Mandy
Die Art, wie Mandy in den Wagen gestoßen wird, weckt Erinnerungen an so einige Festnahmen durch die Polizei. Grob und mit verachtungsvollen Blicken, als sei sie unerwünschtes Ungeziefer. Seit der Kindheit wird Mandy als Problemkind bezeichnet und war in allerlei Mist verwickelt. Das Feuer der Rebellion wird nie vergehen. Auch jetzt nicht! Mit trotzig erhobenem Kinn und einem finsteren Blick starrt sie Jae an.
„Du wirst es bereuen, mich nicht getötet zu haben!", knurrt sie.
Unbeeindruckt von ihrem Zähnefletschen wendet er sich von ihr ab und macht Anstalten, die Wagentür zu schließen. Aber noch ehe diese zu schwingt, verharren seine Finger.
„Mach mir keinen Ärger, Mandy!"
Jemand, der ihr den Rücken kehrt und nicht den Schneid hat, sie anzublicken, verdient ihren Respekt nicht. So mies die Lage auch sein mag, lacht sie der Gefahr in Gesicht. Jae scheint es keine Sekunde länger mit ihr auszuhalten und wirft die Tür zu. Er unterhält sich außerhalb des Wagens mit seiner seltsamen Bekannten. Völlig ruhig und gelassen.
Was für Anfänger!
Dieser schicke Luxus-Schlitten ist nicht mal abgeschlossen und die Schlüssel stecken vorne. Im Ausbüxen kann niemand Mandy schlagen. Selbst der Polizei ist sie unzählige Male entkommen. Biegsam wie eine Schlange räkelt sich Mandy still und leise im Wagen. Der Griff zum Anschnallgurt gelingt und mit ein wenig Geduld befindet sich dieser im Zwischenraum der gefesselten Hände. Durch die Schlinge hindurch und auf Spannung ziehen. Geübt befreit Mandy ihre Hände und reibt sich über die Druckstellen. Ein Griff hinab an die Füße und sie ist frei. Jae befindet sich noch immer im Gespräch. Er hat nichts gemerkt. Seine wutverzerrte Fratze zeigt jedoch, dass dicke Luft entstanden ist. Die Blondine betrachtet ihn herablassend und verhält sich zu ruhig. Wer weiß, was sich Jae von ihr anhören muss. Aber das interessiert Mandy nicht die Bohne. Priorität hat die Flucht.
Geübt klettert Mandy auf den Fahrersitz. Nicht nur die Polster, sondern auch die moderne Technik sind innovativ und hochwertig. Mandy muss die Faszination über das Fahrzeug hinunter schlucken und sich auf den eigentlichen Plan konzentrieren. Das Material unter ihren Fingern fühlt sich neuwertig und verboten an. Mit klopfendem Herzen umfasst sie die Schlüssel und bedient die Zündung. Abgang mit Stil ist eins ihrer Mottos. Die Reifen quietschen, während sie mit Karacho davonschießt. Die Leistung des Sportwagens vermittelt ein Gefühl von Freiheit. Noch ein wenig mehr Speed und der Wagen hebt wie ein Vogel ab. All der Kummer der letzten Stunden ist vergessen und Mandy kann endlich wieder lachen. Eine Mischung aus Freude, Dankbarkeit und Gehässigkeit gegenüber ihren Peinigern.
