♔ Neunundzwanzig zerbrochene Scherben
Der nächste Tag hing über mir wie ein dunkler Schatten. Nathaniel hatte die Nacht in meinem Schlafgemach verbracht, doch war verschwunden bevor ich aufwachte.
Als Madga hineinkam, hing selbst ihr Kopf ein wenig tiefer als sonst. Dabei war sie immer ein lebensfroher Mensch gewesen, zuversichtlicher als ich es jemals sein könnte, doch seit Tuala hier war, war auch ihre Hoffnung verloren.
„Guten Morgen, Miss.", sagte sie und knickste leicht, bevor sie mir die Sachen für den heutigen Tag reichte.
„Es tut mir leid, Madga.", sagte ich leise, schaute ihr dabei aber nicht in die Augen.
„Ich bin froh, dass wir uns kennengelernt haben. Und wer weiß, vielleicht können sie ja noch immer Collin heiraten, dann würde ich Ihnen weiterhin dienen können." Sie versuchte ihre Stimme hoffnungsvoll klingen zu lassen, um mich aufmuntern. Doch ich musste nicht aufgemuntert werden. Vielleicht war es eine Option, Collin zu heiraten, aber ich würde es nicht ertragen, mein Leben am Hof zu verbringen und tagein sowie tagaus Nathaniel mit einer anderen Frau zu sehen. Sie würden Kinder bekommen, sich vielleicht sogar eines Tages lieben lernen.
Ich betrachtete das hellblaue Kleid, welches Madga mir gegeben hatte. Meine Finger strichen sanft über die Stickerei einiger Muster.
„Ich weiß gar nicht, wie es jetzt weitergeht. Spielen wir dieses Spiel und am Ende scheint es so, als wäre die Entscheidung nicht schon längst in Stein gemeißelt gewesen?"
Ohne dass ich überhaupt mit jemandem darüber sprechen wollte, sprudelten die Worte einfach so aus mir raus.
„Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, aber die Königin lädt zu einem Gespräch ein in einer halben Stunde. Ich dachte nur, heute störe ich sie nicht all zu früh."
In ihren Augen blitzte etwas auf.
„Deine Auffassungsgabe ist bewundernswert, Madga. Wie hast du es mitbekommen?"
„Man muss keine hohe Auffassungsgabe haben um zu sehen, was zwischen Ihnen und dem Prinzen vor sich geht. Wie durcheinander er jedes Mal ist, wenn er mit ihnen gesprochen hat, wie er sie durch den Raum beobachtet. Bei dem Ball zum Beispiel. Egal mit welcher Frau er getanzt hat, sein Blick schlich immer wieder heimlich zu Ihnen. Die Notiz an Ihrem Kleid. Außerdem riecht es nach seinem Parfüm in Ihrem Raum, weswegen ich jetzt das Fenster öffnen werde. Ich sehe Ihren Schmerz, und es tut mir leid." Noch nie zuvor haben wir so offen miteinander gesprochen, immer war ich ihr mit Vorsicht gegenübergetreten. Doch sie sorgte sich um mich, ich konnte es an ihrer Stimme hören. Genauso wie sie mir ans Herz gewachsen war, war ich ihr ans Herz gewachsen.
Ich seufzte leise, bevor ich mit dem Waschen begann.
„Du darfst es keinem erzählen. Wir haben es selbst noch nicht einmal benannt, geschweige denn ausgesprochen. Ich habe es mir selbst nicht eingestanden.", führte ich das Gespräch nach einer Weile weiter.
„Sie haben mein Versprechen, Miss. Ich wünsche mir nur, dass Sie glücklich werden mit Ihrer Entscheidung." Madga trat hinter mich, ihre Finger glitten durch mein leicht feuchtes Haar und flochten es geschickt zu einem Zopf.
„Ich glaube mein Glück steht schon seit einiger Zeit nicht mehr auf der Liste der Möglichkeiten.", erwiderte ich, unsere Blicken trafen sich in dem kleinen Spiegel.
„Dann sollten Sie das wieder ändern, noch haben Sie Ihr Leben selbst in der Hand."
„Du kannst mich übrigens Eadlyn nennen, die Förmlichkeit ist schon lange nicht mehr von Nöten.", sagte ich und lächelte ihr leicht zu. Auch ihre Lippen formten ein kleines Lächeln.
„Danke, Eadlyn."
Zwanzing Minuten später klopfte es an der Tür. Verwirrt schaute ich zu Madga.
"Oh, entschuldige. Ich hatte vergessen zu erwähnen das Mister Calour dich gerne geleiten würde.", sagte sie, knickste wieder leicht bevor sie zur Tür eilte und mein Zimmer verließ, als Colin eintrat. Ich schloss für einen Moment die Augen.
„Was beschäftigt deinen schönen Kopf?", fragte Collin, seine Stimme leise und rau als er eintrat. Ich konnte seinen Blick auf mir spüren, ohne die Augen dafür öffnen zu müssen.
„Zu viel um es in Worte fassen zu können."
„Aber du kannst es mir erzählen."
„Du bist auch der einzige Mensch, dem ich es überhaupt erzählen würde."
Ich wusste nicht, was Collin und ich waren, oder jemals sein würden. Vielleicht sah ich in ihm eine Chance glücklich zu sein. Eine Chance all dem hier zu entkommen, ein ganz anderes Leben zu führen. Es ist zwar keins, von dem ich geträumt hatte, aber ich war mir sicher, es wäre vollkommen.
Die meiste Zeit über hatte ich das Gefühl, wir waren Freunde, die einander verstanden, in einer Welt in der sie niemand anderes verstand. Aber in manchen Momenten, wenn seine blauen Augen auf meine trafen, oder sein Körper meinen berührte, war ich mir nicht sicher, ob dort ein Kribbeln in meinem Bauch war.
„Geht es um Tuala?", hakte er weiter nach.
„Du kennst die Antwort auf diese Frage. Es ist entschieden, ich bin mir sicher.", erwiderte ich leise. Trotzdem konnte man mir die Verzweiflung anhören.
Collin trat an mich heran, streckte seine Hand nach meiner aus. Dann verschränkte er unsere Finger miteinander. Diese Momente, die mich unsicher sein ließen. Doch ich zog meine Hand nicht weg, ich ließ sie an Ort und Stelle, genoss die Wärme die von ihm ausging. Sie war so anders als die Kälte, die Nathaniels Haut immer ausstrahlte.
„Ich denke nicht, dass schon etwas entschieden ist.", versuchte er mich zu beruhigen.
Ich drehte meinen Kopf, suchte seinen Blick, um zu sehen ob er meinte, was er sagte.
„Schau mich nicht so traurig an, mein Sonnenschein.", raunte er, legte seinen Kopf leicht schief.
„Sie ist eine Prinzessin, Collin. Sie steht für Frieden mit dem Feind, für Bündnisse und neue Zeiten. Selbst ich würde sie heiraten, wenn wir dann endlich den Frieden finden würde, nach dem sich das Volk schon so lange sehnt."
Er lachte leise, bevor er an die gegenüberliegende Wand schaute.
„Schwer einzuschätzen, ob Nathaniel ein Mann ist, der die Liebe über sein Land stellt. Es wäre das Vernünftigste. Und er war schon immer der Vernünftige von uns beiden."
„Was willst du damit sagen?"
„Ich würde dich über alles stellen. Über dieses Land, über den Frieden, über die Sonne am Himmel, Sonnenschein.", er sagte es, ohne mich anzusehen, doch sein Körper spannte sich merklich an. Seine Hand glitt aus meiner, und ich versuchte nicht an ihr festzuhalten.
Erneut schloss ich meine Augen, und schwieg. Denn ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Eine einzelne Träne rann über meine Wange, doch bevor der salzige Geschmack auf meinen Lippen angekommen war, wischte Collin sie sanft weg.
„Es gibt keinen Grund zu weinen, mia gioia.", flüsterte er.
„Es gibt hunderte, Collin.", erwiderte ich leise, hielt meine Augen jedoch fest geschlossen.
„Trainieren wir später? Ich habe das Gefühl, dein Kopf braucht eine Auszeit vom Denken."
Eine weitere Träne suchte sich den Weg aus meinem Augenwinkel, doch dieses Mal war dort kein Daumen, der sie wegwischte. Sie traf auf meine Lippen, und ich schmeckte das Salz in meinem Mund.
„Gerne. Ich denke, dass ist eine gute Idee."
In der Versammlung, die die Königin einberufen hatte, ging es darum, dass wir noch eine Woche hatte. Eine Woche bis die Entscheidung bei einem großen Fest offiziell verkündet werden würde. Eine Woche und Nathaniel würde vor einer von uns auf die Knie gehen. Cora verkündete ebenso, dass die Regeln gelockert wurden. Wir sollten jetzt nur noch zusammen Frühstücken und Abendbrot essen, der Rest war uns überlassen. Nathaniel durfte seine letzte Woche ebenso so nutzen, wie er es für richtig hielt.
Mir wurde übel, mein Magen rebellierte bei dem Gedanken daran, in einer Woche meinem Schicksal gegenüber zu stehen.
Alles was ich geplant hatte, war gescheitert. Das Schloss so schnell wie möglich wieder zu verlassen, gescheitert. Mich nicht in Nathaniel zu verlieben, gescheitert. Nathaniel heiraten und glücklich werden, vollkommen und hoffnungslos gescheitert.
Ich hatte alles verloren, und es war nichts mehr übrig.
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