♔Achtzehnmal verloren
Ich war unglaublich nervös, als ich von meiner Zofe begleitet, die langen Flure des Schlosses durchquerte. Mein Kopf malte sich hunderte Szenarien aus, die passieren könnten. Spielte alles durch, was Nathaniel getan haben könnte. Manche waren weniger schlimm, andere ließen mir einen Schauer den Rücken hinablaufen. Je näher wir dem kleinen Springbrunnen kamen, desto mehr stieg meine Aufregung ins Unermessliche.
"Sie sehen nervös aus."
Ich rieb mir die schwitzigen Hände über mein dunkelblaues Kleid. Wenn meine Zofe es mir ansah, würde auch Collin mich in wenigen Sekunden durchschaut haben.
"Aufgeregt, trifft es wohl besser.", antwortete ich, versuchte nicht das leichte Zittern meiner Stimme zu verbergen. Denn wenn man aufgeregt war, durfte eine Stimme zittern.
"Ziehen Sie es in Betracht, sich für Collin zu entscheiden?" Als sie bemerkte, was sie gerade gefragt hat, schlug sie sich die Hand vor den Mund.
"Entschuldigen Sie! Das war sehr unangebracht." Ich lächelte sie leicht an, um ihr zu versichern, dass es mich nicht störte private Dinge von ihr gefragt zu werden.
"Nein, ich denke nicht. Ich finde nur, er ist ein sehr interessanter Mann und ich bin eine sehr neugierige Frau." Madga nickte einige Male schnell hintereinander, traute sich jedoch den ganzen weiteren Weg nicht mehr irgendetwas zu sagen.
Collin lehnte lässig gegen den Brunnen. Er trug eine weiße Stoffhose und ein braunes Hemd. Seine blonden Haare schimmerten im Licht der Sonne eher golden. Das er attraktiv war konnte man nicht leugnen. Das schien auch Madga so zu sehen, denn ihre Atmung veränderte sich schlagartig.
"Hallo, meine Schöne." Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen.
"Madga, ich danke dir, ich denke du kannst jetzt gehen." Sie machte einen hastigen Knicks, schaute ein letztes Mal auf Collin und verschwand dann mit schnellen Schritten.
"Wie nett, dass du es einrichten konntest." Seine Augen ließen keine Sekunde von mir ab.
"Deine Mutter hat es mir erlaubt." Etwas huschte über sein Gesicht, war im gleichen Moment aber wieder verschwunden.
"Also, was unternehmen wir?" Er reichte mir seinen Arm und ich hakte mich bei ihm unter. Lieber hätte ich ihn abgewiesen, doch ich wollte nicht unfreundlich erscheinen. Außerdem wollte ich etwas von ihm, und ich war mir sicher das etwas Nettigkeit dabei auf jeden Fall helfen würde.
"Wir machen einen kleinen Ausflug." Verwirrt schaute ich ihn an. Uns war es strengstens untersagt das Schloss zu verlassen. Die einzige Ausnahme war der Ausritt am Anfang gewesen. Doch man wollte vermeiden, dass uns etwas passierte.
"Das ist nicht erlaubt.", sagte ich Ernst. Ich hatte genug Sorgen und konnte auf eine Sorge mehr wirklich gut verzichten. Auch wenn Collin wie der liebe Junge von nebenan aussah, war ich mir sicher, dass er jedoch genau das mitbrachte. Sorgen.
"Oh, an Regeln konnte ich mich noch nie sonderlich gut halten, gioia mia."
Ich wusste, dass die Worte italienisch waren, ich wusste leider nicht, was sie zu bedeuten hatten.
"Wie hast du mich genannt?"
"Es wäre langweilig, wenn ich dir das einfach verraten würde."
An einem äußeren Tor standen keine Wachen. Was mir merkwürdig erschien, doch Collin hatte mit Sicherheit dafür gesorgt. Geld konnte Menschen kaufen, dass war schon immer so, würde immer so bleiben. Die meisten waren bestechlich, egal ob sie Loyalität auf den Knien geschworen hatten. Noch eine Sache, die mich abschreckte. Niemand vertraute niemandem, weil es schier unmöglich war, dieses Vertrauen überhaupt aufzubauen.
Wir liefen einen kleinen, unbefestigten Weg entlang. Die Kirschbäume blühten in rosa und weiß, schmückten auch den Boden in ihren wunderschönen Farben.
Am Ende des Weges lag ein See, ein kleines Boot war an einem Steg befestigt.
"Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist.", sagte ich verunsichert.
"Ich denke, dass das eine ganz hervorragende Idee ist.", erwiderte Collin, ließ sich von meinem Einspruch überhaupt nicht beirren.
Er hielt das Boot fest und bat mich einzusteigen. Es war aus einfachem Holz, jemand hatte es weiß bemalt. Mit zittrigen Beinen stieg ich ein, fühlte mich dabei jedoch gar nicht wohl. Geschickt ließ Collin sich mir gegenüber auf eine kleine Bank fallen und nahm die beiden Ruder in die Hand.
Der See schimmerte grünlich, kleine Seerosen schwammen auf seiner Oberfläche. Um ihn herum tat sich der Wald auf. Es war wunderschön, malerisch. Was würde ich für eine Leinwand und meine geliebten Pinsel geben, um diesen Moment für immer festhalten zu können.
