Kapitel 17.2
Boston war es, der schließlich die Stille durchbrach.
"Also, ähm. Ich störe ja nur ungern, aber sollten wir uns nicht lieber schnell vom Acker machen, bevor hier noch eine Truppe dieser Metalldinger auftaucht?"
"Alex hat recht. Wir sollten schleunigst von hier verschwinden."
Es war seltsam von Sole persönlich an Bostons richtigen Namen erinnert zu werden, und dennoch zeigte es allen, wie nah sich die Beiden wirklich standen. Sole war wie ein Eisbrocken, kalt und unberechenbar. Doch hinter dieser dicken Fassade, die sie all die Jahrzehnte über aufgebaut hatte, gab es auch ein Fünkchen Hoffnung auf Liebe und Geborgenheit, und dieses kleine Stück gehörte Boston, alias Alex. Irritiert blickten alle bei dem ungewöhnlichen Namen auf, weil ihn keiner tatsächlich gewohnt war, zu hören. Doch sie reagierten schnell. Ein kurzes Nicken genügte und schon stellten sie sich in Position. Manche in Zweiergruppen, wie die frischverliebten Pärchen, Delian und Nevia, und, Sole und Boston. Und da gab es dann noch mich, die ziemlich verloren neben Torben stand und nicht wusste, wie sie mit der derzeitigen Situation umgehen sollte. Ich wusste, dass er mich wieder zu sich ziehen würde, nur damit ich nicht alleine diesem Ritt auf dem Blitz ausgeliefert war. Doch er hatte es mir gezeigt, und ich war sehr wohl imstande dazu, es alleine mit diesem Gefährt aufzunehmen. Ich wollte nicht immer wie ein kleines Mäuschen neben ihm stehen. Außerdem würde er mir niemals sein Herz schenken.
Wir kämpfen zusammen, nicht mehr und nicht weniger.
Als Torben mich schließlich zu sich zog, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, dass ich mit ihm zusammen auf dem Blitz reiten würde, entzog ich mich seinem Griff.
"Danke, aber ich mach das alleine."
Aus Torbens Blick verschwand für einen kurzen Moment jeglicher Zorn, als er mich mit seinen stahlgrauen Augen eindringlich ansah.
"Seid ihr alle soweit", rief Sole in die Gruppe hinein.
Torbens Augen wandten sich von mir ab. Er ließ von mir ab und nahm Abstand. Ich wusste nicht, ob ich mich gut oder schlecht fühlen sollte. War es falsch, ihn so abgewiesen zu haben?
Moment mal, was rede ich denn da? Schließlich hat ER mich abgewiesen! Also ist es mein volles Recht, ihm auch einmal zu zeigen, wie man sich nach einem Korb fühlt!
Nur hätte ich keinen schlechteren Zeitpunkt dafür wählen können. Torben hatte vor einigen Minuten erfahren, dass sein bester Freund kaltblütig ermordert worden war. Natürlich war er in seiner Trauer nicht alleine und jeder würde Remmes vermissen, doch dieses starke Band zwischen Torben und Remmes war nun endgültig gebrochen. Das schlechte Gewissen machte sich bei mir bemerkbar, aber ich hatte nun meine Entscheidung gefällt und konnte nicht mehr zurückrudern.
Als sich alle positioniert hatten, schossen die Blitze in Windeseile hinab zur Erde. Mir kam es vor wie ein kurzer Wimpernschlag und schon schnurrte der Blitz, wie ein kleines Kätzchen, vor meinen Füßen. Ich erinnerte mich an die letzte Begegnung mit dem Blitz und versuchte mich zu beruhigen. Vorsichtig ließ ich meine Schuhe in die helle Substanz hineingleiten. Ich wusste, dass mich Torben beobachtete und gerade aus diesem Grund wollte ich es richtig tun. Meine Ferse versank tief in der leuchtenden Energie, es war, als würde ich Eins mit der Energie werden. Ein unbeschreibliches Gefühl.
"Bereit?", rief Sole in die Runde.
Von jedem kam ein kurzes Nicken, bevor sie schließlich nach oben zum Himmel sausten. Mein kurzes Zögern kam mir wie eine Ewigkeit vor. Eine leichte Bewegung meines Fußes genügte und der Blitz startete in die Höhe. Augenblicklich kam mir Moesha wieder in den Sinn, und es nistete sich ein absurder Gedanke in meinen Kopf. Mein Gefühl sagte mir, ich müsste zu Moesha. Ich hatte keinen Schimmer, wie ich jemals mit dem Blitz dort ankommen sollte, daher hielt ich den Blitz mitten auf dem Weg zum Himmel, an, und ich versuchte einen spontanen Plan zu entwickeln, wie mich dieses hell leuchtende Gefährt zu Moesha bringen könnte.
"Was tust du denn da?"
Neben mir hielt ein weiterer Blitz an. Im Schimmer der goldglänzenden Energie konnte ich die markanten Gesichtszüge von Torben erkennen. Keine Person stand mehr auf dem Blitz, nein, Torben war nun der Blitz, oder besser gesagt, der Blitz war Torben. Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete ich mir das Szenario und hörte gar nicht hin, was er mir so wichtiges mitzuteilen hatte. Als sein Ton jedoch energischer wurde, besann ich mich wieder.
