17 - Herzschläge aus Verzweiflung
Am Schloss angekommen, werden wir direkt von Pinkabella, Heiß und Heißer in Empfang genommen. Die drei Drachen rufen uns freudestrahlend ihre Glückwünsche entgegen und werfen schwarze Rosenblätter in die Luft. Dass sie sich für uns freuen, ist nicht zu übersehen.
„Und?", möchte Pinkabella aufgeregt von uns wissen. „Wie war die Zeremonie? Und die Feier? Warum seid ihr-"
Lucifer unterbricht sie mitten im Satz. „Wir reden morgen!", entscheidet er in einer Tonlage, die keine Widerrede duldet.
Sofort sackt Pinkabella ein paar Zentimeter in sich zusammen und auch Heiß und Heißer lassen enttäuscht ihre Köpfe sinken. Um sie zumindest ein bisschen aufzumuntern, säusele ich schnell: „Es war wunderschön! Ich bin so glücklich, dass wir jetzt endlich verheiratet sind und-"
Auch mich lässt Lucifer nicht aussprechen. „Komm mit, Hailee!" Er schnappt sich meine Hand und führt mich an den Drachen vorbei in Richtung Eingangstür.
„Hey!", beschwere ich mich. „Du bist gerade voll unhöflich! Was soll das?"
„Ich bin halt der Teufel! Gewöhn dich besser daran."
Mit hastigen Schritten lotst er mich durch die dunklen Flure des Schlosses, bis wir wenig später mein Zimmer erreicht haben und uns nebeneinander auf die Bettkante hocken.
„Wie genau sieht eigentlich die Hochzeitsnacht in der Hölle aus?", erkundige ich mich neugierig bei Lucifer.
Ein undefinierbares Funkeln, das ich nicht richtig deuten kann, verschleiert daraufhin seine blauen Saphiraugen. „Es wird keine Hochzeitsnacht geben, Hails."
„Was?!", entflieht es mir entsetzt. „Warum nicht?" Mein Herz schlägt schneller und pumpt sowohl Trauer als auch Enttäuschung durch meinen Körper.
Wieso möchte Lucifer die Nacht nicht gemeinsam mit mir verbringen? Bereut er unsere Vermählung etwa schon wieder?
„Du wirst mich gleich hassen." Gewissensbisse und Schuldgefühle dominieren seine Stimme. Lucifer schaut mir tief in die Augen, sodass ich die lodernden Tränen erkenne, die seinen Blick wie ein Meer aus Glasperlen säumen. „Ich hoffe trotzdem, dass du mir irgendwie und irgendwann verzeihen kannst."
Um ehrlich zu sein nervt es mich, dass er den ganzen Abend so kryptische Aussagen von sich gibt. Kann er sich nicht einfach über den schönen Tag und unser Glück freuen? Scheinbar nicht.
„Hör zu, Lucifer", setze ich an, werde allerdings mal wieder unterbrochen.
„Es tut mir leid, Hails. Wirklich!"
Eine einzelne Träne kullert über Lucifers Wange, ehe er sich zu mir hinüberbeugt und vorsichtig den Sternenanhänger meiner Kette berührt. Dabei flattern merkwürdige Geräusche aus seinem Mund, die ich nicht mal ansatzweise identifizieren kann.
Wie in Zeitlupe lösen sich die schwarzen Nebelschwaden von dem Stern auf und verpuffen zu Staub. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, als würde sich auch etwas in mir verändern. In meinem Herzen und Kopf.
Es dauert ungefähr eine Minute, bis der letzte Schleier gefallen ist und mehrere Erinnerungen wie ein Regenschauer auf mich niederprasseln. Sie drehen sich in meinem Kopf von rechts nach links und wollen einfach keinen Stillstand herbeiführen.
Scheiße! Ich raufe mir die Haare und schaue verzweifelt zu Lucifer hinüber.
Ich kann mich wieder erinnern. An alles!
An das Brautkleid-Gespräch mit Heiß und Heißer.
An Lucifers Offenbarung mit unserer Vermählung.
An meine gescheiterte Flucht.
An die Hochzeit.
An die beiden Küsse, die Lucifer und ich ausgetauscht haben.
Und an seine Schuldgefühle und Geständnisse.
Ich bin so überfordert, dass eine Welle des Schwindels über meinem Kopf zusammenbricht. Mir wird schwarz vor Augen und kalter Schweiß rinnt meinen Nacken hinab. Am Ende sind es allerdings die stechenden Saphiraugen von Lucifer, die mich von der Klippe meines Verstandes stoßen und geradewegs in die Arme der Ohnmacht treiben.
***
Als ich am nächsten Morgen aufwache, fühle ich mich wie überfahren. Mein Schädel dröhnt, mein Körper gleicht der Konsistenz von Wackelpudding und ein unangenehmes Stechen kratzt in meinem Hals.
Verschiedene Erinnerungsfetzen flattern wie kleine Gespenster durch meinen Kopf und entfachen ein Feuer aus Angst und Zorn in meinem Inneren.
Hat Lucifer wirklich meine Halskette verzaubert, damit ich ihn widerstandslos heirate?
Ich muss schwer schlucken. Obwohl es sich verdammt real angefühlt hat, hoffe ich, dass die Vermählung und unsere Küsse nur ein Traum waren. Ein schlechter Albtraum.
Ganz langsam schwinge ich meine Beine über die Bettkante und tapse danach aus meinem Zimmer. Der rote Samtteppich im Flur verschluckt meine Schritte und leitet mir den Weg zu Lucifers Schlafgemach.
Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr realisiere ich, dass der schlechte Albtraum Realität war.
Übelkeit nagt an mir, als ich die Tür zu Lucifers Zimmer öffne. Anders als gestern liegt er allein in seinem Bett, denn von Pinkabella, Heiß und Heißer fehlt jede Spur.
Ich gebe es nicht gerne zu, aber Lucifer sieht sehr friedlich beim Schlafen aus. Die schwarzen Locken fallen ihm wirr in die Stirn und seine Mundwinkel sind zu einem sanften Lächeln geformt.
Fast schon lasse ich mich von seinem unschuldigen Anblick blenden, bis ich mir wieder in Erinnerung rufe, was er mir gestern angetan hat.
„Wie konntest du nur?!", schreie ich so laut, dass Lucifer aus dem Schlaf schreckt und mich aus geweiteten Augen anschaut. Kaum landet sein Blick auf meinem verzerrten Gesicht, füllt er sich mit Gewissensbissen.
„Hailee", krächzt Lucifer überfordert meinen Namen. Er kämpft sich aus seinem Bett und läuft langsam auf mich zu.
„Komm mir bloß nicht zu nahe!", fauche ich ihn an. Gleichzeitig strecke ich meine Hand aus, um einen gewissen Sicherheitsabstand zwischen uns zu wahren.
„Bitte lass es mich erklären!", fleht Lucifer. Glasperlen bilden sich in seinen Saphiraugen und bringen sie zum Glänzen. Unter anderen Umständen hätte ich jetzt vielleicht Mitleid mit ihm, doch aktuell überwiegen der Zorn und die Enttäuschung.
So dreist und hinterhältig hat mir noch nie jemand ein Messer in den Rücken gerammt.
„Es gibt nichts zu erklären! Du hast mein Vertrauen missbraucht und mich gegen meinen Willen geheiratet!" Mit jedem Wort wird meine Stimme hysterischer. „Ist dir eigentlich bewusst, dass du mein Leben ruiniert hast?!"
Begleitet von meinem rasenden Herzen mache ich zwei Schritte auf Lucifer zu. Ich bin ihm plötzlich so nahe, dass ich seinen zittrigen Atem auf meiner Haut spüren kann.
„Hailee", setzt er erneut an.
„Nein!", schreie ich lautstark dazwischen. „Du machst jetzt sofort unsere Ehe rückgängig! Ich will nicht deine Frau sein!"
Lucifer schaut mich gequält an. Als würde ich ihn permanent in die Magengrube boxen. „Das ... Das geht nicht", behauptet er. „Ich brauche dich, Hails. Hier in der Hölle. Bei mir. Für die toten Seelen."
