12 - Jeder Deal hat einen Haken
Nachdem sich der Schleier aus Dunkelheit gelichtet hat, kommt ein Schloss zum Vorschein. Anders als angenommen ist dieses nicht groß und pompös, sondern klein und fast schon unscheinbar.
Die Fassade ist in einem dunklen Grauton gestrichen, sodass die weißen Fensterrahmen einen schönen Kontrast zu dem Putz darstellen. An einigen Stellen schlängeln sich feuerrote Efeuranken um das Gebäude und auf den beiden spitzen Türmen erkenne ich schwarze Fahnen. Darauf ist jeweils ein Kreis zu sehen, in dem sich ein Stern befindet.
Das Pentagramm. Ein Symbol des Teufels.
„Hier wohnst du also?", frage ich Lucifer neugierig, obwohl die Antwort auf der Hand liegt.
„Korrekt!", bestätigt er mit einem breiten Grinsen. Dann schnappt er sich mal wieder meine Hand und führt mich an der Eingangstür vorbei. Also nicht in das Innere des Schlosses, sondern zu einer Wiese, die mit Blumen übersäht ist und von hohen Dornenbüschen umschlossen wird.
Irgendwie ist es merkwürdig, dass hier alles so friedlich aussieht. Diese Idylle zerstört meine ganzen düsteren Vorstellungen, die ich seit Kindheitstagen von der Hölle hatte.
„Wo ist denn nun dein Drache?", erkundige ich mich bei Lucifer. „Ich bin schon ganz gespannt, ihn kennenzulernen!" Im selben Atemzug schaue ich mich auf der Wiese um, doch nirgends ist ein schuppiges Fabelwesen mit Flügeln zu sehen.
„Nicht so ungeduldig, Hails!", tadelt mich Lucifer schmunzelnd. Für ein paar Sekunden erwidert er meinen Blick, sodass ich mich in seinen Saphiraugen verliere, ehe er in Richtung Dornenbüsche schaut und einmal laut pfeift.
Erst passiert gar nichts. Dann höre ich plötzlich ein leises Rascheln und spüre einen sanften Windzug, der über meine Haut tanzt.
Begleitet von meinem nervös klopfenden Herzen lege ich den Kopf in den Nacken und richte meine Aufmerksamkeit nach oben. Zu dem schwarz-grauen Farbbrei, der vermutlich so etwas Ähnliches wie den Himmel darstellen soll.
Ob Lucifer wirklich einen Drachen als Haustier hat? Irgendwie bezweifele ich das.
„Du hast mich gerufen, Herr?", ertönt plötzlich eine fremde Stimme.
Wie vom Blitz getroffen wirbele ich herum und suche die Umgebung nach einem Drachen ab, doch ich kann weit und breit niemanden erkennen.
Komisch ...
„Ich möchte dir gerne jemanden vorstellen." Dieses Mal ist es Lucifers Stimme, die die Luft erfüllt. Er deutet mit dem Zeigefinger auf mich und säuselt: „Das ist meine bezaubernde Hailee Grey. Sie wird mich morgen zu der Hochzeit begleiten."
Mit wem zum Teufel spricht Lucifer gerade?
Noch bevor ich meine Frage laut aussprechen kann, sagt er an mich gewandt: „Hailee? Das ist Pinkabella. Mein Höllendrache."
Ich folge Lucifers Hand und kann mir ein überraschtes Lachen nicht verkneifen.
„Das ist dein Höllendrache?", wiederhole ich ungläubig.
„Ja", behauptet Lucifer.
In derselben Sekunde fragt mich der Drache eingeschnappt: „Hast du etwa ein Problem damit?"
Es fällt mir unheimlich schwer, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Wahrscheinlich zucken meine Mundwinkel immer abwechselnd wie Blitze in die Höhe, doch die aktuelle Situation ist einfach zu bizarr, um mein Gefühlschaos zu verbergen.
Ein Mini-Drache, der kaum größer als ein Apfel ist, schwebt vor mir in der Luft. Als wäre das nicht schon verrückt genug, leuchten die Schuppen in einem sanften Rosa. Auch die Krallen sind pink lackiert und an dem rechten Ohr ist eine pinke Schleife befestigt. Die winzigen Flügel, die aufgeregt von rechts nach links peitschen, sind mit Glitzersteinen und goldenen Schnörkeln verziert.
Oh man. Dieses niedliche Wesen soll ein Höllendrache sein? Ich bezweifele, dass Pinkabella, die ihrem Namen alle Ehre macht, von den toten Seelen ernstgenommen wird.
