Kapitel 13.1
Diese Warterei machte mich vollkommen verrückt. Schweigend saß ich neben Torben auf einem dreckigen Metallrohr und ließ unruhig die Beine hin und her baumeln. Als schließlich seine breite Hand auf meinem Oberschenkel landete, versetzte es meinem Herz einen dermaßen enormen Schlag, dass ich meinte, mich hätte gerade Jemand wieder mit einem Defibrillator wiedererweckt.
"Du machst mich wahnsinnig. Halte einfach mal für ein paar Minuten die Füße still."
Seine Hand war warm und ich hoffte so sehr darauf, dass sie noch ein Weilchen länger auf meiner Leggins liegen blieb, doch ich wusste es besser. Er hatte mich noch nicht einmal eines Blickes gewürdigt, als er mich ermahnte mich zu beruhigen und gleich darauf war seine ach so unglaublich anziehende Hand und die dazugehörige knisternde Atmosphäre verschwunden.
Was habe ich erwartet?
Wortlos schweiften meine Blicke durch die leere Lagerhalle. Einige Fässer standen wahllos verteilt. Viele davon waren umgefallen und der Ölgestank haftete in der Luft und auf dem billigen Betonboden. Außer Metallrohre von verschiedenen Größen, hatten die Vorbesitzer die Lagerhalle komplett leergefegt. Die unangenehme Situation mit Torben, wirbelte mich innerlich wieder auf. Obwohl ich bisher mitihm einiges durchmachen musste, so hatte er dennoch so wenig zu mir zu sagen. Also, versuchte ich, mit ihm ins Gespräch zu kommen und wählte hierbei den völlig falschen Weg.
"Wie war sie so, deine Lisa?"
Kaum hatte sich die Frage aus meinem Mund gestohlen, hätte ich mir am Liebsten direkt eine Hand an den Kopf geschlagen. Doch es war bereits zu spät, um zurück zu rudern. Ich hatte mir mein eigenes Grab geschaufelt, also musste ich zusehen, wie ich da nun wieder hinauskam. Diesmal konnte er nicht anders als mir einen überraschten Blick zuzuwerfen. Mit solch einer Frage hatte er wohl nicht gerechnet, ich aber definitiv auch nicht.
Er räusperte sich. Ich konnte ihm ansehen, dass ihm die Situation etwas unangenehm war, und dennoch nutzte ich den Moment vollends aus, um sein äußeres Erscheinungsbild tief in mich aufzunehmen. Sein schulterlanges, strähnenartiges Haar, welches er mittlerweile zusammengebunden hatte, ließen ihn so verdammt gut aussehen. Das markante Kinn war übersät mit dunklen Bartstoppeln, die eindeutig zu lang waren, durch die Turbulenzen der letzten Tage aber durchaus nachvollziehbar war. Trotzdem verunstaltete es nicht sein wildes, animalisches Aussehen, das mir bereits von Anfang an gefallen und mich in den Bann gezogen hatte.
"Sie war ..."
Es schien, als würden ihm die Worte im Halse stecken bleiben.
"Sie war eine unglaubliche Frau."
Ich hatte damit gerechnet, das mir seine Worte einen gewaltigen Stich ins Herz treiben würden, aber dass es wirklich so weh tun würde ...
"Sie war eine brutale Kämpferin mit Pfeil und Bogen, aber als Gefährtin konnte sie auch ganz anders sein. Mitfühlend, liebevoll, verständnisvoll. Sie war so viel mehr, als eine Kriegerin."
Er geriet ins Schmunzeln, in ein so süßes Verträumtes, als er in seiner Erinnerung versank und sich vergnügt über seinen Drei-Tage-Bart fuhr.
"Und der Sex war überragend."
"Okay. Ich glaube, das geht nun etwas zu weit."
Ich machte Anstalten aufzustehen, doch er drückte mich grob wieder nach unten auf das Metallrohr zurück, ohne dass ich gegen seinen harten Griff ankam.
Dieser Schmerz in meiner Brust, ließ sich nun nicht mehr aufhalten. Vielleicht war es auch gerade dieser Weg, den ich zu beschreiten hatte, um mir klare Verhältnisse mit ihm zu schaffen, auch wenn es noch so weh tun würde.
