Sandra
Hoffnung und Erleichterung verspricht das Klopfen an der Fensterfront. In einem Satz erhebt sich Sandra, um von Jae darauf zurückgedrängt zu werden. Angespannt tritt er an die Tür, womit sie das Unglück kommen sieht. Eine Konfrontation kann sie am wenigsten gebrauchen. Daher drängt sich Sandra vorbei, um die Tür zu öffnen. Mit einem mahnenden Blick, der Jae gilt, aber ihr alter Freund sieht an ihr vorbei mit angespanntem Kiefer.
„Nicht!"
Sein Ruf trifft auf taube Ohren, denn die Türklinke liegt bereits in der Hand. Sandra öffnet mit einem gespielten Lächeln die Pforten nach innen. Sie macht bewusst auf heile Welt, dabei erwartet Hendrik ein großes Donnerwetter.
Umso größer ist die Überraschung, als zwei andere Gestalten in der Kälte warten. Wie bei ihrem ersten Treffen steht Mandy am Rand des Geschehens. Mit einem völlig distanzierten Blick. Flüchtig hebt sie die Hand und obwohl der fremde Kerl neben ihr auffällig lächelt und lautstark grüßt, als seien sie die dicksten Freunde, hat Sandra nur Augen für ihre Freundin.
„Hast du etwas vergessen, Mandy?"
Stumm nickt die Urbexerin und öffnet den Mund, um zu antworten, aber der Fremde schiebt sich fröhlich ins Bild. Verwirrt weicht Sandra zurück und meint eine gutgelaunte Version von Charu vor sich zu haben.
Unsinn! Charu würde niemals so dämlich grinsen! Außer sie ist betrunken.
Beunruhigt hebt Sandra den Kopf, um ihren Gegenüber besser zu mustern. Der Stand ist sicher und auch wenn das alberne Verhalten für Alkoholismus spricht, stinkt der Kerl nicht wie eine Brauerei.
Ein Griff, ein Ruck und Sandra wird in den Hintergrund gedrückt. Jae will die Tür mit Ach und Krach schließen, aber Mandy kommt ihm zuvor und wirft sich in den Zwischenraum.
„Du Scheißkerl lässt uns jetzt nicht in der Kälte stehen!", zischt sie Jae an und arbeitet angestrengt daran, die Macht über die Tür zu erlangen.
Neben dem Schauspiel bemerkt Sandra, wie der Fremde, hochgewachsene Kerl die alberne Maske ablegt und sie mit solch einen Intensität begutachtet, dass es ihr eiskalt den Rücken runterläuft. Sein Lächeln wirkt teuflisch, sein Blick verschlingend. Die Art, wie seine Augen auf ihr Ruhen, gefällt ihr überhaupt nicht und so wendet sie sich eilig von ihm ab. Die dicke Luft zwischen Mandy und Jae erinnert sie an Tage aus der Schulzeit, sodass sie die Ärmel hochkrempelt und zwischen den Streithähnen geht.
„Jae! Sei nicht so unhöflich! Mandy ist jederzeit willkommen! Sie trägt die Verantwortung für ihre Begleitung. Lassen wir die beiden doch rein und hören uns an, was sie zu sagen haben!"
„Die Töle lasse ich nicht rein!"
Sandra öffnet vor Entsetzen den Mund. „Wie sprichst du über Vanessa?"
Aber Jae knirscht verärgert mit den Zähnen. „Ich rede von dem Typen!"
„Dessen Name ich noch nicht kenne. Wie gemein! Ihr kennt euch und doch stellst mir keiner den Fremden vor."
Kaum ausgesprochen, drängt sich der stämmige Kerl an Mandy vorbei und schiebt seinen Arm durch den Türschlitz.
„Kiowa, angenehm."
„SPINNST DU! Ich habe hier bereits zu kämpfen und du drückst dich einfach durch!", beschwert sich Mandy bei ihrer Begleitung.
Als realisiere Kiowa erst jetzt ihre Lage, packt er zu und zieht mit einem kräftigen Griff die Tür auf, um einzutreten.
„Sag doch, dass du Hilfe brauchst, Mandy. Ich bin dann mal so frei und trete ein. Nett habt ihr es hier."
Weit kommt Kiowa nicht, denn Jae stellt sich ihm direkt entgegen. Belustigt hebt Kiowa seinen Kopf.