Die Wut, die wie ein Feuer in meinem Herzen lodert, gewinnt sekündlich an Größe dazu.
„Du hast mich von vorne bis hinten verarscht, Lucifer!", brülle ich zornig. „Ich hasse dich!"
Obwohl noch so viele unausgesprochene Worte auf meiner Zunge brennen, entscheide ich mich dieses Mal dafür, auf Taten zurückzugreifen. Also hole ich mit dem rechten Arm aus und lasse meine Handfläche mit Lucifers Wange kollidieren.
Während sich ein stechender Schmerz in meinen Fingern ausbreitet, zieht Lucifer erschrocken die Luft ein.
„Sei froh, dass es nur eine Backpfeife war und kein Tritt in die Eier!" Mit diesen Worten stampfe ich wütend aus Lucifers Schlafgemach und donnere die Tür hinter mir zu. Und zwar so kräftig, dass das ganze Schloss von einem Erdbeben erfasst wird.
***
Obwohl ich Heiß und Heißer noch nicht lange kenne, weiß ich schon ganz genau, wie ich sie manipulieren kann.
„Aber nichts Lucifer verraten!" Heiß legt sich verschwörerisch seinen Zeigefinger auf den Mund.
„Genau!", schlägt sich Heißer auf die Seite seines Bruders. „Ansonsten gibt es heute Abend gebratenes Drachenfleisch."
„Keine Sorge, Jungs, meine Lippen sind versiegelt", verspreche ich.
Kurz schauen mich die beiden noch prüfend an, bevor sie mir mein Handy überreichen, das sie mit irgendwelchen magischen Drachenkräften in die Hölle gezaubert haben.
„Aber nur fünf Minuten!", erinnert mich Heißer mit einem strengen Blick auf die Uhr an unsere Abmachung.
„Ja ja." Ich nicke und wähle nebenbei die Nummer von Kinsley. Hoffentlich hat sie ihr Smartphone gerade griffbereit, um meinen Anruf entgegenzunehmen.
Es tut nur dreimal, da ertönt zum Glück ihre aufgeregte Stimme. „Hails?!", kreischt Kinsley in den Hörer. „Wo zum Teufel steckst du? Und warum hast du dich nicht bei mir gemeldet? Ich sterbe hier fast vor lauter Sorge!"
Direkt macht sich mein schlechtes Gewissen bemerkbar. Gleichzeitig schleichen sich aber auch Tränen in meine Augen, die nur einen Atemzug später über meine Wangen kullern.
„Ich ... Ich bin in der Hölle, Kinsley", schluchze ich verzweifelt. „Und ... Und Lucifer ... Er ..." Meine Stimme überschlägt sich und bricht ab. Ich muss zweimal tief Luft holen, ehe ich weitersprechen kann: „Er hat mich geheiratet. Gegen meinen Willen."
„Was?!", entfährt es Kinsley daraufhin entsetzt.
Immer mehr Tränen rinnen wie verlorene Hoffnungsschimmer über meine Haut. Mein Herz schlägt währenddessen im Takt der Verzweiflung und ertrinkt in einem Ozean aus Panik.
„Ich ... Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll", schniefe ich überfordert.
„Pass auf, Hails", beginnt Kinsley überraschend ruhig zu sagen. Sie spricht zwar weiter, doch etwas anderes beansprucht meine ganze Aufmerksamkeit.
„Jungs?", ertönt nämlich von der anderen Seite der Tür Pinkabellas Stimme. „Seid ihr hier?" Sie klopft vorsichtig gegen die Holzoberfläche.
Verdammt! Ganz schlechtes Timing, Pinkabella!
Direkt flammt ein Funken Panik in den Augen von Heiß und Heißer auf. Noch bevor ich irgendwie reagieren oder Kinsley um Hilfe bitten kann, reißen sie mir das Handy aus der Hand und lassen es gefolgt von einem Zauberspruch verschwinden.
Scheiße! Damit ist auch meine letzte Chance auf eine Rettung verschwunden.
Wie es jetzt weitergeht? Ich habe keinen blassen Schimmer!
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