Sandra
Es mag erst Anfang Advent sein und doch ist die Vorfreude groß. Mit Leidenschaft kocht Sandra für ihr Leben gern. Frisch und regional. Auch heute konnte sie überzeugen. Wie dankbar doch ist, dass sich Jaes Leibspeise nicht geändert hat. Das Rezept vom Kartoffelgratin hat sie von ihrer Mutter übernommen und sein Lächeln war Belohnung genug. Hendrik machte sich mehr über das Rindersteak her und Mandy ist die Naschkatze unter ihnen. Die selbstgemachte Mousse mit den Himbeeren war ihr Highlight des Abends. Nun gönnt sich Sandra eine Tasse Cranberry-Glühwein. Die Orangenscheibe verleiht extra Süße. Sicherlich wird Mandy sich auch darüber freuen. Nun aber genießt Sandra die Stille der Natur. Allein im Whirlpool, während die Sterne im Nachthimmel funkeln. Das Wasser ist perfekt temperiert. Körper und Geist kommen zur Ruhe.
Das Klappern des Geschirrs im Hintergrund verkündet, dass der Abwasch getätigt ist und nun eingeräumt wird. Daher kostet sie erneut von dem Glühwein und genießt die Zeit allein, bevor gleich die anderen hinzu steigen. Mandy ist die Erste. Fast, als wäre es ein Wettbewerb. Ihr Bikini ist gewagter und freizügiger, als der von Sandra. Während Hendriks Freundin auf Niedlichkeit setzt, strahlt Mandy vor Sexappeal. Der Körper des Rotschopfs ist ein wahres Kunstwerk. Überall prangen detailreiche Tattoos, darunter ein Phönix und ein Drache, die sich fast berühren. Sandra staunt anscheinend zu auffällig, denn Mandy grinst verdächtig. Kaum gleitet sie ins Wasser seufzt sie vor Dankbarkeit.
„Oh verdammt, tut das gut. Vielleicht keine gute Idee, nachher will ich gar nicht mehr raus zur Ruine."
Sandras Magen verkrampft sich bei dem Gedanken, erneut allein gelassen zu werden. Natürlich wurde die paranormale Untersuchung angekündigt und doch hat Sandra den Wunsch, dass Hendrik es bei dem Ausflug belässt und die Zeit mit ihr wertschätzt.
Ein leichtes Stupsen und Sandra blickt Mandy überrascht in die Augen. Hendriks Kollegin betrachtet sie besorgt.
„Alles gut?"
Es bedarf keine Übung mehr, die eigenen Gefühle zu unterdrücken und mit einem Fakelächeln ihre Umgebung zu täuschen.
„Nein. Ich bin nur müde."
Eine Teilwahrheit, die aber hoffentlich genügt, um zu überzeugen. Es sind die süßen Gelüste, die Mandy im Griff haben. Die Augen funkeln bei dem Zimtröllchen im Glühwein.
„Oh wow. Selbstgemacht?"
Sandra nickt. „Soll ich dir auch einen machen?"
„Bleib sitzen, Süße." Mandy hängt sich zur Tür. „Hendrik? Machst du uns allen bitte mal den Glühwein fertig, den deine Frau vorbereitet hat?"
Sandra blickt erschrocken auf. Genau in dem Moment, wo Mandy sie als seine Frau bezeichnet. Sekundenspäter tritt ihr Freund auch noch fragend heraus.
„Was weiß ich, wie Sandra den gemacht hat?"
Mandy dreht sich um, zwinkert frech und entwendet die Tasse.
„Da! Schau mal! So hat der auszusehen!"
Hendrik beugt sich hinüber, um kurz darauf fragend Sandra ins Visier zu nehmen.
„Ich mach schon", will sie ihn beschwichtigen.
Als Hendrik aufatmen möchte, meldet sich Mandy kopfschüttelnd. „Nö! Du hast genug gemacht! Lass dich verwöhnen, Süße. Ist übrigens beschlagnahmt."
Zum Einspruch fehlt die Zeit, denn Mandy setzt die Tasse an und trinkt genüsslich. Dabei kneift sie freudig die Augen zu und schüttelt sich glücklich.
„Yummy! Du bist im falschen Business, Süße!"
Hendrik seufzt genervt über das Verhalten seiner Kollegin und blickt entschuldigend auf. Aber Sandra winkt lächelnd ab, denn es berührt ihr Herz, wenn Mandy ihre Arbeit wertschätzt.
„Die Zutaten stehen direkt am Herd", berichtet sie ihm.