„Das überlebst du nicht, Bursche. Elenora weilt nicht mehr unter euch. Sie kann dir nicht zur Hilfe eilen und die hohen Tiere werden einen Sündenbock suchen. Besser du suchst schnell das Weite. Oder soll ich dich vor der langen Hetzjagd beschützen und dich an Ort und Stelle zerfetzen?"
Sie kennen sich – ohne Zweifel. Aber Sandra kann ihnen nicht folgen. Und doch ist Jae eingeschüchtert. Er ist auffällig blass und schnappt nach Luft, als habe er einen Asthmaanfall.
„Jae? Was ist los?" Sandra legt ihm die Hand behutsam auf die Schulter. „Sprich mit mir."
„Spar dir die Mühe, Sandra. Ihn sollten wir am besten hinrichten!", tönt es missbilligend von Mandys Seite.
Zu grausam für ein Scherz. Ein Blick hinauf und Sandra sieht ein loderndes Feuer in Mandys Augen. Ihre Worte sind nicht einfach daher gesprochen. Daher stößt Sandra ihren alten Freund hinaus ins Freie.
„Lauf, Jae! Schnell!"
Er taumelt, fängt sich im gleichen Moment, mehr bekommt sie nicht mit, denn sie verschließt die Tür und stemmt sich dagegen. Mandy schnalzt verärgert mit der Zunge, während ihre Begleitung den Kopf in den Nacken legt und unheilvoll lacht.
„Tritt beiseite, Sandra!"
Mandy vergreift sich im Ton. Ihre Stimme trieft vor Hass. Aber um Jae zu schützen, schüttelt Sandra entschlossen den Kopf.
„Nein! Was stimmt nicht mit dir? Was ist plötzlich in euch gefahren?"
„Dummes Naivchen!" Frustriert tritt Mandy gegen die nächstbeste Wand. Ihre Arme zittern, die Hände sind zu Fäusten geballt. „Sei dankbar, dass ich dich mag! Aber ist dir eigentlich klar, dass du ein Monster beschützt!"
Kiowas Lachen verstummt, amüsiert tritt er näher an die Damen heran. Seine Augen funkeln bedrohlich und sein wölfisches Grinsen weckt Sandras Fluchtinstinkte.
„Du hast Mut." Ganz nah beugt er sich an Sandra heran, woraufhin sich der Körper augenblicklich versteift. „Tritt besser beiseite."
Trotz blanker Nerven schüttelt Sandra weiterhin den Kopf. Sie presst ihren Körper ganz nah an die Tür und ignoriert, wie Mandy sie mahnend ruft.
„Mach den Weg frei, damit ich ihn eigenhändig umbringen kann!"
„Überstürze nicht, Mandy. Setz dich und rede stattdessen darüber."
Sandra Versuche, ihre Freundin zur Vernunft zu bringen, zerbersten an einer eisernen Mauer aus Ignoranz.
Bedrohlich baut sich die Begleitung auf und die Finger strecken sich bereits nach Sandra, als diese aus dem Augenwinkel Jae an den Treppen ausfindig macht. Sein Finger liegt vor seinen Lippen und schon tritt er aus ihr Bild, indem er lautlos nach oben schleicht. Ein kritischer Blick zurück zur Glasfront zeigt, dass er tatsächlich nicht mehr vor der Tür verweilt. Daher tritt Sandra zur Seite und beobachtet, wie der Kerl Kiowa hinausstürmt. Nur Mandy verharrt neben Sandra.
„Pack deine Sachen und verschwinde besser!"
Der Vorschlag klingt absurd.
„Und Hendrik?"
Kaum verschränkt Sandra die Arme, schnalzt Mandy mit der Zunge.
„Hendrik ist taff. Außerdem würde er nicht wollen, dass du weiterhin Gefahr läufst. Jae ist gefährlich! Glaube ihm kein Wort. Es steckt so viel Dunkelheit in ihm, die er vor dir versteckt."
Für Mandy endet das Gespräch, aber als sie Anstalten macht, loszustürmen, packt Sandra entschlossen zu. Mit einem Ruck zieht sie den Rotschopf zurück.
„Ich fordere Ehrlichkeit, Mandy! Wusstest du davon, dass Hendrik Jae in der Vergangenheit zusammenschlug?"
Ein Brummen und schon fast sich Mandy an die Stirn.