"Ich mag das Funkeln in deinen Augen, wenn du etwas siehst was dir gefällt." Ertappt wandte ich meinen Blick ab, spürte die Röte, die mir ins Gesicht schoss.
"So schaust du auch meinen Bruder an. Mit diesem Funkeln." Mein Bein wippte nervös auf und ab. Das hier war eine schlechte Idee. Wir befanden uns auf unglaublich engem Raum, es gab kein Möglichkeit unangenehmen Sachen aus dem Weg zu gehen oder ein Gespräch zu beenden.
Mein Herz begann zu rasen.
"Was wolltest du mir erzählen?", fragte ich, meine Augen bohrten sich in seine.
Seine Arme spannten ein wenig unter seinem Hemd, als er das Boot weiter in die Mitte des Sees trieb.
"Ich möchte dir nichts Böses. Ich möchte dir viel lieber Böses ersparen."
"Danke, aber ich bin alt genug um auf mich selbst aufzupassen."
"Das will ich nicht in Frage stellen. Aber man kann sich nicht vor Sachen in Acht nehmen, die man nicht weiß. Sie lauern in der Dunkelheit und schlagen zu wenn du es am wenigstens erwartest."
"Und deswegen möchtest du jetzt den Helden spielen?", fauchte ich.
Für einen Moment legte sich Stille über das Boot. Ich hörte die Tiere aus dem Wald, die Vögel die über unsere Köpfe flogen. Dann ein bitteres Lachen auf Collins Lippen.
"Ich bin ganz sicher kein Held und will auch keiner sein. Ich war schon immer der Junge, den keiner kontrollieren konnte. Der Junge, der ein zu große Riskio für die Krone darstellte, weil ich nicht alles für sie opfern würde, so wie der Rest meiner Familie. Meiner Mutter kam es gelegen, dass sie mich mit meinem Vater auf Handelsreisen schicken konnte. Ein Vater, der sich nie wie einer benommen oder angefühlt hat. Ihr kam es außerdem gelegen, dass Nat immer seinen Pflichten nachkam, die schwere Bürde der Krone trug."
Mein Blick hing an seinen Lippen. Meine Angst war viel zu groß. Was könnte er sagen, dass mein Bild von Nathaniel zerstören würde? Was würde er mir verraten, dass die Krone in die Knie zwingen könnte? Wie viele Geheimnisse steckten hinter diesen Lippen, und wie wenig Menschen würden sie jemals zu hören bekommen?
"Ich will dich vorbereiten. Auf alles, was dieses Schloss zu bieten hat. Ich will, dass du dich wehren kannst, wenn du es musst."
"Was willst du mir damit sagen?"
Das Boot kam auf der anderen Seite des Ufers zum stehen. Zwei Schwerter lagen gegen einen Baum gelehnt. Einige Messer steckten in ihm.
"Dieses Schloss hat zu viele Menschen das Leben gekostet, zu viele Leben genommen. Deine Chancen bald ein Teil meiner Familie zu sein stehen gut, auch wenn ich dir gerne davon abraten würde. Aber du siehst mir nicht so aus, als hättest du vor bald zu verschwinden."
"Was hat Nathaniel getan, Collin? Sag es mir." Er band das Boot an einem dicken Stamm fest, bevor er mir auf die Beine half. Seine Hand lag in meiner, Grün verwebte sich mit Blau.
Eiskaltes Blau, hoffnungsvolles Grün.
"Willst du kämpfen, Eadlyn? Willst du etwas verändern?"
Ein Herzschlag.
Der nächste.
Ein Aussetzer.
"Was hat er getan?"
"Du könntest es schaffen. Ich würde dich beschützen."
"Collin.", ermahnte ich ihn. Wofür sollte ich kämpfen? Wovor wollte er mich beschützen?
"Bleibst du, auch wenn ich es dir sage? Hast du es ihm versprochen?"
Ich schluckte schwer, dann nickte ich leicht. Ich hatte es ihm versprochen, gestern auf dem Turm, weit über den Dächern des Schlosses. Ein Versprechen, dass zwischen Gewitter und Sturm besiegelt wurde. Und Versprechen wurden nicht gebrochen. Nicht in meiner Welt.
Solange ich noch Eadlyn war, war mein Wort auch noch etwas wert.
Er drückte meine Hand noch fester. Das Boot wackelte leicht unter meinen Füßen. In meinem Inneren spannte sich alles an. Neugierde, Angst, Hoffnung.
Ein Wirbelsturm aus Gefühlen die ich kaum im Zaum halten konnte.
"Collin.", flehte ich. Er legte seinen Kopf leicht schief.
"Wirst du kämpfen?", wiederholte er sich ein letztes Mal.
"Ja. Ich werde bleiben, und ich werde kämpfen."
"Nathaniel hat den rechtmäßigen Erben der Krone getötet."
Mein Herz stolperte, fiel über seine eigene Naivität.
Jegliche Farbe wich aus meinem Gesicht, während ich mich an Collins Hand festklammerte.
Nathaniel hatte jemanden ermordet.
Nathaniel hatte seinen Bruder ermordet.
Ich taumelte, verlor den Halt unter den Füßen. Mein Magen rebellierte, ich hatte das Gefühl mich übergeben zu müssen.
Doch Collin fing mich auf. Sein kalter Blick traf mich wie hunderte kleine Speere, die sich in meinen Körper bohrten.
"Kämpst du noch immer, gioia mia?"
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