Kapitel 19
Felicia
Unermüdlich wuschen und versorgten die Frauen Elins Wunden. Ihr Kleid klebte an dem Blut, das aus diesen rann und machte es ihnen schwer Elin zu säubern. Felicia dankte Gott dafür, dass Elin schlief – oder war sie bewusstlos? - und nichts von der Behandlung mitbekam. Auch dankte sie ihm dafür, dass sie ihm treu geblieben war.
Die Wunden waren hässlich und tief. Felicias Magen drehte sich beim Anblick von Elins Rücken um und sie presste die Hand auf ihren Mund. „Sie haben sie schrecklich zugerichtet."
Sonia schüttelte den Kopf. „Wie hat sie nur den Weg zurück geschafft?"
Felicia lächelte keck zu der Zellenkameradin auf. „Es gibt eine Stütze die nennt man Gebet."
Sonia lachte auf. „Du hast recht." Und mit einem zwinkern setzte sie hinzu: „Und die ist besser als jeder Krückstock."
„Und jeder Polizist." Es tat gut mal wieder lachen zu können. Die Monotonie des Alltags und die Farblose und triste Umgebung zerrte nicht nur an den Nerven der Insassen, sondern drückte auch die Gemüter. Hilf uns, Herr.
Felicia wachte an Elins Bett, während diese tief schlief. Ihre Gedanken verließen die Mauern des Gefängnisses und schweiften um ihre Familie. Und um Camil. Wie immer zog sich bei den Gedanken an ihnen ihr Herz schmerzlich zusammen. Doch sie weinte nicht um sie. Es war eigentlich nie Felicias Art gewesen zu weinen. Selbst als kleines Mädchen hatte sie immer tapfer die Zähne zusammengebissen, wenn sie sich verletzt hatte. An dem Tag an dem Camil sie so betrogen hatte, war etwas in ihr zerbrochen. Eine Welt war in sich zusammengefallen und sie hatte viel von ihrer Stärke einbüßen müssen. Jetzt setzte sie sie auf Jesus. „In dir soll mein Leben sein, Jesus, meine Stärke und meine Hoffnung", flüsterte sie in die Dunkelheit hinein.
Da drangen stimmen an ihr Ohr. Felicia kniff die Augen zusammen und hörte aufmerksam hin. Es schienen mehrere Jugendliche zu sein, die sich unter ihrem Zellenfenster aufzuhalten gedachten.
Da grölte einer: „Christenpack, schlaft ihr schon, oder betet ihr noch?" Ein Lachen.
„Wir wollen euch besuchen." Wieder lachen.
Felicia verdrehte die Augen. Den Besuch könnt ihr euch sparen. Sie wischte sich über die müden Augen. Hoffentlich wurden die anderen von dem Lärm nicht geweckt. Vor allem Elin hatte Schlaf bitter nötig. Plötzlich begann diese zu reden. Felicia zuckte zusammen, da sie nicht damit gerechnet hatte. Sie konzentrierte sich auf die Worte, die Elin sprach. „Wenn jemand in Gefangenschaft führt, so geht er in die Gefangenschaft; wenn jemand mit dem Schwert tötet, so soll er durchs Schwert getötet werden. Hier ist das standhafte Ausharren und der Glaube der Heiligen!" (Offenbarung 13,10)
Wie Millionen Ameisen lief ein Schauer über Felicias ganzen Körper. Die Worte waren so voller Macht.
Ein Lächeln bog jetzt Licis Mundwinkel nach oben. Dann musste sie leise lachen. Elin schläft Seelenruhig, wird gerade von Gottes Gegenwart erfüllt und draußen stehen junge Menschen und lachen über uns. Wir müssten über sie lachen. Sind nicht sie die verblendeten?
Das Lachen und Rufen, unter dem Fenster, wurden lauter. Die Schlafenden begannen sich zu regen und einige wachten auf. Da flog etwas durch die Luft und Felicia hörte wie es zu Boden rieselte.
Erde! Sie werfen wieder Erde hier rein.
Sie überlegte, ob sie die anderen wecken oder schlafen lassen sollte. Schließlich wurde ihr die Entscheidung abgenommen. Ein Stein flog im hohen Bogen durchs Fenster, legte in Sekundenschnelle den Weg durch die Zelle zurück und prallte mit einem lauten Schlag an den Eisenstäben, der Zellentür ab.
Alle schreckten aus dem Schlaf. Elin rieb sich die Augen und riss diese dann weit auf. Kerzengerade saß sie auf ihrer Matratze. „Was geschieht hier?"
Felicia tastete nach ihrer Hand und barg sie in der ihren. „Wir haben Besucher. Dort draußen lassen ein paar halbstarke ihre Wut an uns aus."
Felicia verharmloste das Geschehen, das wusste sie, aber was nützte es sich aufzuregen? Elin stöhnte und sank zurück. Scharf sog sie die Luft ein.
„Hast du Schmerzen?" Felicia beugte sich über sie und versuchte in dem schwachen Licht, das von draußen hereindrang, in ihrem Gesicht zu lesen.
Elin biss sich auf die Lippen. „Mir tut alles weh." Ihr Tonfall war nicht jammernd, sondern eher sachlich, beinahe trocken.
