➺ 𝗗𝗶𝗲 𝘀üß𝗲 𝗩𝗲𝗿𝗯𝗶𝘁𝘁𝗲𝗿𝘂𝗻𝗴 𝗱𝗲𝗿 𝗥𝗮𝗰𝗵𝗲
Chapter 12
Die süße Verbitterung der Rache
HAYMITCH
Die Abenddämmerung ist bereits angebrochen und zu unserer Erleichterung haben wir festgestellt, dass die Temperatur langsam herunterkühlt.
Die Hitze haben wir sowohl mit Mühe und Not als auch mit unseren letzten Vorräten an Wasser überstanden.
Die nächste Hürde ist also die Eiszeit.
Seit Ewigkeiten suchen wir aufgrund des kommenden Schneesturms nun schon nach einem Unterschlupf für die eintretende Nacht, denn es verspricht eisig kalt zu werden.
„Haymitch, schau!"
Effies schrille Stimme lässt ein Alarmsignal in mir aufkommen, doch als sie mit ihrem Finger stumpf zum Himmel hinauf zeigt verstehe ich, dass keine Gefahr droht.
Hoch oben erleuchtet ein Spotttölpel, gefolgt von Katniss berühmter Melodie.
„Was denkst du, wer es war?"
„Wenn wir besonders viel Glück haben, dann war es einer von Xaphius Truppe, wenn nicht er sogar selbst. Da wir aber meistens Pech haben, wird's wohl einer der Knirpse gewesen sein."
„Haymitch! Wie kannst du das einfach so sagen?"
„Effie..."
Grummelnd bringe ich sie zum Schweigen, mittlerweile weiß sie nämlich ganz genau, was ich denke.
„Wieso musste es überhaupt soweit kommen..."
„Was meinst du?"
„Weshalb diese Rachespiele, wir haben doch gewonnen. Die Rebellion war ein Erfolg für ganz Panem, doch jetzt scheint alles von vorne anzufangen."
Fassungslos starre ich sie an, gleichzeitig verstehe ich ihre Sorgen, doch Effie scheint es wirklich nicht begriffen zu haben.
„Es geht um Gerechtigkeit, Effie! Wie viele Jahre mussten die Distrikte dies alles schon durchmachen? Wie viele Kinder waren es, du müsstest es doch noch gut wissen, oder nicht?"
Wütend ballt sie ihre Fäuste und schaut mir mit ihren großen blauen Augen mitten ins Gesicht.
„Gerechtigkeit?... es geht hier um die Befriedigung von Rachegefühlen, Haymitch! Wo ist hier denn noch Gerechtigkeit? Wo ist die Gerechtigkeit für Faith, Sunshine und Chester? Für Su und für Zion?...wo-
...-wo ist meine Gerechtigkeit?"
Die Wut in ihren Augen gleicht nun viel mehr Schmerz, welcher von frischen Tränen verschleiert wird.
„Wir haben nie jemanden von euch in diese Arena geschickt und wussten es einfach nicht besser. Wir waren geblendet, Haymitch! Jetzt sind aber die Distrikte geblendet worden und zwar von Gefühlen der Rache..."
„Manchmal geht es einfach nicht anders, Effs."
Die Diskussion mit ihr wird mir unangenehm und macht mich wütend, denn plötzlich fühle ich wie Effie dieses Mittleid tief in meiner Brust.
Doch dann brennen sich wieder Bilder von Trajan und Maysilee in meinen Kopf ein und entfachen eine unbändige neue Wut.
„Es hätte anders gelöst werden können, so hätten wenigstens weitere unschuldige Kinder überleben können."
Ich entscheide mich dazu ihr darauf nichts mehr zu antworten, um einen möglichen Wutausbruch zu vermeiden.
Effie tut es mir ebenfalls gleich, worüber ich sehr dankbar bin.
„Wir sollten uns auf das Hier und Jetzt konzentrieren, Effs. Das heißt, wir sollten die Höhle dort hinten mal genauer betrachten."
Ihre Augen werden von neuen Strahlen erleuchtet...
Strahlen der Hoffnung.
„Na, dann los. Wir frieren sonst noch hier fest!"
Die Höhle ähnelt ihrer Konsistenz her einem Iglu, geschaffen aus schweren Eiswänden.
„Effie, stopp! Du weißt doch noch gar nicht, was sich darin befinden könnte!"
