Hendrik
Dieser miese, kleiner Verräter!
Jae gönnt ihm das Glück nicht. Er zerstört einfach alles. Hendrik schmerzen zwar die Knochen und doch fletscht er die Zähne. Er stiert rüber zu Jae, der sich auch noch die Unverschämtheit nimmt, Sandra in die Hütte zu tragen. Da Hendriks Stand sicher ist, schnappt sich Mandy ein Handtuch. Sie hat lange genug die Starke gespielt und legt sich eine trockene Schicht um ihren Körper. Bibbernd tritt sie an seine Seite.
„Was nun?"
„Knöpfen wir ihn uns vor und werfen ihn raus! Ich verbringe keinen Tag länger mit ihm hier. Das ist sicher!"
Mandy nickt zustimmend und ist die Erste, die ins Warme eilt.
„Hoffentlich ist Sandra verkatert und erinnert sich an den Abend nicht mehr", teilt sie ihre Hoffnung mit und seufzt laut, „lass zu ihr. Der Kerl ist mir nicht geheuer. Der hat dich rumgewirbelt wie einen Federball. Er muss ordentlich Kraft in den Armen haben."
Dass Sandra an Gedächtnisverlust leidet, ist Wunschdenken. Bei seiner Pechsträhne mag er stark daran zweifeln. Aber in einem Punkt sind sie sich einig, der Kerl muss fort von Sandra. Schon schlimm genug, dass sein Schatz zusammenbrach.
„Hey!" Mandy hält ihn überrascht zurück. „Trockne dich ab und rein in die warme Kleidung. Wer weiß, was uns gleich erwartet."
„Keine Zeit!"
Ein Schlag gegen den Hinterkopf und sein zorniger Blick gilt ihr. Mandy kann froh sein, dass er sie zu sehr schätzt. In all der Zeit hat sie sich als vertrauenswürdige Freundin bewiesen und auch jetzt beweist sie Mut. Mahnend hebt sie den Finger und spielt auf Offizier.
„Abtrocknen und anziehen! Aber dalli!"
Er schnaubt, aber gehorcht. Wie gut, dass er sein Zeug im Badezimmer gelassen hat. Wie Mandy. Rücken an Rücken schälen sie sich aus den Badesachen. Als Sorge vor einer weiteren bösen Überraschung. Der Feind wird diesmal nicht unterschätzt. Jae befindet sich im oberen Stock, denn sie haben ihn die Treppe hochlaufen sehen, und doch ist es zu ruhig. Die Dielen knarzen nicht und es ist still. Mandy braucht ein paar Sekunden zu lang für Hendrik. Je schneller, sie oben sind, umso besser. An der Sauna findet Hendrik auch noch ein loses Brett und bewaffnet sich. Im Kampf um die Liebe erlaubt er sich alles. Dafür ist Sandra ihm zu wertvoll.
Geübt wie bei den Einsätzen in den Lost Places verhalten sich die Urbexer leise und kommunizieren per Augenkontakt. Oben angekommen machen sie zwar Sandra warm verpackt unter der Decke im Doppelbett aus, aber von Jae fehlt jede Spur.
„Perverser Freak! Er hat Sandra umgezogen", teilt Mandy ihm mit.
Hendrik sieht rot. Tatsächlich erblickt er durch die gläserne Front auf dem Balkon die nassen Badesachen. Durch das Nebenzimmer begibt er sich hinaus und erblickt frische Stiefelabdrücke, die in Jaes Profil passen. Der Pulverschnee an dem Geländer ist plattgedrückt, als habe sich jemand darüber geangelt. Ungläubig beugt sich Hendrik hinüber und erblickt tatsächlich unten nahe des Whirlpools Jae, der Putz und munter aufblickt. Der Freak lächelt ihm dreist ins Gesicht, sodass Hendriks Sicherung durchbrennt und er umdreht, um sich auf die Jagd zu machen.
„Er ist unten! Gesprungen vom Balkon!", verkündet Hendrik schlechtgelaunt.
„Unmöglich! Er hätte sich den Hals brechen müssen!", behauptet Mandy.
„Wäre ja zu schön gewesen!"
„Okay, warte!"
„Was'n jetzt?"
