Kapitel 18
~Kijan Broder~
Lya lässt ihren Finger durch die Dessertkarte fahren. "Was haltet ihr von Hokey Pokey und Cheese Rolls?" Sie schaut uns erwartungsvoll entgegen.
"Was zur Hölle soll Hokey Pokey sein?" Marek greift schon wieder nach seinen Zigaretten. "Du auch eine, mein loyaler Mitraucher?"
Ich lache und nehme die Kippe an.
"Also für mich hört sich Hokey Pokey nach zu viel okey an." Derek verzieht das Gesicht.
Ich hebe eine Augenbraue. "Was soll denn okey sein?"
Er lacht. "Keine Ahnung, aber scheint viel davon zu haben."
"Hört man doch schon Hokey Pokey. Zu viel okey." Unterstützt Marek seinen Kumpel zwischen zwei Zügen.
Ich stoße ungläubig den Qualm aus meiner Lunge. Manchmal ist es unfassbar, wie viel Blödsinn die beiden reden.
"Wir werden beides bestellen", sage ich und winke der Kellnerin zu.
"Mit vier Löffeln und ihr probiert sowohl die Cheese Rolls als auch das Hokey Pokey, verstanden?", weist Lya die Jungs uns gegenüber zurecht.
"Schon gut." Derek hebt abwehrend seine Hände hoch. "Aber kannst du uns vorher bitte noch sagen, was das jetzt genau sein soll?"
Lya wackelt vielsagend mit den Augenbrauen. "Ein Eis."
Ich werfe Derek und Marek einen ernsten Blick zu. "Würde ich an eurer Stelle nicht probieren."
Lya prustet los, wobei ihre Hand in meiner auf und ab wippt.
Mein Handy klingelt und ich werfe einen flüchtigen Blick auf das Display. Die Nummer ist nicht eingespeichert, doch ich erkenne sie mittlerweile. Es ist Lyas Mum.
Ich werfe einen zweiten Blick auf das Display und erkenne, dass sie bereits unzählige Nachrichten mit tausenden Ausrufezeichen hinterlassen hat. Als ich auf den Chat gehe, bleibt mein Herz stehen ...
Lya hat ihr das Selfie aus dem Schlafzimmer geschickt, auf dem auch Marek und Derek mit drauf sind. Kurzerhand drücke ich den Anruf weg und stelle mein Telefon auf lautlos.
Als ich aufblicke, sieht Lya mich besorgt an. "Alles gut?"
Ich frage mich, wie um alles in der Welt sie meine Emotionen so schnell lesen kann. Mir bleibt nichts anderes übrig, als ein Lächeln aufzusetzen.
"Alles bestens, ich freue mich schon auf das Eis mit zu viel okey."
Und wie der Zufall es so will, kommt in dem Moment die Kellnerin wieder und stellt uns die Desserts auf den Tisch. "Einen guten Appetit."
"Danke." Lya strahlt über beide Ohren und reicht jedem einen Löffel.
"Du musst den ersten Bissen von dem mysteriösen Eis machen, damit wir uns sicher sein können, dass es nicht vergiftet ist ...", sagt Marek und zaubert Lya damit ein weiteres Lachen ins Gesicht.
Bei unserem ersten Treffen war sie so abweisend und hart ... im Vergleich zu heute ist sie kaum wiederzuerkennen.
Lya steckt ihren Löffel in das Eis und verdreht die Augen genussvoll. "Himmlisch."
"Was machen wir eigentlich nach dem Essen?", will Marek wissen und erhält von Derek sofort eine Antwort: "Bloß nicht wieder Frisbee spielen."
Ich hebe abwehrend die Hände. "Schon gut, dafür sind wir ohnehin viel zu schick angezogen."
Einen Augenblick schweigen wir und genießen nur die leckeren Nachtische auf dem Dach des Hotels, während unter uns die bunten Lichter von Auckland scheinen. Die Luft ist immer noch recht warm und wohlig, sodass wir noch weiter auf dem Rooftop-Garden verweilen könnten. Wäre Lya nicht dabei, würde ich die Bar vorschlagen, doch ich will sie nicht zum Alkohol drängen.
"Kannst du nicht dein Uno-Spiel hochholen, Kijan?" Lya sieht mich an und die Unschuld steht in ihren Augen. Was mache ich hier bloß? Doch bevor die Erinnerungen an meine Schwester mich einholen, schüttle ich sie ab und stehe auf.