„Nicht jetzt, Sandra! Reden wir später darüber!"
Doch Sandra gibt sich damit nicht zufrieden und fordert streng: „Doch! Genau hier und jetzt will ich deine Antwort! Nur eine kurze Bestätigung!"
„Also schön! Ja, ich wusste es! Hendrik gestand es mir, als Jae hier auftauchte, aber wir alle machen dumme Fehler!"
Mandy verteidigt ihn. Selbstverständlich. Das macht sie zu einem Freund von unschätzbaren Wert. Hendrik kann sich glücklich schätzen. Und doch verschlägt die Antwort Sandra die Sprache. Stumm lösen sich die Finger, woraufhin Mandy den Augenkontakt sucht. Sie hadert mit ihrer Entscheidung und reimt sich sicherlich die nächsten Worte zusammen. Dabei ist Sandra nicht nach einem weiteren Gespräch. Sie hat bereits bekommen, wonach sie suchte. Zum Glück schreitet Mandy stumm hinaus.
In aller Ruhe schließt Sandra die Tür und gönnt sich einen tiefen Atemzug. In ihr brodeln so viele negative Gefühle, die ihren Verstand verderben wollen. Ungeachtet der Sünde schnappt sich Sandra einen weiteren Keks. Statt zu genießen, inhaliert sie diesen. Gefrustet begibt sich hinauf und auf den Treppen beginnen die Räder in ihrem Kopf zu funktionieren.
Wie kam Jae ins obere Stockwerk, wenn er doch durch den Ausgang nutzte?
All die Bäume sind zu weit entfernt, um einen Sprung zu riskieren, es wäre mit zu viel Risiko verbunden. Trotz Stärkung meldet sich der Schwindel. Daher stützt sich Sandra an der Wand ab und will gerade in Gedanken versinken, als Jaes Hand ihren freien Arm packt und ihren Körper stützt, als befürchte er, sie kippe um.
„Danke. Du hast dich um gesorgt und mich im Schutz genommen."
Seine Worte klingen aufrichtig. Müde hebt Sandra den Kopf und bemerkt das Glänzen in seinen Augen.
„Und du solltest verschwinden! Was machst du hier und wie bist du hier hoch gekommen?"
Ihr Blick ist strafend und doch lächelt er entzückt.
„Aus Sorge um dein Wohl. Mit einem Schlag hat sich meine Lage verändert und ich habe mir viele mächtige Feinde gemacht. Der Tod einer Bekannten wird mir tatsächlich in die Schuhe geworfen, weil ich ihr hätte beistehen soll. Was ich auch sage und tue, ich werde niemanden von meiner Unschuld überzeugen können. Da du mir jedoch die Welt bedeutest, fürchte ich mich davor, dass sie dich in die Sache hineinziehen."
Je mehr er redet, desto schneller dreht sich die Welt. Daher lässt sich Sandra von ihm zum Bett führen, wo sie sich hinsetzt und ihren tonnenschweren Kopf stützt.
„Was für ein Urlaub!"
Ein zustimmendes Nicken seitens Jae und schon beginnt ihr Geist zu planen.
„Ich will nach Hause, Jae. Einfach von hier weg in mein vertrautes Heim. Soll Hendrik nachkommen und sich nachträglich erklären."
„Ich verstehe dich. Aber ich fürchte, dort wird dir aufgelauert. Vertraust du mir, Sandra?"
„Kann ich dir vertrauen? Du steckst voller Geheimnisse."
Ehrlichkeit, die er für gewöhnlich gutheißt, nun aber zieht er den Kopf ein und blinzelt eine Träne fort.
„Sei dir gewiss, dass ich dich in Sicherheit wissen möchte. Wenn du mir erlaubst, dann bringe ich dich fort. An einen Ort, wo dich niemand findet."
Der perfekte Ort für ein Verbrechen. Die perfekte Entführung. Etwas in Sandra mag sich weigern, Jae als einen Kriminellen zu betrachten. Doch so dumm und naiv will sie nicht sein. Kaum schüttelt sie ihren Kopf, ist es Jae, der sich an den Kopf fasst. Seine Finger graben sich tief in seinen Schopf, während die Enttäuschung ihn schwer atmen lässt. Tränen bahnen sich hinaus.
„Vertrauen muss ich mir erst verdienen oder? Es kränkt mich ungemein, denn ich fürchte, dass ich dich schon bald verliere, da du mich von dir stößt..."