Hendrik wird laut und ausgerechnet Mandy bekommt seinen Zorn ab. Das hat sie nicht verdient. Aber stören tut sie es nicht. Sie bewahrt den kühlen Kopf und am Ende verlassen die beiden das Haus gewappnet mit Taschenlampe, Kopfleuchte mit einer intrigierten Kamera und Kleidungsschichten gegen die Kälte. Mandy wird das Gefühl nicht los, dass er sie in den Wald locken will und dieses Spiel bereits länger geplant hat. Hendrik hingegen belächelt den Gedanken. Das klingt nicht nach der kleinen Heulsuse von damals.
Das Mondlicht begrüßt sie vor der Tür. Sandra würde den Anblick genießen, einige Zuschauer hingegen ließen die Furcht in ihre Herzen. Unter anderen Bedingungen würde die Abenteuerlust mit ihm durchgehen, aber nun empfindet er nichts als blanken Hass. Mandy greift von jetzt auf gleich an ihm vorbei, womit er nicht gerechnet hat. Sein Herz zieht sich krampfhaft zusammen. Es ist die abgefüllte Flasche Glühwein, die sie sich schnappt und mit einem lauten Schrei loswirft, als ginge es um eine Siegermedaille bei Olympiade. Hendrik fällt die Kinnlade hinab, als das Gefäß an Jae zersplittert. Es wäre übel ausgegangen, wenn er den Arm nicht schützend vors Gesicht gehalten hätte. Der gute Tropfen verteilt sich vor der Hütte im Schnee. Langsam senkt der Kerl den Arm und blickt mit ausdrucksloser Miene rüber.
„Als ich dir zum ersten Mal in die Augen blickte, da wusste ich sofort, was für ein Typ Mensch du bist. Du lächelst und tutst auf freundlich, aber in Wahrheit bist du eine falsche Schlange, Mandy!"
Ihr Atem bildet eine Wolke und ihre Lungen füllen sich hörbar mit Luft. Mandys Ausdruck erinnert an ein provoziertes Tier. Sie bleckt die Zähne und stampft auf ihn zu.
„Große Töne, du Spinner!"
„Du beschmeißt mich mit Glas, bevor ein Wortwechsel überhaupt zu Stande kommt."
Jaes Vorwurf stößt auf taube Ohren, denn nun folgt ein Wort der Warnung von Mandy. „Geh und verschwinde! Hol deine Sachen und lass dich nie wieder blicken oder du lernst uns kennen!"
Nur kurz denkt Jae über ihre Worte nach, als er die Arme überkreuzt.
„Keine Chance. Noch einmal laufe ich nicht wie ein Feigling fort!"
„Dann schleifen wir dich zu deinem Auto!"
Mandy stürmt blindlings los. Mit dem Kopf voran und Hendrik eilt zur Unterstützung. Sein Tempo verlangsamt sich jedoch, als Mandy den ersten Faustschlag in ihrem Magen verkraftet und daraufhin ein Kinnhaken folgt. Mandy ist ein Zahn ärmer. Er landet mit Blut und Spucke im glühweingetauften Schnee. Dabei hat sie nicht zum Schlag ausgeholt, sondern plante, ihn zu packen. Erwartungsvoll schaut Jae hinüber. Herausfordernd. Ein tiefer Atemzug und Hendrik wappnet sich für da Gefecht. An Mut soll es nicht fehlen, nur ist er ein Realist, der seine Chancen gut abwiegen kann.
„Ein Sprung vom Balkon und solch einen Kampfstil in nur wenigen Jahren. Unwahrscheinlich. Bist du gedopt?"
Jaes Mundwinkel zucken freudig. „Kann man so sagen."
„Feigling!", provoziert Hendrik ihn.
Eine Taktik, denn wenn Jae gegen seine Emotionen verliert, dann steigen die Siegeschancen. Tatsächlich verdüstert sich Jaes Miene.
„Du hast ja gar keine Ahnung, was ich die letzten Jahre durchgemacht habe!"
„Erzähl es mir, während ich dir eins reinwürge!"
Damit bringt er Jae zum Lachen. Ironische Laute, die ihm im Hals stecken bleiben, als sich Mandy auf seinen Rücken wirft und zubeißt wie ein Vampir nah der Schlagader. Fluchend reißt er sie mit wenig Aufwand von sich hinab. Wie eine Bowlingkugel und Hendrik ist der Kegel. Beide Urbexer donnern zu Boden.
