32 - Ghana
Bild: Google Maps, Elubo, Ghana - Abzweigung von der N12 auf die N1 Richtung Küste.
***
Die zwei Jeeps haben den Bus in wenigen Minuten eingeholt. Männer mit Waffen deuten Marco an, das Gefährt zu stoppen.
"Wir müssen anhalten; die werden schießen. Versuchen wir es mit Reden und Geld." Marco schaltet runter und hält am Straßenrand, irgendwo zwischen Debiso und Kojina. Umbigwe, Selina und Java setzen sich schützend vor die Kinder, Marco öffnet die Tür und stellt sich den Eintritt verwehrend auf die Trittstufe.
"Aussteigen!" Der Söldner spricht Französisch.
"Was wollt ihr? Wer seid ihr?"
"Aussteigen!" Ein zweiter Soldat hat sich vor Marco aufgebaut. "Oder wir schießen auf den Bus!"
Marco blickt zu seinen Freunden, Umbigwe nickt; dann steigt Marco aus. Sofort wird er von einem Söldner zur Seite geschoben, die zwei Bewaffneten steigen in den Bus.
"Du", einer zeigt auf Umbigwe, "raus! Männer raus! Die Lehrerinnen bleiben! Los!"
Umbigwe begreift, wie chancenlos sie gerade sind und steigt aus, wo er zu Marco hingeschoben wird.
Etwa drei Kilometer entfernt können die Freunde auf einmal eine Staubwolke ausmachen. Es könnte ein Holztransporter sein, wenn da nicht eine schwache Sirene zu hören wäre. Die Soldaten hören es ebenfalls und reagieren sehr schnell.
Marco und Umbigwe werden niedergeschlagen; bevor er den staubigen Boden erreicht, kann Marco noch sehen, wie die Jeeps und der Bus wegfahren; dann wird es sehr dunkel und er liegt auf der Straße.
Wenig später hält der Polizeiwagen neben den Männern. Polizisten geben ihnen Wasser. "Danke. Wir müssen den Bus verfolgen." Marco verspürt ein starkes Hämmern im Kopf, dennoch will er sofort aufbrechen, bevor der Wagen unerreichbar weg ist.
"Immer mit der Ruhe. Das ist alles Ihre Schuld, wie uns die Kollegen aus Côte d'Ivoire erklärt haben. Wir haben Straßensperren in Kojina errichtet. Nach Asempanaye gibt es einen Pass, da können wir sie einholen. Steigen Sie ein!"
Umbigwe blutet am Kopf, er hält sich ein Tuch, welches er vom Polizisten erhalten hat, auf die Wunde. Gemeinsam klettern die Freunde auf die Rückbank des Peugeots; die Polizisten fahren los.
"Die Männer sind bewaffnet; wissen das Ihre Kollegen an der Straßensperre?"
"Wir machen unsere Arbeit schon richtig, Monsieur. Wenn Sie die Kinder nicht entführt hätten, wäre das alles nicht geschehen; wenn ich Sie daran erinnern darf." Die Freunde realisieren, dass sie momentan keine Chance haben, ihre Geschichte zu erzählen.
Mit hoher Geschwindigkeit rast der Wagen über die löchrige, jedoch asphaltierte Straße, vorbei an Asmpanaye, das rechts von ihnen aus dem Wald auftaucht. Wenig später steigt die Straße an, Serpentinen zwingen den Fahrer langsamer zu werden, sie schlingern um die staubeigen Kurven. Zu beiden Seiten der Straße befindet sich ein breiter Sandstreifen aus rötlicher Erde. Marco kann sehr gut erkennen, wie hier für die Straße Regenwald abgeholzt wurde, und der Regen danach den unbefestigten Boden weggeschwemmt hat.
"Sie sind nicht hier! Hoffen wir, dass wir sie hinter dem Pass, wenn wir wieder schneller fahren können, einholen." Der Polizist am Lenkrad schwitzt; er holt alles aus dem älteren Wagen heraus. Umbigwe und Marco müssen sich gut festhalten.