"Bin schon auf dem Weg. Derek, Marek, ihr kennt die wahren Uno Regeln?"
"Die wahren?"
Lya grinst breit. "Er nimmt Uno sehr ernst, ich klär euch schon mal über seine Regeln auf, während er die Karten holt."
Ich beuge mich zu ihr vor und gebe ihr einen Kuss auf die Schläfe, bevor ich zum Fahrstuhl gehe. Hinter mir höre ich Marek und Derek tuscheln.
"Seid ihr jetzt zusammen?"
"Nein, wir sind nur sehr gute Freunde."
Ich lache in meine Brust hinein. Sehr gute Freunde, süß, wie sie es leugnet, dass da mehr ist ...
Der Fahrstuhlpage drückt den Knopf zur fünften Etage und ich ziehe mein Handy aus der Tasche. Als ich auf das Display schaue, sehe ich, dass Lyas Mum weitere zwanzig Anrufe hinterlassen hat. Und ihre letzte Nachricht lautet: Wenn du mir nicht sofort antwortest, dann rufe ich die Polizei an, Lya!!
Mit einem Seufzer tippe ich eine Antwort in Lyas Namen, um die Situation zu beschwichtigen. So weit wollte ich es eigentlich nie kommen lassen, ... aber manchmal kann man den Lauf der Dinge nicht beeinflussen.
Die Fahrstuhltür geht auf und der nächste Schicksalsschlag trifft mich.
Guiseppe sitzt auf der Sofalandschaft in unserem Apartment. Die Sonnenbrille thront trotz der Abendstunden auf seiner Nase und seine ringbesetzten Finger sind ineinander verschränkt. Keine drei Meter vor ihm ist der Kamin, doch zu dieser Jahreszeit ist er kühl und nur der restliche Ruß des vergangenen Winters klebt an seiner Scheibe.
"Was machst du hier?" Meine Stimme ist kalt und unbarmherzig.
Guiseppe bewegt nur seine Lippen, während er in Richtung Kamin antwortet: "Ich besuche dich in meinem Hotel."
Mir gefriert das Blut in den Adern. Er hat mich an der Leine wie ein Schoßhündchen und ich kann ihm nicht entkommen. Doch welche andere Alternative wäre mir geblieben? Mir fällt beim besten Willen keine ein.
"Deine kleine Freundin ist hübsch."
Ich starre auf das Tränentattoo auf seinem Wangenknochen. "Ich weiß." Mehr bringe ich nicht heraus - meine Brust zieht sich zusammen.
Er dreht seinen Kopf zu mir. "Weiß sie das auch?" Es scheint ihn ernsthaft zu interessieren.
"Nein."
"Dann pass gut auf sie auf, Kijan. Mach deinen Job richtig." Er deutet mit seinen kräftigen Fingern auf mein Gesicht. "So ein Ausrutscher sollte dir nicht noch mal passieren."
Er meint meine noch leicht geschwollene Nase und meine blauen Fingerknöchel.
"Ich erledige meinen Job immer gut", entgegne ich monoton und lasse das Zittern meines Körpers nicht an meiner Stimme teilhaben. Ich darf keine Schwäche zeigen, sonst ... mir wird übel.
Guiseppe erhebt sich. Sein massiger Körper ist in dunkle Lederkluft gekleidet. Sie lässt ihn härter aussehen, als mir lieb ist.
"Ich lasse keine Fehler zu." Seine Stimme ist unerbittlich.
Ich nicke, denn ich habe es verstanden. Es wird keine Fehler geben.
Er klopft mir unsanft auf den Rücken und haucht. "Pass auf dich auf, Kleiner." Und ich weiß, dass er eigentlich meint, Pass auf sie auf, wenn sie dir etwas bedeutet.
Er hat mein ultimatives Druckmittel gefunden. Und die Tatsache, dass wir in seinem Hotel sind und er nur sieben Stockwerke unter Lya seine Drohungen ausspricht, lässt mich klein und kümmerlich fühlen.
Noch nie hatte ich eine faire Chance gegen die großen Player der Szene. Es nimmt mir die Luft zum Atmen. Die Wahrheit kann manchmal ganz schön wehtun.
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