"Sag mal hörst du mir überhaupt zu?"
"Ja. Jetzt wieder."
"Jetzt wieder? Na toll! Hör auf zu träumen und mach, dass du in den Himmel kommst!"
"Das kann ich nicht. Es gibt eine kleine Planänderung."
Zuerst lachte Torben. Als er jedoch bemerkte, dass ich es ernst meinte, verstummte er und schaute mich mit ernster Miene an.
"Sherin was soll das? Du weißt noch nicht einmal, wie man den Blitz richtig steuert!"
"Das brauche ich auch nicht. Hauptsache er bringt mich nach Amerika."
Kaum enging mir mein Satz, schoss der Blitz ineiner unfassbaren Geschwindigkeit davon. Es kam mir wie ein Wimpernschlag vor,und schon hielt der Blitz still und präsentierte mir das Zielt: Amerika. Ichwar ziemlich überrumpelt von der Fähigkeit des Blitzes. Genauso überrumpelt warich auch, als der Blitz mich einfach so von Bord warf. Da lag ich nun mitten imSand zwischen Felsen und Hügeln.
"Hier würde ich Moesha mit Sicherheit nichtfinden", ging die Ironie mit mir durch.
Mein Blitz war auf und davon.
"Sag malspinnst du!"
Vor mir erschien ein Blitz, ausdem sich Torben heraus entpuppte.Ein Schlag, kurz auf den leuchtenden hinteren Teil des Blitzes, und schonverweilte er neben Torben, bereit jeden Moment zu starten. Mit seinemdrei-Tage-Bart kam er mir mit seiner zerfledderten Hose entgegen und zog michunsanft vom Sand hoch.
"Was soll das Sherin! Weißt du eigentlich wie gefährlichso ein Alleingang für dich ist???"
"Ich muss es riskieren. Meine FreundinMoesha wohnt hier in der Gegend, und ich möchte nicht, dass ihr dasselbewiederfährt, wie meiner Familie."
"Wir haben im Moment andere Sorgen ..."
"Genaudeswegen wollte ich alleine weg."
Er starrte mich lange und unentwegt an.
"Wenndu vorhast mich wieder mitzunehmen, dann vergiss es. Ich gehe erst, wenn ichweiß, dass Moesha in Sicherheit ist."
"Und was willst du dafür tun?"
"Das weißich noch nicht"
Torben begann wieder seinen unruhigen Auf- und Abgang.
"Versteheich das richtig. Du bist hierhin geflitzt, ohne irgendeinen Plan zu haben?"
"Ja",kam es kleinlaut aus meiner Kehle, weil ich bereits erahnen konnte, was mir blühte.Doch zu meiner Überraschung lachte Torben nur laut auf.
"Genau das hat mirRemmes immer verboten, weil ich genauso planlos handelte, wie du es jetzt tust,aber trotzdem hat es immer irgendwie funktioniert."
"Das heißt du hilfst mir?"
"Warumbin ich dir wohl gefolgt?"
Diese Frage blieb offen im Raum stehen. Seinestahlgrauen Augen nahmen mich wieder einmal viel zu sehr ins Visier undschienen meinen Körper vollkommen regungsunfähig zu machen.
"Wo wohnt denndeine Freundin?"
"In Amerika."
Er nickte.
"Ja, das weiß ich. Wir sind bereitsin Amerika."
Verwundert schaute ich auf die karge Sandlandschaft.
"Ich braucheeine Straße und einen Ort."
"Den habe ich nicht."
Er fuhr sich ziemlich gereiztüber sein Gesicht.
"Du musst doch irgendeinen Anhaltspunkt haben."
"Nein."
"EinenOrt, mit etwas Wiedererkennbarem. Ein Denkmal, ein Friedhof ..."
"Warte", hieltich ihn auf. "Ganz in der Nähe stand damals eine Kirche."
"Erinnerst du dichvielleicht noch an den Namen der Kirche?"
"Sankt Stanislauf Kirche."
"Sehr gut.Steig auf."
Nun würde ich also doch wieder mit Torben auf dem Blitz reiten.Aber es war ja für einen guten Zweck. Ohne ihn hätte ich nun nicht die Möglichkeit,nach Moesha zu suchen. Ich lächelte bei dem Gedanken, dass ich Torben wohl dochnicht so ganz egal war und stieg zu ihm in die flüssige Energie hinein, mitwelcher ich direkt zu verschmelzen schien. Es fühlte sich seltsam undgleichzeitig ziemlich mächtig an. Immerhin war ich nun Eins mit Torben und demBlitz.
"Was ist?"
Interessiert betrachtete er meine Gesichtszüge.
"Na esscheint wohl, dass du doch etwas für mich übrighast."
Er öffnete den Mund,schloss ihn aber zugleich wieder und Sherin wusste nun, dass sie genau insSchwarze getroffen hatte. Zum ersten Mal seit Langem erlebte sie eineninnerlichen Höhenflug.
*************************************************************
Ja, ja, ich weiß. Die Updates dauern bei mir immer eine Weile. Das ist so und lässt sich derzeit leider nicht ändern. Ich wünsche euch trotzdem viel Spaß beim Lesen : )
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro