Kapitel 11.1
Torben hatte den Falschen getötet? Noch immer lag ich fassungslos in dem bequemen Bett und konnte der Sache einfach keinen Glauben schenken. Wie sich Torben jetzt wohl fühlen musste?
Wut, Trauer und Rachegelüste waren vermutlich die Gefühle, die ihn dazu antrieben, demjenigen, der nun immer noch frei herumlief, ans Messer zu liefern.
Und trotz der Umstände kam er zu mir?
Ich schüttelte verständnislos den Kopf. Irgendwie konnte ich Torbens Verhaltensweisen manchmal nicht nachvollziehen. Mühsam richtete ich mich im Bett auf und betrachtete das silberne Schlangenunikat, das fest um meinen Arm geschlungen war. Die giftgrünen Augen schienen wohl dauerhaft zu leuchten. Sachte strich ich über die Stelle, die Torben bis vor wenigen Minuten berührt hatte und spürte zwischen den schuppigen Silbergeflechten einen Zettel. Langsam zog ich ihn heraus und entfaltete das gelbliche Pergament.
"Ich werde bald wieder in dein Zimmer kommen. Sorge bitte dafür, dass du allein bist, es ist sehr wichtig. Zerstöre diese Nachricht in dem Feuer in deinem Zimmer. Es darf unter keinen Umständen Jemand etwas mitbekommen. Wenn du das Papier entsorgt hast, werde ich, wenn das Feuer heruntergebrannt ist, wieder bei dir sein. Torben."
Mein Herz klopfte in einem unbeschreiblich schnellen Rhythmus gegen meinen Brustkorb. Was konnte es so wichtiges geben, dass er mir mitzuteilen hatte, und dann auch noch alleine?
Allein bei dem Gedanken hätten meine wackligen Beine gerade erneut ihren Geist aufgegeben, sodass ich wieder zurück ins Bett gefallen wäre. Rechtzeitig hielt ich mich an einem alten Holzschränkchen fest und ging langsam nach vorne zum Kamin. Ich trug noch immer, nichts weiter, als Lisas Unterwäsche an mir. Meinen Körper hatte ich glücklicherweise früher im Griff und schaffte es schließlich problemlos meinen Gang zum flackernden Feuer zu ermöglichen. Ich warf das Papierstück hinein, das wie ein kleines Feuerwerk direkt in Einzelteile zersprang und das Feuer dazu animierte langsam auszugehen. Ich beobachtete noch eine Weile den Tanz der Flammen, bis mein Blick die schwarze Feder auf dem Boden fixierte.
Torben hat wohl eine Feder verloren? Wie blödsinnig sich das anhört...
Noch immer hatte ich Probleme damit, mich damit zurecht zu finden, dass es tatsächlich kämpfende Engel gab. Wie unter Hypnose ging ich hinüber zur Feder und starrte auf dieses einzigartige Exemplar hinab. Sie zeigte ihren grün, lila schimmernden Glanz, worin ich mich gleichzeitig verlor. Doch war es auch die Angst, die Besitz von mir ergriff.
Was wird wohl passieren, wenn ich sie in die Hand nehme? Wieder eine Überhäufung schrecklicher Bilder aus der Vergangenheit?
Diese Vorstellung reichte aus, um mich daran zu hindern, die Feder, die nun vor mir zum Greifen nahe war, nicht aufzuheben.
Stattdessen wanderten meine Blicke durch den Raum und blieben bei einem farbenfrohen Bild vor mir hängen, dass sofort meine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Anfangs hatte ich es noch als ein ungewöhnliches Kunstwerk abstempeln wollen. Doch je näher ich dem Gemälde kam, umso genauer erkannte ich, was sich darauf abzuspielen begann. Lisa, wie sie lächelnd in einem Blättermeer voller abgefallener Herbstblätter stand. Sie hatte ihre schlanken Hände um den breiten muskulösen Hals von Torben geschlungen, der ihr glücklich gegenüberstand und seine Stirn gegen ihre drückte. Die Herbstpracht schien mitten im Wald auf sie zu wirken. Die Blätter entfalteten sich im wahrsten Sinne des Wortes und tänzelten um sie herum, während der Wind das Haar beider zerzauste. Eine unbeschreibliche Farbenpracht, die mich vollkommen in den Bann zog. Es war gerade so, als ob man neben den Beiden stand und alles hautnah miterlebte. Fasziniert streiften meine Finger das Gemälde, als schließlich ein ganz anderes Bild in meinem Kopf injiziert wurde. Ein dunkler Keller, der mit kaum wahrnehmbaren Fackeln beleuchtet war und Lisa, wie sie an Ketten zog, die sie gefangen zu hielten schienen. Ihr schemenhaftes Antlitz konnte ich nur vage ausmachen und dennoch wusste ich, dass sie Todesangst verspürte. Ein eiskaltes Lachen ließ sie innehalten und das Bild wurde unklarer und brachte mich schließlich wieder zurück ins Schlafzimmer.
"Was war das", hielt ich ein lautes Selbstgespräch in der Hoffnung diesen Zusammenhang besser verstehen zu können.
Noch immer raste mein Herz auf Hochtouren, als ob ich selbst in Lisas Haut gesteckt hätte.
Was war das eben? fragte ich mich erneut in Gedanken.
Erschrocken betrachtete ich das wunderschöne Herbstbild von Lisa und Torben, ein verliebtes Paar an einem sonnigen Spätjahrestag. Es spiegelte nichts von dem wieder, was mir vor wenigen Sekunden geschehen war. Dennoch hatte ich nicht den Mut dazu, erneut dieses ungewöhnliche Exemplar zu berühren. Mein Blick heftete sich wieder auf die Feder zu meinen Füßen. Obwohl die Angst meinen Geist gefangen hielt, ging ich mit nur nackten Füßen in die Knie und wagte mich die Feder aufzuheben.
Wie nicht anders zu erwarten war, riss mir das Szenario den Boden unter den Füßen weg. Sand wehte mir in die Augen und ich nahm schemenhaft wahr, wie ich in einen Windstrudel hineingezogen wurde, bis ich schließlich wieder vor Torben zum Stehen kam. Ich war etwas irritiert über die Situation, die sich mir derzeit bot. Torben stand mit gut 20 Männern in einem altmodischen Gemäuer, das man wohl als Baderaum bezeichnen konnte. Sein verschwitzter nackter Körper glänzte im Schein der Kerzen. Er hatte durch einen Kampf einige unschöne offene Verletzungen davongetragen. Beide Hände hatte er auf seine Oberschenkel abgestützt, während er in gebückter Haltung sehr schwer nach Atem rang. Sein Gegenüber, der nur mit einem Handtuch bekleidet war, funkelte ihn angriffslustig an. Seine blutbeschmierte zur Faust geballte Hand, ließ mich vermuten, dass er ihm bereits einen Schlag verpasst hatte.
Torbens amüsantes Lachen erklang im Raum und er präsentierte ihm seine blutende Nase. Erst jetzt fiel mir auf, dass Torbens Handtuch bereits zu Boden gefallen war und sich mir die Möglichkeit bot, seine Männlichkeit in Augenschein zu nehmen. Ein kurzer Blick genügte, um mein Herz wieder wie ein wildes Tier zu animieren und mich gleichzeitig in Grund und Boden zu schämen.
"Du kannst wohl nicht verkraften, dass ich gegen Theokoles gewonnen habe, während du damals armselig versagt hast."
"Du, du! Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen!"
Die dicke Ader, die sich durch sein Gesicht hinauf zur Stirn zog, pulsierte und kam überdimensional bei seinem Gegner zur Geltung. Sein stahlharter Körper spannte sich an und er holte erneut zu einem Schlag aus. Ohne dass ich mir großartig über meine Reaktion Gedanken machte, stellte ich mich gegen den Widersacher und Torben, und hielt meinen Schlangenarm weit nach oben, sodass sein Gegenüber das harte Silber traf. Und tatsächlich hatte ich eine Barriere aufgebaut. Er konnte nicht wirklich begreifen, was hier vor sich ging, ebenso wie Torben und ich selbst, aber irgendwie hatte ich es geschafft den Schlag abzuwehren, obwohl mich keiner von Beiden sehen konnte.
Das Bild wurde unscharf und ich wurde wieder zurück in Lisas Schlafzimmer befördert. Unsanft landete ich mit dem Gesicht auf dem Fußboden. Mein Körper war übersät mit kalten Schweißperlen, die an meiner Haut klebten, wie eine zweite Schicht. Mein Schlangenarm schmerzte fürchterlich. Die roten hervorquellenden Adern und der enorme Druck, der sich in meinem Kopf ausbreitete, gaben mir den Rest, der mich beinah wieder in die Ohnmacht getrieben hätte. Trotz meines angeschlagenen Körpers, raffte ich mich langsam wieder auf den Boden und torkelte hinüber zu dem Gemälde, mitdem alles angefangen hatte.
Zwei absonderliche Geschehnisse innerhalb weniger Minuten. Das war zu viel für meine Nerven. Im Augenblick konnte ich keinen Zusammenhang erkennen. Vielleicht gab es auch keinen, dennoch verwirrte mich das Ungewisse. Seltsamerweise schien mir die Feder in meiner Hand nichts mehr anhaben zu können, als hätte sie ihren Zweck erfüllt.
Oder liegt es etwa an dem Schlangenarm?
