➺ 𝗨𝗻𝗯𝗲𝘀𝗰𝗵𝘄𝗲𝗿𝘁 𝘄𝗶𝗲 𝗲𝗶𝗻 𝗞𝗶𝗻𝗱
Chapter 17
» I just wanna be that unburdened child again... playing at the lake all innocent. «
EFFIE
Die Morgendämmerung beginnt und Nebel schwebt um uns herum, lässt frischen Tau an den Grashalmen haften und von den Blättern an den Bäumen herabregnen.
Es ist so wunderschön, die Natur dabei zu beobachten, wie sie langsam zum Leben erwacht, dass ich alles um mich herum gerade vergesse.
Alles, bis auf das, was gestern passiert ist.
Unbewusst nesteln meine Finger an dem Ring herum, der seit gestern meine Hand schmückt.
Es ist weniger ein Symbol das Versprechen gegenüber Haymitch einzuhalten und bei ihm zu bleiben, als viel mehr eine enorme Stärkung, um diesen Kampf zu gewinnen.
Ich will es.
Ein Leben mit ihm.
In unserem eigenen Haus. Bei Katniss und Peeta. Möglicherweise auch ein Kind oder gar zwei?
'Ich will es.'
Schützend hat er seine Arme um mich gelegt, spendet mir Wärme und versucht mich noch enger an sich zu binden.
Daphné liegt unweit neben uns, eingerollt in ihrem Schlafsack wie eine Zimtstange.
Su liegt neben Chester und Sunshine, ihre Arme hat sie genauso wie Haymitch schützend um die beiden jungen Kinder gelegt.
Zion ist ebenfalls schon wach, blinzelt kurz zu mir herüber, doch dann konzentriert er sich wieder auf den Nebel und auf das strahlende Rosa, welches gerade den kompletten Himmel einfärbt.
Die Sonne erhebt sich langsam über uns. Es ist wunderschön.
'Ob ich wohl jemals wieder einen Sonnenuntergang außerhalb der Arena sehen werde?'
„Es wird Zeit zum Aufstehen."
Zion erhebt sich vom Erdboden und beginnt damit seine Sachen zurück in den Rucksack zu packen.
„Wieso sollten wir eigentlich weitergehen? Hier haben wir ein gutes Lager, wenige Meter entfernt ist ein See und weder Alyx Allianz noch Fallen der Arena drohen uns gerade."
Sunshine überzeugt trotz ihres jungen Alters mit ihrer Art der Diplomatie.
Trotzdem kann man letzteren Punkt nie genau wissen, dem ist sich auch Zion bewusst.
„Könnte man die Gefahren der Arena im Voraus kalkulieren, wären sie wohl kaum eine Gefahr."
„Wo ist der Unterschied, ob wir hier in eine Falle treten oder die nächsten drei auslösen, während wir irgendeinem neuen Pfad folgen?"
Haymitch wird von dem Wortaustausch langsam wach, ist aber zu müde, um sich in das Gespräch einzumischen.
„Ich denke, die Kids sind gar nicht mal so dumm wie man meinen könnte. Außerdem-...vermisse ich einen schönen Tag am See, wisst ihr-...was ich meine..."
Nachdem Daphné ihren Einwurf vom Stapel lässt und Chester gespielt wütend schnaubt, wird den meisten ihr Gedanke klar.
Wir sind noch nicht lange in dieser Arena, gerade mal zwei Wochen, aber es fühlt sich wie eine Ewigkeit an.
'Ein schöner Tag am See...-'
Unweigerlich muss ich an meine Kindheit zurückdenken und wie verzweifelt mein Vater damals versucht hat mir das Schwimmen beizubringen.
Ja, ich weiß definitiv, was Daphné meint.
Ich vermisse diese Tage auch.
Einem jeden fehlt die Freude und wäre es wirklich so verächtlich sich diese zurückzuholen? Nur für ein paar Minuten? Versuchen, das beste aus diesem ganzen Mist zu machen?
„Das Wetter verspricht heute gut zu werden. Wir könnten schwimmen gehen!"
Die Kinder werden von Tatendrang erfüllt und auch, wenn der Badetrip wahrscheinlich einen bitteren Beigeschmack enthält, bringt niemand es über das Herz den Wunsch aus den Köpfen von Sunshine und Chester zu schlagen.
