5 | forechecking
EMMY
Anders als bei der Hinfahrt sitzen wir schweigend nebeneinander und reden fast kein Wort.
Nachdem wir für etwa dreißig Minuten gefahren sind, fragt Asher mich vorsichtig: „Ist alles okay bei dir?"
Zunächst antworte ich nicht, doch dann platzt es aus mir heraus. „Ich weiß, dass ich nicht so bin wie Gianna."
„Hm, ja. Es ist aber nicht unbedingt etwas Schlechtes, nicht so nerv ... äh so zu sein wie Gianna", erwidert er und wirkt dabei etwas irritiert.
Ich sehe nur aus dem Fenster und weiß nicht, was ich aus seiner Antwort machen soll.
Verwundert stelle ich fest, dass wir plötzlich vom Highway abfahren und an einer Parkbucht anhalten. Asher hat sich zu mir umgedreht und Sorge steht in seinen braunen Augen.
Mit sanfter Stimme sagt er: „Ich weiß, wir kennen uns nicht besonders gut, aber ist etwas über das Wochenende vorgefallen? Du wirkst ... anders."
„Nein, nein. Tut mir leid. Ich ... ich bin nicht ganz fit."
Ich kann nicht glauben, dass ich ernsthaft diese Lüge von Gia weiterführe.
Asher seufzt und legt den Kopf leicht schief. Man muss keine Hellseherin sein, um zu erkennen, dass er mir nicht glaubt.
„Wirklich! Es ist alles gut", schiebe ich daher hinterher.
Erst sagt er nichts, doch dann beginnt er zögerlich: „Also, um ehrlich zu sein, habe ich das vorhin ein wenig mitbekommen."
„Was?", frage ich entsetzt und sehe ihn mit aufgerissenen Augen an.
Er zuckt entschuldigend mit den Schultern. „Die Tür stand offen."
Ich rutsche tiefer in meinen Sitz und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Dieses Wochenende entpuppt sich immer mehr zum absoluten Horrortrip.
„Wenn du mich fragst", fährt Asher fort, „bist nicht du diejenige, die sich scheiße fühlen sollte."
Ungläubig sehe ich ihn an. Doch in seinem Gesichtsausdruck kann ich nichts anderes finden, als dass er es wirklich ernst meint. Kein Spott dafür, dass mich nicht einmal meine eigene Schwester dabei haben will.
Zaghaft lächle ich ihn an.
Auch seine Mundwinkel heben sich und er fügt hinzu: „Wenn wir das nächste Mal in Pittsburgh sind, kommst du einfach mit uns."
Mein Lächeln wird breiter. Nicht, dass ich wirklich davon ausgehe, dass er mich mit seinen Kumpels mitnimmt, sondern weil es einfach süß von ihm ist, dass er versucht, mich aufzuheitern.
„Du meinst, ich soll mich als Partycrasher hintenrum einschleichen?", frage ich ihn mit einem amüsierten Unterton.
Er grinst und sagt gespielt empört: „Also ich möchte dann doch betonen, dass wir zuerst da waren und deine Schwester mit ihrer Gruppe sozusagen unsere Party gecrasht hat."
Die Art, wie er es sagt, bringt mich zum Lachen. Vermutlich ist es auch ein kleines Bisschen die Tatsache, dass es dann ja bedeutet, dass dieses Zusammentreffen nie so geplant war.
Allgemein hat er es geschafft, mich gehörig aufzuheitern, sodass es mir nach diesem Gespräch erheblich besser geht.
Damit wird auch die Weiterfahrt wieder viel angenehmer. Wie schon auf der Hinfahrt fällt es mir überhaupt nicht schwer, mich mit ihm zu unterhalten, und ich kann es wieder richtig genießen.
Zum Abschied umarmt er mich, wie schon bei der Hinfahrt. Seine Berührungen, seien sie noch so flüchtig, haben mich schon immer durcheinandergebracht, doch irgendwie habe ich jetzt das Gefühl, dass dort noch etwas anderes ist. Ein Kribbeln, das ich zuvor nie gespürt habe.
Ich winke ihm zu, als er in sein Auto steigt, und will in das Wohnheim gehen, doch da hält er mich noch einmal auf.
„Ach, Emmy, kommst du am Samstag?"
Verwundert sehe ich ihn an. „Kommen? Wohin?"
„Zum Spiel und dann zur Party", erwidert er, wie selbstverständlich.
Ich hingegen bin vollkommen aus dem Konzept gebracht. Er hatte zwar so etwas bei der Hinfahrt gesagt, aber ich dachte nicht, dass er es noch einmal aufgreift.
Leicht stotternd antworte ich ihm: „Äh i-ich weiß nicht. Ich überlege es mir."
Ich meine kurz Unsicherheit über sein Gesicht huschen zu sehen, doch dann lächelt er schon und sagt: „Okay", bevor er dieses Mal endgültig in sein Auto steigt und davonfährt.
