Kapitel 28
Normalerweise hätte ich mich besser fühlen müssen, aber der Sieg trug einen bitteren Nebengeschmack mit sich. Zu viele Freunde hatten ihr Leben heute gelassen. Nevia, Delian, Artis und zu guter Letzt Torben. Die Erinnerung schmerzte zu sehr in meiner Brust, als das ich jetzt darüber nachdenken wollte. Ich flog hinab zu den anderen Dreien, die unten in der Höhle auf mich warteten. Sole klopfte mir auf die Schulter.
"Schön, dass du wieder da bist."
Levente schloss mich in seine Arme.
"Du hast mir einen gewaltigen Schreck eingejagt."
"Ich wusste ja selbst nicht, dass ich so wiederkommen werde."
Ich blickte um mich. So einen großen Schaden hatte die Höhle nicht abbekommen. In der Hölle konnte man schließlich nicht mehr viel kaputt machen. Doch das Gesicht in der Lavamasse, war nach wie vor deutlich zu sehen. Es schien, als würde es uns sogar beobachten.
"Sherin."
Ich wandte mich wieder an Sole. Sie fuhr sich ihr kurzes schwarzes Haar hinter das Ohr, bevor sie erneut das Wort ergriff.
"Der Herr schlägt vor, dass einer von uns hier unten bleiben soll, als Henker der Hölle und um den Herrn hier unten im Auge zu behalten."
Sie starrte auf das Gesicht in der Lavamasse.
"Ich würde mich gerne zusammen mit Boston dazu bereiterklären."
"Aber wir brauchen dich doch oben im Himmel", protestierte ich.
"Ich denke, du bekommst das erst einmal gut mit Levente zusammen hin. Außerdem habt ihr die Aufgabe, fünf neue Krieger zu finden."
"Neue Krieger?"
Sole nickte.
"Levente weiß Bescheid. Er hat das Ganze schon einmal mitgemacht."
Bevor sich Sole völlig von mir abwandte, drehte sie sich noch einmal zu mir.
"Und Sherin, tut mir leid wegen Torben."
Ich nickte und die Tränen, die sich in meinen Augen ansammelten, konnte ich nun nicht mehr zurückhalten. Ich schniefte und wischte mir die Tränen beiseite.
"Es ist nun wie es ist."
Er hatte die Wahl. Entweder er wählt ein neues Leben oder aber er bleibt bei Lisa.
Für was er sich wohl entschieden hat?
"Wenn du hier unten bleiben möchtest und der Herr will, dass von uns Engeln jemand hier unten regiert, dann tu was du nicht lassen kannst."
Irgendwie hörte es sich immer noch komisch an, dass ich wohl jetzt auch zu den Engeln gehörte. Sole schenkte mir noch eine innige Umarmung.
"Du wirst mir fehlen", gestand ich.
"Hey, du tust ja gerade so, als ob wir uns nie wiedersehen würden. Dir ist schon klar, dass du nun die Chefin da oben bist, direkt nach dem Herrn. So sehen wir uns also immer noch in den Himmel und Hölle Sitzungen."
Ich nickte. Dann wandte sie sich in einem Flüsterton an mich.
"Und nur für dich zur Info. Er hat sich für ein neues Leben entschieden."
Mein Herz pochte schneller und ich riss entgeistert die Augen auf.
"Woher weißt du..."
Sie tippte auf ihre Ohren.
"Noch kann ich den werten Herren von oben aus hören, zumindest das, was er mich hören lassen will."
Sie zwinkerte mir zu und ein Stückchen Hoffnung machte sich in meinem Inneren bemerkbar.
"Das wird ein Spaß, Mann", ertönte Bostons sinnloser Monolog. Er reichte mir grob die Hand, dann trat ich mit Levente zusammen den Rückweg an.
Wir flogen zusammen aus der Bahn des Vergnügungsparks hinauf in den Himmel, wobei ich immer mal wieder in seltsamen Bahnen meine Flügel schwang.
Ich muss unbedingt mehr üben, kam mir der Gedanke.
Von Weitem kamen bereits die Blitze auf uns zugerast.