„Äh nein, natürlich habe ich damit kein Problem!", antworte ich schließlich auf ihre Frage. „Ich dachte nur, du wärst größer. Und äh, gefährlicher."
Daraufhin verzieht die Drachendame ihr Gesicht zu einer Grimasse. „Pah!", schnaubt sie beleidigt. „Frechheit!" Da ihre Flügelschläge immer langsamer und kräftezehrender werden, macht sie eine Pause auf Lucifers Schulter und blitzt mich angriffslustig aus ihren rosafarbenen Augen an. „Guck gut zu, du Klumpen Frischfleisch!", fordert sie mich auf.
Pinkabella holt tief Luft. So lange, bis sich ihr Körper dunkelrot verfärbt und sie die Größe einer Melone angenommen hat. Dann pustet sie kleine Seifenblasen aus ihren Nasenlöchern, die sich aus lodernden Flammen zusammensetzen.
Oh Gott, ist das niedlich!
Bevor ich einen unüberlegten Kommentar von mir geben kann, erklärt mir Lucifer: „Pinkabella ist noch nicht ausgewachsen. Ihre Transformationsphase hat erst vor zwei Wochen begonnen. Bald wird sie ein angsteinflößender Drache sein, der seine Fähigkeiten perfekt beherrscht."
Aus Höflichkeit nicke und lächele ich. Nicht, dass ich gleich noch mit Feuer-Seifenblasen attackiert werde.
„Wo sind eigentlich die beiden Jungs?", wendet sich Lucifer nun mit gerunzelter Stirn an Pinkabella. „Sie sollten Hailee doch alles zeigen."
Jungs? Was für Jungs? Meine Augenbrauen schießen in die Höhe und mein Herzschlag beschleunigt sich.
„Keine Ahnung." Es sieht so aus, als würde Pinkabella mit den Schultern zucken. „Bestimmt stellen die wieder irgendeinen Blödsinn an. So wie immer!"
Obwohl Lucifer seufzt, zupft ein amüsiertes Grinsen an seinen Mundwinkeln. Keine Sekunde später hält er zwei Lollis in der Hand und pfeift ein weiteres Mal so laut, dass der Ton wie ein niemals endendes Echo über die Wiese hallt.
Erneut ertönt ein leises Rascheln und erneut tanzt ein Windhauch über meine Arme.
Ich bin mir nicht sicher, was ich erwartet habe, zu sehen, aber definitiv keine zwei Drachen, die so klein wie eine Walnuss sind. Gierig stürzen sie sich auf die Lollis und lecken mit ihren langen Zungen über die klebrige Süßstoffmasse.
„Das sind Heiß und Heißer", stellt mir Lucifer die beiden Drachen vor. „Sie zeigen dir gleich das Schloss und sind ab sofort deine persönlichen Assistenten. Wenn du also Fragen oder Wünsche hast, dann wende dich an die beiden Chaoten."
Was?
Zwar finde ich die Drachen total niedlich, aber es breitet sich dennoch ein bitterer Geschmack auf meiner Zunge aus. „Und was ist mit dir?", möchte ich verunsichert von Lucifer wissen. „Warum zeigst du mir nicht dein Schloss?"
Ein tiefes Seufzen entflieht seinen Lippen. „Ich muss noch etwas für morgen vorbereiten", rechtfertigt er sich, „aber keine Sorge: Heiß und Heißer sind die perfekte Gesellschaft für dich!" Mit diesen Worten drückt er mir die Lollis in die Hand und verschwindet dann gemeinsam mit Pinkabella von der Wiese.
Zurück bleiben also Heiß, Heißer und ich.
Na toll. Das kann ja lustig werden ...
***
Die beiden Drachen haben es faustdick hinter den Ohren und lieben es, Chaos zu stiften. Da dies allerdings mein erster Tag in der Hölle ist und ich ohnehin schon überfordert bin, verschonen sie mich und führen mich brav durch das Schloss.
Zuletzt zeigen sie mir mein Zimmer, das von hellen Lichtstrahlen geflutet wird. Die Wände sind cremefarben gestrichen, an der Decke hängt ein Kronleuchter und ein riesiges, rosa Himmelbett steht in der Mitte des Raumes.
„Fühl dich wie zuhause!", flötet Heiß gutgelaunt.
„Als Lucifers Gast soll es dir hier an nichts fehlen!", fügt Heißer hinzu. „Wir sind für dich da und erfüllen dir jeden Wunsch!"
