Kapitel 12.3
Torben hatte mich auf Anhieb bemerkt. Es brauchte nicht viel für ihn, um festzustellen, dass meine Aussprache mit Levente nicht ganz so verlaufen war, wie ich es mir vorgestellt hatte.
"Alles geregelt?"
Ich nickte ihm zu, wobei ich aufpassen musste, nicht schon wieder in seinen faszinierenden stahlgrauen Augen zu versinken. Seine braungebrannte muskulöse Brust, die er mir so offen präsentierte, trug nicht gerade zu meiner Erleichterung bei. Auch wenn seine restliche Kleidung eher spärlich erschien, so war seine Ausstrahlung hingegen um ein vielfaches stärker. Ich war mir nicht sicher, ob ihm tatsächlich bewusst war, was für eine enorme Präsenz er versprühte.
"Gut. Dann lass uns zum großen Saal gehen. Remmes und die Anderen warten bereits schon auf uns."
Wieder liefen wir schweigend nebeneinander her. Ich hatte tatsächlich darauf gehofft, ich hätte nun den Mut dazu, mich in ein belangloses Gespräch mit ihm zu verwickeln, doch stattdessen tapste ich neben ihm her, wie ein begossener Pudel. Unauffällig beobachtete ich ihn, während wir schweigend den Flur, der mit altmodisch bestückten Statuen ausgestattet war, entlangliefen. Es sah beinah so aus, als würde ihn die derzeitige Lage nicht sonderlich viel ausmachen, seine Hände verrieten mir jedoch etwas völlig anderes. Beide waren zur Faust zusammengepresst. Er lief neben meiner Seite her, so als müsse er sich darauf konzentrieren, nicht jeden Moment die Kontrolle zu verlieren.
"Immerhin bin ich ihm wohl nicht egal", zogen sich mir meine Gedankengänge durch den Kopf.
Meine Blockade wollte sich einfach nicht lösen. Ein Glück erreichten wir zügig unser Ziel und ich kam auf andere Gedanken, als ich die Kämpfer bereits von Weitem hörte. Ich hatte den Saal zu Beginn gar nicht so wirklich wahrnehmen können, da ich damals viel zu sehr damit beschäftigt gewesen war, die Geschehnisse einigermaßen zu verarbeiten und den umherstehenden Kriegern zu folgen. Obwohl ich die Anspannung jedes Einzelnen im Raum spüren konnte, so war die gemütliche Atmosphäre dennoch vorhanden. Überrascht blickte ich in die verschiedenfarbigen Augen Leventes, der bereits neben Delian und Nevia auf dem blutroten Sofa saß. Er gab keine Anzeichen von Emotionen preis, noch nicht einmal einen kleinen Hauch von Reue konnte ich an ihm ausmachen. Im Gegensatz zu Delian, der sich mit seinen Händen immer wieder unter Nevias Rock verirrte und sie ihm jedes Mal aufs Neue eine Abweisung erteilte. Artis hatte es sich auf einem Barhocker bequem gemacht, der an einem sehr noblen, altertümlichen Tisch stand. Das kleine runde Tischchen passte so gar nicht zu dem Aufzug des dickbäuchigen Artis, der sich mal wieder den Inhalt seines Flachmanns bis zur Hälfte über den Bauch geschüttet hatte. Seine rote Kartoffelnase und sein lautes hicksen, verrieten mir meinen Verdacht. Scheinbar hatte auch Torben ihn gerade ins Auge gefasst.
"Nach einer gewissen Menge Alkohol, sind auch Engel dagegen nicht mehr immun."
"Da habe ich bereits Erfahrung drin."
Ich richtete meinen allwissenden Blick auf ihn, worauf er mir ein charmantes Lächeln schenkte, dass ich zu gerne eingefangen hätte.
"Kleines. Zum Feiern gehört eben ein alter, guter Wein."
"Da seid ihr ja endlich!"
Remmes hatte sich in die Mitte des galanten Raumes postiert. Ein deutliches Zeichen für einen Anführer, der etwas zu sagen hatte. Neben ihm standen Sole und ein Jüngling, den ich nicht kannte. Seine wenigen dunkelblonden Haarstoppel, die er noch auf dem Kopf trug und sein gesamtes Auftreten, erinnerten mich irgendwie an einen Soldaten, nur seine dürftige Kleidung passte so gar nicht zu ihm.
"Da wir nun endlich alle vollzählig sind, können wir also beginnen", leitete Remmes die Einführung ein, indem er motivierend in die Hände klatschte.
"Mooomeeent!"
Bodhir kam ungünstig in den Raum gestolpert und fiel geradewegs in einen alten Ohrensessel neben dem Kamin, wobei sein Kopf als erstes die Sitzfläche begrüßte. Torben konnte nicht anders, als ihm einen ordentlichen Klacks auf sein klappriges Hinterteil zu geben. Mit einem enormen Ruck fuhr er nach oben und rieb sich beleidigt seinen Po.
"Ihr wollt doch nicht ohne mich anfangen?"
