Sandra
Der Wind pfeift laut und unberechenbar, als wolle er Sandra warnen. Müde wälzt sie sich unter der kuscheligen Bettdecke und tastet nach Hendrik. Ihre Finger durchforsten fremdes Areal. Der Duft von starken Waschmittel und Tannengrün lässt sie stutzig werden. Zwischen all der Dunkelheit leuchtet die Milchstraße durch die große Fensterfront. Unter all den Sternen sticht der beeindruckende Vollmond hervor. Ein traumhaftes Bild, das Sandra in den Bann zieht. Die Umrisse der Behausung machen Sandra kurz stutzig, bis sie sich an den Urlaub mit Henry erinnert. Aber ihr Schatz fehlt und scheint gar nicht ins Bett gekrochen zu sein, denn seine Seite ist zu ordentlich für ihn. Zu unberührt.
Ein Blick auf den leuchtenden Wecker zeigt die magische Stunde: Mitternacht. So wie sie Hendrik kennt, befindet er sich auf Geisterjagd. Schauergeschichten haben ihn schon immer in den Bann gezogen. Die beklemmende Atmosphäre bei Nacht schreckt ihn nicht ab, sondern bringt sein Blut erst recht in Wallung. Sicherlich streift er in den Wäldern umher. Auf der Suche nach einer packenden Story. Ein aufregendes Abenteuer für seine Fans, die einen Narren an ihren Liebling gefressen haben.
Die Dielen knarzen und leise Schritte schleichen im Hintergrund. Die Überraschung ist groß. Hoffnung keimt in ihrem kleinen Herz. Vielleicht vergisst ihr Lover seine Arbeit zur Abwechslung und nimmt ihren Urlaub ernst. Damit würde Sandra ein Stein vom Herzen fallen, denn es grämt sie, an zweiter Stelle zu stehen.
„Hendrik? Bist du das?"
Müde setzt sie sich auf und macht eine Gestalt nahe dem Bett aus. Das kurze Zusammenzucken verrät ihren kleinen Anflug von Furcht. Aber das Herz beruhigt sich schnell. Denn die Person hat ungefähr Hendriks Größe und obwohl die Silhouette fast mit der Dunkelheit verschmilzt, strahlt die Gestalt keinerlei Gefahr aus. Es fühlt sich an, als lächle die Person sie an und Sandra wird unbewusst angesteckt.
Sie winkt ihn verführerisch zu. „Komm schon ins Bett."
Tatsächlich sinkt die Matratze ein, sodass sich Sandra beruhigt wieder hinlegt. Still hebt sie die Bettdecke an und geduldet sich, bis sich ihr Besuch zu ihr kuschelt. Mit geschlossenen Augen und einem zufriedenen Lächeln schmiegt sie sich eng an seinen Körper.
Ihre Hände legen sich auf die Brust und aus Gewohnheit drückt sie ihm einen Gute-Nacht-Kuss auf die Lippen. Ein kurzes Gähnen und sie legt ihren Kopf an ihn ab. Ihr Bettnachbar bringt eine unangenehme Kälte mit sich. Wie eine zweite Hautschicht liegt die Kühle um ihn und lässt sie frösteln.
„Mann, Hendrik! Warst du wieder draußen auf Erkundungstour? Wärm dich mal lieber auf, bevor du krank wirst."
Sie spürt die Mundwinkel zucken und hört das Herz laut schlagen. Statt Ruhe wird Sandra erneut geküsst. Diesmal gieriger. Zögerlich erwidert Sandra. Verschuldet durch ihre Erschöpfung. Aber ihr Gegenüber liebt sie mit einer Leidenschaft und Intensität, dass sie nicht anders kann, als ihm zu verfallen. Hendriks Annäherungen waren eine ganze Zeit lang voller Reue und Zurückhaltung. Sie ist sich sicher, er kannte ihren Kummer oder sah ihr dies zumindest an. Umso mehr genießt sie es, endlich wieder so geküsst zu werden, als sei die Welt heile und als gehöre der Moment nur ihnen. Sie schmeckt seinen heißen Atem und sein Verlangen. Ihre Arme legen sich um seinen Hals und sie genießt die Zärtlichkeiten. Von ihren Lippen geht es den Hals hinab. Endlich meldet sich das aufregende Kribbeln wie am Anfang ihrer Beziehung, das sie schon als vermisst melden wollte. Genussvoll schließt sie die Augen und erfreut sich an jede Berührung. Die Hände erkunden jeden Zentimeter ihres Körpers und versehen diesen mit federleichten Küssen.
