Hendrik
Die Hütte ist der Hammer! Sandra befindet sich am Wagen bei Mandy und so nutzt der Influencer den Moment für einen kurzen Dreh. Eine kleine Tour durch die Räumlichkeiten. Sein Zeitgefühl entgeht ihm, wenn die Kamera filmt. Er steckt mitten im Dreh, als Mandy sich zu ihm gesellt und warnend pfeift. Damit rettet sie ihm den Hintern, denn das bedeutet, Sandra ist nicht weit entfernt. Er beendet die Aufnahme freudig und legt das Equipment zur Seite, während Mandy einige Taschen hereinträgt.
„Brauchst du Hilfe?"
Sie lacht höhnisch und schüttelt den Kopf. „Ne, lass mal. Ich bin stärker, als ich aussehe. Aber Sandra würde sich sicherlich über Unterstützung freuen."
Er schnippt dankbar für den Rat und belohnt sie mit seinem charmanten Lächeln, das sie mit einem Augenrollen quittiert. Er vergeudet keine Zeit und eilt die Treppen hinunter, wobei er fast ins Stolpern gerät. Die Lost Places Touren haben ihn geformt und seine Reflexe geschärft. So schnell legt er sich nichts aufs Maul. Kaum ist das Gewicht ausbalanciert, schlüpft er in seine Schuhe und Jacke, um hinaus zu eilen. Direkt in die Arme seiner Freundin, die sich bei seinem stürmischen Auftritt erschreckt und mit einem leisen Schrei zusammenzuckt.
„Hey, Schatz. Lass mich dir das abnehmen."
Auf eine Antwort wartet Hendrik nicht und befreit seine Liebste im Nullkommanichts vom Ballast. Völlig konfus blinzelt Sandra. Er glaubt, mit einem kecken Lächeln sei alles wieder gut, aber sie macht einen zerstreuten Eindruck.
„Okay." Sie deutet nun Richtung Parkplatz. „Dann hole ich mal den Einkauf rein."
„Ich komme dir gleich entgegen."
Sandra nickt stumm und schreitet zur Tat. Ihr Verhalten bereitet ihm Sorge. Vielleicht hat Mandy eine Erklärung parat. Kaum denkt er an den kleinen Teufel, tritt diese auch schon in die Kälte.
„Alles gut?", erkundigt sich der Rotschopf.
„Sandra wirkt etwas neben der Spur."
„Soll ich mit ihr reden?"
Mandy weiß, wie sie ihm ein Lächeln schenkt. Er betrachtet sie voller Dankbarkeit und atmet erleichtert auf.
„Damit würdest du mir einen großen Gefallen tun."
Ein freches Grinsen und die Geschäftsfrau wird rausgelassen. „Dafür gehört der letzte Proteinriegel mir."
Hendrik blinzelt schockiert. Er hat vergessen, neue Proteinriegel zu kaufen und das vor dem Urlaub. Dabei sind Mandy und er süchtig nach dem Zeug.
„Welche Sorte ist übergeblieben?"
Er ahnt Schlimmes und das Grinsen des Teufels wird breiter.
„Himbeere-Crisp."
Am Ende lacht sie böse. Hendrik fasst sich entsetzt an den Kopf. Ausgerechnet seine Lieblingssorte mit der weißen Schokolade. Ihm ist zum Schreien zumute, aber Sandra ist dieses Opfer wert.
„Also gut."
Es war mehr ein Flüstern und Mandy kann nicht anders, als ihn damit aufziehen. Sie hält die Hand ans Ohr und betrachtet ihn schelmisch.
„Geht das auch lauter? Ich habe dich nicht gehört."
„Du hast mich gehört! Da bin ich mir sicher!" Er deutet lächelnd auf sie. „Aber ja, das geht klar."
Freudig reibt sich Mandy die Hände und macht sich in Richtung Wagen. Hendrik folgt ihr wenig später, nachdem die ersten Taschen verstaut sind.