Ein gelungener Start mit einer hohen Fluchtchance. Würde der Kopf nicht plötzlich abschalten und der Körper gegen ihren Willen steuern. Die abrupte Bremsung rüttelt Mandy ordentlich durch. Sie sieht sich schon durch die Frontscheibe fliegen. Alles nur, weil sie sich nicht angeschnallt hat. Die Schweißperlen fallen hinab, als ihre Stirn nur wenige Millimeter davor bremsen. Ein Keuchen entweicht ihr, als der Oberkörper gegen Lenkrad donnert. Die Luft wird gewaltsam aus ihren Lungen gepresst. Ein flaues Gefühl breitet sich im Magen aus. Starr fixieren die Augen die fortlaufende Straße–die Freiheit ist zum Greifen nah. Aber der Körper rührt sich kein Stück. Der Kopf ist wach und egal, wie sehr Mandy ihre fleischliche Hülle im Stillen anschreit und beschimpft, rührt sich kein Finger. Die Uhr tickt laut im Hintergrund. Das Blut rauscht in den Ohren. Mandys Blick gleitet umher. Das Hirn arbeitet angestrengt an einer Lösung. Ein Blick in den Seitenspiegel und die Lage wird ernst. Jae und Blondchen stehen auf der Straße. Sie starren, statt sich in Bewegung zu setzen. Das provozierende Grinsen der mysteriösen Frau vermittelt das Gefühl, dass alles nach Plan läuft. Mandy fletscht die Zähne und möchte auf einen der beiden draufhauen, doch im Kampf zeigte sich bereits, wie unterlegen sie ist. Daher muss eine andere Strategie ran.
Zarte Winde streifen die Haut, dabei sind die Türen und Fenster geschlossen. Etwas schlägt in Mandy wie ein Komet ein. Brutal und zerstörerisch. Die Urbexerin spürt nur kurz die Verbindung zu ihrem Körper. Ihre Finger zucken unter dem Schmerz, der mit bösen Schwingungen durch Fleisch und Knochen jagt. Der Rücken streckt sich krampfhaft und die Arme zucken unter kleinen Stromschlägen. Jaes blaue Augen erscheinen kurz in ihrem Kopf. Kalt und voller Zorn.
„Kehre augenblicklich um!"
In seiner Stimme befindet sich keinerlei Toleranz für Rebellion und Diskussion. Aber Mandy kichert leise und hebt trotzig ihr Kinn.
„Glaubst du doch selbst nicht, Spinner!"
Die Zuckungen in den Armen enden und Mandy erlangt die Kontrolle über ihren Körper. Der Motor startet und die Hände umfassen das Lenkrad. Ein tiefer Atemzug und das Auto setzt sich in Bewegung. Gegen ihre Erwartung in die falsche Richtung. Mandy hat den Rückwärtsgang eingeleitet und tuckert langsam aber sich zurück ins Verderben.
„Scheiße! Nein!"
Ihr Blick fixiert die Steuerkonsole an, aber ihr Körper setzt ihre Befehle nicht um. Er arbeitet erneut gegen sie. Sicherlich verschuldet durch Jae oder Blondchen. Frustriert kämpft Mandy um die Kontrolle. Nicht bereit, aufzugeben. Der Gedanke, unter deren Einfluss zu stehen, widerstrebt ihr und tatsächlich beugt sie sich hinab. Aus Reflex beißt sie sich in die Hand und der Wagen kommt tatsächlich zum Stoppen. Mandy jault. Sie hat fester zugebissen, als beabsichtigt. Auch wenn das Ziel vorerst erreicht ist, verflucht sie ihr Temperament.
Der Seitenspiegel verrät, dass Jae es noch nicht für nötig hält, sich in Bewegung zu setzen. Was Mandy Zeit verschafft. Die blutende Hand wird ignoriert und der Wagen setzt sich erneut in Bewegung. Diesmal in Richtung Freiheit. Nur leider im Schritttempo. Wie Klauen umfasst sie eine unsichtbare Macht und hängt sich an ihr. Mandy fühlt den Griff auf ihren Schultern. Etwas zerrt an ihr. Hundertprozentig handelt es sich hier um den Grund, warum das volle Potenzial des Sportwagens nicht ausgekostet werden kann. Der Fuß drückt auf das Pedal, aber das Tempo steigert sich in keinerlei Form. Starker Druck übt sich auf den Kopf aus und drückt ihr Bewusstsein unter Wasser. Ohne Aussicht aufs Entkommen.
