Kapitel 22.3
Ich konnte die ganze Nacht über nicht einschlafen. Immer und immer wieder spielte ich das Szenario der Erscheinung meines Vaters im Kopf durch. Was hatte er nur damit gemeint? Was sollte ich mit seiner Aussage: „Dein Weg führt dich nach unten", anfangen? Ich zermarterte mir das Gehirn, um irgendwie auf die Lösung zu kommen, aber es kam mir so vor, als würde ich andauernd gegen eine harte Steinmauer laufen. Es war zum Haare raufen.
Als Levente schließlich kam und meine Zellentür aufschloss, wusste ich, dass der nächste Tag bereits angebrochen war.
"Wow", ließ Levente verlauten, als er seine Perlensträhne von seiner tätowierten Gesichtshälfte streifte.
"Du siehst echt scheiße aus."
"Danke für deine netten Schmeicheleien."
Er grinste.
"Immer wieder gerne. Ich bin eben direkt."
Ich strich mir müde durch das Gesicht und stand ziemlich gerädert von der Pritsche auf.
"Ich habe die ganze Nacht über kein Auge zugemacht."
"Wieso?"
Levente sah etwas besorgt aus, als ich an ihm vorüberging.
Soll ich ihm von der Erscheinung erzählen? Aber er würde womöglich verlangen, dass ich damit zu Sole gehen müsse, weil es vermutlich einen größeren und höheren Sinn hat... Nein. Es war mein Vater, der mir hier erschienen ist, also muss ich das Rätsel auch eigenständig lösen können.
Also sagte ich ihm das, was am naheliegendsten war und recht nah an der Wahrheit lag. Immerhin war ich die Nacht über nicht nur mit meinen Gedanken bei meinem Vater, sondern auch bei Torben.
"Es ist wegen Torben."
"Ach."
Levente schüttelte den Kopf, als könne er nicht verstehen wieso ich so viele Gedanken daran verschwendete.
"Wenn er es nicht versteht und an der Vergangenheit festhalten möchte, dann lass ihn. Lass ihn seinen Weg gehen, und du gehst Deinen."
Der Weg. Dein Weg führt dich nach unten. Was ist, wenn beide Wege miteinander verbunden sind? Was ist, wenn ich denselben Weg gehen muss, den sich Torben so sehr wünscht?
"Es würde meinen Tod bedeuten", sprach ich laut vor mich her.
"Was?", riss mich Levente aus meinen Gedanken. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich den letzten Satz laut ausgesprochen hatte.
"Also ich meinte, es würde mir das Herz zerbrechen, rein metaphorisch."
Levente beäugte mich aus seinem eisblauem und braunen Auge misstrauisch und ließ nach kurzem Zögern, ein:
"Okay", von sich.
"Zieh dir deine Kampfklamotten an, ich habe etwas für dich vorbereitet."
Ich nickte ihm kurz zu und war froh, mich von seiner Gegenwart endlich entfernen zu können. Ich hatte das dumpfe Gefühl, er ahnte genau, dass ich ihm nicht die Wahrheit gesagt hatte und das verschaffte mir ein ziemlich schlechtes Gewissen.
"Ach, Sherin."
Er drehte sich noch einmal in meine Richtung.
"Ich habe Sole übrigens über dieses seltsame Summgeräusch, was du von dir gibst, berichtet."
"Und? Was hat sie gesagt?"
"Nicht viel. Sie wird es in ihren Büchern nachschlagen müssen, weil sie im Augenblick keinen Draht zum Allmächtigen hat."
Ich blickte ihn etwas ungläubig an.
"Wie jetzt? Macht er gerade Urlaub?", versuchte ich einen Scherz. Leventes Lippen bildeten sich zu einem dezenten Lächeln.
"Er ist ab und an nicht zu erreichen. Sie wird ihm vermutlich gedanklich eine Nachricht schicken. Keine Ahnung, wie der ganze Mist da abläuft."
Dann hatte er mir wieder den Rücken zugewandt und lief zum Trainingsraum. Ja, dieses Summen war schon etwas seltsam, zumal ich überhaupt nichts davon mitbekam...
Ich beschleunigte meinen Gang zum Schlafzimmer. Ich wollte heute keine Unterbrechungen, schließlich hatte ich heute auch einen Plan zu verfolgen. Meinen ganz Persönlichen.
"Wenn es meinen Tod bedeutet, wieso fühlt sich dann dieser Weg so unglaublich richtig an?"
Ich durchsuchte den Schrank nach einem passenderen Outfit für mich. Dies würde vermutlich das letzte Mal sein, indem ich mich umzog. Ich fand eine schwarze, ziemlich robuste Lederhose und ein passendes olivfarbenes Oberteil. Kurz bevor ich es überzog, betrachtete ich etwas besorgt meinen linken Arm. Noch immer waren meine Venen rot angeschwollen und taten höllisch weh. Es war, als würden sie regelrecht nach der Schlange rufen. Ich stülpte das Oberteil über meinen Kopf und betrachtete mich im Spiegel. Ohne die Schlangenwaffe, blieben mir nur meine Fäuste, mit denen ich mich verteidigen konnte.