In der ganzen Zeit waren wir alle so sehr damit beschäftigt einen Krieg zu gewinnen, den Feinden hinterher zu trachten wie Jäger, dass man die Gedanken und Gefühle zwei junger Herzen völlig außer Acht gelassen hat.
Sie waren unbeschwert, dachten dennoch viel über die Tage vor diesem Höllenkampf nach.
Einfache Dinge.
Zum Beispiel einen Familienausflug an einem heißen Sommertag.
Wir vergessen, dass sie vermutlich kein längeres Leben haben werden.
Sie werden nie zu ihren Eltern und Geschwistern zurückkehren. Werden nie die Schule abschließen können, um danach die schöneren Flecken der Erde zu besuchen.
Die Grenzen sind weg, Panem lässt ihre Bewohner nun ziehen, wenn sie denn wollen.
Selbst Daphné versteht es, die Gedanken der Kinder aufzunehmen.
„Sie haben recht, Zion. Wir haben Essen, wir haben Wasser und gewissermaßen auch Schutz. Warum sollten wir einen Fleck verlassen, den wir nun kennen, um nach einem Platz zu suchen, der womöglich viel größere Gefahren parat hält?"
Es ist überraschend, aber tatsächlich spricht Su diese Worte aus. Ohne eine einzige Beleidigung, geschweige denn einem zornigen Blick.
Einzig die deutliche Distanz ist zu spüren.
„Bitte, macht, was ihr wollt. Aber sollte ein Seeungeheuer euch alle töten, ist das allein eure Schuld."
„Dann interessiert es uns auch nicht mehr."
Zwinkernd kneift Su ihrem Schützling in den Arm und zeigt zum See hinunter. Chester scheint sie sofort zu verstehen.
„Wer als erstes beim See ist! Erstick' nicht am Staub, Su!"
Ich muss den Kopf schütteln so wie die meisten es gerade tun, dennoch kann Chester eigentlich sagen, was er will. Es macht keinen Unterschied, er ist und bleibt liebenswürdig.
„Welz dich nicht zu schnell im Glanz des Ruhms."
Beinahe zeitgleich rennen beide los und liefern sich ein spannendes Kopf-an-Kopf Rennen.
Jedenfalls bis sie durch die dichten Büsche verschwunden sind und wir die beiden nicht mehr sehen können.
„Tja, sollten sich dort Fallen befinden, haben die beiden Deppen sie schon ausgelöst. Also können wir eigentlich ganz entspannt zum See laufen."
Daphné führt uns voran.
Haymitch läuft aufmerksam neben mir, während Zion am Ende der Gruppe Rückenstärkung bietet.
„Verlangst du etwa auch von mir, dass ich das für eine gute Idee halten soll?"
„Haymitch-... nein. Aber um ehrlich zu sein sind wir den beiden Kindern das schuldig. Du weißt, dass sie die Spiele nicht überleben werden."
Die Worte klingen bitter, wenn man sich daran erinnert, dass 'die Kinder' mal zu dritt waren und man sie einfach nur dabei beobachtet wie sie versuchen zu leben. Ihren ganz normalen Alltag. Als wäre all das hier nur ein katastrophaler Familienausflug, der durch das Liegenbleiben auf einem fremden Waldstück unterbrochen wurde.
Der See ist wunderschön, wenn man dabei zuschaut wie das Licht der Morgensonne über die Oberfläche schimmert und uns zu sich einlädt wie das Licht die Insekten.
'Ein Trick, um uns in eine tödliche Falle zu locken?'
Die Gedanken sollen endlich aus meinem Kopf verschwinden, denn ich möchte das Gefühl, die Erinnerung an Tod und seinem Leid für heute vergessen.
Es ist kein Tag dafür.
Stattdessen finden meine Finger erneut den Weg zu meinem Ring. Naja, ein wirklicher Ring ist es zwar nicht ...
... aber er ist mehr wert als es der größte Diamant je sein könnte.
Ich muss wieder lächeln, denn ich denke unweigerlich an den gestrigen Abend zurück und kann noch immer nicht so recht glauben, was passiert ist.
'Ich werde bald Mrs Abernathy sein ...
... und ich werde nicht zulassen, dass mir der vorzeitige Tod diesen Titel nehmen wird!'
„Effie? Sag mal, willst du den ganzen Tag am Seeufer stehen oder kommst du jetzt endlich ins Wasser?"