"Ich hätte nicht gedacht, dass du Probleme damit hast, darüber zu reden."
Er warf mir solch ein charmantes Lächeln entgegen, dass ich ihm am Liebsten um den Hals gefallen wäre.
"Sex ist doch etwas völlig Normales und so unheimlich befreiend."
Ich wich seinem Blick aus, als ich nun endlich versuchte, ihm die Wahrheit über meine Gefühle zu schildern.
"Das schon, nur ..."
Ich brachte es nicht übers Herz. Der Reinfall war einfach zu groß, zumal ich wusste, wie er auf mein Geständnis reagieren würde.
Seine rauen Finger umgriffen mein zierliches Kinn, welches er zu sich drehte und mir somit jede Fluchtmöglichkeit zu einem Blickkontakt nahm. Sein trauriger, mitfühlender Ausdruck sagte so viel aus und ich wusste bereits, noch ehe er den Mund öffnete, was mich erwartete. Der Schmerz in meiner Brust setzte sich noch tiefer.
"Es tut mir leid Sherin, aber ein UNS wird es niemals geben."
Meine Augen weiteten sich.
Er weiß es. Natürlich weiß er es, wahrscheinlich nicht schon seit gestern. Ich blöde Kuh.
"Ich bin zwar ein Kerl, aber nicht blöd."
Wieder geriet ein schelmisches Grinsen auf sein Gesicht, als er seine Finger von meinem Kinn löste und darauf wartete, wie ich seine Worte wohl aufgenommen hatte.
Innerlich blutete mein Herz. Der Schmerz, den er mir mit diesen Worten zugefügt hatte, war kaum zu bändigen. Ich stand den Tränen nahe, doch ich versuchte mich wieder etwas zu beruhigen. Ich wollte ihm diese Peinlichkeit ersparen. Stattdessen wählte ich einen Weg, der mich womöglich noch mehr leiden ließe, aber ich war neugierig und wollte einfach nur noch Klarheit in meinem Leben haben. Zumindest was die Beziehungsebene anging, auch wenn der Rest meines Lebens in einem unnatürlichen Chaos wütete. Obwohl mir diese Worte unheimlich schwer über die Lippen gingen, so sprach ich sie dennoch, mit leichter Bitterkeit in der Stimme, aus.
"Du hast sie wirklich über alles geliebt."
Ich hoffte instinktiv darauf, dem Gespräch mit dieser Schlussfolgerung ein Ende zu bereiten. Doch Torben schien noch viel zu vertieft in seinen Erinnerungen zu sein, als dass es danach aussah, er würde nun tatsächlich das Gespräch über seine allerliebste Frau beenden wollen.
Ich habe nie eine Chance, gegen sie anzukommen. Noch nicht einmal ansatzweise.
"Ich liebe sie noch immer und das wird sich auch so schnell nicht ändern. Keine wird je ihren Platz einnehmen können. Keine."
Dieser Satz war es, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich musste einfach aufstehen, musste mich von ihm entfernen. Wieder hielt er mich fest und ich blaffte ihn unvorhergesehen an:
"Lass mich los!"
"Du wolltest es hören."
"Du weißt, wie ich für dich empfinde und trotzdem erzählst du es mir."
"Du verdienst es, die Wahrheit zu erfahren. Ich kann keine Frau mehr so sehr lieben, wie ich Lisa geliebt habe."
"Dann wirst du auch verstehen, wieso ich jetzt unbedingt Abstand brauche!", fauchte ich ihm regelrecht entgegen.
Der Boden vibrierte und beendete schlagartig unsere unangenehme Unterhaltung.
"Was passiert hier?"
Entsetzt beobachtete ich die Fässer in der Halle, die nacheinander umfielen.
"Das ist nicht gut, gar nicht gut", wandte sich Torben zum Gehen und lief nach draußen. Ich folgte ihm und war noch schockierter über den Anblick, der sich mir bot. Graue Wolken waren aufgezogen und verdunkelten den Horizont auf eine erschreckende Weise. Blitze zuckten durch das Wolkengeflecht und der Donner ließ nicht lange auf sich warten. Starker prasselnder Regen breitete sich auf der Erde aus.
"Das sieht gar nicht gut aus!", rief Torben nach oben zum Himmel hin.