Delian richtete sich vom Sofa auf und verneigte sich dienerisch vor ihm, ein Arm hing schlaff neben seinem Körper und den Anderen hielt er angewinkelt an seine Brust gepresst.
"Verzeiht, dass wir nicht auf euch gewartet haben, eure Lordschaft. So etwas ist unverzeihlich."
Abrupt löste er sich aus seinem Schauspiel und war nun das komplette Gegenteil von dem, was er so spielerisch rübergebracht hatte.
"Was denkst du, wer du bist! Nur weil du einmal mit uns gekämpft hast, heißt das noch lange nicht, dass du einer von uns bist, ist das klar!"
"Delian! Es reicht!"
Remmes dominante Stimme hallte durch den Saal, wie ein klarer deutlicher Ausruf, den man definitiv nicht falsch verstehen konnte.
"Ich entschuldige mich für Delians ungezügeltes Benehmen. Jetzt hast du eine Vorstellung, wie es hier bei uns abläuft", wandte sich Remmes an den circa ein Meter siebzig kleinen Kerl neben Sole.
"Kein Problem, Mann. Ich bin harte Umgänge gewohnt", kommentierte der Unbekannte mit einer abwinkenden Handbewegung.
"Hey! Und auf mich wird keine Rücksicht genommen?"
Bodhir hatte es sich mittlerweile im Ohrensessel bequem gemacht, doch wirkte er immer noch ziemlich eingeschnappt. Remmes beachtete ihn nicht weiter, sondern begann nun mit seiner Unterredung, weshalb er alle hier in den Saal bestellt hatte.
"Ihr wisst, dass es im Moment nicht gerade leicht ist. Wir müssen uns neu formatieren, andere Strategien und Taktiken entwickeln, womit die Unterwelt nicht so leicht rechnen würde, und Entscheidungen treffen, die getroffen werden müssen, sollten sie auch noch so schwierig sein."
Remmes machte eine Pause, sah einen nach dem Anderen an, als würde ihm diese Ansage hier ziemlich schwerfallen. Ich hatte das Gefühl, dass er uns irgendetwas verheimlichte. Nach einem tiefen Atemzug, nahm er das Gespräch wieder auf.
"Wie ihr bereits wisst, haben wir nun den zweiten Menschen hier oben an Bord, obwohl wir uns vor tausenden von Jahren geschworen haben, dass der Himmel menschenfreie Zone bleibt."
Ein kritisches Nicken nahm ich von Artis und Levente wahr, die Anderen warteten nur darauf, dass Remmes weitersprach.
"Für Sherin ist es viel zu gefährlich, sie in der Menschenwelt zu lassen. Sie wäre ein gefundenes Fressen für den Henker Liam, und gerade darauf ist er aus. Er wartet nur darauf, dass wir unseren ersten Fehler begehen. Wir haben sie zu beschützen und da kommt Red Hunter ins Spiel."
Etwas ruppig zog er den Kerl neben sich und Sole noch enger an seine Brust und ich starrte überrascht zu dem Mann, den ich mit Sole damals blutüberströmt zum Behandlungsraum gebracht hatte.
Das soll Red Hunter sein?
Irgendwie hatte ich ihn anders in Erinnerung behalten. Obwohl er kleiner war, als die hier anwesenden Krieger, so passte er voll und ganz hinzu, was man bei Bodhir wohl nicht behaupten konnte.
"Red Hunters Aufgabe bestand darin, Sherin auf der Erde unauffällig im Auge zu behalten und uns Meldung zu geben, sollte etwas mit ihr geschehen", führte Remmes das Gespräch fort.
Überrascht wanderten meine Blicke hinüber zu Remmes.
"Was? Hat er mich etwa die ganze Zeit über beobachtet, ohne dass ich es wusste?"
Er nickte mir zu.
"Er hat auf dich aufgepasst, ohne dass ihm bewusst war, was er tat."
Seine Äußerung löste in meinem Kopf ein noch größeres Fragezeichen aus.
"Wie meinst du das?"
"Er wurde vor einigen Monaten von mir gezeichnet. Ein junger Marine, der sich perfekt seiner Wildnis anpassen kann, wenigen Leuten auffällt und keine Angst vor Konfrontationen hat. Er war, und ist einfach ein perfekter Bodyguard für dich."
"Wenn du mit gezeichnet, den riesigen Scheißfleck meinst, den ich vor Monaten von einem Vogel auf den Kopf bekommen habe, dann war das ne echt beschissene Nummer für eine Zeichnung, Mann. Ich habe mir regelrecht meinen Schädel geschrubbt, um diesen Dreck und den ätzenden Gestank wegzubekommen."
Red Hunters Beschwerde klang eindeutig in seiner Stimme mit.
"Die Zeichnung sollte lediglich auf dem Rücken landen. Dann habe ich mein Ziel wohl etwas verfehlt, Verzeihung."
Remmes vornehme Art, die er uns manchmal präsentierte, verblüffte mich immer wieder aufs Neue.