Vor mir steht Daphné, die ganz selbstverständlich ihre Unterwäsche auszieht und diese in dem Rest ihrer Klamotten versteckt.
„Ähm-..."
„Was denn? Wenn euch das Gefühl anmacht, stundenlang im nassen Slip herumzurennen, dann gerne."
Ich habe noch immer nicht die passenden Worte gefunden, aber das muss ich auch gar nicht, denn Suyin kommt mir zuvor.
„Daphné! Hier sind auch noch zwei Kinder mit an Bord. Unter anderem ein pubertierender Junge, du machst ihm das nicht gerade einfach-..."
„-... ach komm, Su. Es sind jetzt zwei Wochen herum. Denkst du nicht, dass die beiden bereits schlimmeres gesehen haben als einen nackten und vor allem attraktiven Frauenkörper?"
Su verdreht genervt die Augen, hält aber genauso wie ich an ihrem Entschluss fest.
'Die Unterschwäsche bleibt an!'
Es endet letztendlich damit, dass wir von den Männern in den See geworfen werden, weil wir uns schon viel zu lange über angemessene Bekleidung unterhalten haben.
Tatsächlich müssen Su und ich uns dabei eingestehen, dass Daphné recht behält.
Natürlich ist es für Chester ein Erlebnis echte weibliche Brüste zu sehen-...
'-... auf alles andere gehe ich jetzt mal lieber nicht drauf ein!'
Aber er nimmt die ganze Szene recht gelassen wahr, dafür, dass er noch so jung ist.
In den letzten zwei Wochen hatte er einfach schon zu viel gesehen, in vierzehn Tagen musste Chester also unweigerlich zum Mann werden.
Was ist da schon ein Tag, an dem wir das Kind wieder aus ihm herausholen können?
„Na los, Schwachkopf. Wer länger unter Wasser die Luft anhalten kann. Verstanden?"
„Was ist, wenn der Tod in den Tiefen auf uns lauert?", theatralisch hält Chester seinen Arm vor die Stirn und schaut an der dunklen Oberfläche herab.
Im selben Moment spüre ich ein seltsames Kribbeln an meinen Beinen.
Ein Zufall?
„Dann schaust du ihm mitten ins Gesicht und sagst, dass er sich verpissen soll. Er kann dich holen kommen, wenn dir graue Haare aus den Ohren wachsen."
„Ach, erreiche ich das?"
Su beißt sich auf die Lippe, ich kann ihren Frust deutlich spüren.
„Nicht, wenn du ertrinkst. Also gib dir Mühe, Junior."
Beinahe zeitgleich sinken beide Köpfe unter Wasser und ein ungutes Gefühl bricht in mir aus.
Aber warum? Wir befinden uns jetzt schon seit knapp einer Stunde im Wasser und nichts ist passiert.
'Effie! Mach endlich deinen Kopf von all dem Elend frei!'
Ein lächerlicher Gedanke ist das, schließlich befinden wir uns in der Arena.
Auf einem sinkenden Schiff.
„Hey...-alles okay bei dir?"
Haymitchs Arm legt sich um mich herum und augenblicklich klammere ich mich an seinen Körper fest, lass mich von ihm über Wasser halten.
„Möglicherweise hast du ja doch recht und das hier war ein naiver Fehler. Aber ich hab gerade keine Lust Angst zu haben, Haymitch."
Seine Arme schmiegen sich enger um meinen Oberkörper, geben mir zusätzlichen Schutz, unterstreichen dabei seine Worte.
„Das brauchst du nicht, Effs... ich bin bei dir."
Unsere Lippen treffen zaghaft aufeinander, wir wollen die Aufmerksamkeit der anderen nämlich möglichst vermeiden.
Doch zu spät, das Wasser trifft uns bereits von der Seite.
„Genug davon, ihr Turteltauben! Zeit für ein Spiel!"
Chester taucht als erster wieder auf, kriegt dafür jedoch bemerkenswert schnell wieder einen Satz zustande.
„Na los, Marco Polo! Ihr müsst euch verstecken."
Ich kenne dieses Spiel nicht, aber Sunshine klärt uns auf. Dabei redet sie mit so einer Aufregung, dass sie beinahe jedes zweite Wort verschluckt.
„Es ist ein ziemlich altes Kinderspiel, eine Art Fangen. Wenn Chester Marco ruft, antwortet ihr mit Polo. Er hat dabei die Augen geschlossen."