Der wundervolle Moment wird durch nächtliches Wolfsgeheul unterbrochen. Beide lauschen still in die Natur. Ihr Liebhaber ist plötzlich ganz angespannt und sein Blick auf das Fenster gerichtet. Er setzt sich auf und blickt durch die große Glasfront hinaus. Sicherlich winkt ihn die Versuchung zu und gibt ihm verführerische Versprechen von unvergesslichen Abenteuern. Der Frust meldet sich in Sandra. Sie ist aufgeheizt und war schon lange nicht mehr so glücklich über all die Zärtlichkeit. Aber sie sieht es ihm an, er will der Sache auf den Grund gehen. Egoistisch packt sie zu. Ihre Finger knüllen den Stoff seines Oberteils und zerren ihn zu sich hinab. Sie spürt den Augenkontakt. Seine ungeteilte Aufmerksamkeit.
„Geh nicht! Bitte bleib die Nacht an meiner Seite!"
Keiner der beiden rührt sich. Sandra wagt es nicht, zu atmen. Nicht, bis sie eine Antwort erhält. Aber ihr Gegenüber lässt sie zappeln.
Hendrik wird gehen! Wie immer! Und die Nacht wird kalt und einsam. Ein schmerzlicher Gedanke, der sie zu Tat zwingt. Mit den letzten bisschen Kraft in ihrem schwachen Körper zieht sie ihn zurück ins Bett und setzt sich bestimmend auf ihn. Sie führt das Küssen fort. Aufdringlich und verzweifelt. Ihr Plan geht auf, ihr Partner hat nur Augen für sie. Im Hinterkopf behält Sandra, dass die beiden nicht allein sind. Jae und Mandy liegen ein Zimmer weiter. Erneut meldet sich Wolfsgeheul aus dem Hintergrund. Näher und lauter. Ein gefundenes Fressen für Hendrik. Ihm juckt es bestimmt schon in den Fingern, seine Kamera zu schnappen und die Tiere ausfindig zu machen. Doch Sandra schüttelt bestimmend ihren Kopf.
„Vergiss es!", spricht sie es als Drohung aus.
Aber er scheint noch immer auf Alarmbereitschaft zu sein. Als wolle er sie beruhigen, streicht seine Hand über ihre Wange. Eine warme Berührung, die Hoffnung in ihr weckt. Sandra fängt seine Hand ein und drückt diese fest an ihr Gesicht. Sie lächelt vor Glück und hält die bitteren Tränen krampfhaft zurück, die sich in all der Einsamkeit gesammelt haben. Etwas, das ihm nicht entgeht. Mit einem Ruck zieht er sie hinab zu sich auf die Matratze. Eine weiche Ladung. Wie ein geliebtes Stofftier zieht er sie fest an sich und drückt sie ganz feste. Ein Trostspender an dunklen Tagen. Seine starken Arme liegen eng um sie und schenken ihr ein Gefühl von Geborgenheit und Schutz. Ihr Körper bebt vor Freude, denn es ist wie ein stilles Versprechen an sie, nicht zu gehen und die Nacht an ihrer Seite zu verbringen.
Dankbar kuschelt sich Sandra an und staunt über die starke Brustmuskulatur. Hendrik ist so sportlich im Vergleich zu ihr. Beim Joggen hängt Sandra immer ganz weit zurück. Auch seine Abenteuerlust ist nie auf sie übergesprungen. Die beiden leben wahrlich in ganz anderen Welten und doch fühlt sie sich wohl und geborgen in seinen starken Armen.
Es ist nur fair, sich morgen mehr anzustrengen und das Gefühl von Spaß zu vermitteln. Ständig ist Hendrik fort und nun endlich haben die beiden Urlaub. Umso mehr sollte sie es genießen und nicht streiten... streiten? Hatten die beiden sich überhaupt in der Wolle? Hendrik war still. Die ganze Zeit über. Das ist untypisch für ihn. Meist hört er gar nicht auf zu reden. Er kommentiert alles und jenes. Auch zwischen den Küssen. Hat es womöglich richtig zwischen ihnen geknallt? Ist er noch nicht bereit, darüber zu reden? Und doch hat er sie geküsst, wie schon lange nicht mehr. Schlafgetrunken strengt Sandra ihr Köpfchen an, aber die Erinnerungen an den Urlaub sind schwammig und liegen in weiter Ferne. Nicht greifbar, wie sie schnell erkennt. Daher hält sie es für angemessen, die Augen zu schließen und erst einmal auszuschlafen. Gewärmt von ihrem Partner und in Sicherheit gewogen. Der Körper ist noch lange nicht ausgeruht und genießt die friedliche Atmosphäre. Die Hoffnung ist groß, dass Hendrik nicht einfach so verduftet. Sie will es für ihn hoffen und baut darauf, nicht allein im Bett zu erwachen.
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