„Mandy, du bist schwer! Runter von mir!"
Hendrik keucht. Zum Glück erhebt sich seine Kameradin benommen. Sie ist taff und bewahr Würde. Statt auf seine Provokation einzugehen, hilft sie ihm auf die Beine. Von Jae fehlt jede Spur, aber der Schnee verrät, welche Richtung er eingeschlagen hat. Für eine nächtliche Wanderung in den Wald sind sie zum Glück gewappnet. Mit dem Rotlicht schleichen die beiden im Tarnmodus durch die Finsternis. Unsichtbar für Wildtiere und auch Jae wird es damit schwerer haben, die beiden zu erkennen. Mit der Nacht erwacht der Wald zu neuen Leben. Es raschelt in den Büschen, die Eule meldet sich im Hintergrund und die Bäume werfen im Schein des Mondes monströse Schatten. Sandra würde sich spätestens jetzt fürchten, für die beiden Urbexer hingegen ist dies die perfekte Atmosphäre für eine paranormale Untersuchung. Aber stattdessen jagen sie einen Vollidioten, der ihnen den Urlaub versaut. Mandy ist ordentlich sauer, das verrät ihr Tempo, als könne sie es kaum erwarten, die Made in die Finger zu kriegen.
„Du hast ihn gebissen." Hendrik muss im Nachhinein darüber schmunzeln. „Wie ein Vampir."
„Schnauze, auf den billigen Plätzen! Du standest ja nur doof rum, statt zu helfen!"
Wie Recht sie hat. Eine Tatsache, die ihn beschämt.
„Schuldig. Ich kann noch immer nicht glauben, dass er gedopt ist. Wie weit der Kerl doch geht!"
Mandy hält augenblicklich inne und Hendrik hat das Gefühl, dass nun eine Standpauke vom Feinsten kommt. Aber der Grund ist ein anderer.
„Was zur Hölle?" Sie leuchtet einen Baum hoch. „Die Spuren enden hier!"
„Nicht lustig, Mandy!"
Hendrik muss es mit eigenen Augen sehen und tatsächlich verlieren sie die Fährte. Einen halben Meter von einem riesigen Baum entfernt.
„Sag es nicht!"
Er ahnt, was sie glaubt.
Aber Mandy spricht das Unmögliche aus. „Er muss auf den Baum geklettert sein."
Hendrik schüttelt ungläubig den Kopf. „Niemals! Von hier? Unmöglich!"
Einen langen Moment ist es still und die beiden verballern ordentlich Hirnschmalz.
„Die Ruine", wispert Mandy, „unserer einzige Anhaltspunkt."
Zögernd nickt Hendrik, denn das klingt nach einer Falle.
„Wir können aber auch zurück und warten, bis der Spinner zurückkommt. Bei der Kälte wird er die Nacht nicht überleben."
Sie starrt ihn ungläubig an und geht vom Falschen aus. „Pisst du dich gerade ein?"
„Nein! Das nennt man strategisches Denken!"
„Okay, treffen wir ein Kompromiss. Ein kurzer Blick in der Ruine kann nicht schaden. Ist er nicht dort, dann kehren wir zurück zur Hütte."
„Klingt nach einem Plan."
Auch bei Nacht punktet Mandy mit ihrem Top Orientierungssinn. Kaum springt ein Baum Hendrik ins Auge, der aussieht, als wäre dort ein menschliches Gesicht zu sehen, ist die Sache klar. Sie laufen richtig. Es ist nicht mehr weit und doch fühlt es sich an, als werden sie beobachtet.
„Mandy! Ich glaube, da bewegt sich was zwischen den Bäumen."
Kein Tier! Dafür läuft die Gestalt aufrecht und ist zu groß. Hendrik lächelt böse, denn die Gestalt lugt zu ihnen hinüber und beobachtet sie. Es muss Jae sein und um sie zu verunsichern, huscht er von einem Baum zum anderen. Lächerlich! Damit macht er ihnen keine Angst. Zuerst werden die Schritte schneller und dann stürmt Hendrik los. Bereit, den Spinner zu fassen. Die Mantelspitze blickt wenige Meter vor der Ankunft hinter dem Baum hervor, aber als er eintrifft, fehlt von dem beobachtet sämtliche Spur. Hendrik umrundet den Baum und findet ihn nirgendwo. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.
