35 | Fehler über Fehler
| Emma |
Als ich an diesem Tag, den ich mir so vollkommen anders vorgestellt hatte, wieder in meiner altbekannten Wohnung saß, fühlte sich alles, was zuvor war, plötzlich schrecklich weit weg an. Ich hatte nur einen meiner Mitbewohner kurz angetroffen, doch in diesen vier Wänden wusste ohnehin niemand, was im Leben des jeweils anderen vor sich geht. Und aktuell wusste ich tatsächlich selbst nicht, wie mir geschah.
Ich saß auf meinem Bett, starrte gegen die Wand und versuchte zu begreifen, was mir schon in diesem Hotel und auch auf dem Weg hierher nicht einleuchten wollte.
Ich konnte mich doch nicht so sehr in Harry getäuscht haben. Wir hatten all diese Gespräche und zuletzt sogar noch diese intensive Zeit in den Hamptons verbracht. Es machte keinen Sinn, dass all das tatsächlich gelogen und gestellt war, bloß um mich dann zu einem Interview zu seinen Gunsten zu bewegen — zumal Harry ganz genau wusste, dass ich niemals öffentlich all diese Fragen beantwortet hätte.
Aber ich hatte ihm die Chance gegeben, die Sache aufzuklären. Ich hatte auf eine plausible Erklärung gehofft, um diese schmerzhafte Enttäuschung wenigstens ein bisschen zu lindern. Aber Harry hatte mir nur dreist ins Gesicht gelogen.
Anscheinend wusste er noch nicht einmal mehr selbst, was er mir den lieben langen Tag so auf die Nase band. Ich wusste, dass er in letzter Zeit sehr wohl bei Jeff war. Und langsam erklärte sich mir auch, warum er es plötzlich so eilig hatte und so kurz angebunden war, als ich wissen wollte, was sein Manager von ihm wollte. Doch irgendetwas machte an dieser Geschichte noch keinen Sinn.
Vielleicht wollte ich mir das aber nur einreden, weil ich nicht glauben wollte, dass Harry tatsächlich so berechnend war.
Schnell schnappte ich mir den Laptop, der neben meinem Bett am Boden lag.
Ich fragte mich, was Harry aus diesem heutigen Tag wohl gemacht hat. Wenn er dieses Interview trotz allem gegeben hat, war er nun mal Medienprofi durch und durch und ich hatte mich womöglich doch einfach in ihm getäuscht. Sollte er das Interview gegeben haben, musste ein Foto davon sicherlich längst auf Twitter umherkursieren. Wann immer ich ein Foto gepostet hatte, auf dem auch nur eine Locke von Harry zu sehen war, hatten es die Fans dort zuhauf geteilt. Und die Presseleute haben es sich, sollte das Interview stattgefunden haben, bestimmt nicht nehmen lassen, schon vor der Veröffentlichung des ganzen Talks ein Bild mit ihm zu teilen.
Schnell und nicht zum ersten Mal tippte ich also Harrys Namen in die Suchleiste ein und ließ mir die neuesten Bilder von ihm anzeigen.
Doch was mir nach nur einem Mal Scrollen angezeigt wurde, traf mich härter als alles, was ich mir hätte ausmalen können.
Harry Styles beim Verlassen von Camille Rowes Hotel in New York
Auf den Bildern des Paparazzo, der offenbar nicht die idealste Position gehabt hatte, war nicht viel zu erkennen. Da war eine Person, die möglichst verhüllt ein Hotel in New York verließ. Entsprechend wurde unter den Bildern, die zu genüge geteilt wurden, wild diskutiert, ob es tatsächlich Harry war, der hier aus dem Gebäude spazierte.
Für mich hingegen bestand kein Zweifel. Ich kannte den Hoodie, ich kannte die Shorts, ich kannte alles daran. Immerhin hatte ich Harry an diesem Tag noch lange genug gesehen und ihm diese Klamotten nur wenig später eigenhändig ausgezogen.
Die einzige Aufnahme, die noch nötig war, um meine Welt endgültig in Schutt und Asche zu legen, war in den Kommentaren zu finden. Dort hatte ein Fan andere Paparazzifotos gepostet, auf denen zu sehen war, wie Camille Rowe noch am selben Tag durch genau denselben Hoteleingang verschwindet.
Ich kannte diese wunderschöne Frau. Ich hatte oft genug in Suchmaschinen nach ihr gesucht.
Ich weiß nicht, wie lange es in meinem Kopf ratterte und wie lange ich auf den Bildschirm starrte, während ich versuchte, diesen tiefen Schlag in die Magengrube zu ertragen und ruhig zu atmen.
Das Gute an dieser ganzen Sache: Harry hatte mir heute zumindest nicht direkt ins Gesicht gelogen. Er hatte Jeff wohl tatsächlich lange nicht gesehen.