Der Schnee knirscht unter den Stiefeln, als er den Parkplatz fast erreicht hat. Sandra hält die Einkaufstüte fest in den Armen umklammert und wiegt diese wie ein Kind. Sie scheint sich Mandy anzuvertrauen. Ihre Haltung ist offen und nicht abwehrend. Der Ton ruhig, aber der Blick voller Sorgen. Hendrik mag die beiden Mädels nicht stören und zwinkert seiner Liebsten nur frech zu, während er sich die nächsten Taschen schnappt und sich zum Gehen abwendet. Als er plötzlich einen Wagen aus der Ferne ausmacht. Die Straßen vor Ort sind kaum befahren, sodass er davon ausgeht, dass es sich um Sandras Wahl handeln muss. Geduldig mustert er den sportlichen Wagen, der kaum für diese Gegend geeignet ist und sicherlich mehr zum Prahlen gewählt wurde. Ein schwarzer BMW, dessen Scheinwerfer zur Begrüßung angemacht werden. Mandys genervter Blick spricht Hendrik aus der Seele. Die beiden hassen Angeber.
„Wer ist er, Sandra?"
Hendriks Stimme ist kälter, als geplant. Aber ihn quält ein ganz schlechtes Gefühl, das er nicht deuten kann. Sandra tritt ganz nah an ihn heran und schnappt sich seine Hand. Das sanfte Streicheln kommt nur dann zum Einsatz, wenn sie seinen Ruhepol spielen will. Etwas stimmt hier nicht. Sandra hat Geheimnisse vor ihm und das kann er nicht tolerieren. Ihm stockt der Atem, als dann auch noch ein bekanntes Gesicht aussteigt.
„Nein!" Er schüttelt sich von Sandra los und bleckt die Zähne. „Was zum Henker suchst du hier?"
Mit geballten Fäusten schreitet er auf seinen ehemaligen besten Freund zu, den die Zeit positiv geformt hat. Der junge Mann mit dem BMW ist kein Häufchen Elend mehr, sondern ein stattlicher Kerl mit einem athletischen Körperbau und einer Kälte im Blick, die Hendrik so von ihm nie kannte. Jae war von Beginn an ein Weichei, der immer schnell nachgegeben hatte. Ein schüchterner Junge. Ein Nerd, aber eine gute Seele. All der Sonnenschein in seinen blauen Augen ist fort. Jae ist wie ausgewechselt. Sein Rücken ist durchgestreckt und seine Gleichgültigkeit bemerkenswert.
Jae hebt emotionslos die Hände, als wolle er sich ergeben. Eine Geste, die Hendrik oft bei ihm zur Schau bekam, aber in Anblick der gewaltigen Veränderung und Mimik in diesem Augenblick völlig fehl am Platz ist und lächerlich wirkt.
„Hey." Jae winkt in die Runde. „Ihr habt euch ja kaum verändert, wie ich sehe."
„Scheiße! Jae, was ist mit dir passiert?"
Sein ehemaliger bester Freund wuschelt sich durchs Haar und antwortet zögernd: „Deine letzten Worte an mich haben mich geprägt. Ich hatte es satt, immer einstecken zu müssen, also habe ich Einiges in meinem Leben umgekrempelt."
„Das sehe ich!"
Hendrik fletscht die Zähne unbewusst. Jae hat plötzlich etwas Bedrohliches an sich. Er stellt eine ernstzunehmende Konkurrenz da.
„Du siehst gut aus, Jae."
Das sagen auch Sandras Augen. Hendrik entgeht nicht der schmachtende Blick. Zum Glück ist sie eine treue Seele mit einem großen Gewissen, aber wer weiß, wie Jae nun tickt. Dann erhellt sich auch noch seine Miene, als er Sandra in die Augen blickt. Sein Lächeln ist ehrlich.
„Danke, Sandra. Aber wenn ich dich so betrachte, dann sehe ich noch immer das hübscheste Mädchen, was mir je unter die Augen gekommen ist."