***
Später treffe ich mich mit Isla. Nachdem ich ihr eine Kurzfassung von dem erzählt habe, was sich am Wochenende ereignet hat, hat sie erst einmal ein paar nicht so nette Worte für Gia übrig.
„Vielleicht hat sie es bloß unglücklich ausgedrückt", schiebe ich schnell hinterher.
Isla seufzt. „Emmy, es tut mir furchtbar leid und weil sie deine Schwester ist, will ich eigentlich gar nicht schlecht von ihr reden, aber sie hat es genau so gemeint. Sie wollte dich mit dieser unreifen Aktion vor Asher blamieren. Und dass sie dich hat zuhause sitzen lassen, obwohl du extra gekommen bist, hat sie ganz sicher auch nicht aus selbstlosen Gründen getan."
Ich verschränke die Arme vor der Brust und sehe zur Seite. Ich will einfach nicht glauben, dass Gianna all diese Dinge mit Absicht tut. Wie Isla schon gesagt hat, sie ist meine Schwester ...
Da ich nichts sage, spricht Isla wieder. „Weißt du, was ich denke?" Ohne meine Antwort abzuwarten, sagt sie schon: „Ich denke, deine Schwester hat panische Angst davor, dass du ihr die Show stiehlst."
Ich lache ungläubig auf. „Ja, genau", erwidere ich mit vor Sarkasmus triefender Stimme.
Isla sieht mich ernst an. „Ich mein's ernst, Emmy. Du bist viel hübscher als sie und netter sowieso. Also hält sie dich klein, bevor es am Ende noch andere merken."
Ich sehe sie sauer an. „Sie würde das nicht tun. Sie ist manchmal etwas schwierig, aber ich kann auf sie zählen. Gia war immer für mich da, als wir kleiner waren. Du musst sie einfach ein wenig besser kennenlernen."
„Tut mir leid, ich wollte dich damit nicht verärgern. Es ist einfach meine Meinung dazu. Aber vielleicht hast du recht, dass ich sie nicht gut genug kenne."
Es herrscht für einen Augenblick Schweigen zwischen uns, bis sie mich vorsichtig fragt: „Emmy, kann ich dir noch eine Frage stellen?"
Ich nicke und sehe sie abwartend an.
„Hast du je versucht, Asher näherzukommen?"
„Wie meinst du das?"
„Na ja, es klingt ja so, als ob ihr euch sehr gut verstanden hättet. Daher habe ich mich gefragt, ob du je versucht hast, mehr Kontakt zu ihm zu bekommen."
Ich bin zunächst überrumpelt von dieser Frage. Habe ich es je versucht? Nein, habe ich nicht, es wäre aber auch zwecklos gewesen.
„Nein, er hat mich ja gar nicht wahrgenommen."
Isla beginnt zu grinsen und gibt mir einen leichten Schubs.
„Wie soll er auch, wenn du dich immer nur versteckt hast?"
***
Auch, wenn ich das alles gerne abhaken würde, mache ich mir noch den ganzen restlichen Tag darüber Gedanken. Rechtfertige ich bei Gia zu viel mit einem einfachen „so ist sie halt"? Und hat Isla recht mit dem, was sie über Asher gesagt hat?
Abgelenkt werde ich, als irgendwann am späten Abend June in den Raum gestürmt kommt. Sie strahlt mich an, während ich auf meinem Hochbett liege und zu ihr nach unten sehe.
Sie kommt zu mir hochgeklettert und setzt sich auf mein Bett im Schneidersitz. „Du hast mir gefehlt", sagt sie grinsend, „es war blöd, hier allein zu sein."
Ein bisschen überrumpelt bin ich von dieser freudigen Begrüßung. Mir war gar nicht klar, dass sie so viel wert auf meine Anwesenheit legt.
Zunächst fragt sie mich nach meinem Wochenende zuhause, wobei ich bei meiner ziemlich kurzen Erzählung das Thema Asher gekonnt umschiffe. Schnell gehe ich dazu über, sie lieber nach ihrem zu fragen, woraufhin sie mir begeistert von den Partys erzählt, auf denen sie war.
Wir sitzen noch eine Weile zusammen, wobei ich mich immer mehr entspanne. Es tut gut, über irgendwelche belanglosen Dinge zu sprechen. Meistens spricht June, aber auch damit bin ich vollkommen glücklich. Ich höre mir gerne ihre Party-Geschichten an. Dabei kann ich perfekt vergessen, was mich sonst so beschäftigt.
Es wäre natürlich noch einfacher, wenn nicht dauernd das Eishockeyteam eine Rolle spielen würde. Wenigstens war Asher nicht hier. Damit kann ich zumindest sicher sein, dass er nicht involviert gewesen ist.
***
Die nächsten Tage bin ich von der Uni eingespannt, was auch gut ist. So kann ich mir nicht so viel den Kopf über Giannas Verhalten zerbrechen. Genauso wenig über Asher und was sich seit diesem Wochenende verändert hat.