Hendrik nickt und will gerade verschwinden, da packt Mandy zu und blickt ihn bitterernst an. Sie flüstert ihm wenige Worte zu, die Sandra nicht ganz versteht, aber daraufhin scheint Hendrik ein Licht aufzugehen und nickt er abwesend. Mit einem gespielt unschuldigen Lächeln lässt Mandy ihn los und treibt ihn auch noch an.
„Na los, ich brauche schnell Nachschub!"
Ohne großes Murren verschwindet er tatsächlich im Haus. Zu Sandras Erstaunen, denn für gewöhnlich lässt er sich nicht scheuchen.
„Deine Freundin ist also in Frankreich?"
Mandy nickt freudig und berichtet ihr aufgeregt: „Oh sie hat dort tolle Fotos geschossen und mir Beweismittel von ihren Funden geschickt. Sie ist dort auf wahre Fundgruben gestoßen. Darunter Häuser, die kaum berührt wurden."
„Klingt spannend."
Beide Damen zucken zusammen, als sich Jae geschmeidig ins Wasser gleiten lässt.
„Alter! Mein Herz!", beschwert sich Mandy und funkelt böse hinüber.
„Entschuldige."
Sandra sieht den Schalk in seinen Augen und sein keckes Lächeln steckt sie auch noch an. Mandy erkennt, dass er den Platz neben ihr ergaunern möchte, da wirft sie ihren Körper zwischen ihnen. Mit einer Handbewegung verscheucht sie Jae warnend.
„Herzensbrecher haben sich von der süßen Sandra fern zu halten."
„Herzensbrecher."
Jae lässt sich dieses Wort auf der Zunge zergehen und plötzlich blickt die Dunkelheit durch seine Augen. Kurz wirkt er verärgert, dabei trifft dies genau zu. Sandra schluckt schwer und vertreibt die Wolke an schmerzhaften Erinnerungen in ihrem Kopf. Mandy hingegen knurrt wie ein bissiger Hund.
„Ja genau! Du hast richtig gehört!"
Jae beugt sich nun vor und blickt ihr tief in die Augen. „Kannst du wahrlich mitreden? Schließlich warst du damals nicht vor Ort."
Aber Mandy hebt trotzig ihr Kinn. „Ich kann!"
Interessiert lehnt er sich zurück und betrachtet sie nachdenklich. Er lässt sich aber nicht weiter auf dieses Spiel ein. Sein Blick gleitet über die Veranda hinaus und verirrt sich im Wald.
„Ey, Jae. Willst du auch Glühwein?"
Hendrik tritt mit drei Tassen heran und fixiert seinen ehemaligen Freund.
„Gern."
Kaum nimmt Jae eine Tasse entgegen, kippt sich Mandy den Rest hinab und hebt auffordernd das leere Gefäß in die Höhe. Im Nullkommanichts bekommt sie Nachschub und auch das Pärchen stößt gemeinsam an.
Zuerst fühlt es sich befremdlich an, in Hendriks Armen zu sein, während Jae ihr gegenübersitzt, aber es scheint ihrem Kindheitsfreund nicht zu stören. Zu mindestens zeigt er es nicht und obwohl Sandra ab und zu versucht, Hendrik Fängen zu entkommen, gibt er sie nicht frei und auch wenn es seine besitzergreifende Art ist, fühlt es sich gut an, aufrichtig begehrt zu werden. Hendriks Neugier ist groß. Jae lässt sich auf sein Frage-Antwort-Spiel ein. Es zeigt sich, dass ihr mysteriöser Freund karriereorientiert war. Es gab keine Beziehung in seinem Leben und auch den Kontakt zu anderen hielt er beschränkt. Seine letzten Jahre bestanden aus Arbeit und Sport. Als Jae den Spieß umdreht, lässt sich Hendrik zögerlich ein, auch wenn er bescheiden bei der Informationsausgabe ist. Fast, als fürchte er, Jae könne alles als Waffe verwenden. Selbst Mandy lockert sich und stellt sich ausführlicher vor. Sie wird offener und Sandra hat das Gefühl, in einer gemütlichen Runde zu sitzen. Der Glühwein fließt und die Atmosphäre beflügelte ihre Stimmung. Alles scheint perfekt.
Der Körper wankt und die Augen drohen zuzufallen. Sandra ist beschwipst und lehnt ihren Kopf gegen Hendrik, der in ihren Augen etwas besorgt rüberlinst.
„Alles gut, mein Schatz?"
Sie nickt und trifft einen Entschluss. Bevor sie den Rest des Glühweins hinunterschütten kann, drückt Hendrik die Tasse hinab.
