Hendrik
Du hirnloser Bastard! Speichelleckender ...
Die Beschimpfungen werden immer kreativer. Hendrik kann nicht anders, als zu starren. Offen steht der Mund und der Kopf ist zur Abwechslung mal leer. Den Respekt vor der ehrfürchtigen Gestalt verliert Hendrik, seitdem sich das Tier mit Winseln und Fiepen blamiert.
Starr nicht so! Argh! Du machst mich wütend! Lebst du noch oder habe ich dich zu Tode erschreckt?
Gerade die Großen sind die Liebsten und Schmusebedürftigsten, wie Hendrik in seiner Zeit als Urbexer gelernt hat. Tief verankert hat sich der Rat eines kumpelhaften Hundezüchters. Daher lässt er das Tier an seiner Hand schnuppern und ein paar Krauleinheiten hinter den Ohren, da wird selbst die Höllenkreatur schwach.
Bild dir nichts drauf ein!
Das Tier spielt auf beleidigt und präsentiert sich so niedlich, dass Hendrik nicht anders kann als entzückt zu grinsen.
„Hat das Großmaul auch einen Namen?"
Großmaul? Was erlaubst du dir eigentlich?
Der Versuch, aufzustehen und bedrohlich zu wirken, scheitert mit der nächsten Streicheleinheit. Hendriks Blick wandert über den kraftvollen Körper. Auf der Suche nach einem Halsband.
„Bist du ein Wolf oder ein Hund?"
Ein Groenendael mit Stolz und Ehre. Der Schrecken der Nacht und ein überaus fähiger Wachhund. So einen wie mich findest du nicht noch einmal. Fühl dich geehrt.
„Hab verstanden. Du bist ein ganz Toller."
So kann man es auch sagen.
Das Tier klingt zufrieden.
Hendrik staunt immer noch darüber, dass er dieser Hund per Telepathie kommuniziert. Vielleicht sollte er das Ganze anzweifeln, aber dafür ist in dieser Nacht zu viel Ungewöhnliches passiert. Daher nutzt er die Gelegenheit für die Informationsbeschaffung.
„Ist dahinten der Ausgang?"
Ja und du wärst dämlich nicht darauf zurückzugreifen.
„Weil ich sonst den Tod finden würde?"
Exakt! Hast ja doch etwas in deiner Rübe! Dahinten wüten Monster, die zerfleischen dich!
„Was für Monster?"
Ein Ur-Vampir und ein Alphawolf.
Hendrik seufzt. Das Monster, dem er so nah war, das hatte wahrlich eine Wolfsschnauze.
„Und was machst du hier?"
Gute Frage! Ich bin im Auftrag vom Alphawolf hier.
Jetzt klingt es absurd!
„Wieso?"
Deinetwegen! Die Blutsauger nerven gewaltig und deren Oberhaupt ist schon mächtig genug. Wir verhindern, dass du in seine Futterluke landest. Fühl dich geehrt.
„Ich weiß ja nicht. Wer garantiert mir, dass mich der große Wolf nicht fressen wird?"
Freudig erhebt sich der Hund und schüttelt sich kurz.
Exzellente Frage! In der Tat haben wir dich als potenzielle Beute betrachtet, aber die Vampire haben Zuwachs bekommen und unser Clan verlor im Krieg gegen die Blutsauger wertvolle Mitglieder. Lücken, die wir wieder füllen müssen.
Überfordert hebt Hendrik seine Hände.
„Moment mal! Ich habe nicht vor, euren Wölfen beizutreten."
Fassungslos steht dem stolzen Wachhund das Maul offen.
Waaaaassss? Du bist auserkoren und lehnst diese ehrenvolle Position ab?
„Tu ich."
Kopfschüttelnd tritt der Vierbeiner in den Hintergrund und grummelt laut. Zeit, die Hendrik nutzt, um in sich hineinzugehen. Einem sprechenden Hund blind zu vertrauen, dessen Anführer ein großer, böser Wolf ist, – so naiv ist er nicht. Der Ausflug durch die Höhle und der Schemen des Monsters versprechen bereits Ruhm und Ehre in der Welt der Urbexer. Nur rühmt es sich lebend besser, daher steuert er den Ausgang an. Ungeachtet davon, dass der sprechende Hund noch immer verzweifelt und mit sich selbst beschäftigt ist. In Anbetracht der Lage hofft Hendrik, dass sich dies nicht so schnell ändert.