Dafür hatte er mich aber schon lange zuvor unfassbar dreist belogen. Er war bei der Frau, über die er immer noch nicht hinweg war, während er mich im Glauben ließ, ich könnte ihm vertrauen.
Alleine bei dem Gedanken, wie schnell Harry an diesem Tag davongerauscht war, nachdem er eine Nachricht erhalten hatte und wie durch den Wind er danach war, kochte ich vor Wut und konnte weinen vor Enttäuschung. Und beim Gedanken, dass ich an diesem Tag auch noch zum ersten Mal mit ihm geschlafen hatte, schüttelte es mich vor Ekel. Nun wurde mir auch klar, weshalb er mich um ein Haar aufgehalten hätte. Wahrscheinlich war er noch ausgepowert von seinem Treffen mit Camille.
Harry hatte sich wohl in seinem eignen Lügennetz verstrickt und heute war es ihm zum Verhängnis geworden. Wann er angefangen hatte, mich um Narren zu halten, wollte ich überhaupt nicht mehr wissen. Was ich hier auf meinen Bildschirm sah und heute gehört hatte, war schon genug.
Wie unglaublich dumm musste ich nur gewesen sein? Wie naiv und gutgläubig? Und wie herzlos musste Harry sein, dass er all den Schmerz, den er verursachte, in Kauf nahm?
Das waren die Fragen, die mich in dieser Nacht beschäftigten und mir den Schlaf raubten. Ich zweifelte so sehr an mir und spielte immer und immer wieder durch, an welchen Punkten ich hätte hellhörig werden müssen, bis ich am nächsten Morgen überhaupt nicht mehr wusste, was ich in den vergangenen Monaten überhaupt wirklich passiert ist. Ich stellte Harrys gesamte Persönlichkeit so sehr in Frage, dass ich nichts, was er je getan hat, noch unvoreingenommen sehen konnte.
Ich wusste nicht, wie spät es war, als ich plötzlich zusammenzuckte. Es hätten die frühen Morgenstunden, aber auch bereits Mittag sein können, als es an meiner Türe klopfte. Noch nie zuvor hatte tatsächlich jemand an diese Türe hier geklopft. Ich hatte hier noch nie Besuch empfangen und meine Mitbewohner hatten ohnehin schon gar nichts in diesem Zimmer verloren.
Irritiert schreckte ich auf. Instinktiv hätte ich beinahe „Herein" gerufen, doch ich konnte mir beim besten Willen gerade niemanden vorstellen, den ich in diesem Raum wissen wollte.
Schnell krabbelte ich also von der Matratze und hechtete zur Zimmertüre.
Schon als ich sie nur einen Spalt aufmachte, hätte ich sie am Liebsten direkt wieder zugeknallt.
Tatsächlich stand dort Harry Styles auf dem knarrenden Dielenboden meiner verranzten WG.
„Was willst du denn hier?", platzte es aus mir heraus, während ich ihn finster anstarrte.
Es war verrückt, wie er nach all den Gedanken, die ich mir in den letzten Stunden über ihn gemacht hatte, nun sogar ganz anders aussah. Ich konnte nicht glauben, dass diese verlogenen, giftigen grünen Augen je sanft gewesen wären.
„Mir hat irgendjemand aufgemacht und meinte, dein Zimmer wäre das hier und —", erklärte Harry und schien selbst überrascht, dass er es so weit geschafft hatte.
„Ich meinte eher generell, wie du die Nerven haben kannst, hier aufzuschlagen", unterbrach ich ihn knurrend. „Woher weißt du überhaupt, wo ich wohne?"
„Naja, deine Adresse steht auf jeden Vertrag", antwortete Harry. „Und ich bitte dich, Emma. Ich hab' kein Auge zugetan. Wir haben Einiges zu bereden."
„Ich hab' dir gestern die Chance gegeben, zu reden. Aber die wolltest du ja nicht so recht nutzen", entgegnete ich, als im Nebenzimmer plötzlich die Türe aufging.
„Geht das auch etwas leiser?", zischte eine meiner Mitbewohnerinnen. „Ich versuche hier zu lernen." Schon schlug die Türe wieder zu, während ich seufzend den Kopf in den Nacken legte.
Ich wollte mir nicht meinen passiv-aggressiven und desinteressierten Frieden in dieser Wohnung zunichte machen lassen, nur weil Harry hier einen Aufstand machte. Und den würde er gewiss machen, sollte ich ihn nun wegschicken.
Widerwillig trat ich also zur Seite und ließ ihn in mein Zimmer. Noch vor einigen Tagen hätte ich mir Gedanken darüber gemacht, wie es in diesem Raum aussieht und was Harry von mir denken könnte. Heute hätte es mir nicht gleichgültiger sein können.
„Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, Emma", hörte ich ihn schon wieder verzweifelt reden, während ich mich auf den Rand meines Bettes sinken ließ. Harry hingegen lehnte sich erschöpft gegen die Wand. „Das gestern ist denkbar blöd gelaufen. Es war eine PR-Strategie, die Christopher durchgeboxt hat und ich hab sie, ohne überhaupt drüberzulesen, durchgewunken."