„Hey", säuselt sie spaßig.
„Komm, lass mich dir hinaushelfen", bietet er ihr an.
Sie nickt, aber im nächsten Augenblick bemerkt sie das Schimmern aus der Tasse.
„Was'n das?" Bei dem Versuch, das seltsame Objekt aus ihrem letzten Rest Glühwein zu angeln, gleitet ihr fast die Tasse aus der Hand. „Huch."
„Hey", beginnt Hendrik sanft, „ich nehme dir das ab."
Aber Sandra winkt ab, denn noch fühlt sie sich nicht bereit, im Bett zu verschwinden. Nicht jetzt, wo der Spaß anfängt.
„Ich finde, Hendrik hat Recht. Du solltest nicht übertreiben", mischt sich Jae ein.
Er klingt nicht vorwurfsvoll, sondern besorgt. Aber Sandra ist nun eine erwachsene Frau und braucht keinen Aufpasser mehr.
„Hättet ihr so gern. Damit ihr euch allein amüsiert?"
Sandras warnender Blick gilt dabei Hendrik. Sicherlich wartet er nur sehnsüchtig, um loszuziehen. Zu dieser doofen Ruine!
Ein Kichern erregt ihre Aufmerksamkeit. Mandy ist entzückt von dem Anblick. Ihr scheint die angetrunkene Sandra gut zu gefallen.
„Oh, lass sie doch mitnehmen."
„Bist du irre?" Hendrik schüttelt sich bei dem Gedanken, woraufhin Sandras Augen schmal werden. „Nicht in diesem Zustand."
„Du willst mich also nicht dabei haben?", spricht Sandra verärgert die Tatsache aus.
Ihr Freund seufzt und fährt sich durch Mähne, als eskaliere die Situation. Sein Griff geht ins Leere, denn er wollte ihr die Tasse entwenden und nun endlich hat Sandra die bahnbrechende Idee. Mit der Zimtrolle ist der glänzende Gegenstand schnell herausgefischt.
Die Augen sind groß und der Kopf plötzlich leer, als Sandra das Teil identifiziert. Der Ring aus Silber strahlt durch den Schmuckstein pure Eleganz aus. Der weiße Diamant ist winzig, aber somit nicht störend. Er bildet das Zentrum einer Rose, die auf zwei verflochtenen Schlingen ruht. Mit angehaltenem Atem blickt Sandra auf. Hendrik presst die Lippen zu einem Strich und blinzelt nicht einmal, als stehe er unter Anspannung.
„Dein Ernst?"
„Naja." Er wuschelt sich verlegen durch die Haare. „Mir gefällt nicht, wie angetrunken du bist. Ich hatte gehofft, der fällt dir früher auf und dein Urteil wird in einem weitaus nüchternen Zustand getroffen."
Sandra blinzelt. Hendrik war vorsichtig, sodass sie von seinen Plänen nichts mitbekam. Das Herz schlägt freudig, bis sie aus dem Augenwinkel Jaes düstere Miene ausmacht. Sein Kiefer ist angespannt und die Augenbrauen treffen sich fast. Erst, als er registriert, dass sie zu ihm rüber blickt, lockern sich seine Züge. Und doch bleiben seine Mundwinkel unten.
Vor wenigen Jahren war der Wunsch groß, mit Jae glücklich zu werden und ihn zu heiraten. Eine Seifenblase, die geplatzt ist. Hendrik stellt seine Arbeit oft unbewusst über Sandra und doch zeigt er ihr bei jeder Gelegenheit, wie sehr er sie liebt. Er ist aufmerksam, hilfsbereit und der beste Sorgentröster. Der Alkohol kickt. Das Denken wird schwer und die Sicht droht zu verschwimmen. Fast gleitet ihr der Ring aus der Hand und ihr Kopf schaltet sich aus. Sie denkt sich nichts dabei und drückt den Schatz in Hendriks Hand, damit er nicht im Wasser verloren geht. Ihr Freund keucht erschüttert, als habe sie ihm gerade die Antwort gegeben.
„Nein!" Sandra hebt entschuldigend die Hände. „Du missverstehst mich."
„Inwiefern?"
Er ist leise wie eine Maus, als fürchte er sich vor der Antwort.
„Du hast Recht, ich habe zu viel getrunken und kann nicht klar denken. Versuche es ein anderes Mal. Dann, wenn ich nicht mehr damit rechne."
„Und doch ist die Überraschung hin."
Hendrik klingt frustriert und senkt den Blick. Seine Wangen glühen, als schäme er sich zutiefst.