Wie von der Tarantel gestochen schwimmen wir alle mit Abstand von einander weg und verteilen uns innerhalb des Radius', den wir zuvor bestimmt haben.
Mir ist noch immer flau im Magen, aber wann hat man in der Arena auch schon ein anderes Gefühl?
Nachdem Chester heruntergezählt hat, wird es still und man hört nur noch ab und an das Rascheln der Baumblätter, wenn feiner Wind durch ihnen hindurch streift oder ein Knacken von irgendwelchen feinen Ästen ertönt.
Die Geräusche verleiten mich dazu für kurze Zeit nach oben zu schauen.
'Kein einziger Vogel zu sehen. Da waren gerade doch noch welche?'
Etwas längliches leuchtet durch die Wolken und ich bin mir sicher, dass es die strahlende Ader eines Blitzes war.
Ein Gewitter könnte bald über uns kommen, viel Zeit bleibt uns nicht mehr.
Erst das Ticken von Sunshine gegen meine Schulter reißt mich aus meiner Gedankenwelt heraus.
Sie neigt ihren Blick zu Chester, der mit seinen Armen in die Luft greift und sichtlich Spaß an dem Spiel findet.
Also beschließe ich vorerst meine Bedenken hintenanzustellen.
Mehrmals ruft Chester "Marco", woraufhin wir ihm antworten. Das Spiel wirkt albern, aber die beiden Kleinen haben so viel Spaß dabei, dass wir relativ schnell zu dem Ergebnis kommen, dass es keine so schlechte Idee war.
Ein kleiner Ablenkungsmanöver von all dem Grauen.
Es geht noch eine Weile so weiter, bis Zion schließlich seine tiefe Stimme erhebt und uns auffordert zurück ans Ufer zu schwimmen.
Chester protestiert, aber für mich war es heute genug Badespaß. Ich schwimme mit Su aus der Mitte des Sees hinaus und träume schon davon mich auf einem Handtuch unter der Sonne trocknen zu lassen und einfach wieder Boden unter mir zu spüren.
Doch etwas stimmt nicht.
Etwas stimmt ganz und gar nicht.
„Su?!"
„Ja. Ich weiß, Effie."
Panisch versuche ich gegen den Widerstand der Barriere anzukommen, aber die Mühe ist vergebens.
Es ist eine Falle mit der ich so nicht gerechnet hatte.
Hinter mir höre ich das plätschernde Geräusch von weiteren Personen und weiß, dass Haymitch direkt hinter mir ist.
„Effie? Was ist los, warum schwimmt ihr nicht weiter?"
„Wir können nicht!"
„Wie meinst du das?"
Beide Männer schwimmen an Suyin und mir vorbei, halten jedoch inne, als ihre Hände nach vorne greifen und ein heller Blitzstrahl erneut für kurze Zeit aufleuchtet.
Die Mitte des Sees ist von einem Kraftfeld umringt, aus dem es nun augenscheinlich kein Entkommen mehr gibt.
„Ich will ja nicht damit prahlen, dass ich euch gewarnt habe. Aber naja, ich habe euch nun mal vor der scheiß Aktion gewarnt."
Sunshine hat sich zwar über den Trip an den See gefreut, trotzdem ließ sie mich wissen, dass sie nicht die beste Schwimmerin ist, bevor wir letztendlich in das Wasser gezogen wurden.
„Hier ist bestimmt irgendwo ein Hinweis versteckt. So wie bei dem Vulkan oder Wasserfall, was auch immer es war."
Chester macht sich bereit eine Runde entlang des Sees zu schwimmen, er ist ein wirklich bemerkenswerter Schwimmer. Dennoch begleitet Su ihn zur Sicherheit.
„Keine Sorge, Effie. Wir werden hier wieder rauskommen, verstanden? Nur keine Panik."
Daphné schaut sich um, sagt nichts. Ihre strahlenden Augen neigen sich gen Himmel, ein Gedanke scheint in ihr aufzukommen.
„Die Panik beginnt, wenn es dunkel wird. Bei den Temperaturen überleben wir jedenfalls keine Nacht im See."
Ich höre sofort den gespielt sarkastischen Ton in Zions Stimme, während er kurz mit seinen Händen gestikuliert als hätte er die ultimative Lösung bereits gefunden.
„Tja, dann-...müssen wir wohl bis zum Anbruch der Nacht Tropical Island verlassen haben."