"Red Hunter wusste nichts über seine Mission, sondern er handelte instinktiv in unserem Namen, wofür wir dir sehr dankbar sind, obwohl du dafür beinah dein Leben gelassen hast."
"Ich muss zugeben, ich war am Anfang nicht begeistert, dass man mir einfach so mein Leben genommen hat, nur um irgendeine dahergelaufene Tussi zu überwachen."
"Hallo? Geht's noch?", reagierte ich ziemlich schnell auf Red Hunters unhöfliche Aussage.
"Sorry Mann, aber so habe ich mich nun mal gefühlt. Sole hat mich aber danach bestens aufgeklärt und ich muss sagen, es hat auch sein Gutes, dass ich nun hier bei euch bin."
Red Hunter zwinkerte Sole zu, die mit rotem Gesicht versuchte seine Avancen zu ignorieren.
"Trotzdem habe ich immer noch nicht richtig verstanden, wieso ihr mich Red Hunter nennen müsst."
"Deine Hauptaufgabe bestand darin, Sherin zu überwachen. Leider ist diese Angelegenheit oft eine Blutige, deshalb", gab ihm Remmes die notwendige Erklärung.
Red Hunter nickte langsam und mit offenem Mund.
"Aha. Bescheuerter Grund. Nennt mich doch bitte einfach bei meinem richtigen Namen. Ich heiße Alex und komme aus Boston."
"Boston. Ein toller Name für unser neues Gruppenmitglied", brachte sich nun Delian in das Gespräch mit ein.
"Nein, nein. Mein Name ist Alex und ich komme aus Boston."
"Boston. Sag ich doch."
"Boston ist eine Stadt."
Alex Nerven lagen blank, aber Delian blieb weiterhin bei seiner Meinung.
"Ich finde Boston passt zu dir."
Seufzend gab Alex das Wortgefecht mit Delian auf.
"Ist gut Mann, dann nenn mich wie du willst."
Remmes richtete sein Wort nun wieder an die Gruppe.
"Gut. Da Boston nun auch ein Teil unseres Teams ist, heiße ich dich hier herzlich willkommen."
Boston, alias Alex nickte mir und den Kriegern zu, während ich bei Sole für einen kurzen, aber dennoch eindrucksvollen Moment ein warmherziges Lächeln auf ihrem blassen emotionslosen Gesicht erkennen konnte. Jetzt wusste ich auch, wer ihn so intensiv gepflegt hatte und daraufhin konnte sie ein Schmunzeln nicht verbergen.
Von jetzt auf gleich standen die Personen im Raum still, als hätte Jemand die Zeit angehalten. Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich eine Hand an meinem Rücken spürte. Torben zog mich fest an seine nackte Brust. Er und ich waren wohl die Einzigen, die die Starre nicht erwischt hatte.
"Es ist Zeit", hallte mir Remmes Stimme in den Ohren wider.
Er schien mit uns gedanklich zu kommunizieren, da seine Erscheinung vor uns, sich kein bisschen bewegte. Nur seine Augen waren starr auf uns gerichtet, als müsse er sich eindringlich auf das konzentrieren, was er tat.
"Wenn wir tatsächlich einen Maulwurf unter uns haben, wird er mein Vorhaben schnell durchschaut haben, deshalb müssen wir uns beeilen. Ich schicke euch nun unbemerkt zur Lagerhalle, die mir Torben genannt hat. Ich werde in einigen Minuten bei euch sein."
Torbens warme breite Handfläche ruhte immer noch an meinem Rücken und verursachte ein ungewöhnliches Kribbeln auf meiner Haut. Die Bilder verschwammen, doch bevor sich Remmes Erscheinungsbild auflöste, sah ich, wie sich seine Augen entsetzt in eine andere Richtung bewegten.
Ich wusste nicht, wie er es angestellt hatte, aber nachdem ich mit Torben zusammen für eine kurze Weile in einem weißen Nichts stand, fielen wir plötzlich, als würden wir von rechts oben in ein riesiges Bild hineinfallen, in eine monströse Lagerhalle. Torben reagierte schnell und umschloss meinen Körper. Er ließ seine perfekten riesigen schwarzen Flügel erscheinen, sodass wir sanft auf dem Boden landeten. Sein prächtiges Gefieder hatte ich beinah wieder vollkommen vergessen, deshalb dauerte es einen Moment, bis das Staunen wieder aus meinem Gesicht verschwunden war und ich registrierte, dass hier immer noch Torben vor mir stand, in einer wahrhaft dominanten Größe, die mich erschaudern ließ. Als ich wieder zu mir kam, drehte ich mich desorientiert um meine eigene Achse.
"Wo sind wir?"
Schnell hatten sich Torbens Flügel wieder zusammengeklappt und versanken in seine Haut hinein. Seine schmerzverzerrte Miene war kaum zu übersehen. Erst nachdem er einen tiefen Atemzug genommen hatte, war er bereit, auf meine Frage zu antworten.
"In der Lagerhalle, die ich für unser Gespräch ausgesucht habe. Jetzt warten wir nur noch auf Remmes."
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