Das ganze Theater scheint Jae plötzlich zu erheitern. Er kichert leise. Es klingt fast böse. Ein Blick in seine Augen zeigt Abscheu und Ekel. Da Hendrik den Kopf hebt, beugt sich Jae zu ihm vor.
„Du willst Sandra wirklich heiraten?"
„Das ist der Plan."
„Wäre dann nicht der Zeitpunkt gekommen, um die Karten offen zu legen. Du willst doch keine Ehe mit Lügen starten oder? Sandra verdient es, zu wissen, wer du wirklich bist!"
„Hey! Schnauze auf den billigen Plätzen!" Mandy erhebt sich erzürnt und ballt ihre Hände zu Fäusten. „Da haben wir beide uns rauszuhalten!"
Aber Jae lässt den Blick nicht von Hendrik ab und geduldet sich auf seine Reaktion. Sandra ist verwirrt und will verstehen, was Sache ist.
„Was meint er, Hendrik?"
„Keine Ahnung."
Eine Lüge!
Wenn Hendrik ihrem Blick meidet, dann versteckt er die Wahrheit.
„Wenn du zu feige bist, um zu gestehen, dann erzähle ich ihr davon."
Als siehe Hendrik rot, erhebt er sich und stürzt sich wie ein Stier auf Jae. Dieser erhebt sich und duckt sich unter dem Schlag hinweg. Jae schnappt sich den Arm des Angreifers und was er auch macht, Hendrik wirbelt im nächsten Atemzug durch die Luft. Dabei überschlägt er sich mehrere Male und klatscht weit von ihnen auf dem Boden auf. Sandra erhebt sich erschrocken.
„Hendrik!"
Mandy ist schneller. Mit einem Satz befindet sie sich außerhalb des Whirlpools. Dort pendelt sie ihr Gleichgewicht aus und stürmt zu dem am Bodenliegenden.
Sandra hält erschrocken den Mund zu und starrt gebannt hinüber. Ihre Beine sind jedoch wie Wackelpudding. Sie droht wegzuknicken. Nicht mit Jae. Er gibt ihr Halt und blickt ihr tief in die Augen.
„Du musst mir vertrauen, Sandra. Hendrik hat dich belogen und manipuliert. Er sah wie alle anderen, dass wir uns näher kamen. Zwei Tage, bevor ich dich aus meinem Leben verbannen musste, drängte er mich zwei anderen Kerlen in eine Gasse. Es war spät, ich hatte dich nach Hause gebracht und kaum eine Seele wandelte umher."
Sandra erinnert sich. Das war der Abend, an dem die Welt noch heile war und wo sie sich fast geküsst hätten, wäre die Haustür nicht aufgesprungen und ihre kleine Schwester kam, um sie zu begrüßen.
„Hendrik und die Jungs schlugen und traten auf mich ein. Immer und immer wieder. Er drohte mir und wollte, dass ich dich fallen lasse. So konnte ich dir nicht mehr unter die Augen treten. Aus Angst, was er dir antun könne. Es war in meinen Augen klüger, ihn glauben zu lassen, er habe gewonnen, dabei fing mein Training an."
Sandra schüttelt ihren Kopf und bittere Tränen kämpfen sich hinaus. Das klingt nicht nach Hendrik. Aber Jae blickt nicht, als belüge er sie. Er hält eisern Augenkontakt und gönnt ihr einen kurzen Moment, um die Geschichte zu verarbeiten.
Mandy hilft Hendrik im Hintergrund auf und flucht laut über Jae. Es geht Hendrik anscheinend gut. Er wirkt zwar benommen, aber blutet nicht und nirgends sind Verletzungen auszumachen. Jaes Lippen formen nun ein Lächeln. Ein verzweifeltes und voller Reue.
„Mein Herz schmerzt, wenn ich an den Kummer denke, den ich dir bereitet habe. Alles nur, weil ich so schwach war. Dabei bin ich unsterblich in dich verliebt. Das harte Training überstand ich nur, weil wir unfassbar viele Erinnerungsbilder geschossen haben. Wollte ich aufgeben, sah ich dich an und der Gedanke war fort. Ich liebe dich, Sandra. Vom ganzen Herzen."
Der Tränenschleier lässt die Sicht verschwimmen. Sandra wird schwarz vor Augen. Ihr Kopf dreht sich und der Körper zittert so stark, dass sie kaum die Kontrolle hat. Dabei sind es ihre Nerven, die flattern. Der Körper setzt dem ein Ende und bricht endgültig weg. Dabei spürt sie Gegendruck, aber der Vorhang fällt.
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