'Leichter gesagt als getan!'
„Nur zu, Zion. Wir sind für jeden Vorschlag offen!"
Haymitch keift mindestens in genau demselben sarkastischen Ton zurück, aber ein Streit bringt uns jetzt auch nicht weiter.
Im Gegenteil, um zu überleben ist Teamwork gefordert.
Aus dem Wasser tauchen plötzlich wieder die Köpfe von Chester und Suyin auf und haben scheinbar einen weiteren Lösungsvorschlag zu bieten.
„Leute, wir haben vielleicht die Lösung gefunden!"
Leichte Wellen ziehen über die Wasseroberfläche hinweg, der Wind wird wohl langsam stärker.
Höchste Zeit für einen Ausweg.
„Halte mit der Lösung nicht länger hinter'm Berg, Junge. Was habt ihr gesehen?"
„Den Himmel am Grund des Sees."
Fragezeichen erheben sich über unseren Köpfen, die aufgrund von Chesters mysteriöser Wortwahl entstanden sind.
Erst als ich in den augenscheinlichen Himmel über uns schaue, haben die Worte von Chester an Eindruck gewonnen.
Es fällt kaum auf, aber bei genauem Hinsehen glitzert die Wasseroberfläche seicht durch die Wolken.
Es waren also keine Blitze ...
„Wir müssen hinunter tauchen, mehr als es versuchen können wir nicht."
„Das ist aber zu einfach. Ist euch sonst nichts aufgefallen?"
Beide zucken mit der Schulter, ihre Blicke genauso unwissend wie unsere.
„Wir haben keine Wahl. Egal, was dort unten lauert."
Haymitch und Zion nicken Su's Worte ab.
'Das war's... es wird kein Zurück mehr geben.'
Das Adrenalin pumpt durch meine Adern, nachdem uns allen klar wird, dass wir bis an den Grund abtauchen müssen. Dabei ist jedem klar, dass die körperliche Anstrengung nicht die einzige Herausforderung bleiben wird.
Fest umschließe ich seine Hand und drücke Haymitch an mich. Die Panik leuchtet wie ein Warnsignal in meinen Augen.
„H-... Haymitch, ich bin-... ich kann nicht gut tauchen. Ich kann das einfach nicht!"
Seine Hände greifen fest an meine Schultern, üben sanften Druck aus.
„Wir haben keine Wahl, Effs. Tief einatmen. Wir schaffen das zusammen. Du und ich, verstanden?"
Den letzten Satz flüstert er mir leise in mein Ohr, denn er ist einzig für mich bestimmt.
Entscheidet vor allem über meine Zukunft.
„Okay... ja, gemeinsam..."
Wir nicken, füllen unsere Lungen bis zum Maximum mit Sauerstoff und tauchen dann in den See hinab.
Meine Augen sehen nur verschwommen in dem Wasser, einzig und allein das seichte Licht des Himmels strahlt mir entgegen.
'Es wirkt einfach nur wie eine surreale Welt.'
Der Druck dröhnt an meinen Ohren und es kostet mich beinahe alles nicht aufzugeben und stattdessen dem Pochen in Ohren und Lunge nachzugeben.
Einfach wieder auftauchen. Frische Luft einatmen.
Die Sehnsucht in meinem Körper wird immer größer, der Horizont unter uns scheint einfach zu weit.
Aber Haymitch zieht mich immer weiter nach unten, weist mich an, den Druck in den Ohren mit dem Ausatmen durch die Nase auszugleichen.
Zwar hilft das wenigstens bei dem einen Problem, aber der Sauerstoff weicht trotzdem mit jedem weiteren geschwommenen Meter in mir aus.
Ich habe das Gefühl, der See wird immer tiefer.
HAYMITCH
Ich spüre, dass Effie bereits knapp bis an ihre Grenze gegangen ist, aber es gibt kein Zurück mehr. Es scheint unser einziger Ausweg zu sein.
Zion und Suyin schwimmen uns voraus, werden dann aber von Daphné überholt. Allerdings nicht für besonders lang ...
Kaum schwimmt Daphné uns allen voraus, wird sie plötzlich von einer gewaltigen Druckwelle erfasst und zurück geschleudert.
Vor Schock erstarren wir alle und blicken zurück.
Daphné schüttelt den Kopf und rettet sich zurück an die Oberfläche, während kleine Blässchen aufgrund ihrer hektischen Bewegungen um sie herumtanzen.