Meine Hand greift grob nach ihrem Arm und zieht sie zurück an meine Seite. Schmollend läuft sie mir mit langsamen Schritten hinterher und schielt ab und an neugierig über meine Schulter, als ich mich mit höchster Vorsicht in die Höhle hinein begebe.
An den frostigen Wänden fällt mir ein wichtiges Detail auf; tiefe Kratzspuren.
„Egal, was sich hier drin befindet. Es ist tödlich."
„Scheinbar ist es weg, wenn es schon verzweifelt versucht hat sich durch die Wände zu graben", Effies Finger ziehen die tiefen Spuren in den Eiswänden nach, während sie mir ihren Gedanken mitteilt.
„Wer sagt denn, dass es seine Signatur ist und nicht die von eins seiner Opfer?"
Meine These wird noch einmal bestätigt, als ein tiefes Grollen durch die Weiten der Höhle ertönt und die großen Eiszapfen von der Decke herabfallen lässt.
„Effie, Vorsicht!"
Einer der Zapfen streift meine rechte Schulter und hinterlässt eine tiefe und schmerzende Wunde.
„Du hast dich verletzt!", entsetzt greift Effie nach meinem Arm und will sich die Wunde ansehen, doch ich ziehe ihn grob zurück und schenke ihr einen mürrischen Blick.
„Das sehe ich auch selbst, Effie."
In der Höhle entdecke ich einen eisigen Felsbrocken, auf dem ich mich niederlasse und in meinem Rucksack etwas zum Verbinden suche.
„Was denkst du, war das?"
Schulterzuckend blicke ich ihr entgegen, während ich einen Verband aus meinem Rucksack hole und mir ein Stück mithilfe meiner Zähne abbeiße.
„Was weiß ich, fest steht jedenfalls, dass auch hier mit Genen gespielt wurde. Vielleicht ein gigantischer Eisbär oder ein Yeti. Oh, oder vielleicht ist es ja auch nur ein Schneemann, der nach Aufmerksamkeit sucht."
„Ich weiß, was du mir sagen willst, Haymitch. Ob du es aber glaubst oder nicht, ich weiß, dass wir uns in einer Arena befinden in der in jedem Winkel der Tod auf uns wartet. Das hast du mir in den letzten Tagen zu genüge klar gemacht. Vielen Dank."
Beleidigt rümpft sie ihre Nase, ich nehme ihren schnippischen Aussetzer jedoch gelassen und kümmere mich lieber um meine Schulter.
„Was sollen wir jetzt tun? In der Höhle bleiben und das Monster suchen oder weitergehen und vor dem Schneesturm wegrennen?"
„Was meinst du denn?"
Statt mir zu antworten streift sie ihren Rucksack von ihrem Rücken und kramt etwas heraus.
„Ich bin nicht den ganzen Tag gelaufen, um jetzt da draußen zu erfrieren."
Voller Tatendrang hält sie mir ihren Dolch entgegen und läuft voran.
'Da will wohl jemand das Prinzessinnen-Image loswerden...'
„Außerdem hasse ich Schnee in meinen Haaren", grinsend wirft sie ihr Haar über ihre Schulter und fordert mich zum Mitkommen auf, was ich auch sofort tue, aber nicht ohne ein kopfschüttelndes Lächeln zu verlieren.
GWENDOLYN
Das Leuchten der Sterne wird immer mehr durch schwere Wolken bedeckt, also wird es allem Anschein nach ein Gewitter geben.
Es ist wohl bittere Ironie, die uns still und leise begleitet, als wir eine Schweigeminute einlegen, nachdem wir Luzinda auf ein Blumengrab hineingelegt haben.
„Wir sollten jetzt weitergehen und solange das Gewitter noch nicht ausbricht, müssen wir es nutzen."
„Wir?...Ich-...ich dachte, es gibt kein Wir?"
In meinem Inneren dehnt sich zunehmend ein neues Gefühl der Sicherheit aus.
Eine Allianz mit Syl zu gründen, kann Leben für mich bedeuten.
Vielleicht schaffen wir es ja sogar aus der Arena... mit etwas Glück...
„Gab es auch nicht, aber... naja, ohne Gesellschaft laufe ich in die Gefahr, dass ich mangels sozialem Kontakt wahrscheinlich verrückt werde."
„Das ist eine ziemlich lange Version von 'ich mag dich und möchte das du bleibst.' Aber ich akzeptiere sie trotzdem."
