Mandy
„Zerstören."
Reserviertheit ist die Königsdisziplin von Elenora Jam. Die Gleichgültigkeit, die sie an den Tag liefert, erschüttert Mandy zutiefst. Es sind nur wenige Stunden seit dem Erstkontakt vergangen und doch kann Mandy die Gefahr, die von dieser Walküre ausgeht, nicht leugnen. Keine Tränen der Welt und auch kein Wutanfall wird die mysteriöse Frau beeindrucken. Oberste Priorität für Miss Jam hat ihr Handy. Ihr Blick klebt ununterbrochen auf dem Display und die polierten Nägel kratzen über die gläserne Fläche. Sollte es eine Weltmeisterschaft für eine schnelle Antwortrate geben, dann wäre die blonde Schönheit Mandy's Favorit. In nur wenigen Bruchteilen einer Sekunde werden Texte aus den Fingern gezogen, die von der Länge und auch von der Qualität beeindrucken. Und dennoch interagiert die Beifahrerin mit ihrer Gefangenen, als sei sie ein Multitasking-Talent. Die Forderungen hingegen sind knochenbrechend. Mandy trotzt eindrucksvoll, aber Widerstand ist zwecklos. Ob verschuldet durch Furcht oder vielleicht aufgrund einer übernatürlichen Fähigkeit bewegen sich Mandy's Finger von allein. Sämtliche Bindungen werden in Kürze gekappt.
Zerstören – das trifft es haargenau!
Elenora Jam zerstört gerade ihr Leben in nur wenigen Minuten.
Mandy lacht ungehemmt und freudlos. Lautlos fallen die Tränen. Es ist ihre Hand, mit der sie Steine in ihr Zuhause wirft. Das Glas splittert. Die Scherben funkeln und drehen sich mit einem Schwall schöner Erinnerungen. Mandy's Herz droht zu brechen. Ihre Eltern und auch der Rest der Familie sind ihr egal, denn sie trägt mit Würde den Titel des Problemkindes und so wurde sie auch mit Ignoranz und Gleichgültigkeit behandelt. Aber in der Urbexerszene hat sie wertvolle Freundschaften geknüpft und einen Schatz gefunden, der jedes Abenteuer überbietet.
Charu– eine exotische Schönheit. Eine indische Frau, die ebenfalls auf Rebell spielt und mit ihrem Temperament die Umgebung gefährlich erhitzt. Charu ist stark und unerschütterlich. Frei und eigen wie ein Wildpferd, das Mandy wie durch ein Wunder gezähmt bekommt und Seiten genießt, die sie sonst keiner zu sehen kriegt. In all der Dunkelheit fand Mandy ihre Seelenverwandte und diese verbannt sie gerade unfreiwillig aus ihrem Leben. Dabei wünscht sich Mandy nichts Sehnlicheres, wie in den starken Armen der indischen Schönheit zu liegen. Dort, wo sie Geborgenheit und Wärme findet. Charus Augen sind für die Mehrheit ein dunkles Loch voller Gefahren. Ein Abgrund, wovon sich jeder fernhält. Nur Mandy nicht. Alle Warnungen stießen bei ihr auf taube Ohren und sie hat die Erkundung nicht einmal bereut.
Der Glanz mag im Tränenschleier verschwommen sein und doch erinnert das Funkeln des goldenen Rings Mandy an den glücklichsten Moment ihres Lebens. Ihre eigene, aber feine Hochzeit. Nicht im Kreise der Familie, sondern in guter Gesellschaft. Nur umgeben von Freunden und mit einer legendären Party wie es sich für zwei Rebellentöchter handelt. Laut, polternd und voll von guter Stimmung. Auch Hendrik war Teil der Gesellschaft und wo steckt der Scheißkerl jetzt? Jetzt, wo sie ihn doch braucht. Dringender, als sonst.
Verzeih mir, Charu! Ich will das Alles nicht, aber ich nichts weiter als ein willenloses Werkzeug.
Sich dies einzugestehen zieht Mandy zurück in die tiefe Dunkelheit, aus der sie befreit wurde. Der Mantel der Einsamkeit ist erdrückend schwer und die tiefe Verzweiflung kräftezehrend. Vor dem inneren Auge sieht Mandy ihre Ehefrau toben. Alles, was in ihrer Umgebung steht, wird gleich zum Opfer ihres Wutanfalls. Das ist sicher!
Gegen Mandy's Erwartungen folgt ein Anruf. Charus Zorn spürt sie in der starken Vibration ihres Handy's wieder. Wie Donner, der den Sturm ankündigt. Mandy schluckt schwer. Sie fürchtet sich vor dem Anruf. Vor dem Pein, den sie nun ertragen muss, aber das Monster neben ihr rührt sich nicht von der Stelle und wirkt sogar in Gedanken vertieft. So fokussiert, dass Mandy eine Chance wahrnimmt und den Anruf schnell entgegennimmt. Charu atmet hörbar schwer und noch ehe die Schimpfparade beginnt, sendet ihre Ehefrau den Hilferuf los.