Sandras Wangen mögen sich rötlich färben, aber ihr Blick füllt sich mit Trauer und Ablehnung. Sie bevorzugt es zu schweigen, während Hendriks Blut kocht. Der Spinner legt es drauf an. Er hat wahrlich Mut, so etwas von sich zu geben, wenn der feste Freund direkt neben ihr steht. Zum Glück ist es Mandy, die laut räuspert und dazwischen geht. Sie fletscht die Zähne und nimmt eine aggressive Haltung an.
„Wie unverschämt! Erstens flirtest du mit Hendriks fester Freundin und zweitens beleidigst du mich noch, bevor wir uns einander vorgestellt werden? Freundchen, du machst dich mir früh zum Feind."
Jae legt den Kopf unschuldig zur Seite und blinzelt verwundert.
„Und du bist wer?"
Motiviert lässt Mandy ihre Fingerknochen knacken und brummt wie ein wütender Bär.
„Hendrik, ich hau ihn zu Brei!"
Nichts anderes hat er von seiner verlässlichen Partnerin erwartet. Der Zusammenhalt mit ihr ist top und für gewöhnlich, schreckt jeder bei ihrem Gebrüll zurück. Von einem Weichei wie Jae hätte Hendrik dies eigentlich auch erwartet, aber es muss sich wirklich viel in seinem Leben getan haben, denn er wirkt belustigt. So, als habe er ein niedliches Katzenbaby vor sich, das auf Tiger spielt. Nur unterschätzt er Mandys Krallen und Zähne. Es ist Sandra, die ihr Engelslächeln aufsetzt und dazwischen geht.
„Ich bitte dich, Mandy, das ist nicht nötig. Wir wollen doch ein schönes Wochenende verbringen. Gib dem Ganzen doch bitte eine Chance."
Mandy zieht sich zischend zurück, um sich wenige Schritte später eine Zigarette zwischen die Zähne zu stopfen. Ihre verengten Augen zeigen, wie sehr Jaes Benehmen ihr ans Bein gepinkelt hat. Das wird noch lustig. Dennoch ist Sandra ihm eine Erklärung schuldig, daher macht er auf Fakelächeln, um seinen Engel mit dem Arm einzufangen.
„Sandra-Schatz, auf ein Wort!"
Sein Blick duldet keine Widerworte und da seine Liebste die Augen schuldbewusst niederschlägt, erwartet er auch keinen Protest von ihr.
„Nicht nötig", mischt sich Jae ein, „ich kann mir denken, was dein Problem ist. Bevor du ihr in irgendeiner Weise die Schuld gibst, bekommst du deine Antworten von mir."
Einen kurzen Moment lässt sich Hendrik den Vorschlag auf der Zunge zergehen und findet, dass Sandra seine schlechte Laune in keinerlei Weise verdient hat. Es war Jae, der versprach, sie nie mehr zu belästigen und sein Wort brach. Etwas, das er noch bereuen wird.
„Also gut, erkläre es mir", fordert Hendrik ihn schroff auf.
Mit einem warnenden Blick, den der Kerl hoffentlich richtig deuten darf. Denn es gibt da ein kleines Geheimnis zwischen ihnen, das Sandra niemals erfahren darf. Niemals!
Jae scheint in keinerlei Form eingeschüchtert zu sein und lehnt sich gelassen an seinen Wagen. Wie cool er dabei wirkt, geht Hendrik gegen den Strich.
„Ich habe euch großen Kummer bereitet. Besonders dir, Sandra. Dein Zusammenbruch ging nicht spurlos an mir vorbei und ich bereue den Ausgang. Ich vermisse die gemeinsame Zeit mit meinen besten Freund und mit dem Mädchen, das immer hinter mir stand, wie keine andere. Du warst für mich immer wie eine Schwester, Sandra."