***
Die zwei Jeeps biegen auf einmal rechts ab, bereits in der nächsten Ortschaft. Der Polizeiwagen ist nicht mehr zu sehen; offenbar haben die Polizisten die verletzten Männer auf der Straße aufgelesen; Selina und Java hoffen es. Einer der Söldner spricht am Telefon. Selina schnappt die Worte 'Mafia' und 'Takoradi' auf. Sie lächelt, denn das eine Wort gibt ihr etwas Hoffnung.
Versteckt tippt sie eine kleine Nachricht und schickt sie an Elena. Dann zwinkert sie Java zu und hilft ihr wieder, die Kinder zu beruhigen. Die drei Wagen rasen über eine schmale, unbefestigte Straße. Immer wieder rumpelt der Bus, ein Stück Plastik von der Gepäckablage fällt klappernd zu Boden.
Selinas Mobiltelefon vibriert. Elena. "Wo seid ihr?"
Selina blickt Java fragend an, zeigt ihr die Nachricht. Damit niemand sie verstehen kann, sprechen sie Mundart. "Hast du eine Ahnung?"
"Nein. Ich glaube, die Ortschaft, wo wir abgebogen sind, heißt 'Asempanaye' - das habe ich auf einem Schild bei einer großen Halle gelesen 'Cocoa Merchants Asempanaye'; kann aber auch ein Name sein."
"Der Typ da hat etwas von 'Takoradi' gesagt - das könnte der Ort sein, wo sie mit uns hinwollen. Ich schreibe das mal so. Hoffen wir, dass Elena uns mit Google-Maps finden kann. Sie haben Angst vor uns; der Typ hat auch von 'Mafia' gesprochen." Selina tippt und schickt die Nachricht weg.
"Werden wir jetzt getötet?", fragt eines der Mädchen.
"Nein. Wir haben starke Freunde, die werden uns befreien. Wir müssen jetzt nur warten und tun, was die bösen Männer von uns wollen."
"Das ist eine komische Sprache, die ihr zwei sprecht."
"Ja", lacht Java, "das habe ich auch immer gesagt, bevor ich die Sprache gelernt hatte." Sie streicht dem Mädchen über den gelockten Kopf. "Du hast schöne Haare. Solche gibt es in der Schweiz nicht."
"Danke. Was ist Schweiz?"
"Das ist das Land, wo wir zwei herkommen."
"Ist das weit weg?"
"Ja, meine Liebe. Da können wir nicht hinfahren. Wie heißt du?"
"Assana. Und du?"
"Ich bin Java. Meine Freundin heißt Selina." Die Angesprochene blickt kurz hoch und lächelt.
Der Bus biegt auf einmal, bei einer Ansammlung von Hütten, scharf rechts ein, dann folgt wieder nur Wald; kurz darauf durchqueren sie eine Ortschaft. Die Menschen fliehen vor den rasenden Fahrzeugen und schwingen fluchend die Fäuste.
Plötzlich lacht Java. Selina blickt sie verwirrt an.
"Du meinst, die Typen haben Angst vor uns, vor der Mafia?"
"Hat er gesagt, ja. Warum lachst du mich aus?"
"Schau raus! Wir SIND in Mafia - das ist eine Ortschaft. Ich habe soeben ein Schild gesehen 'Willkommen in Mafia' - Wenn das kein gutes Omen ist!"
Die zwei Frauen lachen schallend, die Soldaten blicken irritiert nach hinten und verlangen Ruhe.
"Tipp das an Elena. - Damit kann sie bestimmt die richtige Straße finden. So viele Orte mit diesem Namen wird es wohl nicht geben in Ghana."
***
"Wir haben sie verloren!"
Der Polizeiwagen steht an der Abzweigung der Baku-Yamatwa Road und der N12, die an die Küste führt. Die zwei Polizisten betrachten eine Karte, welche sie auf der Motorhaube dea Wagens ausgebreitet haben und diskutieren rege.
"Welchen Weg wollten wir nehmen, Marco?" Umbigwe blickt nach Osten, in Richtung Kojina.
"Da, wo du hinblickst. Dort liegt Kojina; danach, viel später Kumasi. Warum fragst du?"
"Wir haben sie nicht eingeholt, obwohl unser Bulle dort ein heimlicher Rallyefahrer ist. Wenn sie so weit vor uns sind, müssten sie die Straßensperre in Kojina längst passiert haben - und das hätten wir mitbekommen. Sie sind also nicht mehr auf dieser Straße."