Apropos Lucifer ... Vielleicht ist es unfair, hinter seinem Rücken über ihn zu sprechen, doch ich erkundige mich neugierig bei den beiden Drachen: „Wie ist Lucifer eigentlich so? Ist er ein guter und gerechter Teufel?"
Heiß und Heißer scheinen nicht so recht zu wissen, was sie darauf antworten sollen. Sie lassen sich erstmal erschöpft auf meinem Bauch nieder und überlegen dann.
„Na ja, also ein schlechter Teufel ist er nicht", beginnt Heiß zögerlich, „aber du solltest trotzdem aufpassen, Hailee. Er ist nicht grundlos der Herrscher von der Hölle."
Ich runzele verunsichert die Stirn. „Wie meinst du das?"
Wieder zögert Heiß. „Sagen wir mal so: Lucifer liebt es, Deals auszuhandeln. Dass jeder Deal einen Haken hat, muss ich nicht erwähnen, oder?"
Was?! Ich spüre, wie mir die Gesichtszüge entgleisen und mir die Luft im Hals steckenbleibt.
Bis jetzt habe ich Lucifer als einen sehr freundlichen und charmanten Mann kennengelernt, den ich sofort in mein Herz geschlossen habe. Dass er auch noch eine andere Seite haben könnte, macht mir Angst.
Ob es dumm war, sich auf den Teufel höchstpersönlich einzulassen?
„Ich ..." Ich muss mich einmal räuspern, um das Kratzen in meinem Hals loszuwerden. „Ich habe auch einen Deal mit Lucifer gemacht."
Direkt schauen mich Heiß und Heißer neugierig aus ihren dunklen Knopfaugen an.
„Aber unser Deal ist total harmlos!", versuche ich nicht nur die Drachen, sondern hauptsächlich mich selbst zu beruhigen. „Er hat mich auf eine Hochzeit begleitet und im Gegenzug werde ich ihn ebenfalls auf eine Hochzeit begleiten. Ganz simpel!"
Heiß und Heißer nicken. „Dann weißt du ja schon, was dir morgen bevorsteht."
Ich möchte gerade erwidern, dass ich keinen blassen Schimmer habe, welche Hochzeit wir besuchen werden, da schlägt Heiß plötzlich aufgeregt mit seinen orangefarbenen Flügeln und kichert verschmitzt: „Ich bin total gespannt, was du zu deinem Brautkleid sagen wirst, Hailee. Pinkabella hat es extra für dich angefertigt. Natürlich mit der Hilfe von Heißer und mir!"
Kaum haben sich seine Worte in der Luft verloren, rutscht mir das Herz bis in die Hose hinab. Außerdem legen sich Eisenketten um meine Lungenflügel und mein Körper wird von einem Erdbeben erschüttert.
„Bra-Brautkleid?", hake ich entsetzt nach.
„Upps." Heiß schrumpft ein paar Zentimeter in sich zusammen. Er weicht meinem Blick aus und sucht stattdessen die Aufmerksamkeit seines Bruders. „Sie wusste gar nichts von der Vermählung, oder?"
Heißer schüttelt den Kopf. „Ich denke nicht."
„Oh, Mist!", flucht Heiß. „Was machen wir denn jetzt? Ihre Erinnerungen löschen?" Er hüpft unruhig auf meinem Bauch von rechts nach links. Zu gerne würde ich ihn wie eine lästige Fliege verscheuchen, doch mein Körper ist zu Eis erstarrt und gehorcht mir nicht mehr.
Brautkleid? Vermählung?
Tränen der Angst schießen mir in die Augen.
Ich soll Lucifer heiraten? Ist das etwa der Haken an unserem Deal? Scheiße, ich glaube, mir wird schlecht!
Schwarze Punkte säumen mein Blickfeld und eine Welle des Schwindels kracht über meinem Kopf zusammen. Erst sind es nur vereinzelte Schweißperlen, die meinen Nacken hinabrinnen, doch irgendwann sind es ganze Sturzbäche, die meine Seele in Panik ertränken.
Warum war ich so blöd und habe mich auf einen Pakt mit dem Teufel eingelassen?
Ich bin so überfordert und verzweifelt, dass ich immer tiefer in die Arme der Ohnmacht gleite. Und zwar so lange, bis ich endgültig das Bewusstsein verliere und zumindest für ein paar Stunden vor meinem Schicksal flüchten kann.
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