Seine Rede entlockt ihr ein ehrliches Lächeln. Ihr Blick klebt wie gebahnt auf seinen Lippen und Hendrik hat das Gefühl, dass sie gleich verlernt, wie man atmet. Daher holt er sie auf den Boden der Tatsachen zurück.
„Erinnere dich an den Kummer und die Tränen, die er dir bereitet hat."
Sandra atmet einmal tief ein und aus, bevor sie gefasster wirkt, als habe sie mit dem Kapitel abgeschlossen. Jaes Blick hingegen gleicht einer tödlichen Klinge. Mit schmalen Augen fixiert er Hendrik an, dem dies nicht entgeht. Doch da muss schon mehr kommen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Herausfordernd reckt Hendrik sein Kinn. Selbst wenn er befürchtet, dem neuen Jae im Kampf nicht gewachsen zu sein, ist das nicht schlimm. Steckt er Schläge von seinem Gegenüber ein, dann wird Sandra Jae komplett aus seinem Leben streichen.
„Hör zu, meine Zeit ist zu wertvoll, um mir dein ständiges Gejammer anzuhören. Ich kann die Vergangenheit nicht rückgängig machen, aber ich finde, mit den Jahren sollten wir an Reife dazugewonnen haben und vergeben können. Ihr zwei habt mir wahrlich gefehlt." Jae tritt an den beiden vorbei und lässt die Umgebung kurz auf sich einwirken. „Ist es nicht herrlich hier? Wie ist die Hütte? Wird sie der Fünf-Sterne-Bewertung gerecht?"
„Es ist traumhaft." Sandra stolpert mit ihrem Engelslächeln an seine Seite. „Es hat mich übrigens sehr gefreut, dass du dich aus heiterem Himmel gemeldet hast. Gebe Hendrik noch etwas Zeit, ich bin mir sicher, dass er sich schnell fängt."
Sie vergisst anscheinend, dass er in Hörweite ist. Hendrik bläst genervt die Wangen auf. Jae lächelt entzückt von ihrem Verhalten und begibt sich zu dem Wagen, um sein Gepäck zu organisieren. Für jemanden, der damals Probleme mit dreißig Kilo hatte, hebt er seinen großen Koffer mit einer plötzlichen Leichtigkeit aus dem Wagen, dass Hendrik stutzig wird. Statt diesen Giganten auf dem Boden zu rollen, trägt er diesen wie einen Aktenkoffer voran und lässt Sandra an seinem Arm einhaken. Mit der Bitte, ihr alles zu zeigen. Ein Bild, das Hendrik mit gemischten Gefühlen betrachtet. Vor Eifersucht bleckt er die Zähne. Nichts, was Mandy abschreckt. Die Urbexerin hat nur darauf gewartet, dass sie allein sind. Mit grimmiger Miene stellt sie sich neben ihn und wartet, bis die beiden aus der Hörweite sind.
„Erzähl. Wer ist der Spinner?"
„Eigentlich war er ein ganz netter Kerl und völlig okay." Hendriks Lippen formen ein glückliches Lächeln, wenn er an all den Spaß denkt, denn er mit Jae erlebt hat. Ob die gemeinsamen Stunden an der Konsole oder den Erkundungen in der Stadt. Auf Jae war Verlass. Aber in einer Sache wurde er zur Bedrohung. „Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich Mist gebaut habe?"
„Bezüglich ihn?" Mandy kichert leise. „Lass mich raten es geht um Sandra oder?"
„Du bist scharfsinnig! Aber ja! Er hat ihr nur eine Abfuhr erteilt, weil ich ihn windelweich geprügelt habe. Ich war dabei Sandra an ihm zu verlieren und dann sind alle Sicherungen bei mir durchgedreht."
„Shit! Und jetzt ist er hier und verändert. Das ist ein Problem."
Mandy bringt es auf den Punkt. Sie versteht ihn und verurteilt ihn noch nicht mal. Er hat es verzapft, aber sie steht hinter ihm. Hendrik ist so dankbar, sie zu kennen.
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