"Dann lass uns wieder nach oben!"
"Die Barriere ist wieder intakt. Ich wäre keine große Hilfe, wenn ich verwundet oben ankomme. Außerdem habe ich die Vermutung, dass uns Remmes nicht nur wegen der Unterhaltung nach unten geschickt hat."
Mit einem Mal fiel mir Remmes Blick wieder ein, kurz bevor er uns hinab zur Erde geschickt hatte.
"Mir fällt gerade wieder ein, dass Remmes, kurz bevor er uns nach unten manövriert hat, etwas Überraschendes gesehen hat. Etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte. Er sah sehr bestürzt aus, bevor die Verbindung komplett gekappt wurde."
"Und das sagst du mir erst jetzt!"
Torben war außer sich. Das Erdbeben verstärkte sich und der Boden riss auf. Ganz weit unten konnte ich die brodelnde heiße Glut erkennen, die sich langsam aber stetig nach oben drückte, um die Landschaft zu verschlingen.
"Die Kopponen werden nicht mehr lange auf sich warten lassen! Sie riechen dein Blut, das heißt, sie wissen, dass du wieder auf der Erde bist!"
Ohne nach Erlaubnis zu fragen, packte er mich und ließ gleichzeitig seine Flügel hinausgleiten.
"Wo genau in Florenz befindet sich dein Haus?"
"Meinst du meiner Familie ist etwas passiert?"
"Ich weiß es nicht. Sie wissen jetzt, dass du hier bist, und das Erste was sie tun würden, wäre dorthin zu gehen ..."
"Hör auf...", unterbrach ich ihn und hielt mir abwehrend die Ohren zu. "Ich will das nicht glauben."
Mit einem Mail schmisssich Torben mit mir zu Boden, ein Blitz verfehlte uns nur um haaresbreite. Nun regnete es nicht nur in Strömen, sondern der Blitzhagel tat sein Übriges, um uns das Fliegen so gut es ging zu erschweren. Wir suchten hinter einem Stein Schutz. Doch allzu lange würde das auch nichts bringen, da die Blitze bereits anfingen den Stein auf unfassbare Weise zu bearbeiten.
"Wo wohnst du", stellte mir Torben nun nochmals im gehetzten Tonfall die Frage.
"Das Haus meiner Familie steht ungefähr 500 Meter entfernt vom Palazzo Medici Riccardi, in einem Wohnviertel!"
"Kannst du es mir zeigen, wenn wir in der Nähe sind?"
Ich schluckte schwer.
"Ich habe Höhenangst und bin nicht gerade sehr einsatzfähig in der Luft!"
"Beiß die Zähne zusammen, es geht hier schließlich um deine Familie!"
Und schon hatte er mich gepackt und war mit mir in die Lüfte abgehoben. Der Regen erschwerte ihm das Fliegen und irgendwie ließ mich das Gefühl nicht los, dass es jemand im Himmel auf uns abgesehen hatte. Ein Blitz jagte dem Anderen hinter uns her. Doch Torben wich ihnen glücklicherweise gekonnt aus. Ich hatte meine Übelkeit überraschend gut wiederim Griff. Ich hatte jedoch überhaupt keine Möglichkeit darüber nachzudenken, da viel zu viel um mich herum geschah und ich mich derzeit fühlte, als befände ich mich auf einer rasanten Achterbahnfahrt, der Fahrt ins Verderben. Der Flug glich eher einem Katastrophenflug, da andauernd Blitze vom Himmel auf uns zugerast kamen, mitsamt dem Regen, der mittlerweile nur so aus Eimern hinabschüttete und ein unmögliches Unwetter auslöste. Ich hielt mich fest umklammert an Torben fest, während er mit Mühe und Not den Urgewalten des Himmels versuchte auszuweichen. Doch an einem Blitz kam Torben leider nicht ganz ungeschoren vorbei. Seine oberen schwarzen Federn flammten auf und er verlor das Gleichgewicht. Mühselig wedelte ich mit einer Hand, um das Feuer zu bändigen, aber es ließ sich nicht löschen. Eine Fehllandung war vorprogrammiert. Er steuerte auf einen Brunnen am Boden, indem wir unsanft hinein plumpsten. Torbens Federn waren somit sofort gelöscht, doch mit einem Mal zog sich Torben mit mir schwerfällig aus dem Brunnen und brüllte:
"Vorsicht!"