In diesem Moment vibriert Marcos Handy. "Es ist eine Nachricht von Selina! Na bravo, sie sind abgebogen!" Dann lacht er.
"Warum lachst du, Bro? Das ist nicht lustig!"
"Lies!" Marco hält Umbigwe das Telefon hin, worauf auch er zu lachen beginnt.
"Meine Herren, gibt es hier eine Ortschaft namens 'Mafia'? Irgendwo in der Gegend?"
"Ja, etwa eine halbe Stunde von hier, an einer Nebenstraße. Wieso?"
"Dort sind sie hingefahren. Wo führt diese Nebenstraße hin?"
Die Polizisten blicken auf. "Auf diese Straße hier. Das ist die N12, sie führt an die Küste. Aber das geht hier lang, nicht in Richtung Kojina." Der Polizist deutet in die entgegengesetzte Richtung, nach rechts.
"Gibt es einen Flughafen dort?"
"Ja, in Sekondi-Takoradi. Warum fragen Sie?"
"Wir müssen da lang!", ruft Umbigwe nervös.
"Ich kann dir nicht folgen, Bruder. Warum denkst du, sie brauchen einen Flughafen?"
"Die Kinder umbringen und verschwinden lassen, das traue ich auch dem härtesten Söldner nicht zu. Sie wollen außer Landes fliehen, und das geht nun mal am schnellsten mit einem Flugzeug. Wir müssen an die Küste, nach Takoradi - vertrau mir."
"Können Sie die Straßensperre aufheben und die Kollegen so schnell als möglich zum Flughafen nach Takoradi schicken? Können Sie die Polizeistation dort alarmieren?"
"Wenn Sie mir erklären, warum ich das tun soll, dann ja." Der Polizist wirkt leicht genervt. Umbigwe erklärt ihm seine Überlegungen, worauf die Polizisten freudig nicken.
Marcos Mobiltelefon meldet sich erneut. Elena.
"Amore?", fragt er etwas zu schüchtern.
"Was habt ihr nun wieder angestellt? Kann man euch keine drei Minuten allein lassen?" Elena wirkt sehr besorgt.
"Wir wurden überfallen, als wir mit den Kindern fliehen wollten. Selina und Java sind mit den Kindern und den Söldnern verschwunden."
"Ja, das weiß ich. Selina hat sich gemeldet. Sie sind in einem Ort namens 'Mafia'." Elena lacht kurz. "Wenn es nicht so tragisch wäre, könnten wir darüber lachen. Wo seid ihr?"
"Wir sind mit der Polizei unterwegs. Wir verfolgen sie, aber wir sind auf der falschen Straße."
"Fahrt zur Küste, nach Takoradi. Ich werde euch einen Transport per Schiff organisieren. Flugzeuge haben wir momentan keine in der Nähe, aber einen Frachter, der euch aufnehmen könnte. Versucht vorher, die Kinder und die Frauen zu finden - sie sind ebenfalls dorthin unterwegs, wenn ich Selina Glauben schenken kann."
Marco atmet auf und nickt Umbigwe zu. Dieser gibt den Polizisten einen Daumen hoch - sie beginnen zu telefonieren.
"Elena, du bist ein Schatz! Danke, dass du dich schneller meldest als Selina."
"Beweise mir das, indem du möglichst schnell heimkommst, Amore."
Bei diesen Worten hat Marco ein leicht ungutes Gefühl. Dennoch verspricht er seiner Frau, möglichst vorsichtig zu sein und sich bald wieder zu melden.
Als er sein Telefon wegsteckt, legt ihm Umbigwe den Arm um die Schulter. "In deiner Haut möchte ich nicht stecken, wenn wir heimkommen, mein Freund. Sie wird dich in eine Olivenpresse stecken und mit dem Saft den Traktor betanken."
"Ich hätte es verdient. Ich war so ein Idiot, Umbigwe."
"Ja."
Marco blickt seinen Freund fragend an.
"Was denn? Da gibt es nichts mehr zu sagen. - Und jetzt lass uns die Mädels und die Kinder befreien - schon wieder."
Die Polizisten haben den Wagen bereits gewendet, als die Freunde einsteigen. Dann braust der Peugeot Richtung Westen davon.