Mein zitternder, kraftloser Schlangenarm versuchte nochmals das Bild anzufassen, doch ich fühlte mich gerade so, als wäre meine Lebenskraft beinah komplett aufgebraucht worden. Ich musste mit meinem linken gesunden Arm unterstützen, damit mein Körperteil wenigstens ansatzweise meinen Befehlen folgte. Die Adern wiesen mittlerweile so eine enorme dicke und blutrote Farbe auf, dass ich Panik davor hatte, sie würden jeden Moment zerplatzen. Trotzdem wagte ich den Schritt zum Bild und berührte aufs Neue das mysteriöse Foto des geliebten Paares. Ich stellte mich schon jetzt auf das Szenario im Kerker ein, doch die Gemäuer tauchten nicht mehr auf. Zu meiner Überraschung zog mich das Bild in sich auf und schmiss mich nach nur wenigen Sekunden in einen andere Raum hinaus. Desorientiert nahm ich die Umgebung wahr und konnte nun mit jedem Blick besser erkennen, wo ich gelandet war. Meine Füße waren bereits fest mit dem grünen Boden verschmolzen, bereit für den Kampf im Trainingsraum. Ein ziemlich seltsam dreinblickender Levente hörte abrupt auf, mit seinen Messern zu trainieren. Sein eiskalter Blick mit den verschiedenfarbigen Augen fiel in meine Richtung. Er schwang seine verschwitzte lange Mähne nach hinten, fächerte seine scharfen Klingen in einer Hand zusammen, als wären sie nichts weiter, als Spielzeuge, und kam auf mich zu.
Seine mit dunkelroten Kugeln bestückte Strähne hing ihm auffällig im Gesicht, als er sich vor mir postierte und mich ziemlich ausdruckslos musterte. Ich konnte nichts dagegen tun, als ihm unentwegt auf seine tätowierte Gesichtshälfte zu starren und seine Kugelsträhne im Blick zu behalten, obwohl ich wusste, dass mein Verhalten sehr unhöflich war.
Was hat er wohl für eine miserable Vergangenheit hinter sich?
"Willst du etwa in diesem Outfit kämpfen?"
Schweiß rann ihm die Stirn hinab, als er mich mit seinen verschiedenfarbigen Huskyaugen ins Visier nahm. Ich war viel zu sehr beschäftigt gewesen, über die vorigen Ereignisse nachzudenken, meinen schmerzenden hochroten Arm zu bemerken, und die jetzige Umgebung, als dass ich mir Gedanken über meinen Aufzug machte.
"Ich?", brachte ich heißer hervor, während ich erschrocken an mir hinabblickte und zu meinem Entsetzen feststellen musste, dass ich noch immer die dürftige Unterwäsche Urwaldbekleidung von Lisa trug.
"Kämpfen ja, aber so eigentlich nicht. Ich hatte eben eine sehr seltsame Zeitreise und ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat."
Levente musterte mich interessiert.
"Mit Zeitreise meinst du ..."
"Ich bin in die Vergangenheit gereist", unterbrach ich ihn. "Allerdings nicht in Meine, sondern in Torbens Gladiator Zeit und Lisas Erinnerungen."
"Warte mal. Heißt das etwa, du bist in zwei verschiedene Vergangenheitsepochen gereist?"
Ich nickte.
"Einmal durch Torbens Feder."
Ich zeigte ihm das einzigartige Stück und drehte die Feder fasziniert an dem Stiel hin und her.
"Bei Lisa bin ich durch ein Bild in ihre Zeit gerutscht."
Levente schüttelte verständnislos den Kopf.
"Das kann nicht sein. Wir haben keine Bilder, die zu so etwas wie Zeitreisen imstande sind. Du solltest diesen Vorfall auf jeden Fall Remmes erzählen. Irgendetwas stimmt da nicht. Bei der Zeitreise mit der Feder kann ich dir vielleicht helfen."
Mein Interesse war geweckt. Auch wenn Levente sehr kaltblütig und kühl wirkte, war er dennoch ein hilfsbereiter Engel, wovon man anfangs gar nicht davon ausgegangen wäre.
"Wirklich?", kam es viel zu hoffnungsvoll aus meinem Munde.
Er positionierte sich mit seiner zerfledderten Kleidung, die mir sagte, dass er von Klamotten nicht allzu viel hielt, vor mir, und präsentierte mir seine schneeweißen gigantischen Federn, die ein „WOW" aus meinem Mund hauchten.
Er zupfte sich eine Feder von seiner göttlichen Pracht und reichte sie mir.
"Solltest du auch bei dieser Feder Halluzinationen haben oder eine Reise in die Vergangenheit erleben, dann weiß ich womöglich, was mit dir los ist."
Unsicher umschlossen meine Finger die weiße Federpracht und erneut packte mich der Strudel der Zeit.
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