Felicia runzelte die Stirn. Wieder flog ein Stein durch die Luft. Er zischte nah an Licis Ohr vorbei. Diese schrak zusammen. „Was sollen wir tun?" Sie war beim letzten Mal nicht dabei gewesen und zudem brodelte Wut in ihr.
Elin schüttelte nur matt den Kopf. „Singt etwas und dann werden sie sich wieder zurückziehen."
Felicia drückte ihrer schwachen Freundin die Hand. Was für ein guter Mensch sie doch war... Und Felicia? Sie hätte die Unruhestifter am liebsten zusammengestaucht. Sie sah sich nach den Steinen um, fand sie aber nicht.
Halte deinen Kopf klar, Lic. Du darfst nicht die Beherrschung verlieren.
Sie lauschte aufmerksam auf das Geschehen um sie herum. Die Innsassen der Zelle drückten sich in die Ecken an der Fensterseite, um nicht von den Wurfgegenständen getroffen zu werden und sprachen kein Wort. Die vielen Körper waren zu einem Dunklen Schattenartigen Fleck zusammengewachsen.
Ich darf nicht wütend werden. Hol tief Luft, Felicia und besinne dich. Herr, hilf mir jetzt keine Dummheiten zu begehen.
„Kann mir jemand helfen Elin zu euch zu bringen? Sie ist sehr schwach."
Auf ihre halblaute Bitte hin löste sich ein Schatten aus der Gruppe, der sich in der linken Ecke verschanzt hatte und kam auf sie zu. „Warum hast du nicht eher etwas gesagt?"
War die Frage rhetorisch oder nicht? Felicia ging nicht darauf ein. Immerhin hatte sie nur an Rache gedacht und das wollte sie Sonia – denn diese war der Schatten – nicht sagen. Die beiden Frauen griffen Elin unter die Arme und halfen ihr hoch. Eher schleifend, als gehend, schleppte Elin sich vorwärts. Immer wieder stöhnte sie, aber endlich konnte sie sich wieder setzten. Sie setzte sich Seitlich zur rechten Wand und lehnte den Kopf gegen den harten Beton. Felicia setzte sich neben sie und legte ihr eine Hand auf den Arm. Elin sollte nicht das Gefühl haben allein zu sein.
„Gott sei Dank ist Cosi nicht hier", sagte die Kranke jetzt.
Staunend starrte Felicia ihre Freundin an. „Ach Elin, dass du auch immer sofort an andere denken musst und dich um sie sorgst, anstatt dich über deine Lage zu beschweren... Das ist Bewundernswert."
Wäre ich doch ein wenig mehr wie sie.
Elin tat das Kompliment mit einem Schulterzucken ab. „Wollt ihr denn nicht endlich singen? Sonst sitzen wir noch die ganze Nacht hier."
Froh und mutig ziehn wir unsre Lebensbahn wurde von Ramona vorgeschlagen und schon bald schmetterten die Frauen fröhlich drauf los. Die jungen Leute verstummten zuerst, dann brachen sie in schallendes Gelächter aus, welches beinahe lauter war, als der Gesang. Letzten Endes traten sie dann aber doch den Rückzug an, wohl wissend hier nichts mehr ausrichten zu können. Das Lied verklang und alle gingen wieder zu Bett. Elin war so müde, das Felicia sich sicher sein konnte heute Nacht nicht mehr von ihr gerufen zu werden. So legte auch sie sich zur wohlverdienten Ruhe und schlief ein, sobald Kopf und Matratze sich berührten.
Die darauffolgenden Tage waren Nervenaufreibend und ermüdend. Jede Nacht stand eine Horde junger Menschen unter dem Fenster und konnte nur durch Gesang, der immer länger dauern musste, vertrieben werden. Dadurch konnte Elin sich kaum ausruhen und warf sich oft hin und her. Ihr verwundeter Körper schein entsetzlich zu schmerzen und Felicia gab fast ihr ganzes Essen an ihre Freundin, damit diese wieder zu Kräften kam. Am Ende der Krankheit waren Elins Wangen eingefallen, ihr Rücken übersäht von Narben. Jedoch sie selbst, war die Alte. Sie konnte immer noch sanft auf alle einreden, konnte noch genauso beten und singen, wie zuvor und sprach nur wenig von dem letzten schrecklichen Ereignis, welches sie ereilt hatte. In Licis Augen nahm sie an Achtung und Wertschätzung zu.
Oft saßen die zwei jungen Frauen zusammen und sprachen über ihre Kindheit, ihre Familien und alle wichtigen Begebenheiten, die urplötzlich wieder in ihre Erinnerungen traten. Nicht immer fühlte sich Felicia wohl bei diesen Gesprächen. Sie hatte Angst, dass alte Wunden wieder aufreißen würden. Ausgestoßene der Familie zu sein, war zermürbend. Fast unmerklich arbeitete Gott in ihrem inneren während dieser Zeit. Immer wieder aufs Neue brachte Felicia ihm ihre Anschuldigungen und legte sie vor seinen Füßen nieder, wenn sie bei diesen Gesprächen in ihr hochkamen. Ihr Schöpfer formte sie und gab ihr Trost. Hass war keiner da und so setzten sich die Scherben ihres Herzens wieder zusammen.
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