♔ Erste Kleider
In sanften Wellen schlug das zarte Kleid bis auf den Boden des Wohnzimmers.
Die Farbe stand mir nicht. Ich war kein Mädchen, das Flieder tragen konnte.
Aber meine Mutter bestand darauf. Sie hatte von irgendeiner Frau auf irgendeiner Veranstaltung einmal gehört, dass der Prinz diese Farbe mochte.
Bei aller Liebe Mutter, dass das ausgedacht war, würde sogar ein Blinder sehen.
Ich hätte viel lieber das Schöne, dunkelgrüne angezogen, welches Martha selbstt genäht hatte. Aber ein selbst genähtes Kleid von meiner besten Freundin kam für meine Mutter auch nicht in Frage. Solange man den Namen in der Stadt nicht kannte, hatte es auch keinen Wert.
Emotionalen Wert gab es nicht. Niemand interessierte sich für so etwas.
»Eadlyn, bist du fertig?«, ertönte die helle Stimme meiner Mutter aus dem Flur.
Lucy, meine liebste Angestellte im ganzen Haus, band mir gerade meine Haare.
Auch das Band, welches sie zusammenhielt, war Flieder. Ich mochte es nicht.
Doch da ich sowieso keinerlei Interesse daran hatte, den Prinzen wirklich näher kennenzulernen, konnte es mir auch egal sein.
Ich würde dort hin gehen, mich möglichst unauffällig benehmen, bedeckt halten und heute Abend ausgeladen werden. Dann hatte ich es versucht und meine Mutter musste endlich Ruhe geben.
»Nein Mutter. Lucy - ich meine, Madame Prestone macht mir gerade noch die Haare.«
Sie hasste es, dass ich mich so gut mit Lucy verstand, dass ich sie beim Vornamen nannte.
Mit Angestellten so zu reden, als wären sie unsere Freunde, sorgt dafür, dass sie ihre Arbeit nicht mehr vernünftig erledigten. Was bei Lucy natürlich überhaupt nicht der Fall war, aber ich wollte keinen Streit provozieren. Und schon gar nicht wollte ich, dass sie ihren Job wegen mir verlor.
»Es könnte kurz weh tun«, kündigte Lucy an und zog im gleichen Moment viel zu stark an meinen blonden Haaren. Mir entwich ein leiser Schmerzenslaut.
»Entschuldigen Sie, Miss. Aber es muss perfekt aussehen.«
Die gleiche Leier seit Tagen. Es muss perfekt aussehen, ich muss perfekt aussehen, alles muss perfekt aussehen. Als wäre ich schon längst die Prinzessin von Dour.
Und das alles für einen Tag, bei dem es darum ging, den unsympathischsten Mann dieser Erde kennenzulernen. Und das waren keine Vorurteile. Ich kannte Nathaniel seit wir Kinder waren.
Er konnte furchtbar sein. Und so war es auch seine Familie.
Vielen Frauen sind die Gerüchte egal. Sie scheren sich nicht um die Erzählungen in der Stadt und dem Umland. Sie schenken ihnen keinen Glauben, oder blicken einfach über sie hinweg.
Doch wenn sich die Geschichte so zugetragen haben sollte, klebt Blut an den Händen dieser Familie. Viel Blut unschuldiger Menschen. Und egal, welchen Titel mir diese Heirat bringen könnte, er ist kein Menschenleben wert.
»Beeilen Sie sich doch bitte etwas mehr, Madame Prestone. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.« Wütend kam sie ins Wohnzimmer gestürmt. Ich wich ihrem Blick bewusst aus.
»Entschuldigen Sie. Ich bin schon fertig.« Das Ziehen an meinen Haaren ließ nach, doch es blieb ein Druck bestehen, den ich den ganzen Tag fühlen würde.
Lucy lief schnellen Schrittes los und holte den großen Spiegel. Dann stellte sie ihn vor mir ab.
Meine Mutter trat hinter mich, musterte mich von oben bis unten. Sie drehte einige Locken nach, die Lucy hatte raushängen lassen und rückte das Haarband zurecht.
Schon oft hatte ich mich für Festlichkeiten besonders hübsch gemacht, aber heute übertraf ich alles an Bemühungen. Wir hatten bestimmt gute zwei Stunden gebraucht, um mich so herauszuputzen. Den Sinn dahinter verstand ich kaum. Wenn ich dem Prinzen in normaler Erscheinung nicht genügte, wozu dann das Ganze?