Ich bin so gut wie geliefert, schoss es mir durch den Kopf.
Da Nevia sich nun die Waffen von Lisa angeeignet hatte, den Pfeil und den Bogen, war in dem Schrank nichts dergleichen, was ich für den Kampf hätte nutzen können. Also trat ich meinen Weg zur Trainingshalle an und hoffte, dass Levente heute nicht allzu viel mit mir vorhatte.
Doch ich erschrak, als ich den Raum betrat und er sah mich gleichermaßen genauso irritiert an, wie ich es tat.
"Ein neues Outfit, wow. Und deine Haare hast du dir endlich mal beiseitegeschafft, bravo."
"Ich habe sie zusammengebunden, falls du das meinst."
"Wie kommt es, dass du dir eine andere Kampfkleidung ausgesucht hast?"
"Nun, die anderen Sachen müssen ja schließlich auch einmal gewaschen werden."
Wieder beäugte er mich misstrauisch.
"Das müssen sie nicht. Wir sind hier schließlich im Himmel. Da wird alles von selbst wieder rein, zumindest was die Klamotten betrifft, aber ich denke das ist dir bereits aufgefallen."
Er schaute mir kritisch in die Augen und kniff seine Augen zusammen. Jetzt log ich ihn bereits schon zum zweiten Mal an.
"Irgendetwas verschweigst du mir."
"Levente, ich"
Doch er hielt abwehrend die Hand nach oben.
"Wenn du es mir nicht sagen willst, dann möchte ich es auch nicht hören."
"Danke", kam es kleinlaut aus meinem Mund.
"Na, was sagst du zu meinem Hindernisparcour?"
Es war gigantisch, was Levente dort aufgebaut hatte. 20 Stationen erwarteten mich. Eine schwieriger als die Andere. Mit scharfkantigen Messern, die hin- und herschwangen. Seilen, die sich wohl als lebende Schlangen entpuppten, Berge, die meterweit in die Höhe ragten, natürlich mit starkem Schneebefall, und zum Schluss sollte ich dann noch gegen jeden einzelnen Krieger gewinnen.
"Bist du bereit?"
"Nein."
"Gut, denn bereit ist man nie. Stell dich auf."
Na toll. Ich hatte erwartet, so vielleicht dem Parcour zu entkommen. Nun stand ich aber vorne an der Startlinie und wartete auf Leventes Zeichen. Ein dröhnendes Rohr erklang und Levente schrie ein:
"LOS!"
Zuerst musste ich den verschiedenartigen Messern ausweichen. Mehrere Stationen der Geschicklichkeiten folgten, die ich überraschenderweise hervorragend meisterte. Den Berg nach oben zu erklimmen; diese Aufgabe war für mich unglaublich schwer. Meine Kondition war beinah zu Ende, als ich endlich unter Schneesturmböen den Gipfel erreichte. Kaum war ich auf dem Berg angelangt, war ich von dem Ein auf den anderen Moment wieder in der Trainingshalle. Die verschiedenen Stationen der Elemente, schaffte ich mit Bravour. Es war, als könne ich mit Feuer, Wasser, Luft und Erde kommunizieren. Sie machten genau das, was ich von ihnen verlangte. Selbst Levente stand völlig beeindruckt an der Seite und klatschte lauten Beifall.
Die Station der Schlangen, war auch für mich eine Überwindung. Doch es schien mir, als würden auch sie verstehen, was ich von ihnen wollte. Problemlos schlängelten sich die Schlangen zueinander, hakten sich untereinander ein, sodass sie ein komplett langes Seil bildeten. Dann warteten sie darauf, dass ich es gebrauchte. Ich atmete hörbar aus und versuchte die Scheu vor Schlangen in den Hintergrund zu drängen. Wenn es ums nackte Überleben ging, konnte ich mir auch nicht aussuchen, mit welchen Utensilien ich irgendwo hinaufklettern konnte. Man musste einfach das nehmen, was man fand.
Es funktionierte tatsächlich und auch diese Station hatte ich gemeistert. An einigen Punkten war es sehr knapp gewesen und Levente gönnte mir glücklicherweise eine kleine Pause, bevor ich gegen die einzelnen Krieger antreten musste.
Erst folgte Boston, der zwar eigenlich kein Krieger war, aber laut seinem Outfit, ohne großes tamm tamm, mit in die Runde aufgenommen wurde. Sole war die Nächste. Nevia, zusammen mit Delian.
Das würde schwer werden.
Artis, Torben und zuletzt Levente. Ich schluckte den schweren Kloß in meinem Hals hinunter und machte mich auf den ersten Kampf bereit.
***********************************************
Nun folgen die kommenden Kämpfe. Ich hoffe doch, es ist immer noch spannend...
Lasst mir gerne euer Kommentar da ; )
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro