XXXIX. Noctis aeternae obruat
》Where she comes from, there's no saviours.《
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Der Regen prasselte leise gegen die Wand und die Fenster, als Steve Rogers bis auf die Knochen nass die letzten Treppenstufen nach oben stapfte und dabei eine Spur aus Regenwasser hinter sich zurückließ. Sein Shirt klebte an seinem Oberkörper und seine Socken gingen auf unfreiwilligen Tauchgang in seinen gefluteten Schuhen. Er konnte es nicht erwarten in die Wärme und Trockenheit seiner Wohnung begrüßt zu werden und seine kalten Knochen mit einer warmen Dusche aufzuwärmen. Mit einem leisen, frustrierten Seufzen kramte er in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel seines Apartments und schloss die Tür auf; darauf bedacht, seine Schuhe rechtzeitig auszuziehen, sodass er keinen Dreck mit in den Flur tragen würde, da er wusste, dass sie es nicht ausstehen konnte und stellte sie neben das Paar schwarzer High Heels, deren hohe Absätze geradezu tödlich wirkten. Er fragte sich immer wieder, wie sie darauf so problemlos laufen konnte ohne abends höllische Schmerzen zu haben.
Immer noch eine kleine Spur aus Wasser hinter sich herziehend, trat Steve ein in die Wärme und wurde mit dem verführerischen Geruch von Mac and Cheese, welches noch in Ofen stehen musste, begrüßt. 》Alisya?《, rief er halblaut in das Apartment hinein, erhielt jedoch keine Antwort. Trotzdem wusste er, dass sie hier war. Ihr Buch, in welches sie seit Tagen vertieft war, lag noch aufgeschlagen auf ihrer Seite der Couch, ein halbvolles Glas Rotwein auf dem Beistelltisch. Steve schüttelte lächelnd seinen Kopf, darauf vorbereitet, dass sie jeden Moment irgendwo auftauchen und ihn von hinten anspringen würde; lachend und triumphierend, da sie ihn wieder einmal überrascht hatte. Nicht selten kam es vor, dass Steve dabei sein Gleichgewicht verlor und sie beide lachend zu Boden fielen.
Sie konnte es schlicht nicht lassen, ihre Fähigkeiten zu nutzen, zu gut war sie darin.
Die Tragödie in Sibirien war inzwischen schon über ein Jahr her und -entgegen all seiner Befürchtungen- hatten sie Alisya nach einer tagelangen Suchaktion in dem Meer aus Trümmern tatsächlich gefunden. Bewusstlos, mit gebrochenen Knochen und geschundenem Körper wurde sie in ein geheimes SHIELD Feldkrankenhaus geflogen und lag mehrere Wochen im Koma, bis sie -einen mittelschweren Code Red im Feldkrankenhaus auslösend- schließlich erwacht war.
Es brauchte fünf Männer des Sicherheitspersonals um sie zu fixieren und Natasha, die ihr die ganze Zeit gut zuredete und erklärte was passiert und warum zur Hölle sie dort war.
Doch sie lebte. Das war alles was zählte. Alles weitere war zunächst zweitrangig.
》Alisya?《, rief er erneut und lief ins Schlafzimmer, um sich einen Stapel trockene Kleidung zu holen. Sie würde schon noch auftauchen.
Kaum hatte er die Tür zu dem dunklen Raum geöffnet, zuckte er zusammen. 》Himmel, Alisya!《, er atmete gestresst aus. 》Irgendwann bleibt mein altes Herz noch stehen.《
Da stand sie.
Mit dem Rücken zu ihm stand sie in einem ihrer zahllosen Morgenmäntel vor dem Fenster, an dem die Tropfen melancholisch hinunterliefen. Sie sagte nichts; drehte sich nicht um. Sie starrte einfach nur geradeaus aus dem Fenster.