Im Schleichmodus tastet sich Hendrik langsam voran. Wenige Schritte, bis er den Vierbeiner bemerkt. Das Tier jammert noch immer laut und nimmt mit seinen Selbstgesprächen die Verfolgung auf. Hendrik seufzt. Sein Kopf ist voll mit den fließendem Selbstmitleides des klagenden Hundes, das Angst um seine Stellung im Rudel hat, wenn er versagt. Ein Blick durch den endloslangen Gang und Hendrik muss sich erschöpft hinpflanzen.
„Stopp jetzt!"
Aber das telepathische Gemurmel hört nicht auf und droht seine Gedanken zu begraben. Vielleicht hat der Hund ihn nicht gehört oder will es nicht. Verzweifelt hält Hendrik ihm die Schnauze zu, was natürlich wenig bringen sollte, da das Tier anders kommuniziert. Und doch verstummt der laute Sturm und auch die letzten fremden Wortfetzen werden einfach von der nächsten Böe weggefegt. Selten begrüßt Hendrik die Stille. Er ist ein extrovertierter Mensch und mag die Gesellschaft anderer. Aber die düstere und verzweifelte Stimmung des Hundes drohte, ihn in ein Loch ohne Boden zu reißen.
Voller Neugier schauen die dunklen Augen Hendrik an.
„Ahhh! Ruhe! Tu mir einen Gefallen und halte deine Klappe!"
Mit einem Ruck befreit der Vierbeiner seine Schnauze und kläfft erbost.
Unverschämtheit!
Wenig beeindruckt winkt Hendrik ab.
„Wie weit ist der Ausgang entfernt?", wechselt er stattdessen das Thema.
Nicht weit.
Ein Blick in die endloswirkende Dunkelheit und Hendrik ist da anderer Meinung. Sein Körper ist müde und erschöpft, aber der Ruf des freien Himmels klingt nah. Der Ausgang! Ausruhen kann Hendrik später. Nur streiken seine bleischweren Knochen. Es dauert ein paar Anläufe, um sich hochzuziehen.
Ein Schluck Wasser und er beschließt: „Dann los! Verschwinden wir von hier."
Jawohl!
Als habe seine tierische Begegnung nur darauf gewartet, läuft der Groenendael los. Die Dunkelheit hat ihn schnell verschluckt, sowie das Tapsen seiner Pfoten. Hendrik bleibt allein zurück und nutzt den Moment, um seine Akkus zu checken. Denn er ist nicht scharf darauf, im Dunklen zu herumzuirren. Das wäre absolut lebensgefährlich. Gerade, als sich Hendrik den Schweiß aus dem Gesicht wischt, kehrt der Hund zurück.
Denk nicht dran, einfach zu verduften! Ich rieche dich meilenweit!
Vorwurfsvoll starren ihn die animalischen Augen an und, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen, entblößt er die Zähne.
„Kurzer Akkucheck", erklärt sich Hendrik schulterzuckend.
So als wäre er in Gesellschaft von anderen Urbexern und diese Höhlenexpedition sei geplant. Misstrauisch geduldet sich sein Wegbegleiter, bis Hendrik an seine Seite tritt. Ein ganzes Stück kann Hendrik durchgestreckt laufen, dann muss er aufgrund der niedrigen Höhlenwand den Kopf einziehen. Ein gutes Stück geht es wieder kriechend voran und die kleinen Erschütterungen rufen Unwohlsein hervor. Etwas Geröll und Staub fällt von der Decke und Hendrik fürchtet, lebendig begraben zu werden. Sein Tempo erhöht sich trotz der Erschöpfung. Je schneller, er das Erdreich verlassen kann, umso besser. Seine Kleidung mag atmungsaktiv sein und doch klebt diese durch den Schweiß an ihm wie eine zweite Haut. Der Rückweg zieht sich länger als geplant. Aus dem Maul des Vierbeiners klang der Ausgang nah, aber nun vermutet er, einige Stunden unterwegs zu sein. Der Körper ist auf halber Strecke am Ende und eine Pause muss her.
„Ich erinnere mich nach deinen Namen gefragt zu haben. Und doch erhielt ich keine Antwort von dir", fällt Hendrik im Nachhinein ein.
In einer engen Spalte hat er seinen Körper irgendwie eingequetscht bekommen und sein Rücken beschwert sich bereits für die ungemütliche Sitzposition, wo er halb in der Luft hängt. Anders wie der große Hund neben ihn, der sich gemütlich auf einen Felsen ausgestreckt hat. Gähnend und mit halboffenen Augen hebt der Groenendael den Kopf.
Remy.
Er klingt todernst und ohne Witz, aber Hendrik prustet erheitert los. Denn für ihn klingt der Name zu niedlich für solch eine imposante Gestalt.
Seine Reaktion fordert den großen Hund zum Zähnefletschen auf. Leise brummt Remy, bevor er zur Erklärung ansetzt: Sei still oder ich beiß dich! Diesen ehrvollen Namen erhielt ich von Amy und trage ihn mit Würde!
„Amy ja? Deine Besitzerin? Obwohl du zu Werwölfen gehörst?"
Hendrik denkt sich nicht viel dabei, bis der große Hund traurig den Kopf senkt und ganz still wird.
„Stimmt was nicht?"
Remy ringt mit der Entscheidung und setzt tatsächlich zur Erklärung an: Amy starb vor vier Jahren bei einem Unfall. Wir haben Ball gespielt. Ein Vogel schreckte auf und ich war abgelenkt, im nächsten Moment sah ich sie Richtung Straße rennen. Dem Ball hinterher. Ich lief los, um ihr zuvorzukommen. Wir waren jung und im Spieltrieb. Erst auf der Straße nahm ich den Wagen wahr. Amys Kleid war in greifbarer Nähe. Fast hätten meine Zähne den Rockzipfel gepackt und sie vielleicht aus der Gefahrenzone gezogen. Aber ich war zu langsam.
Die Augen werden trüb und der Körper des Vierbeiners beginnt heftig zu zittern, als habe er die Bilder des Schreckens genau vor seinem inneren Auge. Er schluckt und auch seine Stimme verliert an Kraft.
Vor meinen Augen riss das Auto ihren kleinen Körper über die Straße. Sie überschlug sich. Ihr Blut war überall und ihr kleines Herz hörte auf zu schlagen. Amy war ein Sonnenschein. Sie liebte mich, seitdem Moment, als ihr Onkel mich als Welpe zu ihr brachte. Ihre Eltern hingegen hatten ihre Zweifel. Ausgewachsen bin ich zu groß und fürchterlich. Eine Kampfbestie. Aber das störte Amy nicht. Sie wollte mich nicht mehr hergeben. Daher wurde ich geduldet, bis zu ihrem Tod. Menschen können grausam sein. Besonders dann, wenn sie etwas verlieren, was ihnen lieb und teuer ist. Amy's Eltern betonten immer aufs Neue, dass ich Schuld sei, und warfen mit Sachen nach mir. Die Tritte ihres Vaters erduldete ich winselnd. Nicht viel und er hätte mich totgeprügelt, wäre da nicht Jackson aufgetaucht. Unser Boss. Der Wolf, der mit dem Urvampir kämpft. Er rettete mich und schenkte mir ein neues Zuhause. Ein feiner Kerl, wenn du mich fragst.
Remy's Story bewegt Hendrik mehr als gedacht. Mit Drama und Schmerz hat er nicht gerechnet und als Amy erwähnt wurde, käme ihm nie in den Sinn, dass sie bereits unter der Erde liegt. Ein Unglück, das den Vierbeiner noch immer belastet und wofür er sich verantwortlich fühlt, obwohl er doch wenig dafür kann.
„Euer Boss. Was ist das für ein Kerl? Ist auf ihn Verlass?"
Jedes Clanmitglied legt sein Leben bedingungslos in seine Klauen. Er ist stark, gerecht und ein guter Anführer.
„Und was für ein Ziel verfolgt er?"
Neben der Revierverteidigung sorgt er für einen harmonischen Zusammenhalt mit den anderen Clans.
„Und was wollt ihr von mir?"
Wie bereits erwähnt, brauchen wir neue Clanmitglieder.
An sich klingt die Geschichte nicht verwerflich. Würden die Werwölfe doch nach Freiwilligen suchen. Hendrik hat Besseres zu tun, als sich einem mysteriösen Volk anzuschließen. Sandra und Mandy brauchen ihn. Außerdem entsteht ein Werwolf den Legenden nach durch einen Biss. Sicherlich eine schmerzhafte Prozedur. Allein der Gedanke an das Raubtiergebiss, das sich vor wenigen Stunden durch die Spalte drückte, lässt ihn erschaudern. Sein mangelndes Interesse an dem Angebot schluckt Hendrik nur deshalb herunter, weil er aus der verfluchten Höhle raus will und das Tier hoffentlich den Weg kennt. Hoffentlich.
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