Während Harry immer noch von diesem gestrigen Interview, das gewiss ebenfalls eine pure Frechheit war, sprach, gingen meine Gedanken längst immer wieder zu jenem Tag, an dem Harry nach New York zu Camille gefahren war. Es war schlimmer, dass er mich in dieser Hinsicht hintergangen hat, als dass er mich gestern so vorgeführt hatte.
„Ich weiß, du hast Jeff immerhin lange nicht gesehen", half ich Harry etwas auf die Sprünge.
Vorsichtig sah er mich an, als wolle er prüfen, wieviel er nun sagen konnte.
„Ich...", setzte er kurz an, brach aber wieder ab und stellte sich meinem Blick. „Verdammt, du hast die Bilder gesehen, was?"
Ich wusste nicht, was ich in diesem Moment hören wollte. Harry konnte nicht das Richtige sagen, dafür sagte er allerdings gerade zielsicher immer wieder das Falsche.
„Das hab ich, ja", nickte ich dennoch möglichst ruhig.
Nun schien auch Harry zu begreifen, dass das sein noch größerer Fehler war, den er sich geleistet hatte.
„Okay, ich weiß, wie das aussieht. Aber es ist nicht so, wie du denkst", warf er direkt wieder mit Floskeln um sich.
„Also warst du nicht bei Camille und hast mir stattdessen gesagt, du wärst bei Jeff?"
Stille.
Erst nach kurzem Zögern antwortete Harry. „Na gut, das schon", räumte er ein. „Aber —"
„Und das hatte auch nichts damit zu tun, dass du sie vermisst hast und sie am Liebsten zurückwolltest?"
Dieses Mal überlegte Harry sogar noch etwas länger. Dieses Mal könnte ich es immerhin nicht beweisen, wenn er mich anlügen sollte.
Ausnahmsweise schien sich Harry aber für die Wahrheit zu entscheiden.
„Ich wollte sie doch nicht wirklich zurück, aber... Ja, ich wollte sie sehen und habe lange darauf gewartet, dass sie sich meldet und dann —" Nachdenklich brach er wieder ab. „Nichts, was ich gerade sage, trägt dazu bei, dass ich irgendwie besser dastehen würde, oder?"
Urteilend schüttelte ich den Kopf. „Nicht wirklich. Das liegt wohl daran, dass auch nichts, was du getan hast, in irgendeiner Form zu erklären wäre."
„Ich weiß, ich hab Mist gebaut", seufzte Harry leidend. „Aber dieser eine — oder vielleicht diese zwei — Fehler, die können doch nicht alles kaputt machen."
Als müsste ich nun abwinken und ihm ohne Widerrede verzeihen, sah er mich auffordernd an.
„Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein, Harry", fuhr ich ihn an. „Du denkst wirklich, ich wäre so abhängig von dir, dass du tun kannst, was du willst, oder? Jetzt versteh ich auch, warum du so viel für mich getan hast. Du willst, dass die Menschen dich brauchen, weil sie anders nicht bei dir bleiben."
Ich wusste, dass meine Worte Harry trafen, aber genau das war auch der Plan.
„Das hat Camille auch gesagt", murmelte er. „Und sie hatte wahrscheinlich sogar recht. Bei den meisten Frauen habe ich das wohl wirklich so gemacht, irgendwann waren sie mir verfallen. Aber du hast mich nie gebraucht. Das hat mir von Anfang an Angst gemacht."
„Da hast du ausnahmsweise recht, Harry. Ich brauche dich wirklich nicht. Die ganze Zeit über habe ich mir Gedanken darüber gemacht, wie unglaublich großzügig und lieb du zu mir bist. Ich hatte immer Angst, ich wäre vielleicht nicht gut genug für dich. Aber tatsächlich bist du nicht gut genug für mich."
Für mich war damit alles gesagt. Zumindest für den Moment. Harry hatte mich so sehr verletzt und offenbar auch keine Erklärung abzuliefern. Ich konnte seinen Anblick gerade kaum ertragen.
„Bitte geh wieder, Harry. Ich will allein sein."
Tief seufzend stieß Harry sich von der Wand ab, um mir diese Bitte zu erfüllen. „Falls es noch irgendeine Bedeutung hat. Es tut mir unheimlich leid und ich kann dir wohl kaum sagen, wie sehr ich diese Entscheidung bereue."
Auch dazu hatte ich nichts mehr zu sagen.
Ich ließ Harry wortlos gehen und war damit wieder alleine.
Es war genau das eingetreten, wovor ich mich immer gefürchtet hatte. Ich war auch zuvor alleine gewesen, doch ich hatte mich nie einsam gefühlt, weil ich es nicht anders gekannt hatte.
Doch jetzt war da diese erdrückende Leere, die Harry hinterlassen hatte und mir schreckliche Angst machte.
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