"Ich muss noch zurück zum Mausoleum zu meiner Freundin Moesha! Ich habe ihr versprochen sie zu befreien, wenn alles vorbei ist!", rief ich Levente zu.
Er nickte.
"Ich begleite dich!"
Die Blitze kamen surrend vor uns an.
"Bereit für eine Verschmelzung im Flug?"
Ich schlug langsamer mit den Flügeln und kaum hatten meine Füße die grelle Substanz berührt, verschmolz mein Körper sofort mit der Energie. Es war immer wieder aufs Neue eine überaus feurige Erfahrung.
Die ganze Fahrt dauerte noch nicht einmal fünf Minuten und schon landete ich mit Levente zusammen auf dem Friedhof am Mausoleum des gefallenen Engel Petrus. Man hätte meinen können, dieser Ort wäre unbewohnt. Es war ein stinknormaler Friedhof, dessen Stille mich unruhig werden ließ. Kaum hatten wir uns in die Nähe des Mausoleums begeben, öffnete sich wie aus Zauberhand der schwere Steinbrocken. Vorsichtig traten wir ins Innere und sahen uns einem jungen Mönch gegenüber, der sich vor uns höflich verbeugte.
"Sie erwartet euch bereits."
Er führte uns weiter hinab durch einen dunklen mit Fackeln besetzten Raum. Wir kamen in einer Art unterirdischen Kampfarena zum Stehen.
"Das ist unser Trainingsraum", erklärte mir der Mönch auf meine offenstehende Frage hin.
Alle trainierten barfuß in einem braunen Gewand als Kleidung, sodass ich Moesha auf Anhieb gar nicht wirklich erkennen konnte.
"Moesha!", rief der Mönch sie zu uns hinüber.
Eine kleine Gestalt kam zu uns gelaufen. Für einen kurzen Moment war ich sprachlos, bis ich mich schließlich wieder etwas gefangen hatte. Moesha hatte sich so verändert. Ihre blondgefärbte zottelige lange Lockenmähne war nun kurzgeschoren. Sie hatte sich den Männern angepasst und all ihre Piercings entfernen lassen. Sie wirkte ausgeglichen und glücklich, ganz anders, wie bei unserer ersten Begegnung.
"Hey Sherin! Hast du alles erledigen können?"
Ich nickte kurz angebunden. Sie sah hinter mich und grinste.
"Wen hast du denn da mitgebracht?"
Sie wirkte tatsächlich interessiert an Levente, ohne jegliche Spur von Angst.
"Levente Moesha, Moesha Levente."
Levente nickte kurz zu ihr, blieb allerdings weiterhin hinter mir stehen.
"Redegewand ist dein Freund aber nicht."
"Nein, er hat's nicht so mit Reden."
"Wo ist eigentlich dein anderer geiler Aufpasser hin?"
Ich schluckte schwer und versuchte meine aufkommenden Tränen zu unterdrücken.
"Er... er hat es nicht geschafft."
Sie strich mir mitfühlend über den Rücken.
"Das tut mir leid."
Für einen kurzen Moment versank ich in meiner Trauer, bis mich Moesha wieder aus der Trance riss.
"Aber du hast dich wohl ordentlich hochgearbeitet. Du strahlst ja aus allen Poren deinen hellen Glanz heraus."
Ich wusste leider noch nicht, wie man dieses durchgehende Strahlen um meinen Körper herum abschaltete, aber ich arbeitete daran.
"Hör mal Moesha. Der Kampf ist vorüber und ich möchte mein Versprechen einlösen und dich nun wieder in deine Heimat zurückbringen."
"Ich habe mir schon gedacht, dass du mich nicht vergisst und irgendwann hier auftauchst, um mich abzuholen, aber ich habe mich hier sehr gut eingelebt."
Sie holte einen Brief aus ihrem Gewand.
"Kannst du den hier meiner Mutter geben?"
Ich nahm den Brief entgegen.
"Natürlich. Und denkst du, dass du hier unten zurechtkommst?"