Tatsächlich ertappe ich mich aber trotzdem dabei, dass ich immer wieder nach ihm Ausschau halte. Es dauert allerdings bis Donnerstag, bis ich ihn zum ersten Mal wiedersehe.
Er sitzt allein auf einer der großen Wiesenflächen und scheint mit irgendwelchen Unterlagen für die Uni beschäftigt zu sein.
Es ist ungewöhnlich, ihn mal allein anzutreffen. Normalerweise ist er immer umgeben von anderen. Islas Worte kommen mir in den Kopf. Was wäre, wenn ich es versuche?
Unentschlossen stehe ich nur da und sehe zu ihm. Vielleicht will er allein sein. Er sieht immerhin beschäftigt aus. Ich könnte ihm kurz hallo sagen und sehen, wie er reagiert.
Nachdem ich tief ein- und ausgeatmet habe, sage ich in Gedanken zu mir selbst: Komm schon, das kann doch nicht so schwer sein.
Gerade als ich mich dazu durchringe, wirklich zu ihm zu gehen, wird mein Vorhaben jäh gestoppt. Die Blondine aus der Bar erscheint hinter ihm und beugt sich lachend nach vorne, um ihre Hände über seine Augen zu legen. Auch er beginnt zu lachen und sagt irgendetwas zu ihr, woraufhin sie ihn loslässt und sich mit einem breiten Grinsen im Gesicht neben ihn fallen lässt.
Sofort verfallen sie in eine angeregte Unterhaltung und kommen aus dem Lachen gar nicht mehr raus. Es ist nicht zu übersehen, wie gerne sie sich haben. Vielleicht sind sie sogar zusammen oder zumindest auf dem besten Weg dorthin. In der Bar haben sie auch schon so vertraut gewirkt.
Es ist wohl an der Zeit für mich, zu dem zurückzukehren, wie es vor dem Wochenende war. Es ist nur viel schwerer, das so hinzunehmen, als es das zuvor war.
***
Am Samstag treffen sich Isla und ich wieder für einen gemütlichen Abend bei ihr im Zimmer. Ich habe beschlossen, nicht zu dem Spiel zu gehen. Es wäre einfach ein Fehler. Ich würde mich nur immer weiter in etwas verrennen.
Isla sieht es allerdings ein bisschen anders, als ich ihr davon erzähle.
Mit offenem Mund starrt sie mich an. „Er hat dich gefragt, ob du kommst, und du bist nicht hin? Warum?"
Ich zucke mit den Schultern. „Das hat er doch nur so dahin gesagt."
Zweifelnd sieht sie mich an. „Wenn du meinst. Aber wäre es nicht wenigstens ein Versuch wert gewesen?"
„Für was denn? Soll ich ewig auf etwas hoffen, was nie eintreten wird?"
Ich weiß, das klang ziemlich erbärmlich, aber genau so ist es halt. Diese ganze Sache mit ihm war schon immer eine Belastung und seit dem letzten Wochenende habe ich sogar das Gefühl, dass es so schlimm ist wie nie.
Seit er von der Highschool abgegangen ist, war es einfacher. Der Abstand war gut für mich, nur ist von dem jetzt absolut nichts mehr übrig.
Nachdenklich antwortet Isla mir: „Ich verstehe, wovor du Angst hast, aber wer weiß, wenn du ihm die Chance gibst, dich näher kennenzulernen, dann–"
Ich unterbreche sie und führe ihren Satz zu Ende: „Dann würde sich auch nichts ändern. Er kennt mich, seit wir Teenager waren. Ich habe ihn in all den Jahren mit genug Frauen gesehen und glaub mir, sie waren alle das Gegenteil von mir. Erinnerst du dich an die Blondine aus der Bar? Sie ist genau sein Typ."
„Du meinst, er steht nur auf Blondinen?"
„Ich meinte nicht die Haarfarbe, sondern wie sie vom Typ ist. Bildhübsch, offen, selbstbewusst und ganz bestimmt keine Langweilerin."
„Du bist doch keine Langweilerin."
„Frag mal meine Schwester", erwidere ich trocken, wofür ich von Isla ein Schnauben ernte.
„Auf deren Meinung solltest du schon mal gar nichts geben."
Ich seufze. „Lass uns das Thema einfach abhaken, okay?"
Auch, wenn Isla so aussieht, als hätte sie gerne noch eine ganze Menge dazu gesagt, nickt sie.
Stattdessen beginnt sich wieder ein Grinsen auf ihrem Gesicht auszubreiten und sie klatscht in ihre Hände. Überrascht sehe ich sie an.
„Dann steht ja anderen Dates nichts mehr im Wege. Ich habe erst nichts gesagt, weil na ja, ich dachte eben, dass es wenig Sinn macht. Es gibt jemanden, der unglaublich gerne mit dir ausgehen will."
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forechecking – Behinderung des Aufbauspiels
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