Seine feinen Gesichtszüge formen sich zu einem schüchternen Lächeln, es ist so warm und ehrlich.
Im Gegensatz, was man sonst hier in der Arena sieht, ist es eine angenehme Abwechslung.
„Gut, wenn das dann geklärt wäre, ist es Zeit unseren Weg fortzusetzen", sein Vorschlag trifft bei mir auf Zustimmung, auch wenn das bedeutet Luzinda entgültig alleine zu lassen.
„Ja, dass... sollten wir. Ruh' in Frieden, Tante Luz", meine gedämpfte Stimme wird von dem Wind durch die Wälder getragen und verliert sich irgendwann in den dichten Baumkronen.
Unser Weg wird mit anhaltender Stille fortgesetzt, was mir jedoch zu Gute kommt.
Ich wüsste eh nicht, was ich ihm sagen sollte.
Aufgrund der mangelnden Unterhaltung konzentriere ich mich lieber auf mein Umfeld, das immer mehr an den verwirrenden Gängen eines Labyrinths erinnert.
„Syl, befinden wir uns noch im Wald oder muss ich anfangen mir Sorgen zu machen?"
Nachdenklich legt er seine Stirn in Falten und observiert jetzt ebenfalls unser neues Umfeld, seine darauffolgende Antwort hätte ich jedoch bereits erahnen können.
„Kommt drauf an, wie gut es um deinen Orientierungssinn steht."
'Also gut. Willkommen im Antiken Rom, der Minotaurus sollte sich schon auf unserem Weg befinden...'
EFFIE
Die schweren Eiszapfen an der Decke werden größer und schauen gefährlich auf uns herunter, darauf wartend ihre spitzen Enden durch unsere Körper zu bohren.
Die Kälte von draußen pfeift uns seit Stunden um die Ohren, auch als wir schon weit in die Höhle hinein gedrungen sind.
„Denkst du, wir können hier drinnen ein kleines Feuer zünden?"
„Wie willst du das machen ganz ohne Holz, Effs? Außerdem würden wir nur riskieren, dass uns die schweren Zapfen durchbohren. Durch die Hitze würden sie schmelzen."
„Aber irgendetwas müssen wir doch machen, es wird immer kälter. Die Decken werden uns über die Nacht hinweg nicht genug Wärme geben können."
Ich verstehe Haymitchs Einwand, aber die Kälte wird unser Untergang sein, wenn wir keine Lösung zur Bekämpfung finden.
„Wir können die Höhle vorerst nicht verlassen, falls du das meinst. Draußen herscht ein Schneesturm, wir wären erfroren noch bevor wir auch nur den ersten Schritt gesetzt hätten. Wir müssen den Sturm also abwarten. Solange bleiben wir hier, wenigstens bietet uns diese Höhle etwas Schutz."
„Schutz? Sag mal, du hörst dieses grässliche Brüllen, das die Wände zum Beben bringt doch auch, oder?"
„Dann solltest du deinen Dolch besser fest im Griff haben."
„Ich will nicht als Eisblock sterben, Haymitch!", zische ich ihm aufgrund seines Sarkasmus entgegen.
„Was denkst du, Effs? Wie überlebt denn unser mutierter Yeti? Irgendetwas spendet ihm scheinbar ein wenig Wärme. Der Plan ist also, dass wir dieses Vieh erlegen und dann schauen wir uns hier um."
„Warte... woher willst du wissen, dass es ein Yeti ist?"
„Das war eine Vermutung, Effie."
Haymitch verdreht genervt seine sturmgrauen Augen und läuft weiter durch die Höhle als wäre es ein Tunnel ins Paradies.
Je weiter wir uns hineinwagen, desto lauter und intensiver werden jedoch die Geräusche.
Die schimmernde Eisdecke sowie die robusten Wände fangen immer wieder an zu beben, als dieses monströse Brüllen ertönt.
Meine Beine fühlen sich an wie Blei, doch Haymitch hat nach wie vor Recht.
Es gibt kein zurück. Entweder stellen wir uns dem mysteriösen Wesen oder wir entscheiden uns für einen Spaziergang durch den Schneesturm...
'...Ich weiß gar nicht, was mir mehr Freude bereiten würde.'
SUNSHINE
Zion ist weg. Su ist traurig. Faith ist verletzt. Chester ist wütend...
'Welcher Zustand passt wohl zu mir?...'