Ehe sich Mandy versieht, erwacht sie auf dem Parkplatz neben ihren Peinigern. Das Auto wurde feinsäuberlich geparkt. Das sorgt für Schnappatmungen bei Mandy. Sie versteht die Welt nicht mehr und ihre Finger umklammern das Lenkrad so feste vor Frust, dass sich die Knöchel weiß färben.
„Scheiße! Das ist nicht möglich!" Erbost dreht sie ihren Kopf zum Fenster und fixiert Jae an. „Du kontrollierst mich oder?"
Sein Blut, all der kranke Scheiß mit dieser Verwandlung, die sie durchlebt. Mandy fürchtet, die Kontrolle über ihr Leben verloren zu haben. Ein tiefer Atemzug, und sie sucht nach Schlupflöchern, denn sicherlich gibt es einige Bedingungen, die erfüllt werden müssen, damit der Puppenspieler freie Bahn hat. Jae öffnet stumm die Tür und tritt zur Seite, denn seine Bekannte tritt heran. Ihre roten Augen glühen bedrohlich.
„Rutsch rüber, Süße. Heute fahre ich."
Mandy will sich weigern, aber ihr Körper setzt sich einfach in Bewegung.
Statt sich zu dem Fluchtversuch zu äußern, verabschiedet sich Jae kühl bei ihnen und schließt die Wagentür. Er tritt vom Auto fern und verschwindet, ohne zu zögern im Wald. Verwirrt blickt Mandy ihn hinterher. Bereit für das große Unwetter. Aber die Schönheit neben ihr befasst sich still und leise mit einem Handy. Ein genauerer Blick und Mandys Augen weiten sich. Erschrocken tastet sie an sich hinab, auf der Suche nach ihrem Telefon. Es lässt sich nicht finden und das Modell in den Händen ihres Peinigers sieht stark danach aus. Ohne an die Konsequenzen zu denken, schlägt Mandy zu und überprüft ihren Verdacht. Ein wenig scrollen beweist, dass es sich um ihr verlorenes Stück handelt.
„Scheiße! Was wolltet ihr mit meinem Handy anstellen?"
Die Blondine lacht erheitert und wuschelt ihr frech durchs Haar, als seien sie bereits vertraut miteinander. Genervt schiebt Mandy die Hand von der werten Dame fort und macht sich auf die Suche von Manipulation.
Der Rosenduft verrät die plötzliche Nähe zu der Blondine, sodass Mandy genervt aufblickt.
„Wärest du so lieb und würdest du mich bitte zurück zur Baumhütte fahren, damit ich meine Sachen packen kann und dieses Drecksloch für immer verlasse!"
Die Aussichten stehen schlecht, dass die Fremde solch einen Wunsch erfüllen wird, und doch gibt sich Mandy nicht geschlagen. Allein der amüsierte Ausdruck verspricht nichts Gutes, daher werden Mandys Augen schmaler.
„Alles andere werdet ihr sonst noch bereuen."
„Du drohst mir? Trotz allem?" Die goldenen Strähnen fallen ihr ins Gesicht, als sich die Fremde bedrohlich vorbeugt. „Du bist ganz schön lustig, Mandy."
Der eigene Name aus dem Munde einer Schlange klingt befremdlich. Und doch hat die Urbexerin keinerlei Infos über Jaes Bekannte. Zeit, dass sich dies ändert.
„Verrät mir das Biest auch ihren Namen?"
Die Augen funkeln vor Begeisterung über die Frage. Glücklich legt die Dame die gepflegten Hände auf ihre Wangen.
„Elenora Jam. Du kannst mich googeln, wenn du magst."
Mandy schnaubt zweifelnd. Es klingt nach einem Trick und doch ist der Name schneller eingetippt, als gewollt. Erschreckend stellt sie fest, dass die Bilder und das Profil zu der Dame passen und es kommt noch viel schlimmer. Diese Frau ist eine erfolgreiche Milliardärin. Jemand mit Image und Asche. Und doch befindet sich diese verlorene Seele im Nirgendwo. Auf der Jagd nach Hendrik und Mandy.
Woher zum Teufel kennt Jae solch eine Frau?
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