Ein riesiger Felsbrocken knallte auf den Brunnen hinab und zerschmetterte alles.
"Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen Jemand hat es auf uns abgesehen", kommentierte Torben, während er sich die Überreste des Brunnens betrachtete. Wie in Trance sah ich auf die Bruchstücke hinab und betete dafür, dass es meiner Familie gut ging. Ich nahm kaum richtig wahr, wie panische Leute mich anrempelten. Erst als Torben mich rüttelte und mich somit aus meiner Starre löste.
"Komm! Wir haben noch einen Fußmarsch vor uns, bis wir zu deinem Haus kommen."
Die hysterischen Menschenmassen, die sich wild in den Straßen von Florenz verteilten, fielen mir erst jetzt so richtig auf und trieben mich beinah in die Fassungslosigkeit hinein. Menschen, die es nicht rechtzeitig in ein Versteck geschafft hatten, lagen verkohlt auf den Straßen. Ich fragte mich ernsthaft, was für eine Art von Blitzen auf uns hinabfielen.
"Sherin!", ermahnte mich Torben. Ich drehte mich zu ihm und versuchte das schreckliche Szenario, dass sich gerade vor mir abspielte, zu übersehen. Die ganzen Schreie, das Leid, der Tod ...
Torben packte meine Hand und zerrte mich hinter sich her. Gefolgt von einem Blitzhagel, rannten wir in die Richtung des Hauses meiner Zieheltern, Viktoria und José. Viele andere Häuser hatten die Blitze bereits erwischt, doch das altmodische, idyllische Haus war unversehrt geblieben.
"Seltsam", sprach Torben das aus, was mir gerade durch den Kopf ging. Es brannte Licht im inneren des Hauses und ich sah hinter den Vorhängen schattenartige Umrisse von Leuten, die sich im Haus befanden. Mein Herzschlag beschleunigte sich.
Ihnen geht es gut, schoss es mir durch den Kopf und ich rannte zu den unebenen Treppen hinüber. Ehe ich dort jedoch ankam, hielt mich Torben zurück.
"Sei vorsichtig. Es ist nicht immer alles so, wie es scheint."
Wie ein wilder Hund rümpfte er die Nase und schnüffelte in der Luft, um irgendeine Witterung zu erkennen.
"Irgendetwas stimmt hier nicht."
Ich wollte ihm nicht glauben. Ich wollte mich lieber darauf freuen, dass meine Familie, trotz des schrecklichen Unwetters, in Sicherheit war. Vorsichtig setzte ich meinen Fuß auf die erste Stufe und rutschte gleichzeitig wieder von ihr ab. Ein großer Stein hatte sich gelöst und wäre beinah auf meinem anderen Fuß gelandet. Mein Blick wanderte zu den anderen Stufen hinauf, die kurz vor dem Verfall standen. Als ich zuletzt hier war, waren sie noch voll intakt. José würde es niemals tolerieren, wenn seine Außenanlage des Hauses so ruiniert werden würde. Als ich schließlich realisierte, dass Torben womöglich Recht mit seiner Vermutung hatte, stürmte ich wie eine Irre nach oben zur Haustür.
"Sherin! Nicht!", hörte ich Torben hinter mir schreien, doch ich konnte nicht mehr warten. Ich musste wissen, was mit meiner Familie war. Mein Schlangenarm verursachte mir höllische Schmerzen und ich erkannte wieder, wie rot meine Adern hervorstachen, als würde eine Art Gift meinen Körper verunreinigen, aber auch darauf nahm ich keine Rücksicht.
Die Haustür war nur leicht angelehnt. Ich hatte Angst, wahnsinnige Angst, dennoch stieß ich die Tür auf. Was ich dort sah, riss mir die Füße unter den Beinen weg und ich fiel erschütternd auf die Knie. Ich konnte nicht glauben, was ich dort sah. Der Anblick trieb mir die Tränen in die Augen, während ich hinter mir Torben wutentbrannt schreien hörte.
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Sorry, hat doch etwas länger gedauert, als erwartet. Dafür habt ihr nun aber ein sehr langes Kapitel ; )
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