Zion gibt ebenfalls ein Zeichen und zieht dann Su hinter sich mit, die sichtlich mit dem Sauerstoffmangel zu kämpfen hat.
Es vergehen ein paar Minuten bis wir alle schweratmend aus dem Wasser auftauchen.
Ein Kanonenknall dringt zusätzlich an unsere Ohren, welcher dafür sorgt, dass jeder seine Augen über den See gleiten lässt und prüft, ob noch jeder unter uns ist.
„Es galt keinem von uns."
Als würde sie ihren eigenen Worten nicht trauen können, fängt Su wieder an durchzuzählen.
Aber nein, wir sind nach wie vor komplett und lebendig.
„Tja, das wird aber nicht mehr lange so sein. Wenn wir hier nicht bald rauskommen, dann fallen die nächsten sieben Schüsse für uns!"
Daphné hat recht mit ihrer Vermutug, deren Schlusswort noch immer durch unser Gehör schwebt.
„Was ist, wenn wir eine Kette bilden? So können wir schneller auf den Grund tauchen oder etwa nicht?"
„Das wäre von Vorteil. Aber du hast die Barriere vergessen. Ich weiß nicht, wie wir an diese vorbeikommen wollen."
Jeder verfällt in eine hitzige Diskussion mit dem jeweils anderen, bis es mir zuviel wird und ich durch ein lautes Räuspern alle zum Schweigen bringe.
„Wir müssen es versuchen, verdammt! Es gibt kein wieso, kein aber wenn oder ein Versagen! Es gibt als Option nur den gottverdammten Tod! Wir müssen es versuchen, wieder und wieder. Möglicherweise entdecken wir Schwachstellen."
Meine Idee trifft auf Akzeptanz, außer der Tatsache, dass Effie ganz und gar nicht begeistert davon ist erneut runtertauchen zu müssen.
Unsere Hände verschließen sich alle fest miteinander, als Zion das Zeichen gibt Luft zu holen und dann unter dem Wasserspiegel verschwindet.
Ich halte Effies Hand fest in meiner und auch wenn wir uns unter Wasser befinden und es mit jedem sinkenden Meter kälter wird, habe ich das Gefühl ich würde schwitzen.
Die Nervosität zerfrisst regelrecht meine Glieder.
Chester erbringt gerade bemerkenswerte Leistungen für sein Alter und nicht zuletzt für seine schmächtige Figur. Er zerrt mit aller Mühe Sunshine hinter sich her, die sich schwer mit dem Tauchen arrangieren kann.
Auch mal ganz davon abgesehen, dass man in diesem Tümpel kaum etwas sehen kann. ...Kaum.
Dieses Mal gelingt es uns zwar schneller, den
Grund des Sees zu erreichen, allerdings wissen wir jetzt, was die steigende Gefahr ist.
Ein mutiertes Wesen, vermutlich eine Anlehnung an einen Zitteraal, schwimmt mit beachtlicher Geschwindigkeit frontal auf uns zu und dabei ist sein geöffnetes Maul mit den spitzen Zähnen eines Hais nicht einmal das Gefährlichste an ihm.
Sondern die Gewissheit, dass er eine Ladung Strom für uns bereithält, die dieses Vieh uns nur zu gerne durch den Körper jagen würde.
Ein erstickter Schrei ist von Zion zu vernehmen, der uns sofort auffordert an die Oberfläche zurück zu schwimmen.
Die Panik ist bei allen groß und man sieht das jeder in eine andere Richtung schwimmt, um dem Tier zu entfliehen.
Aber ich versuche die Nerven zu behalten, denn nach wie vor klammere ich mich an Effies zierlicher Hand und zerre sie so zurück an den Wasserspiegel. Panik würde alles nur anstrengender machen.
„Wo ist Su?!"
Das erste was meine dumpfen Ohren vernehmen ist die donnernde Stimme von Zion, der wie ein aufgeschrecktes Tier in alle Richtungen blickt und Ausschau hält.
Eine Weile bleibt die Oberfläche still und eben, fast schon als wäre es eine Eisfläche.
„Su! Hoch mit dir!"
Ich sehe die feinen Blasen sofort, welche zur Oberfläche empor schweben und fasse unter Wasser.
Zion kommt natürlich sofort zur Hilfe.
„Wir-...stecken in ziemlicher Scheiße, oder...?"