"Ja. Obwohl ich eine Frau unter vielen Männern bin, hat man mich hier herzlich empfangen und sie behandeln mich genauso wie ihresgleichen. Das gilt natürlich auch im Kampf."
Moesha blickte über ihre Schulter in den Trainingsraum. Ihre nackten Füße gruben sich tief in den Sand.
"Ich habe hier einiges gelernt, Sherin."
Moesha begab sich in Kampfposition, ein leichtes Schmunzeln huschte über meine Lippen.
"Du musst mich nochmal besuchen kommen, dann kannst du dich von meinen Kampfkünsten überzeugen."
Sie ballte die Hände zu Fäusten und gab mir eine kurze Vorstellung vom Schattenboxen.
"Vielleicht können wir das irgendwann tun", entgegnete ich und versuchte nicht allzu gleichgültig zu klingen, wie es mich derzeit interessierte.
Ich verabschiedete mich von Moesha, steckte Moeshas Brief in den Briefkasten ihrer Mutter und kehrte mit Levente zusammen in den leergefegten Himmel zurück. Obwohl uns die Körper von Delian, Nevia, Artis und Torben genommen wurden, veranstalteten wir trotzdem eine Abschiedszeremonie in Gedanken an sie. Sole und Boston kamen ebenfalls. Keiner sagte ein Wort. Jeder legte ein Erinnerungsstück auf die leere Pritsche. Mein Andenken an Torben war der alte Stofffetzen seiner abgetragenen Hose. Er hatte ihn mir damals um meinen verletzten Fuß gebunden und seitdem trug ich ihn bei mir, wie eine kostbare Trophäe.
Es war schwer Abschied zu nehmen. Mein Herz wollte ihn nicht loslassen und auch nicht all die anderen, die für mich ihr Engelsleben aufs Spiel gesetzt hatten. Delian, Nevia, Artis und Torben. Alle hatte ich sie liebgewonnen, ich hatte mich von ihnen aufgenommen gefühlt, wie in einer kleinen Familie.
Die Pritsche wurde von uns losgelassen und verschwand zwischen den Wolken.
Nun war ich es, die Eingebungen vom Herrn persönlich empfing. Er sandte mir in Form von Bildern, Informationen und Aufgaben. Meine Aufgabe bestand nun darin, die einstige Krieger Armee des Himmels wieder auf ihre volle Größe zu bringen.
Es dauerte seine Zeit, bis ich wieder sieben Krieger beisammenhatte. Und auch, bis ich einigermaßen meine Fähigkeiten beherrschte. Ich hatte noch nicht einmal das volle Ausmaß meiner Kraft zum Einsatz gebracht, es war also noch ein langer Weg bis dorthin. Aber ich hatte genügend Zeit mich darin zu üben und Levente ließ kaum zu, dass ich eine Pause einlegte. Üben, üben, üben.
Es verging jedoch kein Tag, andem ich nicht an Torben dachte. Er war mein ständiger Begleiter in meinen Gedanken. Immer wieder dachte ich darüber nach, wie es dem Torben in seinem neuen Leben wohl ging, bis der Herr mir schließlich ein Bild von ihm in meinem Kopf projizierte. Er sah noch genauso aus, wie damals, nur dass er in diesen neuartigen Klamotten so anders wirkte. Menschlich eben. Ich wandte meine Frage an Levente, der mittlerweile mein engster Vertrauter geworden war.
"Levente, ist es möglich, die Zeit zu beeinflussen?"
Wir befanden uns gerade kurz vor dem Krankenflügel, indem wir die Metallplatte mit den vielen verschiedenen Händen passierten. Ich wusste, dass zwei dieser Hände definitiv Liam und Bodhir gehörten.
"Nun, für uns ist alles möglich. Raum und Zeit spielen keine Rolle mehr."
"Danke Levente, das war die Antwort, die ich hören wollte."
"Wo gehst du hin?", rief er mir nach.
"Ich werde Jemandem einen Besuch abstatten."
Ich musste herausfinden, ob ich mit meiner Vermutung richtig lag. Ich musste ihn finden.
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So jetzt fehlt nur noch der Epilog und die Story ist geschafft ; )
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