***
Einige Kilometer südlich von Mafia fährt der Bus auf einmal von der Straße ab, folgt einem sehr schmalen Pfad. Auf einer künstlich angelegten Lichtung, offenbar einer Art Grube, hält der Fahrer an. Einer der Jeeps ist ebenfalls auf den Platz gefahren, der andere sichert die Einfahrt und parkt mitten auf dem schmalen Weg.
"Alle aussteigen!", befiehlt einer der Söldner.
Selina klettert aus dem Bus. Zu ihrer Linken kann sie eine Baracke sehen, vor ihr liegt die Grube, zwei tiefe Narben in der Erde, von einem Wall geschützt. Die linke Grube ist mit Wasser gefüllt, die rechte liegt trocken da ein altersschwacher Bagger steht mittendrin. Ein ungutes Gefühl beschleicht die Journalistin; der Ort riecht nach Tod. Offensichtlich will man sie doch nicht zur Küste bringen, sondern hier und jetzt entsorgen, töten. Selina blickt besorgt zum Bus und gibt Java Zeichen, mit den Kindern im Fahrzeug zu bleiben. Sie begreift und hält die Kinder zurück. Einer der Söldner schreitet wütend zur Tür, das Gewehr hält er schussbereit im Anschlag.
In diesem Moment peitschen Schüsse von der Straße her durch die Stille. Die Söldner sind einen Moment abgelenkt, drehen sich zum Lärm hin. Sofort sprintet Selina los, springt in den Bus, wirft sich hinter das Lenkrad und fährt mit offener Tür los. Sie dreht den Bus in einem weiten Bogen und hält auf die schmale Ausfahrt zu. Die Söldner rennen in Richtung der Straße. Der querstehende Jeep ist verlassen, ein Söldner liegt bewegungslos dahinter. Krachend rammt Selina den Jeep und schiebt ihn aus der Einfahrt. Einzelne Projektile schlagen in Metall, eine Scheibe zerspringt. Die Mädchen und Jungen schreien und ducken sich zwischen die Sitze, weitere Schüsse fallen.
Selina lenkt den Bus auf die größere Straße, der Wagen schlingert. "Jemand verletzt da hinten?", schreit sie zu Java.
"Uns geht es gut! Fahr! Gib Gas!" Mit einem lauten Knall zersplittert der rechte Außenspiegel, Glassplitter fliegen ins Fahrzeug. Selina sucht verzweifelt nach einem Knopf für die Tür; sie drückt jeden grünen Knopf, den sie findet. Die Tür schließt sich quietschend und zischend.
Im einzigen verbleibenden Spiegel sieht sie Rauch aufsteigen, ein dumpfer Knall ist hörbar.
"Nicht gut - gar nicht gut!"
"Was ist?", schreit Java nach vorne.
"Da hinten ist ein Auto explodiert! Hoffen wir, es war keines der Guten."
"Wer war das eben? Wer sind die Guten?"
"Keine Ahnung, Java. Aber man hat uns umbringen wollen und ich sah die Chance, abzuhauen ..."
"Alles gut, fahr schon!"
Nach wenigen Minuten schreit Selina plötzlich: "Rechts oder links?"
Java blickt angstvoll nach vorne, kann die breite, einladende Straße erkennen, die links abzweigt. "Rechts!", schreit sie. "Fliehe unlogisch, erinnerst du dich?"
Selina reißt das Lenkrad rum, der Bus neigt sich zur Seite, das hintere, rechte Rad hebt sich an, beinah kippt der Wagen, dann rumpelt er wieder auf allen Rädern davon; zurück, in Richtung Côte d'Ivoire.
***
In Takoradi landet der Privatjet aus Côte d'Ivoire kurz nachdem bereits ein Jet aus dem Sudan eingetroffen ist. Die beiden wichtigen Männer treffen sich in einem Büro im Hangar. Laurent Djue trägt einen hellen Maßanzug, der Sudanese seine Uniform. Ihre Männer warten vor der Tür.
"Was gibt es Neues von deinen Männern?"
"Wir hatten den Bus mit den Kindern. Wir wurden angegriffen. Du weißt nicht zufällig, wer dahinterstecken könnte, oder?" Der Sudanese fixiert Djue mit seinen dunklen Augen.