„Charu, hilf mir bitte!"
In dem Moment, wo Elenora Jam mit funkelndem Zorn den Kopf hebt, gleitet Mandy vor Schreck das Handy aus der Hand. Das bedrohliche Rot bricht in den Augen des Peinigers durch und die Atmosphäre erzittert. Mandy ist unfähig, sich zu rühren und obwohl die mysteriöse Millionärin die Gesichtszüge im Griff hat, bebt die Stimme, als sie sich zu ihr rüber beugt und die Kralle bedrohlich ausstreckt.
„Dummer Fehler!"
Im nächsten Augenblick schnürt sie Mandy die Luftzufuhr ab. Die Nägel bohren sich in das Fleisch und die gewaltige Kraft hinter dem brutalen Griff droht den zerbrechlichen Hals zu zerbrechen. Mandy ringt und keucht nach Luft. Die Blamage ist groß, denn sie windet sich wie jedes dumme und ahnungslose Opfer, dabei weiß ihr Kopf, was zu tun ist. Erst als sie Charus verzweifelte Rufe vernimmt, schwindet die Todesangst und der Überlebensinstinkt meldet sich.
Kaum sind die Arme gehoben und über dem Griff der Bestie gekreuzt, zieht Mandy mit Schmackes diese hinab. Selbst eine Bestie wie Elenora hält dem nicht stand. Kaum lösen sich die Hände, sind die Atemwege frei und noch ehe die blonde Schönheit begreift, was Sache ist, sticht Mandy ihren angewinkelten Arm wie ein Schwert in die Brust der Peinigerin. Elenora keucht und donnert gegen die Fensterfront, während ihr Opfer ihr Handy ausmacht und mit diesem das Auto schnell verlässt. Charus Stimme schenkt ihr die Stärke einer Kriegerin, so beunruhigt und wütend ihre Ehefrau auch klingen mag.
„Charu! Bitte hör mir zu!"
Aber ihre Geliebte ist außer sich vor Wut und im Redeschwall.
„Scheiße, Mandy! Was soll der Scheiß? Wenn das ein blöder Scherz ist, dann kannst du was erleben! Wo zum Teufel bist du eigentlich?"
„Süße, ich flehe dich an, beruhige dich kurz!"
Mandy kichert daraufhin, denn sie verlangt das Unmögliche von ihrer Ehefrau. Charu wird sich niemals so schnell beruhigen. Wenn nicht schnell eine Erklärung folgt, dann befindet sie sich in fünf Minuten schimpfend in ihrem Wagen, bis sie Mandy ausgemacht hat.
Aber zu ihrer großen Überraschung kommt Charu ihr zur Abwechslung mal entgegen.
„Du hast eine Minute. Keine Sekunde länger! Erklär dich!"
Ein Blick auf Elenora und Mandy befürchtet, dass sie einen Fehler gemacht hat.
„Ich glaube nicht, dass ich die Zeit habe, Süße. Verzeih mir, aber ich bin dieser Gefahr nicht gewachsen und werde sicherlich gleich in der Luft zerfetzt. Charu, dieser Scheiß ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Ich liebe dich verdammt nochmal, sei dir sicher. Du darfst nicht nach mir suchen, versprich es mir! Ich will dich nicht mit hineinziehen. Aber sei dir sicher, ich kämpfe und sollte ich siegreich sein, kehre ich zu dir zurück! Versprochen! Aber sollte ich sterben, dann sei dir gewiss, dass du mein..."
Mandy kann ihren Satz nicht mal zu Ende sprechen, denn die Temperatur auf dem Handy steigt rasant an. Mit einem Mal wird das Ding aus ihrer Hand gerissen und schwebt in Richtung Elenora. Auf halben Weg fängt das Gerät Feuer, bis es in tausend Einzelteile gesprengt wird und ein qualmender Haufen im Schnee landet.
Es ist mehr als genug gesagt worden. Mandy lächelt. Traurig, aber wie ein Sieger. Charu weiß mehr als genug. Ihr Kontakt bricht zwar ab, aber ihre Ehefrau weiß nun, dass dieser ganze Unsinn nicht aus ihrer Laune heraus entstand. Nun muss Mandy hoffen, dass ihr Wildfang die Füße stillhält. Dass ihre Warnung nicht auf taube Ohren stößt. Charu wäre zuzutrauen, dass sie sich jeden Moment in Bewegung setzt und glaubt, die Sache allein zu klären. Eine verzweifelte Rettungsmission, aber auch wenn Mandy, dieser Gedanke mit Glück und Freude erfüllen würde, wäre die Sorge und Angst um die Sicherheit ihrer Geliebten zu gewaltig. Selbst gemeinsam als Ehepaar werden sie nichts ausrichten können. Noch nicht. Denn womit Mandy auch infiziert wurde, könnte ihr womöglich gewisse Vorteile verschaffen. Noch ist Elenora ihr überlegen, aber das kann sich ändern. Vorausgesetzt, sie überlebt ihre Strafe, denn Elenora wirkt nicht, als ließe dieses Verhalten unbestraft.
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