Ich denke, es wäre ein Gemisch aus allen Gefühlen zusammen.
„Su? Pause, bitte... ich kann nicht mehr", obwohl Chester und ich Faith beide stützen, wird es mit jedem Schritt anstrengender.
Die zusätzliche Dunkelheit sorgt zudem für Orientierungslosigkeit.
Schwere Regentropfen prasseln auf unsere durchnässten Körper herunter, während alle paar Minuten ein grummelndes Donnern unsere Ohren betäubt und das grelle Aufleuchten eines Blitzes zusätzliches Licht spendet.
„Um uns herum befinden sich nichts als Wände aus Steinen. Ich wüsste nicht, wo wir eine Pause machen könnten, um uns vor das Unwetter zu schützen. Eins steht aber fest. Diese Wände, die uns von allen Seiten umgeben und Sackgassen bilden sind das Ergebnis eines Labyrinths. Wollt ihr also Opfer eines Minotaurus werden?"
„Nein..."
Es kostet sehr viel an Nerven weiterzulaufen,
statt dem Drang der Müdigkeit nachzugehen und sich der Länge nach auf dem Schlammboden niederzulassen.
„Su, das hier macht keinen Sinn. Wir sind jetzt schon vier Mal an diese Stelle gelangt. Siehst du? In diese Wand habe ich ein Gesicht reingeritzt", Chester strahlt mit seiner Taschenlampe gegen die Wand, welche sich vor uns in die Höhe erstreckt.
„Okay, ich habe eine Idee. Chester, hast du noch was von der Schnur?"
„Ähm, ja..."
Augenblicklich lässt er seinen Rucksack von der Schulter gleiten und greift in die Öffnung hinein, um die aufgewickelte Schnur zu finden.
„Was hast du damit vor?", Chester und ich beobachten Su dabei, wie sie einen lockeren Stein aus der Mauer herausreißt und um diesen das eine Ende der Schnur wickelt, ehe sie ihn wieder fest in die Wand hinein drückt.
„Kennt ihr die Geschichte von Theseus?", Su erwartete bereits, dass wir alle drei unwissend den Kopf zur Seite drehen.
„Er sollte auch durch ein Labyrinth laufen, um einen Minotaurus zu töten. Kurz zuvor verliebte er sich allerdings in eine junge Frau. Ariadne hieß sie und diese gab ihm zur Hilfe einen Faden mit. Zusätzlich bekam er ein Schwert, um das Monster zu besiegen. Theseus konnte ihn töten und mit Hilfe des Fadens fand er den Weg zurück in die Freiheit...-
-...zurück zu Ariadne."
Ich weiß, dass Su uns gerade eine mythologische Geschichte erzählt hat, aber dennoch kann ich deutlich diesen Schmerz in ihrer Stimme erkennen.
Zum Glück ist Chester noch bei uns, er ist sich ihrem Liebeskummer nämlich nicht im geringsten bewusst und lenkt das Gespräch stattdessen wieder gekonnt zum Ursprung der kurzen Geschichte zurück.
„Du willst jetzt also unseren Weg markieren, damit wir nicht dauernd im Kreis laufen?"
„Ganz genau."
Su geht zügig vor und lässt immer wieder ein Stück der Schnur fallen, welche über den nassen Erdboden streift.
„Was ist, wenn uns so der Minotaurus finden kann und uns dann töten will?"
„Dann greifst du nach deinem Schwert."
Zur Veranschaulichung hält Su ihre Wurfmesser in die Luft.
EFFIE
Wir haben bereits einige Kilometer zurückgelegt, die Höhle scheint wohl unendlich zu sein.
Haymitch spekuliert schon, ob sich die unterirdischen Tunnel durch die ganze Arena ziehen würden.
Fakt ist jedoch, dass es um uns herum noch immer nichts als eisige Wände gibt und wir die kalte Zone deshalb noch nicht überwunden haben.
Das Grollen und Brüllen haben vor einer guten Stunde aufgehört, deshalb hören wir nur noch unsere Schritte und das Jaulen des Windes, der immer wieder durch kleine Öffnungen der Deckenhöhle einen Weg hinein findet und um unsere Ohren tanzt.
„Hier sind wieder Kratzspuren", zur Bestätigung meiner Worte fahre ich mit meinen Fingern über die langen Furchen in der dicken Eiswand und frage mich, welches Tier oder welches etwas solch große Pranken besitzen kann.