In ihrem Arm hängt Sunshine, die sie mit aller Kraft hinter sich hergezogen hat. Chester wurde die Last wohl zu schwer, ich habe sofort Mitleid mit ihm, als ich Schuldgefühle in seinem Gesichtsausdruck sehen kann.
„Vielleicht nicht mehr lange... Ich habe eine Idee!"
Alle Augen richten sich gespannt zu Daphné. Die kurze Pause soll ihrer Idee wohl zusätzlichen Eindruck verschaffen.
„Daphné, spuck's endlich aus!"
„Na schön, du Stimmungskiller. Was wäre, wenn die Barriere unmittelbar am Grund ein Kraftfeld ist? Dieser Aal, der könnte doch rein theoretisch so wie Katniss damals-..."
„-...ein Kurzschluss, aber klar doch!"
Sofort schießen mir die Bilder aus den 75. Hungerspielen wieder durch den Kopf. Der laute Knall, der durch die Bildschirme zischte, als Katniss den Draht mit ihrem Pfeil direkt in die Arena schoss.
Nun könnten uns ihre waghalsigen Ideen endlich mal etwas nützen.
„Aber der Zitteraal muss-... er sucht sich erst ein Opfer, bevor er grillt. Er wird nicht einfach das Kraftfeld angreifen."
Su hat recht. Es muss ein strategischer Plan entworfen werden und zwar zügig!
'Ich glaube, dass wir ohne ein potenzielles Opfer keine Lösung erreichen werden...'
Dieser innere Gedanke scheint nicht bloß durch meinen Kopf wandern zu wollen. Ich sehe die Blicke der anderen. Jedem hier ist bewusst, dass gleich einer sterben wird.
Automatisch drücke ich Effies Hand enger an meine.
'Alle. Aber niemals sie.'
„Wir versuchen ein Ablenkungsmanöver. Irgendwas wird schon klappen!"
Die Begeisterung hält sich bei Effies euphorischer Rede natürlich bedeckt.
„Sunshine, wir müssen es nochmal versuchen. Nur noch das eine Mal, dann sind wir hier raus. Verstanden?"
Das Mädchen ist noch immer völlig außer Atem und kriegt nur ein halbherziges Nicken zustande.
Erneut bilden wir eine Menschenkette und warten auf das Startsignal von Zion.
„Runter!"
Meine Lunge quält sich einmal mehr mit dem Druck herum, hämmert gegen meinen Brustkorb als würde sie am liebsten aus ihm fliehen wollen.
Einzig das Gefühl von Effies Hand lässt mich weiter zum Ziel blicken.
Überleben.
Als wir uns dem Grund zum wiederholten Male nähern sehen wir bereits die Silhouette des Biests auf uns zukommen.
Zion treibt uns jedoch an weiter an die Barriere zu schwimmen.
Sollte das Biest sich uns nähern, müssen wir schnell handeln und seiner Stromladung ausweichen. Stattdessen muss er auf das Kraftfeld zielen.
'Ein verdammt riskanter Plan...'
Ich kann nicht viel sehen unter Wasser, aber spüre, dass Sauerstoffmangel Effie Probleme bereitet.
Meine Lippen umschließen also zögernd ihren Mund und befördern meine Reserven stattdessen in sie hinein.
Vor uns tut sich allerdings ein ganz anderes Szenario auf. Es zerbricht einem das Herz ...
Sunshine hat den Kampf mit den Wasserfluten aufgegeben und klammert sich hilflos an Chester, doch er stößt sie von sich.
Kann der Belastung nicht mehr standhalten.
Fast schon schwerelos bewegt sich ihr zierlicher Körper von uns weg. Das goldblonde Haar verdeckt dabei ihr Gesicht.
'...Wir haben das Opfer gefunden...'
Es zerbricht mir das Herz.
Der Aal kommt immer schneller auf uns zu als er den scheinbar leblosen Körper von Sunshine ganz nah an der Barriere treiben sieht und kommt ihr bedrohlich nahe.
Ich spüre den Widerstand in mir und auch in Effie. Ich will mich dazwischen drängen und etwas tun, doch es hätte keinen Sinn mehr. Früher oder später musste es geschehen ...
In jedem von uns wird die Sauerstoffzufuhr immer weniger und ich weiß, wenn jetzt nichts geschieht, dann ertrinken wir alle.
Aber ein Detail scheint uns beinahe allen zu entgehen, bis auf Daphné...