"Ihr habt sie verloren, genau wie Goude. Du weißt, was mit Goude geschehen ist." Eine gefährliche Stille macht sich breit. Einige Minuten redet keiner von beiden.
"Du solltest mir nicht drohen", flüstert der Sudanese heiser. "Dass du Goude losgeworden bist, verdankst du mir."
"Und du wurdest dafür bezahlt. Am Wochenende sind die Wahlen. Bis dahin muss das Problem gelöst sein. Du hast drei Tage."
"Kann es sein, dass die Italiener mitmischen?"
Djue krault sich sein Kinn. "Möglich, wenn auch unwahrscheinlich. Was sollten sie auch wollen; das hier ist Afrika; für niemanden von Interesse, so lange es keine Rohstoffe zu holen gibt."
"Kannst du das herausfinden?"
Djue nickt. "Ja, das kann ich. Hast du etwas zu verlieren, dass du vor den Italienern fürchtest?"
"Seit ich hier aktiv geworden bin und seit Goude sich aus dem Geschäft zurückgezogen hat, muss sich jemand um die florierenden Ölpalmen kümmern, die hier angepflanzt werden und gut gedeihen." Der Sudanese lächelt.
"Das ist nicht mein Land. Mich interessiert Côte d'Ivoire. Was du hier treibst, musst du mit dem Präsidenten dieses Landes ausmachen. Auf die Geschäfte in Ghana!"
"Auf die Geschäfte in Ghana."
Die beiden Männer prosten sich zu.
"Du sagst, du willst das Problem gelöst haben. Die hiesige Polizei ist uns behilflich?"
"Leider nicht", verneint Djue. "Die beziehen ihren Lohn treu von der Regierung. Wir haben hier keine Kontrolle. Deshalb hat Goude mit Bono zusammengearbeitet. Es ist nicht so einfach hier."
"Wir können die Kinder wieder auftreiben, das ist kein Problem. Aber mein Freund - es sind Kinder. Niemand wird ihnen glauben. Du solltest dir Sorgen um die Schweizer machen, die hier rumschnüffeln."
"Die sind nach Europa zurückgeflogen. Sie stellen keine Gefahr mehr dar."
"Ich spreche nicht von den Offiziellen, ich spreche von dieser Journalistin und ihren Freunden aus Italien."
Djue faltet die Hände. "Was schlägst du vor?"
"Es verschwinden immer wieder Touristen im Regenwald. Außerdem haben sie meinen ehemaligen Geschäftspartner auf dem Gewissen, ich habe noch eine Rechnung offen mit der kleinen Italienerin aus Nardò."
"Das ist dein Problem. Wenn die Untersuchungen rund um die Kinderarbeit gestoppt werden, kannst du machen, was du willst. Aber diese schlechten Nachrichten müssen aufhören; und genau deshalb dürfen diese Kinder niemals reden."
"Sie haben Bono und seine Männer gesehen. Was sollen sie erzählen? Die Männer sind tot, niemand wird den Kindern Glauben. Alle werden froh sein, wenn sie wieder im Land sind."
"Gut, gut, ich glaube dir ja. Dann lasst sie meinetwegen laufen. - Hier trennen sich unsere Wege. Solltest du jemals in Côte d'Ivoire geschäftlich aktiv werden wollen, rate ich dir dringend, dich vorher bei mir zu melden."
"Wenn du gewählt wirst, mein Freund. Nur, wenn du gewählt wirst. Seit ich auch Tunesien kontrolliere, solltest du froh sein, wenn du an der Macht bleiben und mich zum Freund machen kannst. - Du meldest mir, was du über die Italiener herausfindest, okay?"
"Das mache ich. Und du kümmerst dich um diese Journalistin und ihre Freunde."
Der Sudanese nickt, steht auf und verlässt das Büro. Beide Männer wissen, dass sie aufeinander angewiesen sind und sich trotzdem nicht vertrauen können.
***
Selina und Java sind froh darüber, dass ihnen keine Fahrzeuge folgen. In der nächsten Ortschaft halten sie an. Java geht mit den Kindern auf den Markt, sie wollen Früchte, Brot und Wasser kaufen. Selina kümmert sich unterdessen um das Fahrzeug. Ein Junge bleibt bei ihr.