Aber wieder einmal rief ich mir in den Kopf, dass ich das hier alles nur für meine Mutter tat.
Ihr war es wichtig. Den Grund durfte ich noch nicht erfahren. Dabei war ich mir nicht einmal sicher, ob sie es mir überhaupt irgendwann verraten würde.
Als sie mit meinen Haaren fertig war, begann sie an meinem Kleid zu zupfen. Dabei lag alles an Ort und Stelle. Es gab keine Falte zu viel und jede Welle schlug vernünftig.
»Mutter. Es sieht alles gut aus«, sagte ich und fing ihren Blick im Spiegel auf. Ihre Wangen färbten sich auf Grund der Aufregung langsam rötlich. Ich war mir sicher, dass sie das abpudern würde, bevor wir das Haus verließen.
»Drehst du dich bitte noch einmal?«, fragte sie streng, aber ich gehorchte. Während sie mich immer noch mit riesiger Skepsis begutachtete, rasselte sie eine Reihe von Dingen runter, die Lucy erledigen sollte bis wir wieder zurück sein würden. Dabei betonte sie bestimmt hundert Mal, dass es spät werden würde. Was jedoch so gar nicht meinem Plan entsprach.
♕♘♔♙♖♚
Der Vorhof des Schlosses war voller junger Frauen, die heute Abend die Chance ihres Lebens witterten. Sie alle sahen wunderschön aus, trugen Kleider in den verschiedensten Farben. Dieses bunte Kunstwerk hätte ich gerne von oben gesehen und dann gezeichnet. Hundert Farbtupfer im Vorhof des Schlosses Dour. Es wäre ein kleines Meisterwerk geworden. Doch leider blieb mir dieser Wunsch verwehrt.
Mutters Lächeln saß perfekt, meines hingegen kam ab und an ins Wanken. Was mache ich, wenn sie ebenfalls einen Plan hatte? Einen Plan, der meinen mit Sicherheit durchkreuzen würde? Wenn sie auch nur irgendwie versucht, mich in den Fokus zu stellen?
Mein Herz begann automatisch ein wenig zu schneller zu schlagen. Ich konnte spüren, wie es gegen meine Brust hüpfte.
»Lächeln. Eadlyn«, ermahnte sie mich leise, aber mit strengem Unterton. Und wieder setzte ich das geübte Lächeln auf. Es war wirklich geübt. Meine Mutter stand mit mir vor dem Spiegel und ließ mich Lächeln. Solange bis jeder Winkel, jedes Grübchen perfekt saß und meine Lippen gerade und voll wirkten. Es war anstrengend und unnötig. Denn es war noch immer kein Lächeln, was aus all diesen Mädchen hervorstechen könnte. Doch jetzt konnte ich es zumindest - und würde es auch für den Rest meines Lebens nicht mehr verlernen.
Neugierig ließ meiner Mutter den Blick über die Menge schweifen. Ich wusste sie suchte nach Konkurrenz. Für sie war ich die schönste Frau und die beste Chance für den Prinzen. Aber welche Mutter würde das nicht von ihrem Kind behaupten?
Ich war schön, aber unscheinbar. Meine goldenen Haare stießen kaum aus der Menge hervor. Das einzige, was man als Blickfang bezeichnen konnte, waren meine hellgrüne Augen. Ich sah kaum Mädchen auf der Straße, die überhaupt grüne Augen hatten und wenn, dann strahlten sie kaum so hell wie die Meinen.
Gebildet war ich ebenso. Ich konnte lesen, schreiben, zeichnen und tanzen. Kannte alle Manieren die man als junge Frau kennen musste. Meine Mutter hatte mich gut unterrichtet. Aber mit Sicherheit konnten das auch alle anderen Frauen hier. Ich war mir sicher, sie wurden alle genauso gut unterrichtet. Meine Mutter hatte nur ein sehr großes Ego. Was nicht verkehrt war, doch sie würde enttäuscht werden. Dafür würde ich unterschreiben.
Langsam begannen die Frauen durch das große Tor zu gehen. Alle begleitet von Mutter oder Vater mit hohem Ansehen. Einige von ihnen kamen mir nicht bekannt vor, sie mussten von weiter weg angereist sein.
»Wenn wir durch dieses Tor gehen, kommt die Treppe. Dort wird dein Name laut ausgerufen. Du machst einen Knicks, wie wir es geübt haben«, sagte meine Mutter, während sie mir ihren Arm entgegenstreckte. Ich nickte leicht und hakte mich bei ihr ein.
Trotz meines Desinteresses machte sich Nervosität in meinem Bauch breit. Es war wie ein kleines Feuer, dass sich ausbreitete und den Weg durch meine Adern suchte.
Ich könnte einen falschen Schritt machen, falsch knicksen und mich vor dem gesamten Schloss und all den adligen Leuten blamieren. Dann würde mich nicht einmal mehr ein Baron heiraten wollen. Ich atmete langsam ein und wieder aus. Ging jeden Schritt in meinem Kopf durch, bevor ich ihn tat. Langsam, bedacht, anmutig.
Das war meine Chance, dass der Vater eines anderen fürstlichen Mannes auf mich aufmerksam wurde. Aus Liebe heiraten war keine Option. Deswegen suchte ich anderweitig meine besten Chancen.
An dem Tor wucherten rote und weiße Rosen. Es sah wunderschön aus, wie die Ranken sich den Weg nach oben suchten, die Blüten um das meiste Licht kämpften. Auch diesen Anblick würde ich gerne zeichnen. Ich versuchte das Bild in meinem Kopf festzuhalten, um es zu Hause auf eine Leinwand bringen zu können. Es musste nur bis heute Abend durchhalten, dann könnte ich augenblicklich zeichnen, sobald ich aus diesen Gewändern raus war.
Ich beschloss, dies als Lichtblick für diesen Tag zu sehen und mich nur darauf zu konzentrieren. Wenn ich alles hinter mich gebracht hatte, konnte ich zeichnen.
Augenblicklich beruhigte sich mein Herzschlag, das Feuer ließ sich ein wenig eindämmen und brannte nicht mehr all zu sehr unter meiner hellen Haut.
Wir traten durch das Tor, vor uns tat sich das riesige Schloss auf. Selbst mit den Worten eines Dichters ließ es sich unmöglich beschreiben oder in Sätze fassen.
Es war groß, pompös und einfach gesagt wunderschön. Überall wuchsen Bäume und Blumen, ich sah ein Gewächshaus, einen gut angelegten Garten, eine riesige Wiese. Licht und Sonne wohin das Auge blickte. Vor dem Eingang ragte ein Springbrunnen auf, darauf stand die Statue des Königs.
Osiris der Dritte.
König von Dour.
Meine Mutter und ich blieben zur gleichen Zeit auf der obersten Treppe stehen.
Eine junge Frau mit ihrem Vater lief gerade die Stufen hinab.
Sie hatte dunkles Haar, welches ihr offen über die Schulter fiel. Ihr Kleid war königsblau.
Eine zu majestätische Farbe, um sie zu tragen solange man noch nicht Prinzessin war.
Ich fing den Blick meiner Mutter auf, die genau das Gleiche zu denken schien.
Dann hörte ich die Fanfare und eine laute Stimme, welche die Menschenmasse durchschnitt.
»Komtess Eadlyn Rosemary von Dounbrig mit Ihrer Mutter, Gräfin Adelma Rosemary von Dounbrig.«
Meinen eigenen Namen zu hören fühlte sich komisch an, ein wenig so, als würde er gar nicht mir gehören. Den Titel der Gräfin hatte ich nur meiner Mutter zu verdanken, sonst dürfte ich heute gar nicht auf dieser Treppe stehen. Alle Augen waren auf uns gerichtet, jeder schaute auf mein Gesicht, mein Kleid, meine Schritte. Meine Mutter und ich liefen im gleichen Takt die Treppe hinab. Die Augen nur nach vorne gerichtet. Immer bedacht darauf nicht zu stolpern.
Beinahe unten angekommen traf ich einen Blick. Am Ende des Teppichs stand der Mann, für den ich heute hier war. Der Mann, der mein Ehemann werden sollte.
Der Mann, den ich so wenig ausstehen konnte, dass ich seinem Blick am liebsten ausgewichen wäre.
Prinz Nathaniel Theodore Black.
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