„Voll der Psycho!", ärgert sich Hendrik laut. „Hab ihn nicht gekriegt! Hast du ihn gesehen, Mandy?"
Er horcht in die Stille, aber seine Kollegin gibt ihm keine Antwort.
„Mandy?"
Er eilt zurück zu der Stelle, wo sie sich trennten und Mandy ist ebenfalls fort.
„Scheiße! Mandy!"
Ein Schrei schneidet die Stille. Es klingt nach Mandy. Weit entfernt. Es kommt von der Ruine, da ist sich Hendrik sicher. Er stürmt los. Diesmal kann er auf ihre Hilfe zählen. Das ist sicher! Mandy reagiert auf seine Rufe nicht und er irrt eine Weile umher, bis er sie endlich in einer dunklen Ecke eines Wandstücks ausmacht, das stabil scheint. Sie liegt auf einer gebrochenen Bodenplatte und ist bewusstlos. Sämtliche Versuche, sie zu wecken, sind vergebens. Ihr Herz schlägt und sie atmet. Ein Glück für Jae. Das Mondlicht schwindet plötzlich, sodass Hendrik sich umdreht. Er zuckt zusammen, denn er hat Jae nicht kommen gehört. Dieser lächelt überheblich und entblößt seine Zähne. Hendrik blinzelt verdattert, denn für einen Moment glaubte er, so etwas wie spitze Fangzähne zu sehen. Er schüttelt den Gedanken von sich und schaltet den Kopf auf. Fokus auf den Kampf! Der Faustschlag verfehlt, obwohl Jae ihm doch gegenüber steht. Es ist lächerlich, so eine schlechte Trefferquote hatte er schon lange nicht mehr. Jae hingegen schnappt sich ihn und pfeffert ihn mit Wucht gegen das Mauerwerk. Es steckt solch eine Kraft dahinter, dass Hendrik die Luft aus den Lungen weicht und der gesamte Brustkorb schmerzt. Er keucht und ringt nach Luft. In dem Moment packt Jae ihn und wirft ihn fern von der Ruine. Hendrik verliert das Gleichgewicht, fällt und überschlägt sich am Boden.
Die Welt dreht sich und die Beine reagieren zögerlich. Dennoch kämpft sich Hendrik auf die Beine und steht Jae am Ende gegenüber, statt jämmerlich im Schnee zu liegen. Hendrik belächelt das Schicksal spöttisch.
„Rache für damals. Hab ich recht? Was willst du tun? Willst du mich töten? Denn selbst, wenn du mich nieder schlägst, ich erhebe mich und gebe Sandra nicht auf!"
Jae kichert teuflisch und den nächsten Schlag sieht Hendrik nicht kommen. Ein Kinnhaken. Es nimmt Hendrik den Boden unter den Füßen und zu allem Pech geht es auch noch einen Abhang hinunter. Der Wald ist voller Bäume, aber der Flug wird nicht gebremst und Hendrik fällt tief. Noch während des Fluges verliert er das Bewusstsein, um wenig später an einem völlig anderen Ort aufzusuchen. In völliger Finsternis. Vermissen tut Hendrik den Nachthimmel. Der Boden ist hart und voller Unebenheiten. Er ertastet Steine und Geröll. Ein paar Minuten später, die sein schmerzender Körper braucht, und Hendrik erinnert sich an die Leuchte auf seinem Kopf. Zuerst reagiert das Ding nicht und er befürchtet, dass sie unbrauchbar geworden ist. Aber ein paar weitere Versuche und das Licht springt an. Schwach, aber immerhin bringt diese Licht ins Dunkeln. Hendrik stöhnt gefrustet. Die Decke ist zum Greifen nah. Alles spricht für ein Höhlensystem.
Wie zum Henker ist er nur hier gelandet?
Untertage birgt viele Gefahren, aber zum Glück war Hendrik schon mit einigen Profis auf Höhlenforschung. Wenn Jae glaubt, das reiche aus, um ihn zu stoppen, hat er sich geirrt. Hendrik ist zuversichtlich. Er kommt hier raus. Stärker, denn je! Motivierter, denn je!
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