Kapitel 12: Geschenke
Aus der Sicht von Eric Slingby:
Ich orientierte mich an den unzähligen Wegweisern, die zu Mr. Corners Büro führten. Auf meinem Weg kam ich unter anderem an der Brillenabteilung vorbei, wo sich in diesem Augenblick ein paar jüngere Shinigamis ihre Brillen heraussuchten. Es ist schade, dass ich nicht dabei war, als Sebastian seine neue Brille bekommen hatte. Aber das Vergangene lässt sich leider nicht mehr ändern. Ich setzte meinen Weg fort, bis ich vor der Tür des Rektors stand. Nach einem kurzen Klopfen trat ich schließlich ein. Mr. Corner saß wie immer an seinem Schreibtisch hinter einem riesigen Papierstapel. Als ich die Türe hinter mir schloss, stand er auf und grinste mich breit an. "Eric, wie schön, dass du mich mal besuchen kommst!" grüßte er. "Hallo," sagte ich. Ich versuchte erst gar nicht, ihm klarzumachen, dass er mich hier herbestellt hatte.
"Was für ein Zufall! Gerade habe ich an dich gedacht. Ich hab da was für dich." Aufgeregt lief er zu der Wand mit den vielen Schubladen, die sich gegenüber von seinem Schreibtisch befand, und wühlte darin herum. In einer von ihnen konnte ich einen angefressenen Burger von Mc Donalds erspähen. "Irgendwo hier... mann, dieser ganze Müll... ah, da ist es ja." Lächelnd kam er mit einem kleinen Foto im silbernen Rahmen zurück. Im Glas des Bilderrahmens zog sich ein langer Riss quer über das Foto. Ich nahm es entgegen. Auf dem Bild waren vier Personen zu erkennen, zwei Kinder und zwei Erwachsene. Bei dem Anblick der Kinder stockte mir der Atem. Ich sah mich selbst auf diesem Bild, wie ich glücklich meinen kleinen Bruder John umarmte, den ich wirklich überall wieder erkannt hätte.
"Woher haben Sie das?" flüsterte ich. "Neulich bin ich zu diesem alten Haus im Wald gegangen, das du mir damals beschrieben hast, aus reiner Neugierde. Es war alles verlassen und zum größten Teil zerstört, dieses Bild lag auf dem Boden. Da dachte ich, du willst es vielleicht behalten." Konzentriert betrachtete ich die Erwachsenen, die meine Eltern sein müssen. Ich konnte jedoch nur das bekannte Gesicht meiner Mutter erkennen, da sich der lange Riss direkt über das Gesicht meines Vaters zog. Und auch, obwohl auch die Gestalt meiner Mutter nur halb erkennbar war, stieg Trauer in mir auf. Es war damals sehr schlimm, meine Eltern verloren zu haben. Das hier ist eine alte Erinnerung an sie. Ich will sie sehen. Entschlossen drehte ich das Bild und überlegte, wie ich das Foto herausnehmen konnte, um die Gesichter meiner Eltern sehen zu können. "Der Rahmen klemmt. Ich habe es auch schon versucht." erklärte der Rektor bedauernd. "Oh." Enttäuscht ließ ich die Hand sinken. "Der Junge neben dir kommt mir irgendwie bekannt vor, aber ich komme einfach nicht drauf. Na, egal. Ich habe noch etwas anderes für dich!"
Aufgeregt lief er um seinen Schreibtisch herum und kam mit einem riesigen Paket wieder, das mit vielen Bändern und Schleifen geschmückt war. "Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!" Ich war sprachlos, als ich das zentnerschwere Teil entgegen nahm. "Oh, das hätte ich nicht erwartet..." stotterte ich. Mr. Corner lachte. "Mach es aber erst Zuhause auf, ja? Und nimm das hier bitte noch für Alan mit..." keuchend stellte er mir einen weiteren Karton vor die Füße. "Der 3D-Flachbildschirm, den er sich gewünscht hat. Und das," er legte einen Stapel CDs dazu. "hatte ich noch von ihm ausgeliehen. Und wenn du ihm das hier bitte auch noch geben könntest..." Ein Stapel Essensgutscheine kam dazu. "Das wäre echt lieb von dir. Und gib ihm das auch noch, er hat sicher kein Geld mehr." Er überreichte mir einen fetten Umschlag. "Öhm... Mr. Corner..." lachte ich gequält. "Und noch ganz liebe Grüße an alle, ja? Besonders an dich und meinen Alan!"
Ich verkniff mir das Grinsen. "Mach ich. Vielen Dank!" "Gern geschehen! Also, dann bis morgen beim Betriebsausflug!" Ich stapelte das ganze Zeug so gut es ging und wandte mich zur Tür. "Halt, warte noch! Das hätte ich ja fast vergessen!" Stöhnend drehte ich mich um. Mr. Corner reicht mir eine mit Wasser gefüllte Tupperdose. "Das ist noch für Alan. Günther ist neulich gestorben, ich habe ihm diesen Ableger gerettet." Oh, nein. Nicht Günther. Nicht Alans Lieblingspflanze. Das könnte noch ein Geheule werden... Nickend stellte ich die Dose dazu. "Da wird er sich freuen." "Ach, und ich habe ihm ja neulich einen Schal gestrickt, weil es ja bald Winter wird. Bis dahin hab ich auch einen für dich fertig." Er legte einen blauen Schal mit roten Enten auf die Kisten und seufzte glücklich. Der muss wirklich sehr an Alan hängen, es ist nämlich mitten im Sommer.
Endlich verabschiedete sich Mr. Corner von mir und ich schleppte den riesigen Stapel zur Eingangshalle. Jeder, an dem ich mich vorbeidrängte, starrte mir nur neugierig oder belustigt hinterher. Ich entdeckte Sebby mit Alan auf den Wartesofas und stellte das ganze Zeug keuchend neben ihnen ab. "Du meine Güte!" kicherte Sebastian. "Will Mr. Corner etwa umziehen?" "Die Hälfte ist für Alan." grinste ich. Er nickte. "Da wird er sich aber freuen." "Ja, sicher!" lachte ich leise. "Trägst du das bitte für mich?" "Okay. Dann musst du aber Alan nehmen, beides schaffe ich nicht." erwiderte er. Alan ist inzwischen schon im Sitzen eingeschlafen, er lehnte mit offenem Mund an Sebastians Schulter, wo sich ein leichter Sabberfleck gebildet hatte. Aus Erfahrung wusste ich, dass es gefährlich werden könnte, einen schlafenden Alan aufzuwecken. Glücklicherweise wohnten wir nicht weit weg.
Mit Leichtigkeit hob ich ihn hoch, während Sebastian den Kistenstapel auf sich nahm. Auf dem Weg nach Hause musste ich ständig aufpassen, dass ich Alans Kopf nicht an den Straßenlaternen anschlug. Zuhause legte ich ihn vorsichtig in sein Bett und wischte noch den Sabber von seinem Mund, bevor ich leise die Tür schloss und die Treppen hoch zu meiner eigenen Wohnung stapfte. Sebastian stand mit den Kartons in dem engen Gang vor der Tür und wartete darauf, dass ich die Tür öffnete. Ich zückte den Schlüssel. "Kannst du mal Platz machen? Ich komme so nicht an das Schloss." bat ich. Sebastian, der immer noch den fetten Stapel trug, lehnte sich leicht übers Treppengeländer. "So?" "Jetzt ist es genau ein Zentimeter mehr." Ich versuchte, meine Hand mit dem Schlüssel über seinen Kopf hinweg zu bewegen, aber er war zu groß. "Ehm, vielleicht hättest du mich vorgehen lassen sollen." sagte ich. Sebastian nickte. "Gehen wir nochmal ganz runter, dann kannst du vor."
Ich hopste ein paar Stufen hinab, bis ich bemerkte, dass er mir nicht folgte. "Wo bleibst du denn?" stöhnte ich. "Sorry, mit dem Stapel kann ich mich nicht umdrehen, ich gehe rückwärts..." hörte ich seine Stimme von oben. "Ich helfe dir. Das geht mir zu langsam." Schnell hastete ich die Stufen wieder hoch. Dieser fette Stapel füllte den ganzen Gang bis zur Decke aus. "Achtung," mahnte Sebastian, als ich den Stapel berührte, der bedrohlich schwankte. "Ich nehme dir die oberste Kiste ab, dann drehst du dich." Ich musste mich auf die Zehenspitzen stellen, um ranzukommen. Immerhin stand ich eine Stufe weiter unten. Als Sebastian merkte, dass ich nicht rankam, ging er leicht in die Knie, was dazu führte, dass die Ecke einer Kiste ans Geländer stieß. Ich warf mich nach vorne, um sie aufzufangen, woraufhin Sebastian nach hinten zuckte und ich noch beobachten konnte, wie der Ganze Haufen von Schals, Geld und Fernsehern übers Geländer segelte. Danach hörte man es ein paar mal laut rumpeln und krachen, bis das Nachhallen verklang und es wieder ganz still war. Es war mitten in der Nacht, alles war leise und wir befanden uns im obersten Stockwerk.
"Ups," wisperte ich. "Wir wollten leise sein, es ist fast halb 2!" zischte Sebastian. Dann seufzte er. "Ich hole es. Warte hier." Leise schlich er die Stufen hinab. Noch ein Schritt und er würde auf Günthers Ableger treten, dessen Dose sich geöffnet hatte und auf der Treppe gelandet ist. "VORSICHT!" Kreischte ich und stürmte auf ihn zu. Zu spät. Sebastian rutschte auf Günther aus und wollte sich an mir festhalten, wodurch ich mitgerissen wurde. Wir polterten die Treppen runter und ich sah einmal sogar Sternchen. Schließlich war es wieder still. Ich lag auf dem ganz verrenkten Sebastian auf dem Boden, um uns herum der verstreute Haufen an Kisten und Ramsch. Sebastian sah geschockt aus. "Wir sind unten," grinste ich gequält. Eine Etage über uns öffnete sich die Tür einer unserer menschlichen Nachbarn. "ES IST MITTEN IN DER NACHT, MANN!" Dann knallte die Tür wieder zu. Ich verdrehte die Augen und rappelte mich auf, um nach Günther zu sehen, der als grüner Matsch neben der untersten Stufe lag. Vorsichtig schaufelte ich ihn in seine Dose zurück.
"Die anderen Nachbarn halten uns sowieso schon lange für bekloppt." murmelte ich.
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Hallo, Leser!
Vielen Dank, falls sich mein Buch noch in eurer Bibliothek befindet. Ich hatte den Großteil der Ferien lang Freizeitstress und bin die letzten paar Wochen kein einziges Mal an den Laptop gekommen, sorry fürs Warten... ^-^"
Hoffentlich hat euch das Kapitel etwas aufgemuntert :D
Grüßchen, eveyama ^-^
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