Steve zog irritiert seine Brauen zusammen. 》Alisya?《 immer noch keine Antwort. Er ging auf sie zu, streckte eine Hand nach ihr aus und berührte ihre Schulter. Plötzlich drehte sie sich um; so schnell, Steve hatte gerade einmal blinzeln können. Seine Augen weiteten sich in Schock, seine Lippen öffneten sich ein Stück, doch kein Laut verließ sie, zu verstörend der Anblick.
Sie stand da.
Der Kopf unnatürlich weit zu einer Schulter gelegt und ihre Körperhaltung deformiert; das Genick und die Wirbelsäule mehrfach gebrochen wie ein dürrer Zweig. Ihre Kleidung zerrissen, schmutzig und blutbefleckt, ihr Gesicht entstellt, genauso wie der Rest ihrer grauenvollen Erscheinung. Ihre leeren Augen starrten ihn an, als sie einen deformierten Arm hob und ihre verkrüppelte Hand nach ihm ausstreckte. Steve wich zurück, sie stakste einen Schritt auf ihn zu. 》Ich habe dich vermisst, Steve《, sprachen angerissene Stimmbänder. Ihre Stimme klang entsetzlich; keine Spur mehr von schwarzem Samt und dem Mysteriösen, was sonst immer darin gelegen hatte. 》Hast du mich vermisst, Steve?《
Rogers schüttelte den Kopf, erst langsam und kaum merklich, dann immer schneller und vehementer. 》Nein《, murmelte er heiser. 》Nein, nein, nein, nein...《. Sie stakste noch einen schlurfenden Schritt.
》NEIN!《
Er riss seine Augen auf und starrte an die kahle Decke.
Als sein Wecker klingelte lag Steve Rogers bereits wach in seinem Bett. Das schrille Piepen, welches er sonst immer als besonders nervtötend wahrgenommen hatte, schien ihm heute egal zu sein, hatte es ihn doch aus seinem Albtraum gerissen.
Kaum verstummte das Ding, strich sich Steve mit einer Hand über das, von dunklen Schatten gezeichnete, Gesicht. Hatte er früher schon schlecht und unruhig geschlafen, so schlief er nun fast gar nicht mehr.
Seine Träume nahmen ihm die Ruhe und Erholung, oder ließen ihn mitten in der Nacht aus dem Schlaf hochschrecken. Oder seine Träume spielten ihm eine fatale Utopie vor; Alisya - am Leben, Bucky - nicht spurlos verschwunden, welche beim Aufwachen der Realität wich und jäh zerbrach.
Alisyas Fall lag nun schon über ein Jahr in der Vergangenheit, doch Rogers schien nicht loslassen zu können. Oder zu wollen. Noch dazu machte ihm das Verschwinden Buckys, welcher damals im sibirischen Schneesturm ohne jede Spur verschwunden war, zu schaffen. Wieso war Bucky verschwunden? Hatte es mit Alisya zu tun? Oder war er... rückfällig geworden?
Steve wusste keine Antwort
◇
》Hey.《 ihr roter Haarschopf war halb unter der schwarzen Kapuze des Hoodies versteckt, welcher ihr trotz des warmen Juniwetters Wärme zu spenden schien.
》Hey《, erwiderte er und verzog seine Lippen in ein unsicheres, ungemütliches Lächeln. 》Können wir?《
Sie nickte und drehte sich sogleich um, die Straße mit schnellen aber nicht hastigen Schritten nach unten laufend. Rogers folgte ihr.
Stumm liefen die beiden Avengers in Zivil einige Zeit nebeneinander her, von Steves Wohnung in den Tiefen Brooklyns bis sie schließlich ihre Schritte verlangsamten und vor einem alten Sandsteinbau in Midtown stehen blieben.
Die Rothaarige blickte das Gebäude kurz etwas eingeschüchtert von unten an, drehte sich dann zu ihrem Begleiter. 》Kommst du dieses Mal mit rein?《 Sie nickte wage in Richtung Sandsteinbau, welchen gerade ein unscheinbarer Mann betrat, welcher ihr zuvor kaum merklich zugenickt hatte.
Steve warf einen Blick gegen die Sonne auf das Gebäude; die Hände in den Taschen seiner Jeans vergraben sagte er: 》Nein, nicht dieses Mal.《
Sie zog ihre Mundwinkel kurz in ein kleines Lächeln. 》Das sagst du jedes Mal, Rogers.《
Steve blickte zu Boden. 》Wir alle verarbeiten ihren Tod anders, Natasha.《, sagte er leise.
》Manche von uns mit Erfolg.《
Er warf ihr einen unfreundlichen Blick zu, woraufhin sie leise seufzte. 》Tut mir leid《, sie blickte zu Boden und trat einen winzigen Kieselstein beiseite, 》Aber im Ernst, Steve, es würde dir gut tun mit jemandem darüber zu sprechen der nicht Tony, Sam oder Clint ist.《
Sie betrachtete ihn sorgenvoll. Er zuckte seine Schultern. 》Wie gesagt, wir alle verarbeiten ihren Tod anders.《
Natasha Romanoff lachte kurz auf. 》Tony trinkt jeden Tag drei Gläser Whiskey zu viel auf sie, Clints Hände sind von seiner Bogensehne blutig, Sam und Tor schauen den ganzen Tag Desperate Housewifes und Bruce hatte sich gestern noch vier Tage lang in seinem Labor eingeschlossen und hat nicht einmal irgendetwas gegessen《, sie verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust, 》Und du?《
Steve senkte seinen Blick.
》Du erträgst es nicht einmal wenn jemand ihren Namen laut ausspricht, Steve.《
Von allen Avengers war Natasha die Einzige, welche in ihrer endlosscheinenden Trauerbewältigung die meisten -und wahrscheinlich einzigen- Fortschritte machte. Romanoff war nach einigen Wochen einer Selbstthilfegruppe beigetreten, welche sich wöchentlich in jenem Sandsteinbau traf, um den tragischen Verlust geliebter Menschen zu teilen und gemeinsam zu verarbeiten.
Steve hatte sie dazu überredet.
Und so skeptisch sie am Anfang auch war, es half ihr auf eine Art, welche sie nicht recht beschreiben konnte.
》Zeit nach vorne zu schauen, Steve. Amalia hätte gewollt dass du das für sie tust.《
Ein Schauer lief über seinen Rücken und seine Arme; den Nacken hinauf bis in die Haarspitzen schien er dieses unangenehme Gefühl zu spüren. Schuld und tiefe Trauer schienen ihn von innen heraus zu zerfressen, wann immer jemand ihren Namen aussprach.
Amalia. Georgiablau und Pechschwarz. Vertraut und doch unnahbar.
So kurz nur hatte ihr Leben das seine gestreift und doch hatte es ihn so tief geprägt, dass er wusste, egal was er tun würde, egal wie oft und mit wem er darüber sprechen würde, es würde ihn nie loslassen.
》Das nächste Mal, Natasha.《, versprach er ihr mit einem kleinen Lächeln und mit einem Blick auf ihre Uhr nickte sie und verschwand im Sandsteinbau.
Steve sah ihr lange nach. Die zwei Stunden, die er nun auf sie warten würde, musste er irgendwie totschlagen.
◇
》Ist hier noch frei?《
Steve murmelte ein schwer zu entzifferndes 'Natürlich' und beachtete den jungen Mann, welcher nicht älter als 30 sein konnte, nicht weiter, welcher ihn offensichtlich verstanden hatte und sich neben Steve Rogers auf die Bank im Central Park, nur einige Querstraßen vom Sandsteinbau entfernt, sinken ließ.
》Vielen Dank.《
》Keine Ursache.《
Einige Zeit lang war es still. Steve saß gegen die Lehne gelehnt da und starrte auf die Grünfläche, der Mann neben ihm saß kerzengerade und hatte den Kopf geradeaus gerichtet, die Augen von dunklen Gläsern verdeckt.
》Was beschäftigt Sie, Mister?《, fragte der junge Anzugträger.
Rogers, etwas überrumpelt, antwortete unfreiwillig wahrheitsgemäß: 》Der Tod.《
》Oh, ich verstehe《, erwiderte der Mann.
》Nein, tun Sie nicht《, antwortete Steve ein wenig zu schnell und zu gleichgültig.
》Ein Angehöriger?《
》Vielleicht.《
》Wir alle verlieren jemanden - früher oder später. Die Frage ist nur, wer es ist.《
》Wer war es bei Ihnen?《, wollte Steve forsch wissen. Er wusste nicht woher dieser Satz und die renitente Neugier auf einmal kam, aber sie tat es, bevor er sie stoppen konnte.
Der Mann, beide Hände um einen dünnen weißen Stock gelegt, stützte sich kurz darauf ab. Erst jetzt bemerkte Steve, dass sein Banknachbar blind war. 》Mein Vater. Und bei Ihnen?《
》Eine Frau.《
Sein Banknachbar lachte kurz leise auf. 》Sie muss unglaublich gewesen sein.《
Wie in Trance nickte Steve sanft; seine Gesichtszüge wurden weicher. 》Das war sie.《
Wieder kehrte Stille ein.
》Was machen Sie beruflich?《
》Internationale Security. Und Sie? Banker?《
》Nicht ganz《, meinte der Blinde. 》Ich bin Anwalt.《
Ein Anwalt. Na großartig. Nur wenig Berufsgruppen waren für ihre ausschweifenden, meist leeren Reden so sehr bekannt wie Anwälte, Politiker und einige ausgewählte Verbrecher.
Nicht, dass es manchmal zwischen den letzten beiden keine Unterschiede gab.
》Also《, der Blinde erhob sich, strich sich kurz den Anzug glatt und reichte Steve eine kleine weiße Visitenkarte, 》Internationale Security klingt nach einem harten Job - sollten Sie jemals rechtlichen Beistand benötigen, rufen Sie uns an. Bis dahin...《, er verabschiedete sich mit einem knappen Nicken und kehrte Steve den Rücken. 》Do skoroy vstrechi.《
Der Mann bewegte sich mit solchem Geschick und Gelassenheit, dass Steve kurz daran zweifelte, ob er tatsächlich blind war.
Dann sah er auf die Karte in seinen Fingern, welche er wahrscheinlich in den nächsten Papierkorb werfen würde. Und dann fiel es ihm auf einmal auf.
Der Mann war Amerikaner. Woher kannte er die kantige, kalte Sprache?
Do skoroy vstrechi- auf baldiges Wiedersehen.
Sie hatte es ihm beigebracht, während einer viel zu langen Taxifahrt in einem kleinen Wagen, dessen Sitze nach einer Mischung aus Zigarettenrauch und irgendeinem Duftbaum rochen. Sie hatten fröstelnd auf der Rückbank gesessen, nicht einmal angeschnallt, während das kleine Taxi mitten im Stau steckte, als sie ihm ein paar Brocken der hiesigen Sprache beibrachte, damit die Zeit etwas schneller vorüberging und er sich etwas willkommener fühlen konnte.
Das hatte er nicht.
Die Wort- und Sprachwahl des Anwalts - Steve schöpfte den Verdacht, dass die Worte keinesfalls zufällig gewählt waren.
Oder spielte ihm sein Unterbewusstsein einen makabren Streich?
Mit einem unbestimmten Gesichtsausdruck sah er etwas länger auf die Karte. Sie war weder aus besonders hochwertigem Material, noch war eine namhafte Kanzlei abgebildet, doch Steve steckte sie ein.
Nelson&Murdock - Rechtsanwälte
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Ich war mir nicht sicher ob hier ein "Lückenfüller"-Kapitel (Was passiert während Amalia tot ist bei den anderen?) besser gepasst hätte, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es die Story unnötig in die Länge gezogen hätte, weil - truth be told- wir wissen alle wie das ungefähr ausgesehen hätte.
Was hätte euch am besten gefallen? Jetzt, nach nochmaliger Bearbeitung, gefällt es mit aber ganz gut, was denkt ihr?
~May&Bae
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