...denn sie hat es schon einmal erlebt.
Sunshines lebloser Körper sinkt immer tiefer und hätte sie das Kraftfeld berührt, dann wäre sie weggeschleudert worden und der Aal hätte das eigentliche Ziel verfehlt... ihr Tod wäre umsonst gewesen.
Bevor ich oder die anderen diese Erkenntnis in uns aufnehmen können, schwimmt Daphné zügig zu dem Mädchen und hält ihren Körper fest.
Was als nächstes passiert wissen wir alle, einschließlich Daphné selbst.
Der Aal bäumt sich in all seiner Größe vor ihr auf und versetzt ihr einen Schlag, im selben Moment streckt sie jedoch ihren Arm aus und berührt das Kraftfeld.
Wir halten uns alle fest an den Händen, um nicht durch die Wucht der Druckwelle bis an die andere Seite des Sees geschleudert zu werden.
Doch stattdessen geschieht etwas anderes...
Wie bei einem Abfluss werden wir in den Grund gesogen und schauen voll Panik in den blauen Horizont.
„Ahhhhh!"
Ich weiß nicht, wer als erstes einen lauten Schrei losgelassen hat.
Ich spüre nichts mehr, außer die Luft, welche mich in der einen Sekunde komplett umhüllt.
Zwei. Schon befinde ich mich wieder im Wasser und schwimme mühevoll zurück an die strahlende Wasseroberfläche.
„Haben-... haben wir-... es geschafft?"
„Also-...i-... ich füh-... lebendig."
„Schaut doch!"
Zion. Suyin. Chester.
Ich höre die Stimmen von allen dreien.
„Effie? Effie, wo bist du?!"
Ich höre meine eigene krächzende Stimme, die gegen den Druck im Inneren ankämpft.
Mein Körper fühlte sich selten so sehr belastet an wie heute.
Das Sonnenlicht brennt auf meinem Kopf. Hoch oben über uns funkelt das Licht an uns herab und die Vögel singen...
... Die Kulisse macht mich krank.
Alles deutet wieder auf einen schönen Tag am See hin... ein Tag, an dem jeder sich freuen kann und man die Gemeinschaft genießt.
Die Realität aber ist, dass wir ein Kind getötet haben, denn wir dachten es sei unser Opfer-...
'... aber es war die ganze Zeit schon über Daphné gewesen.'
Effie schien näher am Seeufer im Wasser gelandet zu sein, denn ich sehe sie nun ganz genau.
Ihr gebrochener Blick, als sie sich über die leblosen Körper von Sunshine und Daphné erhebt.
'...Wir haben es also wirklich geschafft...'
Chester schwimmt an uns allen vorbei, krault sich mit seinen Armen durch das Wasser und stolpert beinahe, als er mit den Füßen den kleinen Strand erreicht.
...Ein Kanonenschuss.
Wir zucken zusammen.
Meine Beine schmerzen als ich zusammen mit den anderen beiden das Ufer erreiche.
Wir lassen uns alle zusammen schweigend um die beiden Leichen nieder.
Ich würde am liebsten schlafen.
...Ein weiterer Kanonenschuss...
Gemeinsam brechen wir in Tränen aus.
'An einem schönen Tag am Meer-... will ich wieder unbeschwert wie ein Kind sein... ja, das ist mein Wunsch.'
•oOo•
Huhu 🌸
Ich kann's nicht glauben, dass ich das nochmal sagen kann (vor meinem Tod jedenfalls) ... aber das war Kapitel 17 !!! 😅
Ich hoffe euch gefällt es... nur noch 3 Kapitel und dann hat meine erste FanFiktion offiziell ihr Ende erreicht... Ein Herzensprojekt findet damit nach knapp 6 Jahren sein Ende...
Okay. Das klingt fast schon lächerlich, wenn man bedenkt, dass es sich um nur 20 Kapitel handelt.
Abeeeer... Ich werde die Anzahl der Wörter am Ende veröffentlichen. Ein kleiner Roman ist es auf jeden Fall ! ☝🏽
Ja, na gut... ändert nichts daran, dass es 6 Jahre gedauert hat... 🥲😂
Egaaal, ich hoffe es hat euch gefallen... mich persönlich hat das Ende emotional zerstört, da ich mal wieder zwei meiner Charaktere abschlachten durfte ... 🥲
Xx ✨🕊
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