„GEFUNDEN!" Unmenschlich schnell stürmt Kiowa die Treppen hinauf. Sein Faustschlag verfehlt haarscharf, denn Jae duckt sich rechtzeitig, womit Kiowas Faust in die Wand kracht und eine beachtliche Vertiefung zurücklässt. Ein gewaltiges Spinnennetz von Rissen samt Erschütterung lassen Sandra zusammenzucken und erbleichen. Nur kurz fixiert Jae Sandra an, als wiege er seine Chancen ab, schließlich verschwindet er ins Nebenzimmer. Kiowa folgt ihm belustigt. Sein Grinsen ist animalisch und seine Haltung furchteinflößend. Die Freude an der Jagd verbirgt er nicht einmal.
Das Herz schlägt wie wild. Fast, als springe es Sandra gleich aus der Brust. Kaum verschwindet der Koloss aus dem Schlafzimmer, packt Sandra ihre Sachen zusammen. Überstürzt geht es die Treppen hinab und im Nu erreicht sie den Wagen. Mandy wartet bereits angelehnt dort und betrachtet sie stirnrunzelnd.
„Kommst du klar? Kannst du fahren? Ich kann dich auch nach Hause bringen."
Erschüttert und nicht bereit für eine Unterhaltung landet das Gepäck im Kofferraum. Ihre Hände zittern, als sie den Wagen aufschließt.
„Süße, sie hat Recht. In diesem Zustand baust du einen Unfall", tönt es plötzlich von der Seite.
Sandra entweicht ein Schrei, als Kiowa sich zu ihr hinab beugt. Etwas, das er belächelt, bis Mandy ihn gegen die Schulter boxt.
„Arsch! Was bist du für ein Widerling! Sie ist vergeben! Spar dir das Süße!"
Unbeeindruckt schiebt Kiowa Mandy fort und beschließt: „Ich fahre deine Freundin nach Hause."
Ein fürchterlicher Gedanke, wenn Sandra bedenkt, was für ein Monster der Typ ist.
Nachdenklich trommelt Mandy auf dem Autoblech und brummt mies gelaunt, bis sie eine Entscheidung trifft: „Sandra, verfrachte dein Gepäck in meinen Wagen. Allein lass ich dich nicht mit diesem Aufreißer! Ist ja Hendriks Wagen, damit kannst du nicht einfach verschwinden. Daher fahre ich dich nach Hause."
Zögerlich blickt Sandra auf. Der Plan klingt gut, auch wenn sie jetzt gern allein wäre. Besonders, weil Kiowas unmenschliche Stärke ihr Furch bereitet.
Wer ist der Typ? Ein Kampfsportler?
Mandy scheint es ernst zu meinen und sorgt sich hoffentlich nur. Somit wäre Jae sicher. Vorerst. Und Hendrik könne in aller Ruhe mit seinem Geländewagen nachkommen. Daher folgt ein Nicken und es geht zurück zum Kofferraum.
Aus dem Augenwinkel bemerkt Sandra, wie Kiowa begeistert den Daumen seiner Freundin entgegenstreckt. Etwas, worauf Mandy bissig reagiert und ihn lautstark beschimpft. Aber der Kerl hat die Ruhe weg und scheint sich an ihrer Giftigkeit nicht zu stören. Sandra hingegen plagt ein ungutes Bauchgefühl. Wehmütig wirft sie den Blick auf die traumhafte Hütte. All ihre Pläne für eine schöne Auszeit mit Hendrik sind den Bach runtergegangen und der Haufen an Probleme hat sich verdoppelt. Sie kann nur hoffen, dass Hendrik schnell heimkehrt und ein ehrliches Gespräch für eine friedliche Trennung sorgt. Dieses Weihnachten scheint düster zu werden. Das bekannte Fest der Liebe und Freude rückt näher und doch ist Sandra zum Heulen zu Mute. Garantiert wird sie dieses Jahr wie ein Trauerkloß im Kreise der Familie sitzen. Die Geschichte ihrer Trennung wird ihr doch keiner glauben. Die Zukunft ist ungewiss und die Vorfreude auf Heiligabend dahin. Die Hoffnung ist groß, dass alles schon bald endet und sie mit all Beteiligten nichts mehr zu tun haben wird. Was hat sich geirrt...
Fortsetzung folgt!
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