"Ich verstehe etwas von Motoren, Miss."
"Du musst mich nicht Miss nennen, ich heiße Selina. Wer bist du?"
"Ich bin John", strahlt der Junge und hält ihr die Hand entgegen.
Selina drückt sie und lächelt. "John?"
"Das ist ein moderner Name. Unser Präsident hieß John. Er war ein junger und guter Präsident. Eigentlich heiße ich Kutu, aber John gefällt mir besser. Ich möchte einmal Präsident werden. Darf ich dir mit dem Auto helfen?"
Selina schmunzelt über die Begeisterung des Jungen. Sie staunt, wie gut er Englisch spricht. "Warum kannst du so gut Englisch?"
"Hier können viele Menschen Englisch. Das ist nicht mehr Frankreich hier."
Die Journalistin versucht sich an Geschichtslektionen aus ihrer Schulzeit zu erinnern. Vage taucht ein Bild auf, in welchem von englischen Kolonien von Norden nach Süden die Rede war. Sie beschließt, sich wieder mehr Wissen über Afrika anzueignen, sobald sie zurück in der Schweiz ist.
John hat unterdessen bereits den Tankdeckel geöffnet und mit dem Tankwart ausgemacht, welchen Preis sie bezahlen müssen. Er ist auf die Stoßstange geklettert und hängt bereits über dem Motor, die Haube hat er allein hochgestemmt. Selina schmunzelt.
"Na? Alles in Ordnung, Chefmechaniker?"
Mit ölverschmiertem Gesicht grinst der Junge sie an. "Geht noch. Aber der Keilriemen sieht nicht gut aus."
"Können wir fahren, oder ist das ein Problem?"
"Das kann ich nicht sagen. Er hält noch, aber ich weiß nicht wie lange."
Selina sieht sich den Gummiriemen an. Sie beschließen, es zu versuchen. Die Spannung stimmt und der Riemen weist nur kleine Risse auf. Sie schließen die Motorhaube. "Danke, John. Nun geh dich waschen - du siehst fürchterlich aus."
Lachend schaut sie dem Jungen nach, als er auf der Toilette der Tankstelle verschwindet.
"Miss! Woher kommt das Einschussloch hier?", fragt der Tankwart. "Sie sind Lehrerinnen, das sehe ich. Wurden Sie angegriffen?"
"Wie kommen Sie darauf?" Selina stellt sich neben den Mann.
"Es verschwinden immer wieder Kinder hier, manchmal aus der Schule, manchmal von zuhause. Man sagt, sie werden nach Côte d'Ivoire gebracht, um als Sklaven zu arbeiten."
"Ich weiß - wir kommen von dort. Diese Kinder sind auf dem Heimweg."
Der Mann beginnt zu strahlen. "Dann sind Sie Heilige! Nie kommen die Kinder zurück!"
"Wir sind keine Heiligen, nein. Wir wollen nur helfen. Wie lange dauert es noch bis zur Küste?"
"Bis Sekondi-Takoradi sind es dreihundert Kilometer. Aber auf dieser Straße können Sie nicht so schnell fahren. Sechs Stunden vielleicht? Folgen Sie dieser Straße bis Elubo und nehmen Sie dort die N1, es ist eine übersichtliche Kreuzung; die N1 führt Sie bis an die Küste."
"Vielen Dank. Was schulde ich Ihnen?"
"Nichts! Helfen Sie den Kindern; das ist genug. Sie tun etwas für unser Land; ich danke Ihnen!"
Als die Kinder vom Markt zurückkommen, sind Selina und John bereits im Bus. Java reicht ihnen frische Mangos und Brot. Sie berichtet, sie habe mit Marco gesprochen und ihm ihren Plan durchgegeben. Marco und Umbigwe seien mit der Polizei hinter ihnen und ebenfalls auf ihrem Weg.
"Wir sollen fahren, hat er gesagt. Sie werden uns einholen; ihr Polizist ist offenbar ein kleiner Rennfahrer", schmunzelt sie.
Wenig später fährt Selina den Bus auf die N12 zurück, einer ungewissen Zukunft entgegen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro