gang nach vorne, um schließlich von Remmes zurückgehalten zu werden.
"Lass ihn gehen. Beim nächsten Mal bist du am Zug."
Ein Knurren erklang aus Delians Kehle und ich wusste, dass ihm Remmes Worte überhaupt nicht gefielen, dennoch gehorchte er, und sah mit an, wie Liam unter der Erde verschwand. Der Boden passte sich den Gegebenheiten wieder automatisch an, als wäre nie etwas geschehen.
"Bringt sie hier fort", richtete Torben die Anweisung an die umstehenden Krieger.
Levente und Artis waren immer noch oben im Himmel beschäftigt.
"Nein. Ich werde nicht gehen!"
Überrascht blickte Torben über seine Schulter hinweg und zeigte mir einen verwunderten Ausdruck.
"Das war keine Bitte. Du wirst sofort hier weggebracht", forderte er nun nochmals die Anderen dazu auf.
"Kannst du dich noch an das letzte Mal erinnern, als ich bei dir war, und dir zu Hilfe kam? Du bist diesem Kopponen nicht gewachsen!"
Ich wusste, dass ich ihn mit diesem Satz in seiner Ehre traf, dennoch war es die Wahrheit, und anhand der Reaktionen der anderen Vier, wusste ich, dass sie nicht anders darüber dachten.
"Ich werde Sie fortbringen", meldete sich Sole.
"Nein", protestierte ich.
Remmes kniete sich vor mir nieder und legte verständnisvoll seine Hände auf meine Schultern, als er versuchte möglichst einfühlsam seine Worte zu wählen.
"Ich weiß, dass dir das schwerfällt, aber wir werden ihn unterstützen. Er wird nicht alleine sein, und es wird auch nicht so ausgehen wie beim letzten Mal."
Ich nickte, obwohl ich Torben nicht verlassen wollte. Torben würdigte mich keines Blickes mehr, als ich mit Sole und dem bewusstlosen Red Hunter, der nun über Soles Schulter hing, auf den von ihr gerufenen Blitz stieg.
Der Koppone landete einige Meter vor ihnen und ließ einen tiefen Krater zurück, als er sich ihnen langsam zu nähern begann.
"Das ist nicht gut, gar nicht gut", flüsterte ich, als uns der Blitz hinauf zum Himmel schoss, und die Krieger ihre Kampfstellung einnahmen.
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Von diesem Kapitel wird ausnahmsweise nur einen Part geben, da ich den nächsten Teil wieder aus Torbens Sicht schreiben werde. Hoffe, das stellt für euch kein Problem dar ; )
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