„Statt Spuren zu lesen, würde ich lieber wissen wollen, was sich dort oben abspielt. Wer weiß, wer noch alles übrig sein wird, sobald wir wieder an der Oberfläche sind."
„Wer weiß, ob wir dann noch übrig sind."
Mein plötzlicher Pessimismus überrascht mich mindestens genauso wie Haymitch.
„Wo ist denn die fröhliche Nervensäge hin, die in jeder Ecke der Welt einen Regenbogen sehen will?"
„Das macht der Umgang. Ich bin in letzter Zeit einfach zu oft in deiner Nähe."
Er will mir gerade etwas entgegen kontern, doch ein Gröllen hält ihn davon ab.
Es war diesmal noch viel lauter als die paar Male zuvor.
„Scheint so, als würden wir unseren Kamerad immer näher kommen."
Natürlich verliert Haymitch keine Sekunde und läuft selbstsicher in die Dunkelheit des Tunnels, der sich vor uns erstreckt.
Wortlos folge ich ihm durch den Gang, welcher wieder aus dicken Eiswänden besteht durch die man hindurch sehen kann. Ich folge den eisigen Spuren meines Atems, doch komme nicht drumherum meinen Blick auf die Kreaturen zu richten, die in den Wänden gefangen sind.
„Was...-was sind das denn für-...?"
„-Monster? Tja... die verfolgen uns eigentlich schon seit Beginn der Spiele, Effs."
Obwohl sie eingefroren sind, fühle ich mich von den Augen verfolgt, die leblos durch das Eis starren.
„Sie können sich nicht bewegen und solange sie dies nicht können, sollten wir schauen, dass wir weiterkommen", Haymitch reißt mich am Arm weiter durch den Gang, doch diese Wesen verschwinden nicht wirklich aus meinem Kopf.
Der Gedanke, dass eines von ihnen hier noch sein Unwesen treibt, raubt mir stattdessen alle meine Nerven.
Die zunehmende Panik in mir wird nur durch knackende Geräusche gestärkt, welche nach jedem gesetzten Schritt an meine Ohren klingen.
„H-... Haymitch...?", er dreht seinen genervten Blick zu mir, doch ich starre nur stumm auf den Boden.
'Ob er jetzt wohl gemerkt hat, dass wir uns wortwörtlich auf dünnem Eis befinden?'
„Keine Panik, Trinket. Hier, nimm meine Hand und dann gehen wir vorsichtig weiter. Siehst du? Ein paar Meter ist schon wieder fester Boden."
„Du spinnst wohl? Es wird brechen! Es knackt ja jetzt schon unter meinen Füßen."
Statt auf Haymitchs Anweisung zu vertrauen, tue ich das, was mal in einer Dokumentation gesagt wurde.
Vorsichtig lasse ich mich auf der kalten Oberfläche nieder, welche aufgrund ihrer Kälte jetzt schon einen stechenden Schmerz in meiner Brust hinterlässt und robbe mich dann achtsam nach Vorne.
„Sag mal, Prinzessin? Was tust du da?"
Wütend beiße ich meine Zähne zusammen und zische ihm meine Antwort entgegen, ohne anzuhalten.
„Wonach sieht es denn aus? Durch die Verlagerung meines Gewichts reduziere ich die Gefahr einzubrechen. Sieht zwar blöd aus, aber durch den Boden zu krachen liefert auch kein perfektes Bild!"
„Wie du meinst. Mal schauen, wer eher da ist."
Natürlich kann sich Haymitch schneller vorwärts bewegen, doch auch er wird immer langsamer und bedachter, während das Knacken des Eises mit jeder Bewegung lauter wird.
„Weißt du, wenn du endlich aufstehen würdest und dich nicht weiterhin wie ein einsamer Heuler fortbewegen würdest, könntest du jetzt auch schon auf der anderen Seite sein."
Siegessicher grinst er mir entgegen und provoziert mich zusätzlich mit knackenden Geräuschen, was ich jedoch gekonnt ignoriere und meinen Weg eisern fortsetze.
„Aja, weißt du denn, dass alles schneller gehen würde, wenn du dich nicht wie ein kleines Kind verhalten würdest?"
„Wer robbt denn unbeholfen auf dem Bo-..."
Sein Satz wird abrupt durch das laute Knacken unterbrochen und wie es kommen musste, bricht er schon sekundenspäter durch die dünne Eisschicht.
Plötzlich ist er vor meinen Augen durch den Boden versunken und ich liege nur da und beobachte meinen kalten Atem, der sich tänzelnd durch die Luft bewegt.
„H-... Haymitch? Haymitch?!"
Man redet von einem Schockmoment.
Wenn deine Glieder wie gelähmt sind und du nicht das verarbeiten kannst, was deine geschockten Augen sehen mussten.
Zu atmen, zu fühlen... aber in den wichtigen Sekunden vollkommen handlungsunfähig sein.
Das ist es, was mich vor Wut erhitzen lässt.
Entschlossen robbe ich mit beachtlicher Schnelligkeit zu dem Punkt, wo Haymitch eingebrochen ist und schaue in dunkle Tiefe hinein.
„H- ... Haymitch..., sag bitte etwas!"
Ich kämpfe mit den Tränen, als keine Antwort kommt. In meinem Kopf höre ich bereits den Kanonenschuss.
„Eff...-Effie?... Licht."
Vorsichtig fasse ich mit meinen zitternden Armen zum Rucksack und krame ungeduldig darin herum bis ich den gesuchten Gegenstand dann endlich mit meiner Hand ergreifen kann.
Erst will das blöde Ding kein Licht spendieren, doch nachdem ich es aus Wut mehrfach gegen meine Hand schlage, strahlt die Taschenlampe durch die Finsternis.
Erleichtert stelle ich fest, dass sich unter dem Eis Schnee befindet, der für eine weichere Landung gesorgt hat.
„Komm herunter, Effs."
„Oh... okay..."
Ich verstehe nicht ganz, wie dieser Mann sich das vorgestellt hat.
Soll ich mich einfach in den Schnee fallen lassen? Ich meine, er hat sich zwar nicht verletzt, aber aus der Höhe war es auch schon eher reines Glück.
Da riskiere ich doch nichts?
Das Eis lässt meinen Bedenken jedoch keine Chance, bevor ich etwas tun oder lassen kann bricht die Eisschicht unter mir weg und lässt meinen Körper unsanft in den kalten Schnee fallen, der sich wie tausend Nadeln in meine Haut sticht.
„Nur keine Eile, Trinks."
„Hilf mir gefälligst und lass das Lachen sein!"
Er greift bereits nach meiner Taille und zieht mich hinauf, da nutze ich gleich den Moment und drücke ihm etwas von dem kalten Schnee in sein Gesicht.
„Na, warte. Das bekommst du zurück!"
Schreiend wende ich mich von ihm ab und laufe den verschneiten Schneehügel hinunter, ehe ich über etwas stolpere und in die weiße Kälte falle.
Verblüfft liege ich vor dem Hügel und beobachte seine Konturen.
„H-Hay...-Haymitch... du solltest, ähm, vielleicht runterkommen."
„Wieso das denn?"
Er macht sich bereits auf den Weg zu mir nach unten, doch plötzlich schallt wieder das laute Brüllen durch die Höhle.
Große, eisige Augen weiten sich vor mir und durchlöchern mich mit einem verwirrten Blick.
„Das ist nicht bloß ein Schneehügel. Das ist-... das ist das Monster!"
Der Boden vibriert, als sich das Ungetüm vor uns aufbäumt und Haymitch achtlos von sich wirft.
„Was ist das?!"
„Scheiß egal, was es ist, Trinks. Fakt ist, wir müssen weg und zwar schnell!"
Unsere Beine führen uns voran, wohin wir flüchten ist uns zwar unbekannt, aber alles ist besser als von diesem Monster zermalmt zu werden.
Unser Weg führt wieder durch einen dunklen Tunnel, in welchem die Vibration der Wände und des Bodens noch intensiver zu hören sind.
Ein ziemlich schwerer Genosse, der uns da in den Hacken sitzt.
„Haymitch?! Wieso bleibst du stehen?!"
Die Frage wird schnell beantwortet, als mir die Eisfläche gefährlich in die Augen blitzt.
„Was jetzt?"
Haymitch wagt einen Blick zurück, was nur unsere Auslieferung offenbart.
Dieses fremdartige Yeti-Monster kommt immer näher und einen weiteren Fluchtweg zur anderen Seite gibt es nicht.
„Also gut. Brechbares Eis oder ein zehn Meter großes Monster. Was wählst du?"
„Da überlegst du noch?!"
Ohne noch eine Sekunde zu zögern begebe ich mich auf die glatte Oberfläche, dessen bedrohliches Knacken mich einmal mehr in den Wahnsinn treibt.
Haymitch folgt mir ebenfalls, doch selbst der Mutation scheint der dünne Boden nichts auszumachen.
„Schneller, Effie! Das Eis bricht!"
Meine Beine treiben mich an.
Meter für Meter rutsche ich über die Schicht und versuche mein inneres Gleichgewicht zu behalten.
Ich befinde mich schon auf der sicheren Seite, doch irgendwas stimmt nicht...
'...Wo ist Haymitch?'
Ein Blick zum Eis verrät es mir...
Die Mutation ist im Eis eingebrochen und Haymitch droht mit diesem Vieh in die Tiefe zu fallen.
„Haymitch!"
Aus meinem Rucksack suche ich das Seil heraus und binde das eine Ende fest, bevor ich mich wieder auf das Eis begebe.
Sollten wir beide einbrechen, können wir uns an dem Seil wenigstens wieder hochziehen.
„Du verdammtes Drecksding! Stirb endlich!"
An den Beinen versucht das Monster Haymitch immer wieder mit in die Tiefe zu ziehen, doch er wehrt sich mit heftigen Tritten in das Gesicht der Mutation.
Ich fühle mich überfordert mit der Situation...
Immer ist Haymitch derjenige, der uns aus gefährlichen Situationen befreit und nun...
'Jetzt bin ich wohl an der Reihe, ihm zu helfen.'
Eigentlich sollte ich sie für eine wirkliche Notlage aufbewahren. Aber von einem zehn Meter großen Yeti attackiert zu werden ist doch ein akuter Notfall, oder?
Die Fläche ist zu groß, um es rechtzeitig zu Haymitch zu schaffen. Deshalb ist es der einzige Ausweg.
Meine zittrige Hand greift noch einmal in den Rucksack und holt unsere einzige Leuchtpistole hervor.
Das Gefühl ist merkwürdig, als ich direkt auf das Monster ziele...
Ich habe noch nie auf etwas geschossen... geschweige denn, jemals eine Pistole in meinen Händen gehalten.
Der Moment kommt mir wie eine Bruchsekunde vor, als meine zittrige Hand abdrücken will, das Monster genau dann ein fürchterliches Brüllen von sich gibt und ich aus Schreck die Kugel in der dicken Eisdecke versenke.
„Effie! Was sollte das, verdammt?!"
„Denkst du, es war geplant die Decke zu treffen?! Ich habe noch nie auf etwas geschossen!"
Natürlich merke ich selbst, dass mein vergeblicher Versuch nichts dazu beigetragen hat, Haymitch aus den Klauen des Monsters zu befreien.
Jedenfalls sah es in den ersten paar Sekunden so aus...
Erstaunt schaue ich zur Decke hinauf, als sich die riesigen Eiszapfen lösen und mit ihren spitzen Enden die Mutation durchstechen, welche mit einem lauten Gröllen in die Tiefe fällt.
Ich verliere keine Sekunde, um mich zu Haymitch zu begeben und ihn aus dem gebrochenen Eis zu befreien, bevor er ebenfalls von einem Eiszapfen durchlöchert werden kann.
Schwerer Atem tanzt um uns herum, als wir uns mithilfe des Seils auf die andere Seite der Höhle begeben und wieder fester Boden unter unseren Füßen ist.
„Schicker Schuss, Süße."
„Sehr witzig."
Mein Gedächtnis erinnert sich sofort an den Moment zurück, als Haymitch den Spruch an Katniss richtete, während ich mich über ihr Fehlverhalten tierisch aufgeregt habe.
Ich fange an zu lachen, als mir die ganzen Erinnerungen wieder in den Sinn kommen, doch mit der Freude fallen schon bald bittere Tränen.
„Was ist los, Effs?"
„Erinnerungen... nichts weiter."
Zusammen setzen wir schweigend unseren Weg fort. Das Adrenalin, welches uns durch die Adern pumpt, sorgt aber immerhin dafür, dass wir die Kälte kaum noch wahrnehmen.
•oOo•
Moin✨
Ich hoffe, dass die Geschichte weiterhin auf Interesse stößt & freue mich natürlich dementsprechend über alle neuen Leser*innen ❣️
Xx Auralica 🕊
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